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FrEUNDLICHE UNTErDrÜCKUNG IST VIEL EFFIzIENTEr“ INTErVIEW mIT CYrIL SCHäUBLIN ÜBEr UNrUH
ACHT BErGE
Zwei Lebenswege
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Mit der bittersüßen, musikalischen Liebesgeschichte THE BROKEN CIRCLE schufen Charlotte Vandermeersch und Felix van Groeningen basierend auf dem Theaterstück von Johan Heldenbergh das Drehbuch zu einem der emotional kraftvollsten Filme des vergangenen Jahrzehnts. Mit ACHT BERGE adaptierten sie nun den gleichnamigen Roman von Paolo Cognetti erneut als Gemeinschaftsprojekt und führten auch erstmals gemeinsam Regie. Über mehrere Jahrzehnte hinweg erzählt der Roman von der Freundschaft zweier Jungs, deren Wege sich in einem kleinen Bergdorf im italienischen Aostatal kreuzen. Pietro kommt aus der Stadt, Bruno ist das letzte Kind in der entlegenen Siedlung. Trotz ihrer Gegensätze werden sie Freunde. Doch ihr Heranwachsen zu Männern lässt sie auseinanderdriften. Während es Pietro in die Welt zieht, bleibt Bruno dem Leben in den heimischen Bergen treu. Das Schicksal führt sie schließlich wieder zusammen. Ganz getragen von der mächtigen Naturkulisse und den zwei überzeugenden Hauptdarstellern Luca Marinelli (MARTIN EDEN) und Alessandro Borghi (SUBURRA) erzählt ACHT BERGE von unterschiedlichen Lebenswegen und Konzepten, dem Verlust von und dem sturen Festhalten an Idealen. Ist es besser, sich selbst treu zu bleiben, oder die Veränderung zu suchen? Einfühlsam führen Vandermeersch und Groeningen zweieinhalb Stunden durch zwei Leben, die sich gegenseitig bereichern. Eine Beziehung mit Höhen und Tiefen. Es sind die großen Themen – Familie, Freundschaft
Originaltitel: Le otto montagne D Italien/Belgien 2022 D 147 min D R: Felix van Groeningen, Charlotte Vandermeersch D B: Charlotte Vandermeersch, Felix van Groeningen D K: Ruben Impens D S: Nico Leunen D D: Alessandro Borghi, Luca Marinelli, Filippo Timi, Elena Lietti D V: DCM Film
und Verlust – verhandelt im Kleinen einer Beziehung zwischen zwei Menschen. Bei den Filmfestspielen in Cannes gab es dafür den Großen Preis der Jury. Die ACHT BERGE zu erklimmen, ist ein Kraftakt, aber die Aussicht von der Spitze ist wahrhaftig und
wundervoll. D Lars Tunçay Start am 12.1.2023
Over decades, two friends cross paths, lose touch and find each other again in a small mountain village in the Italian Aosta Valley.
Originaltitel: The Albanian Virgin D Albanien/Belgien/Deutschland/Kosovo 2021 D 120 min D R: Bujar Alimani D B: Katja Kittendorf D K: Jörg Widmer D S: Philipp Thomas D M: Olaf Didolff D D: Rina Krasniqi, Kasem Hoxha, Mimoza Azemi, Shkurte Sylejmani D V: Splendid Film
LUANAS SCHWUr
Status: Mann
Frauen in patriarchalen Gesellschaften sind eingesperrt in viele miteinander verwobene Zwänge. Wer rebelliert, stolpert statt in ein freies Leben oft nur in neue Zwangskonstrukte hinein. So ergeht es der titelgebenden Hauptfigur im Spielfilm LUANAS SCHWUR des albanischen Regisseurs Bujar Alimani. In den 50er Jahren wächst sie in Albanien auf, eines der ärmsten Länder Europas und von 1944 bis 1990 kommunistische Diktatur. Von den geschichtlichen Umwälzungen bekommen Luana und ihre Familie auf dem Land nicht viel mit – sie leben noch immer nach den Regeln des Kanun, ein Verhaltenskodex aus dem 15. Jahrhundert, sowie ihres christlichen Glaubens. „Wir brauchen die Regeln, sie machen uns zu Menschen, egal wie grausam sie uns erscheinen mögen“, sagt ihr Vater, als er erfährt, dass Luana heimlich das Lesen gelernt hat. Luana gibt sich Mühe, sich an seine Weisungen zu halten, doch ihre unerhörten jugendlichen Befreiungsversuche holen sie im Erwachsenenalter wieder ein. Schließlich trifft sie die Wahl, zur Burrnesha zu werden – zur „eingeschworenen Jungfrau“, die ihren Status als Frau aufgibt und in der Gesellschaft die Rolle eines Mannes übernimmt. Was gewaltvolle Traditionen wie das Gebot der Jungfräulichkeit, Zwangsehen und die Tradition der Blutrache mit Frauen und Familien machen, erzählen Alimani und die deutsche Drehbuchautorin Katja Kittendorf schonungslos. Zugleich betrachten sie auch streitbare Figuren wie Luanas Eltern mit einem differenzierten Blick und zurückhaltendem Optimismus. LUANAS SCHWUR ist ein dichtes Historiendrama, das mit bewegenden Naturaufnahmen in der Abgeschiedenheit der albanischen Berge eine subtile Westernatmosphäre entfaltet. Dabei hinterlässt gerade auch der hervorragende, mit albanischen Volksliedern gespickte Soundt-
rack einen bleibenden Eindruck. D Eva Szulkowski Start am 9.2.2023
Albania in the 50s: the emancipatory attempts of young Luana cause her to come in conflict with the traditions of the village community. She decides to become a Burrnesha – a “sworn virgin”, who gives up her status as a woman and is considered a man in society.
