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LIEBE IN ZEITEN DES VIRUS

Zündfunken eines neuen Zeitalters

Helge Hesse: „Die Welt neu beginnen“ Reclam, 25,– € 250 Lesepunkte sammeln

WEG MIT DEN

FESSELN! Das ist 1775 nicht nur das Gebot der Stunde für den als Autor der „Leiden des jungen Werthers“ gefeierten Johann Wolfgang Goethe, der aus Furcht vor ehelicher Enge seine Verlobung mit einer Frankfurter Bankierstochter zu lösen gedenkt. Um Befreiung geht es auch auf weltpolitischer Ebene, etwa in Übersee. In Amerika lassen sich erste Stimmen gegen die Sklaverei vernehmen. Vor allem aber haben die Kolonisten genug von der Bevormundung durch das britische Mutterland und dessen Abgabenforderungen – ein schwelender Konflikt. Im Frühjahr 1775 beginnt, was später als amerikanischer Unabhängigkeitskrieg in die Geschichte eingehen wird und als Anfang eines neuen Zeitalters gilt: In den letzten 25 Jahren des 18. Jahrhunderts veränderte sich die Welt grundlegend –das Fundament für unsere Welt von heute wurde geschaffen. Es entstand, was wir gemeinhin den „Westen“ nennen. Und ein völlig neues Menschenbild: Frei und gleich sollte der Mensch nun sein! Die Umwälzungen in Politik und Gesellschaft, in den Wissenschaften und Künsten lässt Helge Hesse lebendig werden. Er spürt den Protagonisten, ihren Ideen, Hoffnungen und Zielen nach: z.B. Gründervätern der USA wie George Washington und Benjamin Franklin, gekrönten Häuptern wie Marie Antoinette, Seefahrern wie James Cook, Forschungsreisenden wie Georg Forster und Alexander von Humboldt, Philosophen wie Rousseau und Voltaire und natürlich den Köpfen der französischen Revolution wie Danton und Robespierre. Eine faszinierende Tour d’Horizon – mit erhellenden Parallelen zu unserer Gegenwart!

,,Paris, einen größeren Gegensatz zu Monschau konnte es kaum geben. “

▶ „Monschau“ liest sich stellenweise Vergrößerungsglas kann man hier also wie aus dem Hier und Jetzt, spielt deutsche, europäische und globale aber in der Vergangenheit. Was war Ihr Ausgangspunkt? ▶ Der Ausgangspunkt war die wahre Geschichte zeigen. ▶ „Monschau“ ist weit mehr als eine Chronik der Pockenepidemie 1962. Welchem Schreibplan sind Sie gefolgt? ▶ Dem eines klassischen Dramas. Ich habe mir dabei genau die Dramaturgie von Albert Camusʼ „Die Pest“ angesehen. Fünf Akte mit der Einheit Geschichte der letzten großen Pockenepidemie in Deutschland im Jahre 1962. Ich wusste schon lange von den Begebenheiten, weil eine Figur aus meinem Roman ,,Im Mittelpunkt „Propaganda“ darin eine wich- die Liebenden!“ von Raum und Zeit und einem überschaubaren tige Rolle spielt. Personal. Im MittelDurch Corona rückte mir Variola, so punkt die jungen Liebenden. Inspirieder lateinische Name des Pockenvirus, rend war für mich auch ein kretischer plötzlich vor Augen. ▶ Was macht den Eifel-Ort Monschau Ritterroman aus dem frühen 17. Jahrhundert: der berühmte „Erotokritos“, für Sie zum idealen, literarisch ergiebigen Hauptschauplatz? ▶ Die barocke Tuchmacherstadt ist der „von der Liebe geprüfte“ Held. ▶ Welche Leitlinie hatten Sie beim Schreiben für die Verbindung der ein Kleinod inmitten der reichen überlieferten Fakten mit literariNatur der Eifel. Durch die Vennbahn, eine Eisenbahnverbindung zwischen scher Fiktion? ▶ Ich habe mich bei meinem Setting der Aachen und Luxemburg, heute ein Epidemie genau an ihre Ursache, ihren großartiger Radwanderweg, bekam Verlauf und ihr Ende gehalten, dann das Monschauer Land aber auch schon früh Anschluss an die moderne Welt. aber die meisten Figuren neu erfunden. ▶ Dem medizinischen Leiter Prof. Deshalb siedelte sich hier auch bald Stüttgen stellen Sie in Ihrem Roman Industrie an, die ihre Produkte in alle einen 24-jährigen Assistenzarzt an die Welt lieferte. Später war Monschau Seite: Nikos Spyridakis. Hat auch er Aufmarschgebiet für die Ardennenoffensive und auch der Ort, an dem sie ein Vorbild im wirklichen Leben? ▶ Es gab tatsächlich einen jungen endgültig scheiterte. Wie unter einem griechischen Arzt, aber Nikos ist eine

