LITER ARISCHE PERLEN
Schwerelos die Schrecken bannen
Zweite Chance für drei Brüder?
Sigrid Nunez: „Was fehlt dir“ aufbau, 20,– €
LÄNGST EIN STAR in Schweden und bei uns nun eine große Entdeckung: Alex Schulman, Jahrgang 1976, Blogger, Podcaster, Radio- und Fernsehmoderator, Journalist und vor allem Bestsellerautor. Zum Kultstatus brachte er es mit seinen autobiografischen Werken über eigenwillige Persönlichkeiten seiner Familie, z.B. in „Forget me“, 2017 zum Buch des Jahres gekürt. Seine Mutter Lisette wirkte auch posthum als Muse – durch einen Brief, den Alex und seine Brüder Calle und Niklas am Tag vor ihrem Begräbnis fanden: „An meine Söhne, wenn ich nicht mehr da bin.“ Für Alex der erste Ideenfunke zu seinem Romandebüt „Die Überlebenden“, das in seiner Heimat hymnisch gefeiert wird. Es ist die Geschichte dreier Brüder, die an den schicksalhaftesten Ort ihrer Kindheit zurückkehren: In dem einsamen Holzhaus am See verbrachten sie jeden Sommer, bis vor zwei Jahrzehnten ein Riss durch die Familie ging. Jetzt treffen Benjamin, Pierre und Nils hier zusammen, um die Asche ihrer Mutter zu verstreuen. In der Idylle lauern überall Erinnerungen, schöne und schreckliche. Unberechenbarer als das Wetter war die Stimmung der Eltern, erschöpfend das Ringen der Jungen um die unsichere Liebe der Mutter … Einst unzertrennlich, sind die Brüder nun weit voneinander entfernt durch das Drama von einst. Was ist damals wirklich passiert? Sich der Vergangenheit zu stellen, rührt an alte Wunden, aber es ist auch die einzige Hoffnung auf Versöhnung. Kunstvoll in der Komposition, klar in der Sprache und von außergewöhnlicher erzählerischer Intensität. Ein literarisches Ausnahmeereignis!
200 Lesepunkte sammeln Auch als eBook auf Hugendubel.de erhältlich
AUF TROST VERSTEHT sich Sigrid Nunez wie kaum jemand sonst – mit literarischen Meisterstücken, in denen sie es mit dem Thema Tod aufnimmt und zugleich Hoffnungsfunken zum Leuchten bringt. 2018 wurde die New Yorker Schriftstellerin „über Nacht berühmt als Titanin der amerikanischen Gegenwartsliteratur“ (New York Times) und mit dem „National Book Award“ ausgezeichnet für „Der Freund“. Jetzt knüpft die 70-Jährige an diesen Sensationserfolg mit ihrem aktuellen Roman auf konsequente und höchst kreative Art an. Während „Der Freund“ durch seinen Freitod die Hinterbliebene vor vollendete Tatsachen stellt und die Trauernde ins Leben zurückfinden muss, nähert sich Sigrid Nunez nun in „Was fehlt dir“ dem Ende aller Dinge, indem sie Perspektiven eröffnet, wo die Situation aussichtslos erscheint: Ihre Ich-Erzählerin – eine Schriftstellerin im Alter von Sigrid Nunez – wird von einer an Krebs erkrankten Freundin um Beistand im Endstadium gebeten. Die Sterbenskranke ist hin- und hergerissen zwischen Euphorie und Depression. Und sie will die Kontrolle über ihr Leben bis zum letzten Atemzug behalten: „Der Krebs kann mir nichts antun, wenn ich mir etwas antue.“ Obwohl der Ernstfall beide Frauen an ihre Grenzen bringt, gewinnen sie dem Dilemma eine große Chance ab – indem sie gemeinsam entdecken, wie das Unausweichliche sich durch Zusammenhalt und Zuwendung verändern lässt. Eine tief berührende Geschichte, die mit erstaunlicher Leichtigkeit, Herzenswärme und Humor die Kunst zu leben und zu sterben und die rettende Kraft der Freundschaft nahebringt!
Alex Schulman: „Die Überlebenden“ dtv, 22,– € 220 Lesepunkte sammeln Auch als eBook | Hörbuch auf Hugendubel.de erhältlich
▶ Wie haben Sie Ihre eigene Familie
als literarische Inspirationsquelle entdeckt? ▶ Durch all die Leerstellen, die mir in den Erzählungen meiner Eltern und Großeltern immer deutlicher wurden, und die Fragen, die sich daraus ergaben: Wieso wurde mein Urgroßvater von seiner Familie verstoßen? Was hat ihn so fest an eine Frau gebunden, die seine Mutter nicht akzeptieren wollte? Vor allem aber durch den Bruch, den die Nazizeit für diese Familie wie für alle jüdischen Familien in Deutschland bedeutete. Wieso ist meinem Urgroßvater die Flucht aus Deutschland nicht gelungen – im Gegensatz zu all seinen Geschwistern? ▶ Wie würden Sie die Familien Eisner und Reichenheim historisch einordnen und wie haben Sie Ihren zeitlichen Erzählrahmen gewählt? ▶ Mich interessierte der gesellschaftliche Aufstieg dieser beiden jüdischen Familien in Schlesien und Preußen im 19. Jahrhundert, das jüdische Berlin der Gründerzeit und dann die Zeitenwende des Ersten Weltkrieges, dem die Weltwirtschaftskrise und schließlich die Nationalsozialisten folgen. Das Leben meiner Protagonistinnen Anna und Marie – Schwiegermutter und Schwiegertochter – ist bestimmt vom Lauf der Geschichte. ▶ Welche Bruchstücke der Vergangenheit brachten bei Ihnen am meisten zum Klingen? 14 | büchermenschen