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Radioaktive Spekulationen

Uranvorkommen auf dem afrikanischen Kontinent könnten erneut ins Visier der Industrie kommen

Der Diskurs in den 2000er Jahren um eine vermeintliche nukleare Renaissance und die Erwartung großer AKWNeubauprogramme in aller Welt zog insbesondere in Afrika einen Preisanstieg für Uran und Spekulationen nach sich. Dann bereitete die Atomkatastrophe von Fukushima den meisten spekulativen Geschäften mit Urananleihen und den Explorations- und Bergbauunternehmen ein jähes Ende. Jetzt wittert die Branche langsam wieder Morgenluft. Denn die Behauptungen von einer neuen nuklearen Renaissance unter dem Deckmantel des Klimaschutzes nährt die Spekulationen um eine mittelfristig steigende Urannachfrage. Erneut könnten Uranvorkommen auf dem afrikanischen Kontinent ins Visier der Industrie geraten.

Erst kürzlich habe ein Explorationsunternehmen, das am australischen Stock-Exchange eingetragenen ist, neue Bohrungen in Zentraltansania angekündigt, so Anthony Lyamunda, Umweltaktivist aus Tansania. Auf dem IPPNW-Weltkongress im kenianischen Mombasa im April 2023, sagte er: „Bis vor kurzem waren wir noch davon ausgegangen, dass der Erfolg unseres Widerstands gegen die letzte Explorationswelle in unserer Gegend noch trägt. Aber nun kann es sein, dass alles von vorne losgeht.“ Zuletzt hatten Explorationsunternehmen in Tansania versucht, Gewinne aus der Aussicht auf Uranbergbau zu schlagen – so wie viele andere afrikanische Länder es in der ersten Dekade des Jahrtausends taten.

Der Diskurs um eine vermeintliche „Wiederbelebung der Atomenergie“ hatte um die Jahrtausendwende und in den darauf folgenden Jahren an Prominenz und partieller Zustimmung gewonnen. Der Begriff „nukleare Renaissance“ wurde von den Befürworter*innen der Atomkraft als Werbeslogan verwendet. Mit ihm wollte die Branche seit Anfang der 2000er Jahre eine neue Ära des Atomkraftwerksbaus heraufbeschwören. Gemessen an diesen Zielsetzungen hielt sich diese vermeintliche Renaissance in Grenzen. Anders als prognostiziert, speisten im Jahr 2020 weniger Reaktoren in die Stromnetze ein als zu Beginn des Renaissance-Diskurses imaginiert. Der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung sinkt weiter (s. Forum 172, S. 14/15). Dennoch blieb diese jüngste Welle des Atomenthusiasmus nicht ohne Folgen. Insbesondere in der Uranwirtschaft schlugen sich die Effekte nieder. Denn die vermeintlichen Zukunftsaussichten führten zu ausufernden Spekulationen mit Uranvorräten, Bergbaurechten, Aktien und Termingeschäften und spülten Investitionsgelder in Uranexplorationsprojekte.

Einige Beobachter*innen sahen die Uranvorkommen des afrikanischen Kontinents im Zentrum der vermeintlichen weltweiten „nuklearen Renaissance“. Und tatsächlich fuhren die traditionellen großen Uranproduzenten in Kanada und in Australien ihre Produktion zurück, während die Uranproduktion in Namibia und in Niger anstieg. Malawi stieg 2009 sogar neu in den Uranbergbau ein. Trotz der Zuwächse entsprach die Uranproduktion auf dem afrikanischen Kontinent in etwa der Entwicklung des weltweiten Produktionsniveaus. Denn auch Uranproduzenten in Usbekistan und Kasachstan verzeichneten signifikante Produktionssteigerungen.

Seit dem Jahr 2000, während der Hochzeit des Diskurses über eine nukleare Renaissance und darüber hinaus, machten die afrikanischen Uranminen etwa 17 Prozent der weltweiten Uranproduktion aus. Kanada und Australien blieben die Nummer zwei und drei in der Rangliste der größten Uranexporteure. Im Gegensatz dazu sticht Kasachstan besonders hervor, wo die Uranproduktion in diesem Zeitraum um über 700 Prozent gestiegen ist. Das zentralasiatische Land ist seit 2009 jedes Jahr der weltweit größte Uranproduzent.

