IPPNW-Thema "Der unvollendete Ausstieg: Wie geht es weiter mit der Anti-Atom-Bewegung

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ATOMAUSSTIEG

Brennelementefabrik plant Ostexpansion Geplantes Joint Venture in Lingen: Antiatom-Initiativen fordern Taten statt Worte

Kurz vor der Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke Mitte April sorgten drei Nachrichten mit Bezug auf die Brennelementefabrik Lingen für bundesweite und internationale Schlagzeilen.

pa beliefert. Doch seither hat die Brennelementefabrik zahlreiche Kunden verloren und die Auslastung der Atomanlage sank auf magere 30-40 Prozent, Tendenz weiter fallend. Allein seit Ende 2021 hat Framatome sieben AKWs als Kunden verloren: die sechs letzten deutschen AKWs und der belgische Reaktor Doel 3. Damit steht die betriebswirtschaftliche Grundlage für die Brennelementefabrik in Frage.

Zunächst bestätigte das niedersächsische Umweltministerium, dass die französische Betreiberfirma Framatome in Frankreich ein Joint Venture mit dem russischen Staatskonzern Rosatom gegründet habe, um gemeinsam in Lingen Brennelemente für Osteuropa herzustellen. Dann bestätigte das Umweltministerium, dass für die Umrüstung der Brennelementefabrik auch Mitarbeiter von Rosatom „unterstützend“ in Lingen eingesetzt werden sollen. Zeitgleich forderte jedoch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach seinem Besuch in der Ukraine auf einmal dezidiert EU-Sanktionen gegen Russland im Atombereich.

Framatome versuchte zunächst, durch die Belieferung der neuen französischen EPR-Reaktoren verlorenes Terrain gutzumachen. Doch der Bau der Reaktoren in Finnland, Frankreich und China war und ist ein Desaster ohne Zukunftsperspektive. Also richtete Framatome seinen Blick nach Osten auf die vermuteten Zukunftsmärkte der Atomindustrie. So baute Framatome in Kasachstan für China eine Brennelementefabrik, die Ende 2022 in Betrieb ging. Sie wurde prompt mit Brennstäben aus Lingen beliefert, die via Russland exportiert wurden und dann nach der Endfertigung in chinesischen AKWs zum Einsatz kommen. Ein mögliches Ziel: Die EPR-Reaktoren in Taishan, an denen die Framatome-Mutter EdF mit 30 Prozent beteiligt ist.

Wie passen diese Meldungen zusammen und welche Rolle spielen die Brennelementefabrik in Lingen und der französische Atomkonzern Framatome für die internationale Atomindustrie? Zunächst einmal der Blick nach Lingen im Emsland: Die Brennelementefabrik liegt nur wenige hundert Meter vom jetzt stillgelegten AKW Emsland entfernt. Sie hat im Laufe der Jahrzehnte mehrfach die Besitzer gewechselt – von Siemens über Areva zu Framatome. Framatome ist eine Atomtochter des staatlichen französischen Energiekonzerns EdF2 und ist für den Bau und die Wartung von Atomkraftwerken zuständig, aber auch für den Bau von Brennelementefabriken und die Herstellung der Brennstäbe. Damit spielt Framatome für die internationalen Ambitionen der französischen Atomindustrie und der jeweiligen Staatspräsidenten eine herausragende Rolle.

as zweite Element ist die direkte Kooperation mit dem russischen Staatskonzern Rosatom. Dazu hat Framatome im Dezember 2021 eine Generalvereinbarung mit Rosatom abgeschlossen. Der russische Einmarsch in die Ukraine hat zu keiner Kündigung geführt. Und das obwohl Rosatom im militärisch besetzten ukrainischen AKW Saporischschja für den Kreml die Verwaltung übernommen hat und sich damit direkt am Kriegsgeschehen beteiligt, wie etwa ein Hintergrundpapier des österreichischen Umweltbundesamtes von 2022 belegt.

In Deutschland hat Framatome zwei große Standorte: Neben der Brennelementefabrik Lingen ist dies der Technologie-Standort Erlangen in Bayern, den Framatome von der ehemaligen Siemens und Areva übernommen hat. Framatome Erlangen ist weltweit tätig, derzeit u. a. in Ungarn, Bulgarien, Belgien, Kasachstan und China.

Warum kooperiert Framatome mit Rosatom und was bedeutet das für Lingen? Da keine nennenswerte Anzahl von neuen AKWs gebaut wird, bleibt für die Wahrung des Status Quo oder gar für eine Expansion nur die Kooperation mit den wenigen Konkurrenten. Und in Osteuropa führen alle nuklearen Wege zu Rosatom.

Bei der Brennelementefertigung jedoch läuft es in Lingen seit der Reaktorkatastrophe in Fukushima in 2011 nicht mehr gut. Bis dato hatte man zahlreiche AKWs in Deutschland und Westeuro-

Für Russland macht die Kooperation schon allein deshalb Sinn, weil westeuropäische Partner aus der EU letztlich vor möglichen weiteren Sanktionen schützen können. So hat Russland in Ungarn

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