büchermenschen 4/2021

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LITER ARISCHE PERLEN

Im freien Fall VON IHREM ERFOLG war Jasmin Schreiber selbst am meisten

überrascht. 2019 für „Sterben üben“ als Bloggerin des Jahres EXKLUSIV ausgezeichnet, sieht die 33-Jährige auch in ihren Büchern dem INTERVIEW Tod ins Auge. Nach ihrem Debütroman „Marianengraben“ nahm die Biologin und Hinterbliebene ihres Hamsters in ihrem Sachbuchbestseller „Abschied von Hermine“. Morbide? Nein, ganz natürlich: „Der Tod gehört zum Leben.“ Ihr neuer Roman „Der Mauersegler“ über eine unsterbliche Freundschaft ist traurig schön – und auch zum Tränenlachen lustig.

▶ Für die meisten Menschen sind

Mauersegler Sommerboten, die wir leicht mit Schwalben verwechseln. Was fasziniert Sie als Biologin und Autorin an den Flugkünstlern? ▶ An Mauerseglern gibt es viel Faszinierendes zu entdecken: Sie können zum Beispiel rund 10 Monate am Stück in der Luft verbringen – sie essen im Flug, schlafen im Flug, paaren sich im Flug. Nur zum Brüten müssen sie landen. Ihr Leben ist so dermaßen anders als das von uns, aus unserer Perspektive könnten es auch Außerirdische sein – und wir für sie.

Beste Freunde, fragt der eine. Superbeste Freunde, bestätigt der andere. Dieses Ritual haben Prometheus und Jakob seit ihrer Kindheit gepflegt, in allen Höhen und Tiefen, vor allem in letzter Zeit, als Jakob sterbenskrank war und fest auf Rettung durch Prometheus hoffte. Jetzt ist er tot und Prometheus auf der Flucht – vor der Polizei, zwei Familien und sich selbst. Eben noch ein souveräner Mediziner, ist er jetzt ein Mann, der unter seinen Schuldgefühlen zusammenzubrechen droht. Als er an der dänischen Küste strandet, sammeln ihn zwei Frauen auf, die wenig Fragen stellen – typisch für Menschen, die Geheimnisse haben. Ein poetisches Meisterwerk über Verantwortung, Vergebung und Freundschaft. Jasmin Schreiber: „Der Mauersegler“ Eichborn, 22,– € 220 Lesepunkte sammeln Auch als eBook | Hörbuch auf Hugendubel.de erhältlich

▶ Was macht die Mauersegler zum idealen Romantitel für Sie?

▶ Wie bei Marianengraben war auch

hier der Romantitel als Erstes da. Ja, noch vor der Geschichte und allem. Ich mag einfach dieses Bild des Überfliegers, der sich in schwindelnde Höhen schraubt und wirklich allen was vormacht – bis er durch irgendetwas geschwächt wird, landen muss und dann allein nicht mehr hochkommt. ▶ Ihr Protagonist hat Vornamen, bei denen es im wirklichen Leben eigentlich keine Entschuldigung für die Eltern gibt, aber wahrscheinlich gute Gründe für Sie als Autorin. Welche sind das beim väterlichen Wunschnamen Marvin? ▶ Das ist ziemlich banal: Als Kind kannte ich einen Marvin, den ich ganz furchtbar fand. Wenn man mir sagt: Denke an einen Namen, den du wirklich nicht magst, schnell!, antworte ich sofort: Marvin. Ich finde ihn unangenehm weich, wabbelig, schwächlich, blass. Danach habe ich übrigens zwei sehr nette Marvins kennengelernt, mit ihren Namen hadere ich jedoch bis heute. ▶ Und der mütterliche Namenswunsch? Was hatten Sie im Sinn mit dem aus der griechischen Mythologie bekannten Titanen Prometheus? ▶ Das war tatsächlich anfangs nur ein alberner Platzhalter, weil mir kein Name einfiel. Doch irgendwie hatte er sich beim Schreiben plötzlich verselbstständigt, hat Flügel und eine Geschichte bekommen. Plötzlich konnte

ich mir keinen anderen Namen mehr vorstellen. ▶ Nomen est omen? Sehen Sie Ihren Prometheus eher als Helden oder Anti-Helden? ▶ Eigentlich ist Prometheus ein ganz normaler Typ; karrieretechnisch zwar ein Überflieger, aber doch irgendwie ein durchschnittlicher, etwas ehrgeiziger Kerl, wie es Millionen gibt. Und irgendwie gerät er da in so eine Sache rein, die eine krasse Eigendynamik entwickelt. Er trifft falsche Entscheidungen. Vielleicht ist er beides, erst ein Held, dann ein Anti-Held ... Ein abgestürzter Mauersegler, genau wie Jakob. ▶ Ihr neuer Roman ist auch die Geschichte der tiefen Verbindung von Prometheus und seinem besten Freund Jakob, unzertrennlich seit Kindertagen. Was wollten Sie ausloten? ▶ Ich wollte ausloten, was passiert, wenn man jemanden so sehr liebt, dass man ja eigentlich schon selbst das eigene Leben für diesen Menschen riskieren würde … und dann aus den richtigen Gründen das Falsche tut und alles genau ins Gegenteil kippt. Und wie man dann mit dieser Schuld lebt, beziehungsweise ob man das überhaupt aushalten kann. ▶ Ihr Prometheus flieht bei Nacht und Nebel, erst nach Süden, dann Richtung Norden. Warum fühlt sich der Norden richtiger an für seinen Gemütszustand und für Sie als Autorin? ▶ Der Süden ist hell, warm und bunt, doch Prometheus lebt seit dem Schicksalsschlag in einer dunkleren Welt als die meisten Menschen um ihn herum. Der Norden mit seiner rauen, doch auch mir sehr lieben und wirklich wunderschönen Landschaft fühlt sich da einfach richtiger für ihn an. ▶ Auf der Flucht ist Prometheus in seiner „Arztkutsche“, die ihm immer mehr vorkommt wie ein

,, Aus den

richtigen Gründen das Falsche tun.“

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