Swaantje Güntzel
»Können Sie nicht mal was Schönes machen?« Auf der Kehrseite der Wergwerf-Welt: Swaantje Güntzels subversive Spurensicherung Eine Frau sitzt auf einer Museumsbank vor Caspar David Friedrichs berühmten Gemälde ›Das Eismeer‹ (1823/24) in der Hamburger Kunsthalle. Wir blicken mit der Besucherin auf Friedrichs zerklüftete Eisschollenlandschaft, in der – klein, zerbrechlich – ein gekentertes Schiff festsitzt. Zugleich nehmen wir irritiert zur Kenntnis, dass die Frau vor dem Bild von einer Anhäufung leerer Plastikflaschen umringt ist. Eine dieser Flaschen wird von ihr gerade zum Mund geführt. Die Kunststoffbehälter stammen aus der Elbe und anderen Hamburger Gewässern. Sie sind Teil eines massiven Müllaufkommens, das die Umwelt zunehmend verschmutzt. In ihrer fotografisch ins Bild gesetzten Performance ›Seestück II / Hamburger Kunsthalle‹ (2020) führt die Künstlerin Swaantje Güntzel den von ihr zusammengetragenen Abfall an einem Ort vor, der strengen Reinlichkeitsregeln unterliegt. Damit offenbart sie eine eklatante Diskrepanz unserer Kultur: Dem respektvollen Verhaltenskodex im musealen Umraum steht die destruktive Achtlosigkeit gegenüber, mit der wir dem natürlichen Environment begegnen. Güntzel nimmt hier nicht nur Bezug auf die konstant anwachsende ökologische Belastung der Weltmeere durch Tonnen von Plastikmüll. Führte Friedrichs ›Eismeer‹ noch eine übermächtige arktische Natur vor Augen, deren Erkundung durch den Menschen unter größter Gefahr verlief, deutet die Künstlerin auf eine folgenschwere Verkehrung der Situation: »Heute sind ›wir‹ eine Gefahr für die Natur.«(1) Die 1972 in Soest geborene, in Hamburg lebende Künstlerin erwarb in Bonn einen Master der Ethnologie, bevor sie als Postgraduierte Freie Kunst an der Hamburger Hochschule für
bildende Künste studierte. In ihrer künstlerischen Forschung, in der sie regelmäßig mit Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Disziplinen kooperiert, verbindet sie beide Felder. Auf den Spuren menschlicher Ein- und Auswirkung auf das ökologische Gefüge unserer Erde ist sie »durchgängig mit der Frage beschäftigt, in welchem Verhältnis wir zur Natur stehen«(2). Güntzel setzt dabei verschiedene Medien und Strategien ein. Ihr vielgestaltiges Werk rangiert von performativen Arbeiten, in denen sie selbst oder eine andere Person mit umweltverschmutzenden Materialien interagieren, bis hin zu skulpturalen Objekten oder Gemälden, die in ihrem Auftrag entstehen. Der Bruch zwischen visueller Attraktivität und inhaltlicher Brisanz ist für Güntzels konzeptuellen Ansatz zentral. Die konfettiartigen Einsprengsel in dem nach Patrick von Kalckreuths ›Schaumkronen auf Wogender See‹ (1950) entstandenen Gemälde › NORDSEE / Ü-Eier‹ (2018), im Auftrag der Künstlerin von einem chinesischen Kopisten aus dem Dafen Oil Painting Village in Shenzhen/China erstellt, entspringen Überraschungseiern aus einem Container, die aufgrund einer Havarie auf Langeoog angeschwemmt wurden. Und in der Serie ›Können Sie nicht mal was Schönes machen?‹ – eine Reaktion der Künstlerin auf entsprechende Fragen von Betrachter:innen ihrer Arbeiten – sind Fine Art Prints von KameraAufnahmen des mit Müll übersäten Bodens der Framstraße in der Tiefe des Arktischen Meers, die ihr das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) zur Verfügung stellte, mit süßlich-kitschigen Stickern beklebt: Diese täuschen indes nicht über den beunruhigen-
[Abb. rechts] GOLD II . 2020 Polystyrol, Blattgold 20,5 × 25 × 7 cm
Herkömmliche Einwegverpackung für Take away-Menüs, überzogen mit Blattgold.
