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Brennelementefabrik plant Ostexpansion
Geplantes Joint Venture in Lingen: Antiatom-Initiativen fordern Taten statt Worte
Kurz vor der Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke Mitte April sorgten drei Nachrichten mit Bezug auf die Brennelementefabrik Lingen für bundesweite und internationale Schlagzeilen.
Zunächst bestätigte das niedersächsische Umweltministerium, dass die französische Betreiberfirma Framatome in Frankreich ein Joint Venture mit dem russischen Staatskonzern Rosatom gegründet habe, um gemeinsam in Lingen Brennelemente für Osteuropa herzustellen. Dann bestätigte das Umweltministerium, dass für die Umrüstung der Brennelementefabrik auch Mitarbeiter von Rosatom „unterstützend“ in Lingen eingesetzt werden sollen. Zeitgleich forderte jedoch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach seinem Besuch in der Ukraine auf einmal dezidiert EU-Sanktionen gegen Russland im Atombereich.
Wie passen diese Meldungen zusammen und welche Rolle spielen die Brennelementefabrik in Lingen und der französische Atomkonzern Framatome für die internationale Atomindustrie? Zunächst einmal der Blick nach Lingen im Emsland: Die Brennelementefabrik liegt nur wenige hundert Meter vom jetzt stillgelegten AKW Emsland entfernt. Sie hat im Laufe der Jahrzehnte mehrfach die Besitzer gewechselt – von Siemens über Areva zu Framatome. Framatome ist eine Atomtochter des staatlichen französischen Energiekonzerns EdF2 und ist für den Bau und die Wartung von Atomkraftwerken zuständig, aber auch für den Bau von Brennelementefabriken und die Herstellung der Brennstäbe. Damit spielt Framatome für die internationalen Ambitionen der französischen Atomindustrie und der jeweiligen Staatspräsidenten eine herausragende Rolle.
In Deutschland hat Framatome zwei große Standorte: Neben der Brennelementefabrik Lingen ist dies der Technologie-Standort Erlangen in Bayern, den Framatome von der ehemaligen Siemens und Areva übernommen hat. Framatome Erlangen ist weltweit tätig, derzeit u. a. in Ungarn, Bulgarien, Belgien, Kasachstan und China.
Bei der Brennelementefertigung jedoch läuft es in Lingen seit der Reaktorkatastrophe in Fukushima in 2011 nicht mehr gut. Bis dato hatte man zahlreiche AKWs in Deutschland und Westeuropa beliefert. Doch seither hat die Brennelementefabrik zahlreiche Kunden verloren und die Auslastung der Atomanlage sank auf magere 30-40 Prozent, Tendenz weiter fallend. Allein seit Ende 2021 hat Framatome sieben AKWs als Kunden verloren: die sechs letzten deutschen AKWs und der belgische Reaktor Doel 3. Damit steht die betriebswirtschaftliche Grundlage für die Brennelementefabrik in Frage.
Framatome versuchte zunächst, durch die Belieferung der neuen französischen EPR-Reaktoren verlorenes Terrain gutzumachen. Doch der Bau der Reaktoren in Finnland, Frankreich und China war und ist ein Desaster ohne Zukunftsperspektive. Also richtete Framatome seinen Blick nach Osten auf die vermuteten Zukunftsmärkte der Atomindustrie. So baute Framatome in Kasachstan für China eine Brennelementefabrik, die Ende 2022 in Betrieb ging. Sie wurde prompt mit Brennstäben aus Lingen beliefert, die via Russland exportiert wurden und dann nach der Endfertigung in chinesischen AKWs zum Einsatz kommen. Ein mögliches Ziel: Die EPR-Reaktoren in Taishan, an denen die Framatome-Mutter EdF mit 30 Prozent beteiligt ist.
Das zweite Element ist die direkte Kooperation mit dem russischen Staatskonzern Rosatom. Dazu hat Framatome im Dezember 2021 eine Generalvereinbarung mit Rosatom abgeschlossen. Der russische Einmarsch in die Ukraine hat zu keiner Kündigung geführt. Und das obwohl Rosatom im militärisch besetzten ukrainischen AKW Saporischschja für den Kreml die Verwaltung übernommen hat und sich damit direkt am Kriegsgeschehen beteiligt, wie etwa ein Hintergrundpapier des österreichischen Umweltbundesamtes von 2022 belegt.