Originaltitel: Petrovy v grippe D Russland 2021 D 145 min D R: Kirill Serebrennikov D B: Kirill Serebrennikov D K: Vladislav Opelyants D S: Yuriy Karikh D D: Chulpan Khamatova, Semyon Serzin, Yulia Peresild, Yura Borisov, Yuri Kolokolnikov D V: Edition Salzgeber
PETrOV’S FLU
Reise in die russische Nacht
Mehrere Jahre stand der russische Theater-, Opern-, und Filmregisseur Kirill Serebrennikov unter Hausarrest, vage Vorwürfe der Untreue schränkten seine Freiheit ein, die Gefahr einer Verurteilung und der Lagerhaft hingen in der Luft. Es hilft, mit diesem Wissen Serebrennikovs neuen Film PETROV’S FLU zu sehen, die Verfilmung eines Romans von Alexey Salnikov – eine atemlose, irritierende, delirierende Reise in die russische Nacht. Vom ersten Moment an schwebt ein Gefühl der Paranoia, der Bedrohung über den Bildern, die Russland Anfang der Nuller Jahre zeigen. Schauplatz ist Jekaterinburg, eine Stadt wenige Kilometer östlich des Urals, also der fiktiven Grenze zwischen Europa und Asien, zwischen West und Ost. Hauptfigur ist Petrov, ein Automechaniker, der wie fast alle Bewohner*innen der Stadt von einer Grippe geplagt ist. (Bezüge zur Corona-Pandemie sind natürlich zufällig, aber nicht weniger reizvoll.) Von einem Freund bekommt er ein Medikament, das vor allem dafür sorgt, dass Petrov – und mit ihm der Zuschauer – in einen wilden, oft auch wirren Strom aus Gedanken und Erinnerungen gezogen wird. Bilder aus Petrovs Vergangenheit vermischen sich mit der Gegenwart, kontemplative Momente wechseln ab mit Szenen, in denen der Verfall der staatlichen Ordnung überdeutlich wird. War Serebrennikovs vorheriger Film LETO geprägt von sommerlichen Bildern und Melancholie, ist PETROV’S FLU durchzogen von Chaos und Anarchie. Weniger eine nachvollziehbare Handlung, als lange Kamerafahrten halten das Geschehen zusammen, verbinden in fließenden Einstellungen die disparaten Ideen und Gedanken. Viel zu viel ist das oft, gespickt mit Anspielungen an die russische Realität, die aus der Ferne kaum zu verstehen sind, wild und ungezügelt, voller eindringlicher Bilder und Momente, auf die es
sich einzulassen lohnt. D Michael Meyns Start am 26.1.2023
Petrov, a car mechanic, is plagued by the flu like almost all the residents of the city. He gets medication from a friend that causes him to go into a wild and often tumultous stream of thoughts and memories. Originaltitel: Maria rêve D Frankreich 2022 D 93 min D R: Lauriane Escaffre, Yvonnick Muller D K: Antoine Sanier D S: Valérie Deseine D M: René Aubry D D: Karin Viard, Grégory Gadebois, Philippe Uchan, Noée Abita D V: Atlas Film
mArIA TräUmT – ODEr: DIE KUNST DES NEUANFANGS
Beschwingt-romantisch Nachdem die alte Dame, bei der Maria (Karin Viard) jahrelang geputzt hat, das Zeitliche gesegnet und ihrer ehemaligen Angestellten nichts als eine Messingtaube hinterlassen hat, findet Maria eine Putzstelle an der renommierten Pariser Académie des Beaux-Arts. Doch kaum hat sie dort angefangen, passiert ihr das erste Malheur. Getreu ihrer Devise „Immer zweimal wischen!“ entfernt sie beherzt zerlaufene Butter von einem Sockel, die sich im Nachhinein als das Werk eines brasilianischen Künstlers entpuppt. Doch Hausmeister Hubert (Grégory Gadebois), heimlicher Hobbytänzer und gute Seele der Hochschule, rettet Maria – und ersetzt das Œuvre durch Butter aus der Kantine. Maria, die auf dem Heimweg in den Vorort Gedichte schreibt, und Hubert, der sich mit YouTube-Tutorials den Hüftschwung à la Elvis beizubringen versucht, sind sich sympathisch, doch Maria ist verheiratet. Das Regieduo Lauriane Escaffre und Yvonnick Muller stellt in MARIA TRÄUMT eine Mittfünfzigerin in den Mittelpunkt – allein das ist angesichts fehlender Sichtbarkeit älterer Frauen auf der Leinwand bemerkenswert. Unsichtbar zu sein ist das, was Reinigungskraft Maria an ihrem Job gefällt. Doch in der Kunsthochschule erkennen Hub und Studentin Naomie (Noée Abita) Marias Talente. Bald sitzt Maria – zunächst verschämt, dann zunehmend selbstbewusster – abends als Aktmodell im Zeichensaal. Die dreifache César-Gewinnerin Karin Viard, bekannt aus VERSTEHEN SIE DIE BÉLIERS (2014), trägt die beschwingt-romantische Komödie mit ihrer immer losgelösteren Darstellung einer erfahrenen Frau, die nicht nur die Liebe, sondern vor allem sich selbst findet – und dabei aufblüht. Escaffre und Muller, die zwei Nebenrollen spielen, widmen ihren feministischen Film „allen Marias der Welt“.
D Stefanie Borowsky Start am 19.1.2023
After the old lady who Maria cleaned for dies, Maria finds a cleaning job and new perspectives at the renowned Parisian Académie des Beaux-Arts.
DEr GESCHmACK DEr KLEINEN DINGE
Gérard Depardieu spielt den berühmtesten Chefkoch Frankreichs. Gabriel Carvin kann sich allerdings schon lange nicht mehr an seinem Erfolg freuen, seine Familie ist in Trümmern, seine Frau betrügt ihn mit einem Restaurant-Kritiker, und nicht einmal das Essen schmeckt mehr. Als Carvin einen Herzinfarkt erleidet, beschließt er, sein Leben umzukrempeln und reist zu einem ehemaligen Konkurrenten nach Japan, um sich genauer mit dem „Umami“ jener fünften Geschmacksnote neben süß, sauer, salzig und bitter zu beschäftigen.
Start am 9.2.2023
Originaltitel: Umami D Frankreich 2022 D 92 min D R: Slony Sow D D: Gérard Depardieu, Pierre Richard, Kyôzô Nagatsuka, Rod Paradot, Sandrine Bonnaire
AKrOPOLIS BONJOUr
Thierry (Jacques Gamblin) geht seit seiner Pensionierung allen mit der Archivierung der Familienfotoalben auf die Nerven. Als seine Frau Claire (Pascale Arbillot) sich – nicht nur deswegen – trennen will, bequatscht er sie, ein letztes Mal mit der ganzen Familie Urlaub zu machen, bevor sie es den beiden erwachsenen Kindern sagen. Das Ziel: Griechenland 1998 – der schönste Urlaub aller Zeiten. Thierry versucht, alles exakt so zu rekreieren wie damals, alle anderen sind vornehmlich genervt. Kathartisches Chaos ist die Folge.
Start am 16.2.2023
Originaltitel: On sourit pour la Photo D Frankreich 2022 D 95 min D R: François Uzan D D: Jacques Gamblin, Pascale Arbillot, Pablo Pauly, Agnès Hurstel, Ludovik
„FrEUNDLICHE UNTErDrÜCKUNG IST VIEL EFFIzIENTEr!“
Interview mit Cyril Schäublin zu UNRUH
Cyril Schäublin, geboren 1984 in Zürich, entstammt einer Uhrmacherfamilie und wuchs in der Schweiz auf. Zwischen 2004 und 2006 lebte er in China, wo er in Peking Mandarin und Film studierte. Es folgte ein Regiestudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB). Zurück in der Schweiz drehte er seinen Debütfilm DENE WOS GUET GEIT über eine Callcenter-Mitarbeiterin, die in ihrer Freizeit ältere Frauen mit dem „Enkeltrick“ ausnimmt. Der Film wurde in Locarno uraufgeführt und erhielt eine Nominierung für den Europäischen Filmpreis. Sein Zweitling UNRUH (OT: Unrueh) spielt in einem beschaulichen Schweizer Bergdorf anno 1877, in dessen Uhrenfabrik die Arbeiter*innen sich in der internationalen anarchistischen Bewegung organisieren. Auf der Berlinale gab es dafür den Regie-Preis der Sektion „Encounters“. Mir dem Regisseur sprach Dieter Oßwald. INDIEKINO: Die Figuren in UNRUH sind extrem freundlich im Umgang miteinander. Was hat es damit auf sich?
Das ist mein Erleben. Ich habe meine Familie befragt, meine Großtanten und Großonkel, die in einer Uhrenfabrik gearbeitet hatten, wie damals deren Verhältnis zu den Vorgesetzten war. Zu meinem Erstaunen war die Antwort immer dieselbe: Man empfand diese Autoritäten als sympathische, fürsorgliche Leute, welche auf einen aufgepasst haben.
Wie lässt sich das erklären? Alles nur gute Menschen in der Schweiz?
Ich glaube, diese freundliche Unterdrückung oder fürsorgliche Gewaltausübung ist eigentlich furchtbarer als eine offensichtlich gewaltvolle Haltung. Denn diese Methode ist eben viel effizienter.