den Bild-Gehalt hinweg, sondern verstärken diesen noch. Swaantje Güntzel enttarnt den schönen Schein, in den die globale Wirtschaft die stetige Ausbeutung der Ressourcen unserer Welt und rücksichtslose Fortschrittsdynamik um den Preis von Artensterben, Klimawandel und katastrophaler Umweltverschmutzung regelrecht ›verpackt‹, als tödliches Gaukelspiel, in das wir alle involviert sind: »Wir sind von der Natur mittlerweile so stark disassoziiert, dass sie für uns nur noch eine Kulisse ist. Wir haben ausgeblendet, dass wir ein Teil davon sind«(3) Ihre aufrüttelnd-subversiven Arbeiten dringen mit subtiler Wucht ins Bewusstsein der Betrachter:innen ein: Mit ihrer Gegenüberstellung des massiven Ausschusses, den wir mitsamt unseren Waren produzieren, und der Fragilität der dadurch bedrohten Naturphänomene macht sie unsere Verantwortung als Bewohner:innen und Bewahrer:innen unserer Erde nachhaltig präsent. Belinda Grace Gardner (1) Telefongespräch mit Swaantje Günzel am 9. März 2021. (2) Ebd. (3) Ebd.
[Abb. rechts] Stereoskopie . 2021 Papier, Kunststoff 37,5 × 29,9 cm
[nächste Seite] SEESTÜCK II . 2020 Diasec 80 ×120 cm
Im August 2020 inszenierte sich Swaantje Güntzel in der Hamburger Kunsthalle vor dem Werk ›Das Eismeer‹ von Caspar David Friedrich. Die Künstlerin betrachtet die arktische Seelandschaft während sie zwischen Plastikflaschen sitzt, die zuvor aus der Elbe und anderen Gewässern Hamburgs gefischt wurden.
NORDSEE / Ü-Eier . 2018 Öl auf Leinwand, diverse Kunststoffe 59 × 89 cm
Ölbild, inspiriert von Patrick von Kalckreuths ›Schaumkronen auf Wogender See‹ (1950), das von einem chinesischen Kopisten in ›Dafen Village‹ in Shenzhen/China im Auftrag der Künstlerin angefertigt wurde. Der Ölfarbe wurden Plastikpartikel beigemischt, die aus geschredderten Überraschungseiern gewonnen wurden. Die Überraschungseier stammen aus einem Container, der sich auf dem Weg nach Russland befand und im Sturmtief Axel im Januar 2017 vor Langeoog havarierte.
Schönes Bild . 2021 Sticker, Goldrahmen 75 × 64 cm (Rahmen)
[nächste Seite] Serie ›Können Sie nicht mal was Schönes machen?‹ // Framstraße (Arktisches Meer) . 2021 Sticker auf Fine Art Prints 38,5 × 41,5 cm (Rahmen)
Serie, die die Künstlerin als Reaktion auf die Hinweise von Besucher:innen, sie solle doch mal etwas Schönes machen, konzipiert hat. Fine Art Prints, die vermeintlich ›aufwühlende‹ Themen zeigen, wurden mit kitschigen Stickern beklebt. Hier: Aufnahmen des OFOS Kamerasystems des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung vom Boden der Tiefsee der östlichen Framstraße (Arktisches Meer) auf denen zunehmend mehr Müll zu sehen ist. Realisiert in Zusammenarbeit mit Dr. Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).
Serie ZOOCHOSE . 2020 handbemaltes Porzellan ø 31 cm
Visualisierung der Laufstereotypien von Zootieren die in der Gefangenschaft Verhaltensstörungen entwickelt haben.
JOANA // ingested . 2020 Diasec 112 × 80 cm
Portrait, der Assistentin der Künstlerin, die Plastikfragmente ›erbricht‹. Die Plastikobjekte stammen aus dem Magen eines auf Kure Atoll (Nordwestliche Hawaii-Inseln) verendeten Albatroskükens. Realisiert mit Hilfe von Kure Atoll Conservancy.
Spielzeug-Vitrine I . 2021 diverse Kunststoffe 25,2 × 17 × 15,2 cm
Vitrine für Spielzeugsammler, befüllt mit Spielzeugen, die von Laysanalbatrossen im Pazifischen Ozean verschluckt und später auf Midway Atoll (Nordwestliche Hawaii-Inseln) in den verendeten Vögeln gefunden wurden. Realisiert mit Hilfe von Kure Atoll Conservancy.