Warum kooperiert Framatome mit Rosatom und was bedeutet das für Lingen? Da keine nennenswerte Anzahl von neuen AKWs gebaut wird, bleibt für die Wahrung des Status Quo oder gar für eine Expansion nur die Kooperation mit den wenigen Konkurrenten. Und in Osteuropa führen alle nuklearen Wege zu Rosatom.
Für Russland macht die Kooperation schon allein deshalb Sinn, weil westeuropäische Partner aus der EU letztlich vor möglichen weiteren Sanktionen schützen können. So hat Russland in Ungarn zielgerichtet Framatome und Siemens Energy mit ins Boot geholt. Prompt blockieren Frankreich und Ungarn gemeinsam mögliche EU-Sanktionen gegen Russland.
In puncto Brennelementefertigung macht eine Kooperation für Rosatom noch aus einem anderen Grund Sinn: Viele osteuropäische AKWs sind russischer oder gar sowjetischer Bauart und verwenden spezielle Brennelemente, auf die Rosatom ein Monopol hat. Nur der US-Konzern Westinghouse – mit seiner Brennelementefabrik in Västeras in Schweden – hat es bislang geschafft, für die Ukraine und Tschechien „russische“ Brennelemente in Eigenregie zu entwickeln. Doch der Prozess ist mühselig, teuer und sehr zeitaufwendig.
Framatome möchte sich diese Mühe ersparen und hat deshalb entschieden, Rosatom als Partner gleich direkt mit ins Boot zu holen. Rosatom erhält Anteile an einem Joint Venture mit Framatome und erteilt für den Bau der Brennelemente in Lingen Lizenzen. Für Rosatom liegen die Vorteile auf der Hand: strategischer Einfluss auf einen führenden westeuropäischen Atomkonzern und die Umgehung von möglichen EU-Sanktionen, weil die Produktion von einer EU-Firma innerhalb der EU durchgeführt wird.
Frankreich hingegen hat sich völlig verkalkuliert. Ende 2021 rechneten viele Staatschefs noch nicht mit einem Krieg und nun fällt Framatome die Einbeziehung von Rosatom auf die Füße. Zunächst hatte man den osteuropäischen Atomländern wie Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Bulgarien und Rumänien noch versprochen, eine Produktion in Lingen würde die Unabhängigkeit von Russland bringen – dabei bleibt die Abhängigkeit erhalten, zudem sogar das Uran für viele Brennelemente in Lingen per Schiff via Rotterdam aus Russland kommt.
Die Landes- und die Bundespolitik hat sich mit den Plänen von Framatome bislang sehr schwer getan, seit die ersten Pläne Ende 2021 bekannt wurden. Zunächst hieß es, das Joint Venture sei vom Tisch, doch insgeheim stellte Framatome in Hannover im März 2022 doch einen Antrag, um in Lingen gemeinsam mit Rosatom diese „russischen“ Brennelemente herzustellen. Einerseits wollen sich Land und Bund nicht mit der französischen Regierung anlegen, andererseits möchte man natürlich auch keine Atomspezialisten von Rosatom im Emsland und einen Teil der Kontrolle über die äußerst sensible Atominfrastruktur an Russland abtreten. Deshalb fordert Robert Habeck inzwischen offiziell EU-Sanktionen gegen Rosatom. Doch diese werden wenig überraschend weiterhin von Frankreich blockiert.
So ist die Brennelementefabrik in Lingen derzeit in eine internationale politische Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich sowie Russland und China geraten. Die regionalen Anti-Atomkraft-Initiativen und die IPPNW fordern von der niedersächsischen Landesregierung und der Bundesregierung die klare Zurückweisung der Ausbaupläne von Framatome und die Verhinderung des Einstiegs von Rosatom. De facto wird es aber wahrscheinlich noch im Laufe dieses Jahres zur öffentlichen Auslegung der Antragsunterlagen kommen und damit zu einem Widerspruchsverfahren mit einem öffentlichen Erörterungstermin.
Die Frage ist, bekennt sich die Bundesregierung zum Atomausstieg oder öffnet man im Emsland der französisch-russischen Atomindustrie die Türen, um Lingen für weitere Jahrzehnte zu einem international zentralen Atomstandort zu machen? Die französische Regierung zwingt die Bundesregierung zu einer Entscheidung. Die nächsten Monate werden also spannend werden. Das Bundesumweltministerium hat zu Recht gesagt, es gehe hier um eine Frage der Glaubwürdigkeit und die Stilllegung der Atomanlage gefordert. Die Anti-Atom-Initiativen und die IPPNW fordern aus eben diesen Gründen Taten statt Worte.