In China verliefen die Übergänge von den kaiserlichen Dynastien zur kommunistischen Revolution sehr schnell. Der Bezug zu Gewaltausübung und Autorität ist unglaublich viel komplexer als in Europa. Erstaunlich ist, wie diese Ordnungen für die Menschen so hingestellt und dann irgendwie gelebt werden, trotz aller Brüche, die vorhanden sind. Es wird sich auch in China nie vollständig kontrollieren lassen, wie die Menschen sich begegnen und organisieren. Auf sozialen Netzwerken muss sich jeder total zurücknehmen mit seiner Meinung. Aber sobald man in ein Restaurant oder einen Park geht, wird dort ohne Probleme geflucht und abgekotzt über die Regierung.
Bei der Schweiz dürften die meisten eher an Banken als an Anarchie denken. Wie bekannt ist dieses Kapitel der Geschichte?
Das Wissen darum beschränkt sich auf linke Kreise. Derweil kennt jedes Kind bei uns die Heldenlegende des Arnold Winkelried und der Schlacht bei Sempach. Auch in UNRUEH soll diese Schlacht ja von den Nationalisten nachgestellt werden. Solche nationalistischen Mythologien sind viel stärker im Geschichtsbewusstsein der Menschen. Es gibt viele Dokumente, die bezeugen, dass die Anfänge der anarchistischen Bewegung sehr respektiert waren in diesem Tal. Es stimmt wirklich, dass der Direktor der Uhrenfabrik ein Abonnent der anarchistischen Zeitung war.
Wie haben Sie diese anarchistischen Wurzeln in der Uhrenindustrie freigelegt?
Während seines Anthropologiestudiums in England entdeckte mein Bruder Emanuel, der mich später als ethnografischer Berater für den Film unterstützte, die anarchistische Theorie und Bewegung des 19. Jahrhunderts und ihre Verbindungen zur Schweizer Uhrenindustrie. Er brachte mich dazu, Texte des russischen Anarchisten Pyotr Kropotkin zu lesen. Als ich über das autobiografische Zitat stolperte, in dem Kropotkin beschreibt, wie er zum Anarchisten wurde, nachdem er ein Schweizer Uhrmachertal und dessen anarchistische Bewegung besucht hatte, wusste ich sofort, dass dies Teil des Films sein würde – neben einer Figur, die von meiner eigenen Großmutter inspiriert war, einer Uhrenfabrikarbeiterin, die die Unruhe herstellte
Was wurde aus dem realen Anarchisten Pyotr Kropotkin?
Pyotr Kropotkin ist aktuell einer der am meisten gehypten politischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. In Frankreich und den USA gibt es Neuauflagen seiner Bücher. Sehr empfehlen kann ich sein Werk „Gegenseitige Hilfe“. In anarchistischen und linken Kreisen ist Kropotkin sehr bekannt und berühmt. In Moskau gibt es sogar eine Metro-Station, die seinen Namen trägt. An der Berliner Filmschule hörte ich von russischen Kommilitonen oft die Klage, dass die Darsteller in russischen Filmen meist nicht echt wirkten und mit falschem Dialekt sprechen. Deswegen war mir wichtig, die Rolle glaubwürdig mit einem Muttersprachler zu besetzen, der zudem einen Bezug zu der Figur hat. Mit Alexei Evstratov hatte ich dann einen absoluten Kropotkin-Aficionado gefunden - und er hat dazu auch ein schönes Gesicht.
Was hat es mit dieser Liebegeschichte zwischen der Arbeiterin und dem Anarchisten auf sich?
Meine ursprüngliche Idee war es, die „Liebesgeschichte“, den bekannten „Boy-meets-Girl“-Aspekt, in eine Art Persiflage des Genres zu packen. Sie gipfelt in der Schlussszene, wenn die Begegnung zwischen Josephine und Pyotr von den Leuten, die ihre Fotos kaufen, fiktionalisiert und vermarktet wird. Amüsanterweise fiktionalisiert und vermarktet die „Liebesgeschichte“ auch den eigentlichen Film und wertet ihn dahingehend vielleicht auf. Aber letztlich nimmt der Film, zumindest für mich, eine Position ein, die weit von einer Persiflage entfernt ist.
Visuell fühlt man sich in Ihrem Film bisweilen an Wimmelbilder erinnert, bei denen man erst genauer hinschauen muss, um die Akteure zu entdecken. Was hat es mit diesem Konzept auf sich?
Ich finde es manchmal nicht so einfach, über Bilder zu reden. Es ist ja auch das Schöne an Bildern, dass Sprache immer nur versuchen kann, darüber zu sprechen. Gar nichts zu wissen und alles ist möglich, waren die beiden Leitlinien für meinen Kameramann Silvan Hillmann und mich bei unserer Suche nach Motiven. Wir wollten in einen Austausch treten mit diesen Orten. Wir wollten vermuten, dass es eine Intelligenz gibt der Mauern, der Straßen und Fabriken, die man selbst vielleicht gar nicht verstehen kann. Jeder Film, und historische Filme insbesondere, bieten immer eine Auswahl von Informationen. Man kann die Vergangenheit nicht als objektive Wirklichkeit zeigen. Deswegen wollten wir Bilder schaffen, bei denen man seinen eigenen Blick organisieren kann. Wo man selbst überlegt, wohin der Blick geht und wem die Aufmerksamkeit in diesem Wimmelbild geschenkt wird. Wer spricht wo? Was wird repräsentiert? Und wer darf überhaupt im Bild sein?
Was sagt Ihre Familie zu dem Film?
Traurigerweise sind fast alle, die ich für den Film befragt hatte, mittlerweile verstorben. Mein Großonkel Paul ist jetzt 99 Jahre, für ihn werde ich UNRUEH in seinem Altersheim zeigen. Was mich besonders freut, ist der Umstand, dass Uhrmacher, die den Film vorab gesehen haben, bestätigen, dass die handwerklichen Abläufe alle stimmig sind.
UNrUH
Antihierarchisches Projekt
Was haben Schweizer Uhren mit dem Anarchismus gemeinsam? Was wie ein Witz klingt, ist ein weitgehend vergessener historischer Zusammenhang: Die Schweizer Uhrenindustrie im Berner Juragebirge war im 19. Jahrhundert ein Zentrum der internationalen anarchistischen Bewegung. Die Organisation der Arbeiter*innen war auch eine Reaktion auf ihre zunehmend prekären Arbeitsbedingungen. Die Industrialisierung der Produktion machte die menschliche Arbeitskraft schlecht bezahlt und austauschbar, die zunehmend globale Konkurrenz drückte die Löhne weiter. Trotzdem brachten die Arbeiter*innen noch regelmäßig Geld auf, um anarchistische Gruppen in Nordamerika, Spanien oder England zu unterstützen. Und Anarchist*innen aus der ganzen Welt, unter ihnen auch Bakunin und Kropotkin, besuchten ihrerseits die Genoss*innen im Juratal. Regisseur Cyril Schäublin hatte mit UNRUH jedoch kein Historiendrama und schon gar kein Biopic im Sinn. Der Film bewegt sich zwischen konkreter Geschichte und assoziativer Kritik: Es geht zwar auch um Kropotkins Zeit im Juratal, um die Umwälzungen der Uhrenindustrie und um anarchistische Selbstorganisation, aber auch abstrakter um das kapitalistische Diktat der Zeit, um fotografische Vermarktung, um subtile Unterdrückung und stillen Widerstand. UNRUH stellt gängige Konzeptionen von Zeit, Arbeit, Erinnerung, kollektiver Identität und nicht zuletzt von filmischer Erzählung in Frage, aber nicht in den Fokus. Auch die
Originaltitel: Unrueh D Schweiz 2022 D 93 min D R: Cyril Schäublin D K: Silvan Hillmann D M: Li Tavor D D: Clara Gostynski, Alexei Evstratov, Monika Stalder, Hélio Thiémard, Li Tavor D V: Grandfilm
Laienschauspieler*innen bevölkern die ruhigen Einstellungen mehr als sie sie dominieren. UNRUH scheint selbst ein antihierarchisches Projekt zu sein, ein friedliches Nebeneinander von Umgebungsgeräuschen, historischen Charakteren und diskursiven Bezügen. Schäublin schafft hier einen sanften und atmosphärischen, doch dadurch nicht weniger kritischen Film. D Yorick Berta
Start am 5.1.2023
UNRUH is about Kropotkin‘s time in the Jura valley, the upheavel of the watchmaking industry in the 19th century and the anarchist self-organization of the watch workers, but also about the capitalist dictate of time, subtle oppression and quiet resistance.