Liebe

IN ZEITEN DES VIRUS

Eine höchst heikle Mission: 1962, als der Aufschwung endlich in Nachkriegs-Deutschland angekommen ist, droht schlagartig Stillstand im Kreis Monschau. In der Eifel-Stadt sind die Pocken ausgebrochen – seit der Pest die tödlichste Infektionskrankheit. Ein Virus, der hochansteckend ist, mitunter ohne dass die Betroffenen Symptome zeigen. Akuter Handlungsbedarf! Doch im Krisenstab scheiden sich die Geister. Der medizinische Leiter Prof. Günter Stüttgen, eine Koryphäe mit Erfolgen bei der Pockenbekämpfung, setzt auf Quarantäne. Der Chef der Rither-Werke hingegen befürchtet ein Fiasko. Als Kompromiss wird Prof. Stüttgens‘ junger Kollege EXKLUSIV INTERVIEW HOCHAKTUELL UND ZEITLOS zugleich: Steffen Kopetzky beeindruckt immer aufs Neue durch seinen Spürsinn für brisante Stoffe und durch filmreife Erzählkunst. EiNikos Spyridakis Betriebsarzt in der Firma – ein Einsatz mit Risiken und Nebenwirkungen: Er verliert sein Herz an die Rither-Alleinerbin Vera, die Pariser Flair, eigene Pläne und Ideale mitbringt. Eine Liebe im Ausnahmezustand nerlei, ob er den großen Bogen bis zum und ein vielschichtiger anderen Ende der Welt spannt wie in seinem großen Er- Roman, der ein turbulfolgsroman „Propaganda“ oder einen Hotspot in den Blick entes Kapitel deutscher nimmt wie nun in „Monschau“ über die letzte Pockenepi- Geschichte in packende, demie in Deutschland 1962. Historische Fakten und fes- Literatur verwandelt! selnde Fiktion - ein Abenteuerroman um die elementare © Marc Reimann Frage, wie man die Kontrolle über ein lebensbedrohliches Virus gewinnt. Und eine filmreife Geschichte über Liebe und Neuanfang! frei erfundene dann ein global denkender Manager Steffen Kopetzky: „Monschau“ Rowohlt Berlin, 22,– € 220 Lesepunkte sammeln Auch als eBook | Hörbuch auf Hugendubel.de erhältlich Figur. Griechen amerikanischer Prägung. Bislang war waren mit die sein Leben ein einziger Aufstieg. Aber ersten ausländischen Studenten, die Variola und einiges andere machen schließlich Ende der 70er Jahre ausgeihren Weg in der Nachkriegszeit nach ihm einen Strich durch seine, wie Sie rottet war. Möglich war das, weil man Deutschland fanden. Viele von ihnen blieben und machten beachtliche ganz richtig sagen, sinistren Pläne. ▶ Ins Spiel bringen Sie auch die Firschon im 18. Jahrhundert eine erste Impfung hatte. Schon Goethe – selbst Karrieren. Ich habe da einige Lebens- menerbin der Rither-Werke. Welche als Kind an den Pocken erkrankt –geschichten in die Figur von Nikos einfließen lassen. ▶ Sie gewähren anschauliche EinRolle haben Sie ihr zugedacht? ▶ Nun, Vera Rither ist eine junge, sehr starke Frau. Sie will mit dem Schweibeschreibt, welch großen Widerstand es dennoch bereits zu seiner Zeit gegen das Impfen gab. Goethe war übrigens blicke in die Welt der Medizin und gen brechen und ihren eigenen Weg der erste Großschriftsteller, der jemals besonders der Virologie. Wie haben beschreiten. Und in Europa kamen freimütig über seine eigene ErkranSie Ihre Kenntnisse gewonnen? ▶ Bei meiner Beschäftigung mit die stärksten progressiven Impulse natürlich aus Paris, wo man mit Sartre, kung an den Pocken geschrieben hat. ▶ „Monschau“ löst beides aus: Gänseder Welt der Viren kam ich selber Simone de Beauvoir und anderen ein haut und Beklommenheit, aber auch aus dem Staunen nicht heraus: So bedrohlich manche von ihnen für uns sind, stellen sie dennoch einen unentbehrlichen Baustein des Lebens auf unserer Erde dar. Ihre Vielfalt, ihre Tricks und Fortpflanzungsmethoden haben mich überwältigt – wie eine unbekannte Welt mitten um mich pulsierendes, revolutionär gesinntes, intellektuelles und künstlerisches Leben pflegte ... Einen größeren Gegensatz zum beschaulichen Monschau konnte es kaum geben. Hoffnung. Wie erging es Ihnen beim Schreiben? ▶ Ich wollte neben all den wichtigen Aspekten der Zeitgeschichte, des medizinischen Fortschritts und der gesellschaft,,Ein Strich durch seine sinistren Pläne.“ herum, die ich bislang nicht gesehen Genau richtig für lichen Veränderunhabe. Wie ein Tauchgang in eine neue, Vera Rither, die nach vielen persön- gen vor allem auch eine Geschichte von unendlich formenreiche Welt. ▶ Die Mediziner bekommen es mit lichen Tragödien ihren eigenen Weg beschreiten und die Vergangenheit zwei Menschen erzählen, die sich während einer absoluten Ausnahmeeinem nicht zu unterschätzenden Kontrahenten zu tun. Was verkörpert hinter sich lassen will. ▶ Welche Fragen haben Sie bei der situation kennenlernen und zueinanderfinden – eine Liebesgeschichte der sinistere Direktor Seuss für Sie? ▶ Er ist einer der Männer, die damals im Wirtschaftswunderland DeutschArbeit an „Monschau“ eigentlich am meisten interessiert? ▶ Einen Aspekt fand ich, gerade vor dem Hintergrund einer Epidemie. Das war mein Antrieb. MEHR? land ihren Platz zwischen den alten mit Blick auf die gegenwärtige Pan- DAS KOMPLETTE Unternehmerfamilien und den Arbei- demie-Lage, besonders spannend: INTERVIEW AUF BUECHERMENSCHEN.DE tern einnahmen. Im Dritten Reich ein den jahrhundertelangen Kampf der Wehrwirtschaftsführer, in der BRD Menschheit gegen diese Krankheit, die

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