Was also hat es mit der proklamierten zentralen Bedeutung von afrikanischem Uran für eine nukleare Renaissance auf sich? Zu einer großen Zahl neuer Uranminen auf dem Kontinent hat sie nicht geführt. Die Bedeutung Afrikas zeigte sich vielmehr in der großen Zahl von Uranexplorationen auf dem Kontinent – also in der Wette auf mögliche, zukünftige Gewinne aus den jeweiligen geologischen Potentialen. Denn so spekulativ die sogenannte nukleare Renaissance und so unsicher die langfristigen Zukunftsaussichten der Atomindustrie tatsächlich waren und sind – so ungewiss und spekulativ sind auch die von ihr abgeleiteten Erwartungen auf Gewinne aus dem Bergbau. Die Industrie bewältigt diese Unwägbarkeiten, indem sie auf Orte zugreift, die eine potentielle, aber billige Uranquelle darstellen, die leicht zurückgelassen werden kann, falls die Nachfrageerwartungen nicht eintreten oder nachlassen.

Im Hinblick auf die Uranexploration und neue Uranminen sind Tansania und Malawi eindrückliche Beispiele für diese Art der Externalisierung – für den Versuch, die negativen Folgen und Unwägbarkeiten von Produktions- und Konsummustern in andere Teile der Welt auszulagern. Kaum jemand hat dieses Externalisierungsbestreben so griffig ausgedrückt wie John Borshoff, damals Chef des Uranbergbauunternehmens Paladin Energy. In einem Interview mit dem australischen Fernsehsender ABS im Jahr 2006 sagte er, Australien sei dem Unternehmen angesichts hoher Anforderungen an Umwelt- und Sozialstandards politisch zu riskant geworden. Dieser Logik folgend, wendet sich der Bergbausektor in höchst spekulativen Geschäften der Geologie afrikanischer Staaten zu, um ein politisches Risiko für die Unternehmensgewinne durch Arbeits- und Umweltschutz zu vermeiden. So hatte das Unternehmen Paladin 2009 in Malawi begonnen, Uranbergbau zu betreiben. In 2014 hinterließ es die Mine unrehabilitiert, nachdem sie unprofitabel geworden war. Die meisten Explorationsvorhaben wurden mit dem Preiseinbruch für Uran nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima abgebrochen oder ganz aufgegeben. Genauso in Tansania, wo nach 2005, zur Hochzeit des Diskurses um eine nukleare Renaissance, rund 70 aktive Uranexplorationslizenzen über das Land verteilt waren.

Was lehrt uns dieser Rückblick für die heutige Situation? Es ist gegenwärtig nicht mit einem ähnlich starken Pro-Atom-Diskurs wie in den 2000er Jahren zu rechnen. Dennoch sind die maßgeblichen Spotmarktpreise von Uran für das Explorationsgeschäft wieder leicht gestiegen. Die Tendenz, Unsicherheiten jeder Art nach Möglichkeit auszulagern, ist ungebrochen. Gleichzeitig sind die Folgen einer möglichen und wünschenswerten Abkehr von russischen Uranprodukten im Angesicht des Ukrainekriegs und damit vor allem von kasachischem Uran bisher nicht absehbar.

Mit ihr muss auch ein umfassender Rückzug aus der nuklearen Stromproduktion verbunden sein. Ein Beitrag Deutschlands hierzu wäre die Beendigung der Urananreicherung und der Brennelementeproduktion. Denn ansonsten droht ein nukleares Weiter-so, das letztlich auf Kosten bestehender und möglicherweise neuer afrikanischer Uranbergbauregionen gehen könnte.

Im Rahmen eines Netzwerktreffens gegen Uranbergbau in Afrika während des IPPNW-Weltkongresses sagte Wilbert Mahundi aus dem Süden Tansanias: „Wir treffen uns zu einem günstigen Zeitpunkt – rechtzeitig, um mit Nachdruck über die negativen Folgen des Uranbergbaus aufzuklären, noch bevor er beginnt.“

Patrick Schukalla ist IPPNW-Referent für Atomausstieg, Energiewende und Klima.

Titelfoto: Bohrkerne aus der Uranexeploration in Manyoni, Zentraltansania. Foto: Flaviana Charles

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