Originaltitel: Women Talking D USA 2022 D 104 min D R: Sarah Polley D B: Sarah Polley D K: Luc Montpellier D S: Christopher Donaldson D M: Hildur Guðnadóttir D D: Frances McDormand, Claire Foy, Rooney Mara, Jessie Buckley, Sheila McCarthy, Judith Ivey, Ben Whishaw D V: Universal Pictures
DIE AUSSPrACHE
Feministisch-didaktisch
DIE AUSSPRACHE, Sarah Polleys Adaption von Miriam Toews Roman, ist ein eigenwilliger Film. Die Kinobilder der ländlichen Mennoniten-Gemeinde in „Jahrhundertwende-Grau-Blau“ sind eingängig und irgendwie vertraut aus zahllosen Filmerzählungen. Die theaterhafte, fragmentarische Inszenierung ist gewöhnungsbedürftig. Die Dialoge sind gewollt didaktisch und scheinen mal im Jetzt, mal in einer vor-industriellen Vergangenheit verortet. Das Ganze irritiert, entfaltet aber doch auch einen Sog. Wesentlicher Ort der Handlung ist ein Heuboden. Hier beraten die Frauen einer tiefreligiösen Gemeinde über ihr weiteres Schicksal. Wie es zu dieser Situation kam, handelt der Film kurz im Vorspann ab: Männer der Gemeinde haben jahrelang Frauen und Mädchen vergewaltigt und ihnen eingeredet, die Angriffe würden von Dämonen begangen. Als die Frauen einen der Männer erwischen, werden die Täter verhaftet. Die Gemeinde hat Kaution gezahlt, und die Frauen haben nun zwei Tage, um zu überlegen, was sie tun sollen: Nichts tun, bleiben und kämpfen oder gehen. Acht Frauen, darunter die strenge Janz (Frances McDormand), die kluge Ona (Rooney Mara) und die wütende Agata (Claire Foy), sollen die Entscheidung für alle treffen, und der sanfte Lehrer August – der einzige Mann mit Sprechrolle – schreibt Protokoll. Der Film folgt der mäandernden Diskussion und verflicht sie mit kurzen, schockierenden Rückblenden und kleinen Ausblicken – ins Feld, in eine leere Küche oder in die Schule, in der nur die Jungen lernen. Auf dem Heuboden geht es um Schuld (Sind einzelne Männer oder das System verantwortlich?), um Widerstand (Bedeutet Gehen Fliehen?) um Erziehung (Sind die Knaben noch rettbar?) und um Gott (Was wäre der gottgefällige Weg?). Dazwischen streiten die Frauen, sie weinen und trösten einander und singen „Nearer, my
Wo ist Anne Frank
EIN FILM VON ARI FOLMAN
God, to Thee“. D Hendrike Bake Start am 9.2.2023
After the men of a Mennonite community get convicted of multiple rapes, the women have to decide what they are going to do. Sarah Polley’s unconventional adaptation of Miriam Toew’s novel follows the womens’ discussion.
UTAmA
Der Himmel über dem Altiplano
Manche Filme sind fast zu schön, um sie auf dem Papier zu beschreiben. UTAMA, das Regiedebüt des bolivianischen Fotografen Alejandro Loayza Grisi ist so ein Fall. Jedes Bild dieses kleinen, ergreifend liebevollen Dramas über Vermächtnis, Verlust und Wandel ist so sorgfältig komponiert, dass man für einen Moment alles andere ausblendet und nur dem Blick der Kamera folgt. Diesem Sog, den die unglaubliche Kraft der Natur erzeugt.
Das zeigt schon die erste Einstellung: Tief hängt der Himmel über dem Altiplano – einem Hochplateau der Anden im Dreiländereck von Peru, Bolivien und Chile. Nur ein schmaler greller Streifen Sonnenlicht am Horizont kämpft sich bereits durch. Ein Mann zieht einsam in den Tag hinaus, und die Geschichte nimmt ihren Lauf. Langsam lernen wir Virginio (José Calcina) und seine Frau Sisa (Luisa Quispe) kennen, deren ausgezehrte Gesichter so rissig sind wie die Erde unter ihren Füßen. Er verbringt seine Tage damit, eine kleine Herda Lamas durch die Steppe zu schieben auf der Suche nach Gras. Sie kocht, wäscht, macht den Haushalt – all das ohne fließendes Wasser und Strom. Ihr gemeinsames Leben ist hart, einfach und arm. Aber sie haben einander, mehr brauchen sie nicht. Die beiden Laienschauspieler sind auch in Wirklichkeit ein Paar. Man kann die Nähe zwischen ihnen in jeder Geste spüren. Und in der Stille, dem Schweigen – ihr schwerer Atem verrät mehr als jedes Wort.
Originaltitel: Utama D Bolivien 2022 D 87 min D R: Alejandro Loayza Grisi D B: Alejandro Loayza Grisi D K: Bárbara Álvarez D S: Fernando Epstein D M: Cergio Prudencio D D: José Calcina, Santos Choque, Luisa Quispe D V: Kairos Film
Erst als ihr Enkel Clever (Santos Choque) auftaucht, um die beiden Alten zu überreden, in die Stadt überzusiedeln, entlädt sich der Konflikt, der im Zentrum des Films steht: Der Junge versteht nicht, was seine Großeltern so zwingend in dieser Einöde hält, in der es nicht mehr regnen will und der fortschreitende Klimawandel ein Überleben zunehmend unmöglich macht. Das eigentliche, hochbrisante Problem wird jedoch niemals beim Namen genannt. Stattdessen bestimmen poetische Fabeln, ein Bergritual und die innige Verbundenheit zwischen Virginio und Sisa zueinander und zu ihrem Land die zerbrechliche Welt von UTAMA. Eine Welt, der man sich ebenso schwer entziehen kann wie die Menschen, die in ihr leben, vom ersten Wimpernschlag bis zum letzten, schmerzlichen Augenblick. D Pamela Jahn
Start am 9.2.2023
Life in the Andes highlands gets increasingly more difficult for Vigilio and Sisa, who belong to the indigenous Quechua community. Their grandson urges them to move to the city.