My interiour decorator told me to buy this . 2021 Kugelschreiber auf Papier 32,5 × 28 cm
Plastic Flowers / MSC Zoe . 2019 Öl auf Leinwand 30 × 40 cm (ungerahmt)
Können Sie nicht mal was Schönes machen? / Garzweiler & Einhörner . 2021 Öl auf Leinwand 67 × 100 cm
Im Januar 2019 havarierte das Containerschiff MSC Zoe vor der niederländischen Küste und verlor 342 Container. In einem Container befanden sich Plastikblumen die später auf Langeoog angeschwemmt wurden. Ein Foto der Blumen wurde an einen chinesischen Kopisten geschickt der daraus im Auftrag der Künstlerin ein kitschiges Blumenbild fertigte.
Ölbild, angefertigt von einem chinesischen Kopisten, das die Künstlerin als Reaktion auf die Hinweise von Besucher:innen, sie solle doch mal etwas Schönes machen, konzipiert hat. Eine Ansicht des Braunkohletagebaus Garzweiler wurde mit Einhörnern, Regenbögen und einem Schloss, das auf einer Wolke schwebt ergänzt.
[vorherige Doppelseiteeite] Piñatas . 2021 Pappe, diverse Kunststoffe Traditionelle mexikanische Piñata-Figuren, die Maße variabel normalerweise mit Süßigkeiten und Spielzeugen befüllt werden, wurden als Gruppe installiert. Unter die Piñatas wurden Spielzeuge ausgelegt, die aus einer Containerhavarie vor Langeoog im Januar 2017 stammen.
Anna, carrying plastic wrapped fruit . 2019 Diasec 66,7 × 100 cm
Ablasshandel . 2021
Sonderedition (250 Exemplare) anlässlich der Papier Ausstellung ›Können Sie nicht mal was Schönes 14,8 × 21 cm machen?‹ in der GALERIE HOLTHOFF in Hamburg. Für nur 10 €/Karte kann rückwirkend ein reines Gewissen für vergangene Müll-Sünden im öffentlichen Raum der Stadt Hamburg erkauft werden. Der Gewinn aus dem Verkauf der Karte wird an ›Fishing for Litter‹ gespendet, einer Initiative des NABU (Meere ohne Plastik) in Kooperation mit Küstenfischern an Nord- und Ostsee. Im Rahmen des Projekts bringen Fischer den Müll-Beifang aus ihren Netzen zurück ans Festland, wo er fachgerecht entsorgt, bzw. zu wissenschaftlichen Zwecken analysiert wird. Alle an der Produktion beteiligten Parteien haben entweder auf ihr Honorar verzichtet oder Sonderkonditionen in der Produktion eingeräumt. Sowohl die Galerie, wie auch die Künstlerin verzichten auf Ihren Gewinn.
geboren 1972 in Soest, lebt und arbeitet in Hamburg. Swaantje Güntzel absolvierte nach einem Ethnologiestudium an der Universität Bonn ein Aufbaustudium Freie Kunst an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HfbK) und arbeitete mehrere Jahre als künstlerische Assistentin von Andreas Slominski. Sie nahm an zahlreichen Ausstellungen im Inund Ausland, wie z.B. MdbK Leipzig, Konstmuseum Ystad, Goethe-Institut Thessaloniki, Museum of Modern Art Honolulu, Österreichischer Skulpturenpark Graz und Kunsthaus Nürnberg teil und wurde mit diversen Stipendien ausgezeichnet, u.a. dem Research Grant des Danish Arts Council, dem Residenzstipendium des Ingmar Bergman Estates auf der Ostseeinsel Fårö in Schweden und dem RONDO Atelierstipendium des Landes Steiermark, Österreich. 2015 gewann sie den ars loci Kunstpreis der Neuhoff-Fricke Stiftung zur Förderung von Kunst und Wissenschaft. Swaantje Güntzel bewegt sich konzeptuell in unterschiedlichen Medien wie Performance, Objekt, Malerei, Stickerei, Installation, Fotografie und Video.
GALERIE HOLTHOFF
Fischers Allee 70 22763 Hamburg www.galerie-holthoff.de mail@galerie-holthoff.de
Gefördert durch:
Impressum Text: Belinda Grace Gardner Abbildungen: Tobias Hübel S. 3, 5, 9-15, 18-24 Henriette Pogoda: 6, 7, 17, 25 Gestaltung Ablasshandel (S. 26): Judith Hofmann Gestaltung: Büro für Belange und Angelegenheiten, Hamburg Druck: RESET ST. PAULI Druckerei GmbH, Hamburg Auflage: 150 Hamburg, April 2021
Mit freundlicher Unterstützung
HAMBURGER SALON by Taylor Wessing and Holthoff-Mokross
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