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ABSCHIED VOM STARKULT ANNETTE
ANNETTE, die Zusammenarbeit von Carax und den Mael-Brüdern Ron und Russel von der Band Sparks sprudelt vor visuellen und musikalischen Einfällen über. Alle Erwartungen an eine naturalistische Geschichte sollten sich eigentlich mit Beginn des Films erledigt haben, wenn Texttafeln darüber informieren, dass Sprechen, Essen und Atmen während der Vorstellung untersagt sind. Dann sitzt Carax als Produzent in einem Tonstudio, um den Song „So May We Start“ aufzunehmen. Was als Inszenierung einer Aufnahmesession beginnt, wird zu einer großen Chornummer, in der das Ensemble die Straßen herunterläuft und eine Vorstellung verspricht, bei der ungewiss ist, ob die Bühne außen oder innen ist.
Die Geschichte, die der Film nun erzählt, hat mehrere Bezugsrahmen, aber die Mechanismen der Kulturindustrie und ihrer Erzählungen sind eine Konstante. ANNETTE ist eine unversöhnliche Variation auf Themen von A STAR IS BORN als subversive Pop-Oper und exakt der Film, den die Welt gerade braucht: ein Abschied vom Helden- und Starkult. Der erfolgreiche Stand-Up Komiker Henry McHenry (Adam Driver) und die erfolgreiche Opernsängerin Anne Defrasnoux (Marion Cotillard) haben sich verliebt und bekommen ein Kind, woraufhin der Komiker immer mehr trinkt und seine Karriere den Bach herunter geht. Dieser Teil Geschichte wurde als A STAR IS BORN seit 1932 viermal verfilmt, darunter zweimal von George Czukor, dessen Filme der wichtigste visuelle Bezugspunkt von ANNETTE sind, bis hinein in die Farbgebung. Alle früheren Filme endeten mit dem Tod der Männer, der die Energien der Frauen erst wirklich freisetzt, und der in den Filmen von 1937 und 1954, in gewisser Hinsicht auch noch in der Version mit Lady Gaga und Bradley Cooper von 2018, als Liebesopfer inszeniert ist. Davon haben Sparks ganz offensichtlich genug. Bereits Czukors Version mit Judy Garland hatte deutlich depressive Gothic-Züge, und in ANNETTE wird Adam Driver tatsächlich von Gespenstern gejagt. Hier hat der Narzissmus des Komikers keine positiven Aspekte mehr. In seiner Comedy-Routine, die zwar von Lachern begleitet wird, aber explizit und in jeder Hinsicht unwitzig ist, wird Humor durch Lachsamples und das Ha-Ha-Ha von Backgroundsängerinnen ersetzt. Seine Liebe hat stets bedrohliche Untertöne: „Du stirbst so schön“, sagt er zu Anne, die täglich auf der Opernbühne ästhetisch darnieder sinkt – auch das ein Kommentar zum Liebes-Opfermythos.
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Wer ein Feelgood Musical mit liebenswerten Figuren und einer anständigen Handlung erwartet, wird möglicherweise enttäuscht. Anders als etwa LA LA LAND, dessen düstere Aspekte sich eher im Nachhinein offenbaren, ist ANNETTE überwiegend schräg-finster und erzählt eher eine Meta-Geschichte. Der Film hat aber jede Menge Drive und Witz, szenisch, musikalisch und visuell, etwa wenn ein Dirigent während einer Aufführung über seine geheime Liebe zu Anne spricht und sich immer wieder kurz entschuldigt, bevor ein Orchester-Crescendo ansteht, wenn ein Sturm ausschließlich aus völlig überdimensionierten Rückprojektionen besteht, oder wenn das Baby ANNETTE so lange eine Marionette bleibt, wie sie von Henry McHenry ausgebeutet wird. Leos Carax und Sparks haben einen der aufregendsten Filme des Jahres produziert und einen zukünftigen Klassiker. Man fragt sich nach dem Film vor allem, warum in Carax‘ Filmen nicht schon früher und ausschließlich gesungen wurde oder generell in allen Filmen, die nach Oper riechen, DUNE, Marvel usw. Die Mael-Brüder mögen inzwischen über siebzig sein, aber es gibt noch so viel zu tun. ANNETTE ist ein Geschenk und setzt neue Maßstäbe. D Tom Dorow
aNNETTE
Abschied vom Starkult
Frankreich/USA 2021 D 141 min D R: Leos Carax D B: Ron Mael, Russell Mael D K: Caroline Champetier D M: Russell Mael, Ron Mael D D: Adam Driver, Marion Cotillard, Simon Helberg, Rebecca Dyson-Smith D V: Wild Bunch
At its root a very current version of A STAR IS BORN, the collaboration between Leos Carax and the Mael brothers Ron and Russel of the band Sparks is filled to the brim with visual and musical ideas.