THE STOrY OF LOOKING
Pragmatisch poetisch
Aufstehen und rausgehen oder sich nur vorstellen, was er dort sehen, wem er begegnen würde? Der Tag vor der unvermeidlichen wiewohl bedrohlichen Augenoperation soll adäquat genutzt werden. Mark Cousins (Regie, Buch, Kamera), nackt unter die Decke gekuschelt, spricht von seinem Bett aus direkt in die sehr nahe Kamera, plaudert Intimes aus und stellt philosophische Fragen. Videotagebuch, Blog oder eine Videokonferenz mit dem Publikum? Eines wird schnell klar: THE STORY OF LOOKING ist alles andere als eine akademische Abhandlung über das Sehen. Der Filmhistoriker, Buchautor und Filmemacher Cousins lässt uns vielmehr zutraulich teilhaben an seinem persönlichen Nachdenken über Gesehenes und die Bedeutung des Schauens fürs menschliche Leben. Dabei wählt er als losen roten Faden die Entwicklungsstationen der optischen Wahrnehmung beim Menschen. Babies sehen zunächst unscharf. Es kommt Bewegung hinzu, Blickkontakt wird wichtig, dann spielen Farben eine Rolle, Licht wird als es selbst geschätzt. Zu jedem dieser Wahrnehmungselemente assoziiert Cousins Bildmaterial, das mal eigenständig erzählt, mal den gesprochenen Text stützt. Es mischen sich Erinnerungsschnipsel mit Landschaften, Sonnenauf- und -untergänge mit Abrißszenen und Spiegelungen, vieles mit einer unbekümmert subjektiven Kamera notiert. Aber auch kurze Kinofilmausschnitte sowie Gemäldebetrachtungen tragen pointiert und sinnlich zur Erörterung bei. Introspektiv aufs Bildbuch der Erinnerungen oder welterkundend nach außen gehend, die Perspektive dieses Essays ist pragmatisch poetisch. Es schält sich heraus, wie stark das Ansehen von Dingen über das Reflexionsmoment hinaus auch einfach etwas Entlastendes haben kann. Die Liebe zu einem visuellen Moment wird verstanden als Reaktion
auf das Vergängliche der Zeit. D Anna Stemmler Start am 9.2.2023
Film historian, writer, and filmmaker Mark Cousins confides in us and lets us participate in his personal thoughts about being seen and the meaning of looking in human life.
„Was ist ein gutes Leben? Ich hab keine Ahnung davon. Aber die Luft will ich auch mal riechen.“
Ein Film von Tine Kugler und Günther Kurth
AB 26. JANUAR IM KINO
Spanien/Deutschland 2022 D 95 min D R: André Szardenings D B: André Szardenings D K: André Szardenings D S: Antonia-Marleen Klein D M: NOIA D D: Julius Nitschkoff, Lana Cooper, Karin Hanczewski D V: missingFILMs
BULLDOG
Symbiotische Beziehung
Bruno (Julius Nitschkoff) und Toni (Lana Cooper) haben Spaß. Das Leben ist ein großes Abenteuer für den 21-Jährigen und seine flippige Mutter mit den pinken Haaren, die gerade mal 15 Jahre älter ist. Die beiden arbeiten als Reinigungskräfte auf der Sonneninsel Ibiza, zu ernst nehmen sie ihren Job dabei nicht. Sie albern am Pool herum, chillen, jagen sich durch die Außenanlagen, lachen. Darüber kaugummisüßer Neo-Pop der Band Cults: „You and me, always forever …“. Sie machen einfach alles zusammen und schlafen sogar in einem Bett. Die symbiotisch-harmonische Beziehung nimmt mit dem Einzug von Tonis neuer Partnerin Hannah (Karin Hanczewski) aber ein abruptes Ende. Bruno ist eifersüchtig, und als er aus dem Bett verbannt wird, rastet er aus. Immer mehr verliert er die Kontrolle über sich und sein Leben, das ja eigentlich nur aus Toni bestand. In seinem Langfilmdebüt lässt André Szardenings den Konflikten, die sich auftun, viel Zeit. Folgt ihnen vom Brodeln zur Explosion zur anschließenden Ruhe. Regisseur und Kameramann in einer Person, kommt Szardenings den Figuren ganz nah, blickt mikroskopisch auf die Brüche und verschiebt die Perspektive immer wieder neu. Der verspielte Umgang miteinander, die unordentliche Ferienwohnung, der Alkohol, die Ruhelosigkeit, was in den ersten Bildern so frei und leicht erscheint, ist vielleicht doch nur einer chaotischen Lebensführung geschuldet. Die Mutter-Sohn-Beziehung irgendwie verkehrt. Bruno schuftet nach Feierabend für den Chef der Ferienanlage weiter, während Toni mit Hannah blaumacht und die Miete nicht bezahlt. Akribisch manövriert BULLDOG durch diese Beziehungs- und Identitätskrise und fokussiert sich auf deren Prozesse, statt Lösungen zu suchen. Ein atmosphärisches Coming-of-Age-Drama, das in der empathisch gezeichneten Hauptfigur Bruno auflebt.
D Clarissa Lempp Start am 2.2.2023
The symbiotic-harmonious relationship between son Bruno and mother Toni comes to an abrupt end when Toni’s new partner Hannah moves in. Climate activists occupy the Dannenrod Forest in 2019 in order to prevent the construction of a highway. The documentary follows the operation and also portrays the alliances that are made between the protestors and the locals.
BArrIKADE
Selbstorganisation
Der Dannenröder Forst ist ein ca. 250 Jahre alter Mischwald in Hessen, 20 km östlich von Marburg. Im Oktober 2019 besetzen Umweltaktivist*innen ein Teilstück des Waldes, das für den Weiterbau der A 49 abgeholzt werden soll. Sie bauen Baumhäuser und „Tripods“ – Dreieckskonstruktionen aus Baumstämmen, auf denen Protestierende die Räumung erschweren können. Im Sommer 2020 ist der Wald immer noch besetzt. In seinem überwiegend beobachtenden Dokumentarfilm begleitet David Klammer die Besetzer*innen über mehrere Monate immer wieder. Er ist bei der Begrüßung von Neulingen dabei – „Wegrennen ist keine Ordnungswidrigkeit“, „Morgen ist Kletterkurs“ – und filmt die Baumbewohner*innen in ihrem Alltag. Eine Frau erzählt, dass sie einen großen Teil ihrer Zeit damit zubringt, Sachen von A nach B durch den Wald zu schleppen. Ein Mann erzählt, dass er im Wald schon mal einen halben Tag unter einem Baum sitzt und wartet, wenn er sich mit jemandem treffen will, der kein Handy hat. So nebenher wird dabei klar, dass ein großer, wichtiger, vielleicht der wichtigste Teil des Protestes die Selbstorganisation ist. Strukturen schaffen und bewahren, Interessen ausgleichen, den Müll wegbringen. Die jungen Aktivist*innen werden dabei von älteren Bürger*innen der angrenzenden Orte unterstützt. Gemeinsam verursacht dieser überraschend kleine Haufen von Leuten ziemlich viel Mühsal für die Polizei, die ab Herbst 2020 täglich bis zu 2.000 Einsatzkräfte einsetzt, um den Wald Stück für Stück zu räumen. Sie geht, zumindest wenn Klammerers Kamera dabei ist, verhältnismäßig soft vor. Das Cello darf noch weggeräumt werden, die Protestierenden werden vorsichtig abgeseilt – zu groß ist die Gefahr ernsthafter Verletzungen bei Baumhäusern, die teils in über 10 Meter Höhe gebaut wurden. D Toni Ohms
Start am 2.2.2023
Großbritannien 2022 D 123 min D R: Florian Zeller D B: Christopher Hampton, Florian Zeller D K: Ben Smithard D S: Yorgos Lamprinos D M: Hans Zimmer D D: Hugh Jackman, Laura Dern, Vanessa Kirby, Anthony Hopkins, Zen McGrath, Danielle Lewis D V: Leonine
After THE FATHER, Florian Zeller has shot another psychological portrait of a family in crisis. This time it’s about depressed teen Nicholas, whose suffering is causing his divorced parents to despair.
