IPPNW-Thema: „Greenwasching von Atomkraft: Ein Super-GAU für die Energiewende“

Page 4

GRÜNE ATOMENERGIE?

„Russland sucht Zugang zum europäischen Atommarkt“ Interview mit dem russischen Anti-Atom-Aktivisten Vladimir Slivyak von „Ecodefense“

Die Tochterfirma des russischen Atomkonzerns Rosatom, TVEL, will sich an der Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen beteiligen. Wie würde sich ein solches Joint Venture zwischen TVEL und Framatome in Lingen auf das russische Atomgeschäft auswirken?

der Vergangenheit über eine Million Tonnen solcher Abfälle angehäuft und tut damit nichts. Interessant ist, dass Urenco für die „Entsorgung” in Russland nur einen niedrigen Preis zahlt – die Verbringung nach Russland beseitigt damit ein sehr schmerzhaftes Problem. Warum macht Rosatom einem europäischen Konkurrenzunternehmen ein so gutes Angebot? Ich denke, die Antwort ist, dass Rosatom in erster Linie Zugang zum europäischen Atommarkt haben will – und deshalb Staatsgelder investiert. Dieser Zugang wird zu einer Zusammenarbeit nicht nur bei der Herstellung von Brennelementen, sondern auch im Bereich neuer Reaktoren führen und Rosatom viele Türen öffnen.

Dieses russisch-französische Joint Venture wäre ungewöhnlich. Rosatom hat in Russland genug eigene Kapazitäten zur Herstellung und auch ausreichend Kernbrennstoffe. Der Konzern braucht kein Geld, denn in Russland hat die Atomindustrie unbegrenzten Zugang zum Staatshaushalt. Ich bin davon überzeugt, dass es sich um eine rein politische Entscheidung handelt, die mit dem Bestreben von Präsident Putin zusammenhängt, den russischen Einfluss in Europa auszuweiten. Die Kontrolle über den europäischen Energiemarkt einschließlich des Atomstroms dient einem „geopolitischen“ Ziel. Russland ist einer der Hauptexporteure von Gas in die EU, und Kohle ist ein weiterer wichtiger Bestandteil des Energiemarktes. Deutschland bezieht derzeit fast die Hälfte seiner Kohleimporte aus Russland – doch nur wenige Menschen wissen, wie groß der russische Einfluss auf den EU-Atommarkt ist.

Es einfach zu erraten, was als nächstes passiert: Frankreich ist an dem Punkt angelangt, wo es den Preis für seine Atomindustrie zahlen muss. Allein für die Instandhaltung vorhandener alter AKWs werden etwa 100 Milliarden Euro veranschlagt. Und der Abfallberg wächst, erst recht, wenn Frankreich in naher Zukunft beginnt, alte Reaktoren stillzulegen. Für neue AKWs aus Frankreich gibt es kaum internationale Aufträge, und überall sind die Kosten viel höher als erwartet, die Bauzeiten zu lang. Die EUTaxonomie, über die Frankreich an Gelder kommen möchte, ist bis jetzt nicht in Kraft, und es ist nicht klar, um welche Summen es überhaupt geht, weil die Investoren der Atomkraft gegenüber skeptisch sind. Wenn Russland investiert, wird Frankreich bereit sein, dem Partner im Gegenzug mehr Kontrolle über den Atommarkt in der EU zu geben.

In Ungarn, Bulgarien, der Slowakei, Tschechien und Finnland sind russische AKW-Konstruktionen in Betrieb, die von Russland mit Brennstoff versorgt werden. In Ungarn sind zwei neue – durch Russland finanzierte – Reaktoren geplant. In Finnland bereitet Rosatom ebenfalls den Bau eines russischen Reaktors vor. Russland besitzt 34 Prozent der Anteile an der Gesellschaft Fennovoima, die das AKW bauen soll. Es gibt auch Pläne für neue Aufträge in Bulgarien und anderen EU-Ländern. Und jetzt will Rosatom einen größeren Anteil am Brennstoffmarkt der EU: Zusammen mit Framatome will es Brennelemente in weitere europäische Länder liefern. Russland nutzt die Energieversorgung, um politisch Einfluss zu nehmen.

Was kann die deutsche Anti-Atom-Bewegung hier tun? Ich finde, die deutsche Antiatom-Bewegung sollte mehr Druck auf ihre teilweise grüne Regierung ausüben, den Atomausstieg konsequent zu verfolgen. Solange weiterhin Brennelemente in Deutschland produziert werden, ist das kein Ausstieg. Verglichen mit dem, was schon bewältigt wurde, wäre es jetzt ein Leichtes, die Atomanlagen in Lingen und Gronau abzuschalten. Und der vollständige Ausstieg aus der Atomenergie wäre das, was für bessere Klimaschutzmaßnahmen getan werden muss. Wenn die Atomenergie Teil des Energiemixes bleibt, wird sie wie in Frankreich ständig Geld verschlingen – das Geld, das für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Reduktion der Emissionen benötigt wird. Wir können das Klima nur retten, wenn wir vollständig aussteigen.

Ein weiteres Teil des Puzzles ist die Kooperation von Rosatom mit Urenco, einem Konzern, an dem Deutschland, die Niederlande und Großbritannien beteiligt sind. Seit 1996 nimmt Rosatom immer wieder radioaktive Abfälle aus Urenco-Anlagen entgegen, die offiziell zur „Wiederaufbereitung” nach Russland transportiert werden. Dies ist jedoch wirtschaftlich und auch im Hinblick auf die Produktion von Kernmaterialien unsinnig: Russland hat in 4


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.