THE SON
Familie in der Krise
Nach THE FATHER, dem Porträt eines demenzkranken älteren Herren (Darsteller-Oskar für Anthony Hopkins), hat Florian Zeller nun erneut das Psychogramm einer Familie in der Krise gedreht. Der erfolgreiche Anwalt Peter (Hugh Jackman) lebt mit seiner neuen weit jüngeren Frau Beth (sehr gut in einer undankbaren Rolle: Vanessa Kirby) und dem neuen Baby in einer New Yorker Loft-Wohnung. Zurückgelassen hat er seine Ex-Ehefrau Kate (Laura Dern) und einen Teenager, den wütenden und depressiven Nicholas (Zen McGrath). Nachdem Nicholas mehrere Monate die Schule geschwänzt hat, bittet Kate Peter um Hilfe, und die Familie einigt sich darauf, dass der Junge zu Peter und Beth zieht. Äußerlich scheint das zunächst zu funktionieren, aber unter der Oberfläche eskaliert Nicholas’ destruktives, selbstzerstörerisches Verhalten bis zum Suizidversuch. Obwohl der Film THE SON heißt, geht es Zeller vor allem um den Vater, der inmitten der kalten Designausstattung seiner Wohnung (Beton, Ziegel, Anthrazit) und der spiegelnden Businessoberflächen seines Alltags (immer wieder: Flure und Aufzüge) mit Schuldgefühlen und der eigenen Vaterbeziehung kämpft und darüber den Sohn so sehr nicht sieht, dass man kaum Sympathie entwickelt. Sogar als Nicholas gleich mehrfach mit einer für einen wortkargen Teenager erstaunlichen Eloquenz formuliert, was ihm fehlt: „Ich komme mit dem Leben nicht zurecht. Es schmerzt.“, kommt niemand auf die Idee, mal mit ihm zum Psychiater zu gehen. Man möchte die Eltern schütteln, aber auch den Drehbuchautor und Regisseur, der seinen Bildern, den an sich hervorragenden Darsteller*innen (Laura Dern!) und vor allem dem Publikum nichts zutraut und noch die kleinste Regung in über-offensichtlichen Dialogen ausbuchstabiert oder mit erklärender Musik unterlegt. D Hendrike Bake
Start am 26.1.2023 »LUKAS DHONT HAT FÜR IMMER DIE HERZEN DES PUBLIKUMS GESTOHLEN.«
VRT BELGIEN
»DHONTS JUNGE HAUPTDARSTELLER SIND ZUM NIEDERKNIEN GUT.«
BLICKPUNKT:FILM »WUNDERSCHÖN
UND ZART, EIN GRANDIOSER FILM ÜBER FREUNDSCHAFT.«
THE TELEGRAPH
ein film von lUKAS DHonT
ZUM TRAILER
AB 26. JANUAR IM KINO
eDen DAmBRine
GUSTAv De WAele
Émilie DeQUenne lÉA DRUCKeR
FINAL CUT OF THE DEAD
Meta-Zombies
Originaltitel: Coupez! D Frankreich 2022 D 110 min D R: Michel Hazanavicius D B: Michel Hazanavicius D K: Jonathan Ricquebourg D S: Mickael Dumontier D M: Alexandre Desplat D D: Bérénice Bejo, Romain Duris, Matilda Anna, Ingrid Lutz, Luàna Bajrami D V: Weltkino
Ein Film im Film im Film. Michel Hazanavicius, Regisseur von THE ARTIST, hat erneut einen vergnüglichen Metafilm übers Filmemachen gedreht. Diesmal mit Zombies und einer atemberaubenden und rasend komischen Plansequenz. Hazanavicius hat seinen Spaß mit einem Film über ein französisches Remake der japanischen Horrorkomödie ONE CUT OF THE DEAD, in der echte Zombies den Dreh eines Zombiefilms aus dem Ruder laufen lassen. In todkomischen Szenen geht es unter anderem um die retardierenden Momente in Zombiefilmen und -serien, also die Terrorpausen, in denen Darsteller sich unter anderem darüber unterhalten, wer „okay“ ist, und wer doch einen Kratzer hat, um panische Blicke in leere Korridore, um Darstellerinnen, die zu sehr in ihrer Rolle aufgehen, und um die tragische Liebe zu Untoten. Am besten ist es, möglichst wenig über den Film zu wissen und sich einfach von den überdrehten Wendungen überraschen zu lassen. D
Start am 16.2.2023
A film in a film in a film. Michel Hazanavicius, the director of THE ARTIST, has made a new enjoyable meta-film about filmmaking. This time it‘s with zombies and a breath-taking plan sequence.
Großbritannien 2023 D 108 min D R: Shekhar Kapur D B: Jemima Khan D K: Remi Adefarasin D S: Guy Bensley, Nick Moore D M: Nitin Sawhney D D: Lily James, Emma Thompson, Taj Atwal, Shazad Latif, Shabana Azmi D V: STUDIOCANAL
When Zoe, a young, aspiring documentarian looks for a hook for her next project, she spontaneously thinks of Kazim, a close friend and neighbor from her childhood days who just told her that he will be having an arranged marriage.
WHAT’S LOVE GOT TO DO WITH IT?
Reality-Dreh-Rom-Com Richard Curtis’ Drehbücher lieferten in den 1990er Jahren die Vorlagen für einige der größten britischen RomCom-Klassiker überhaupt. Sein Regiedebüt LOVE ACTUALLY (dt. „Tatsächlich … Liebe“, 2003) wird gefühlt mit jedem Weihnachtsfest beliebter. Shekhar Kapur (ELIZABETH) versucht nun, an die bewährte Erfolgsformel anzuknüpfen, allerdings mit einem bewusst zeitgemäßen multikulturellen Ansatz. Die Geschichte, die nichts mit dem gleichnamigen Tina-Turner-Biopic zu tun hat, stützt sich vage auf die persönlichen Erfahrungen der britischen TV- und Filmproduzentin Jemima Khan, die ihre Karriere einst als Journalistin begann. Lily James spielt Zoe, eine junge, aufstrebende Dokumentarfilmerin, die nach einem Aufhänger für ihr nächstes Projekt sucht. Als sie sich von ihren Geldgebern in die Ecke gedrängt fühlt, fällt ihr spontan Kazim (Shazad Latif) ein, ihr enger Freund und Nachbar aus Kindertagen, der ihr gerade erzählt hat, dass er eine arrangierte Ehe eingehen wird – und zwar angeblich aus eigenem Antrieb und nicht aus elterlichem Zwang. Zoe ist von der Idee verstört und fasziniert zugleich. Dennoch überredet sie Kaz, ihn vom ersten Kennenlernen mit seiner zukünftigen Frau via Skype bis zur Hochzeit in Lahore mit ihrer Kamera zu begleiten. Seine pakistanisch-britische Großfamilie sitzt ihm dabei ebenfalls pausenlos im Nacken, was der Geschichte ein solides Tempo, humorvolle Momente und beiläufige interne Konflikte beschert. Zudem taucht Emma Thompson in einer etwas arg überzogenen Nebenrolle als Zoes Mutter auf, um komödiantische Beihilfe zu leisten. Obwohl Khans Drehbuch es grundsätzlich vermeidet, thematisch in die Tiefe zu gehen, schafft es Kapur, seinem Film einen gewissen Charme zu verleihen, der vor allem dem lässigen Spiel zwischen James und
Latif entspringt. D Pamela Jahn Start am 23.2.2023 Originaltitel: Tourment sur les îles D Frankreich/Spanien/Deutschland/Portugal 2022 D 163 min D R: Albert Serra D B: Albert Serra D K: Artur Tort D M: Marc Verdaguer D D: Benoît Magimel, Sergi Lopez, Pahoa Mahagafanau, Matahi Pambrun, Montse Triola D V: Filmgalerie451
M. De Roller (Benoît Magimel) is the French High Commissioner on Tahiti. There are rumors that the French will resume atomic testing at Mururoa.
PACIFICTION
Südsee-Paranoia
Albert Serra hat in den letzten Jahren vor allem eigensinnige Filme in historischen Settings gedreht – vielleicht noch am bekanntesten ist der morbide DER TOD VON LUDWIG XIV. Serras neuer Film PACIFICTION wirkt dagegen, als hätte ein Thriller von Alan J. Pakula (THE PARALLAX VIEW, 1974) in tropischer Hitze zu viele Mai Tais getrunken. Serras Film ist eine sehr gegenwärtige, schwüle Fantasie über den Südsee-Kolonialismus und die Atomtests in Französisch-Polynesien. In großen Kinobildern, oft in grandiosen Lichtstimmungen zu Sonnenaufgang und -untergang gefilmt, entfaltet der Film über drei Stunden ein Panorama der Paranoia in Bars, Hotels und Investitionsruinen auf Tahiti. M. De Roller (Benoît Magimel) ist der französische Hochkommissar, im weißen Anzug mit Paisley-Hemd, blauer Sonnenbrille und einer Frisur wie ein alternder französischer Popstar in den achtziger Jahren. Sein Büro scheint er im Proberaum einer einheimischen Tanztruppe zu haben. Aber De Roller ist permanent auf der Arbeit. Jede Begegnung ist eine Verbindung aus Kumpelei und Business, Verführung und Drohung. Mal muss der Rat der Einheimischen umschmeichelt werden, mal einem Priester damit gedroht werden, dass seine Kirche sich auch gut als Kulturhaus der Community machen würde. Aber De Roller hat nicht alles unter Kontrolle. Es gibt Gerüchte, dass die Atomtests auf Mururoa, die Frankreich bis 1996 durchgeführt hat, wieder aufgenommen werden sollen. Ein Marine-Admiral taucht mit Seeleuten in der Bar „Paradies“ auf. Verdächtige Geschäftsleute haben Kontakt zum Admiral. Angeblich liegt ein U-Boot ohne Positionsleuchten vor Tahiti, zu dem am Wochenende Frauen mit einem Boot gebracht werden. M. De Rollers Kolonial-Paradies geht nicht nur, wie etwa in Lucrecia Martels Film ZAMA, einem allmählichen, fauligen Verfall entgegen. Es droht die vollständige Auslöschung. D Tom Dorow Start am 2.2.2023
Originaltitel: Till D USA 2022 D 130 min D R: Chinonye Chukwu D B: Keith Beauchamp, Chinonye Chukwu, Michael Reilly D K: Bobby Bukowski D S: Ron Patane D M: Abel Korzeniowski D D: Danielle Deadwyler, Jalyn Hall, Jamie Renell, Whoopi Goldberg, Sean Patrick Thomas D V: Universal Pictures
TILL tells the story of teenager Emmett Till who was lynched by White people in the 1950s and of his mother Mamie Till who spent her whole life being involved in the civil rights movement.
TILL – KAmPF Um DIE WAHrHEIT
Geschichte eines Hassverbrechens
Es ist eins der erschütterndsten Bilder der amerikanischen Geschichte: Der tote Emmett Till, aufgebahrt in einem Leichenschauhaus, sein Gesicht eine nicht zu identifizierende Masse aus Fleisch und Knochen, gelyncht von weißen Rassisten. Im Hintergrund ist seine Mutter Mamie zu sehen und von ihr handelt Chinonye Chukwus TILL. Die Geschichte beginnt Mitte der 50er Jahre. Emmett und seine Mutter leben in Chicago, wo Rassismus spürbar, aber meist nicht lebensbedrohlich ist. Ganz anders im Süden, wohin Emmett fahren wird, um ein paar Tage seine Verwandten zu besuchen. In Mississippi ist Emmett ein Fremdkörper, viel selbstbewusster als es ein Schwarzer hier sein darf, sein sollte, wenn er Konflikten mit Weißen aus dem Weg gehen will. Seine Mutter hatte ihn gewarnt, hatte ihm eingebläut, sich „klein“ zu machen, bloß keinen Weißen zu provozieren, doch Emmett ist ein Teenager und nimmt die Worte seiner Mutter nicht ernst. Ein unbedarfter Flirtversuch mit einer weißen Frau reicht aus, um die Situation zu eskalieren: Die Verwandten der Frau entführen Emmett, foltern und lynchen ihn. Kaum auszuhalten ist der Anblick seiner geschundenen Leiche, die Chukwu unbarmherzig zeigt, genauso wie Mamie Till den Anblick ihres toten Sohnes ganz bewusst zur Schau stellte. Emmett Till wurde in einem offenen Sarg aufgebahrt, so dass jeder sehen konnte, jeder sehen musste, welche brutalen Folgen Rassismus haben kann. Die Bilder gingen um die Welt, Mamie Till engagierte sich den Rest ihres Lebens in der Bürgerrechtsbewegung, die langsam, viel zu langsam Erfolg hatte: Erst Anfang 2022 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Lynchen als Hassverbrechen ächtete, der „Emmett Till Antilynching Act“. Für den Mord an Emmett Till büßte jedoch niemand: Seine beiden weißen Mörder wurden
freigesprochen. D Michael Meyns Start am 26.1.2023
CHARLOTTE GAINSBOURG
QUITO RAYON-RICHTER
NOEE ABITA
MEGAN NORTHAM
EMMANUELLE BEART PASSAGIERE DER NACHT
ILLUSTRATION: RIKI BLANCO, MADRID | GRAFIK: STEPHANIE RODERER, MÜNCHEN
„Diese Chronik von Paris der 80er Jahre ist von großer Sanftheit geprägt.“
Le Figaro
„Charlotte Gainsbourg in der Hauptrolle ist von überwältigender Gefühlstiefe.“
Le Parisien
Deutschland 2022 D 94 min D R: Vera Brückner D B: Vera Brückner D K: Felix Pflieger D S: Sophie Oldenbourg D M: Guliano Loli, Florian Paul, Nils Wrasse D V: W-Film Myanmar/Kanada/Deutschland 2022 D 92 min D R: Snow Hnin Ei Hlaing D B: Snow Hnin Ei Hlaing D K: Soe Kyaw Htin Tun D M: Olivier Alary, Johannes Malfatti D V: jip Film & Verleih
SOrrY GENOSSE
Waghalsige Flucht
Hedi und Karl-Heinz verlieben sich auf den ersten Blick, als sie sich 1969 auf Tante Klärchens Familienfeier kennenlernen. Mondlandung und Vietnamkrieg halten die Welt in Atem – und die Mauer trennt die Thüringer Medizinstudentin und den Frankfurter Linksaktivisten. Jahrelang schreiben sie sich Briefe und träumen davon, endlich zusammenzuleben. Voller Sehnsucht nach Hedi entscheidet sich Antikapitalist Karl-Heinz dazu, in die DDR überzusiedeln. Doch die Stasi hat ihn schnell im Visier und will ihn in West-Berlin als Spion einsetzen. Als auch Hedi unter Schikanen leiden muss, schmieden die beiden mit den Freund*innen Gitti und Lothar einen Plan: Mit einem Ersatzpass, den sie in Bukarest beantragen wollen, soll es für Hedi unter Gittis Identität über Rumänien und Österreich nach Westdeutschland gehen. Die echte Gitti soll vorgeben, von Lothar in eine Falle gelockt worden zu sein. Blauäugig und überzeugt von ihrem „bombensicheren“ Plan machen sich die vier auf den Weg. Doch kaum in Rumänien angekommen, geht alles schief. In SORRY GENOSSE bringt Vera Maria Brückner in verspielter Form die tragikomische Geschichte einer waghalsigen Flucht auf die Leinwand. In Studiokulissen im Retro-Look stellt sie Szenen bei den Behörden in Rumänien mit Karl-Heinz und Hedi nach, die aus ihren alten Briefen vorlesen. Andere Orte, die eine Rolle für den Weg der beiden spielten, besucht sie mit ihnen noch einmal und lässt sie dort von ihren Erlebnissen erzählen. Ergänzt durch Archivaufnahmen und alte Fotos und untermalt von Ton Steine Scherben-Songs verbindet die 1988 geborene Regisseurin deutsch-deutsche Geschichte mit den persönlichen Erinnerungen der sympathischen Protagonist*innen Karl-Heinz und Hedi, die sich weder durch den Eisernen Vorhang noch durch Stasi und
Securitate aufhalten ließen. D Stefanie Borowsky Start am 9.2.2023
Hedi and Karl-Heinz fall in love at first sight when they meet in 1969, but the wall separates the Thuringian med student and the Frankfurter leftist activist. Director Vera Maria Brückner directs the tragicomic story of a risky escape in a playful documentary format.
mIDWIVES
Mintgrüne Klinik
Respektvolle Nähe. Vielleicht ist es das, was diesen Dokumentarfilm vor anderen Dingen auszeichnet. Da ist etwa, gleich zu Beginn, die Szene, in der man auch als Zuseher froh ist, als der Kleine endlich zu schreien beginnt: Wir wohnen einer Geburt bei, sind ganz dicht mit dran. Und doch hat man, ähnlich wie in fast allen Szenen dieses unaufgeregten und doch eindringlichen Films, das Gefühl, dass hier weder die Intimgrenze des Babys, noch die der Mutter überschritten wird. MIDWIVES begleitet zwei Hebammen (engl.: Midwives), eine Buddhistin und eine Muslima, die in einer winzigen Klinik im Westen Myanmars zusammenarbeiten. Beide helfen den muslimischen Rohingya – eine der, laut UN, am stärksten verfolgten Minderheiten der Welt: Dem Militär Myanmars werden unter anderem ethnische Säuberungsaktionen gegen die Rohingya-Muslime vorgeworfen. Hla, so der Name der Buddhistin, führt die Klinik, Nyo Nyo, die Muslima, unterstützt sie als Assistentin. Obwohl Nyo Nyos Familie seit Generationen in der Region lebt, werden sie als Eindringlinge betrachtet. Nyo Nyo hat einen Traum, der angesichts der Umstände kaum je realisierbar erscheint: Eines Tages möchte sie selbst eine Klinik eröffnen. Dabei besitzt sie als Muslima noch nicht einmal einen Ausweis. Einst, so heißt es irgendwann in diesem mit Archivbildern von Ausschreitungen und Totalen von Reisfeldern gleichermaßen arbeitenden Film, waren die Buddhisten und Muslime der Region miteinander befreundet. Die kleine mintgrüne Klinik, in der Nyo Nyo und Hla allen Verboten und Vorbehalten zum Trotz zusammenarbeiten, wird zum Hoffnungssymbol für ein, dereinst womöglich wieder herstellbares, friedliches interreligiöses Miteinander. D Matthias von Viereck
Start am 26.1.2023
Midwives accompanies two midwives in a small clinic in western Myanmar – one of the woman is a Buddhist, the other a Muslima.
BErLIN JWD
Eine Winterreise nach (J)anz (W)eit (D)raußen oder JWD, wie man in Berlin sagt. Die märkischen Landschaften hinter der Stadtgrenze wurden am Ende des 19. Jahrhunderts von proletarischen Erholungssuchenden überrannt. Kurz darauf fraß der Moloch Großstadt die scheinbar unschuldige Idylle. Seitdem wechseln Um-, Ab- und Aufbrüche in nicht vorhersehbarer Folge. Wie Exkremente einer vergangenen Zukunft liegen die ehemaligen Rieselfelder, zerfallenen Grenzanlagen, aufgelassenen Fabriken und begrünten Müllberge in der Landschaft verstreut.
Start am 12.1.2023
Deutschland 2022 D 74 min D R: Bernhard Sallmann
EINE rEVOLUTION – AUFSTAND DEr GELBWESTEN
In Chartres, einer Stadt mit knapp 40.000 Einwohner*innen 90 Kilometer südwestlich von Paris besucht der Historiker und Dokumentarfilmer Emmanuel Gras Mitstreiter*innen der „Gilets jaunes“ wie Agnès, die ihren behinderten Sohn pflegt, und Nathalie, die mit ihren zwei Kindern von 1200 Euro im Monat leben muss. Ihr Engagement für die Gelbwesten schweißt sie zusammen. Gras ist nah dran, begleitet die Protagonist*innen zu Diskussionen und Demonstrationen, lässt auch Gegenstimmen zu, und fängt ein, wie auf große Erwartungen die Enttäuschung folgt. Start am 12.1.2023
Originaltitel: Un peuple D Frankreich 2022 D 104 min D R: Emmanuel Gras
TArA
Der mythische Taras war ein Sohn des Meergottes Poseidon, der als Stadtgründer der Stadt Taranto (Tarent) gilt. Auch der kleine Fluss Tara ist nach dem Göttersohn benannt. Einige Einheimische glauben an die heilenden Kräfte seiner Wasser. Der Dokumentarfilm von Volker Sattel und Francesca Bertin zeigt Badende im Fluss und einen Marienaltar im Schilf und taucht mit der Kamera ins Wasser. Aber allmählich enthüllen sich auch Bilder der benachbarten Fabriken, ein Stahlwerk und eine Deponie. Das Wasser des Tara ist kontaminiert.
Start am 19.1.2023
Deutschland/Italien 2022 D 86 min D R: Francesca Bertini, Volker Sattel D D: Jasmine Pisapia, Adriana Sellani, Cataldo Ranieri, Marco Tomasicchio, Vincenzo Romito
AUF DEr SUCHE NACH FrITz KANN
Der erste Mann von Marcel Kolvenbachs Großmutter hieß Fritz Kann. Er wurde 1942, neun Monate vor der Geburt von Kolvenbachs Vater, auf Grund seiner jüdischen Herkunft deportiert. Der Filmemacher begibt sich auf Spurensuche nach diesem möglichen Großvater. In Ermangelung von Bildern oder Archivmaterialien wird das Suchen selbst zum Thema seines Films, die oft zum Scheitern verurteilten Versuche von Angehörigen, Hinweise zu finden, noch so vage Spuren nach Eltern oder Großeltern, die in der Mordmaschine des Dritten Reichs ums Leben gekommen
sind. Start am 12.1.2023
Deutschland 2022 D 100 min D R: Marcel Kolvenbach