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100 Jahre DRK: Verratene Ideale
Verratene Ideale
100 Jahre DRK: Tagung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen und der IPPNW
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War das Deutsche Rote Kreuz zwischen 1933 und 1945 eine nationalsozialistische Organisation? Wie konnte diese Organisation, deren Mitglieder sich unter dem Banner der Humanität zusammenfinden, in die Inhumanität abgleiten und am eigenen moralischen Anspruch scheitern?
Spannende historische Fragen, deren Antworten bis in die Zukunft dieser Organisation reichen. Das DRK feiert bisher immer die Gründung des monarchistischen Württembergischen Sanitätsvereins am 08. November 1863 als seinen Gründungstag. Anlässlich des 100. Gründungstages des DRK am 25. Januar 1921 in der demokratischen Weimarer Republik versammelten sich erstmals alle namhaften deutschsprachigen Wissenschaftler zu einer Zoom-Konferenz auf Einladung des Institutes für Medizingeschichte und Ethik der FAU Erlangen und der IPPNW. Vor 121 Teilnehmer*innen leuchteten die Expert*innen diese kritische Phase der Vereinsgeschichte aus, stellten Fragen an die Vereinsgeschichte und versuchten Antworten gemäß des aktuellen Forschungsstandes zu geben.
Die Zeitreise begann mit dem Einsatz des Roten Kreuzes im Ersten Weltkrieg. In den Kriegsjahren engagierten sich die zahlreichen deutschen RK-Verbände weitgehend unter eigener Regie für die deutschen Verletzten und auch für die alliierten Kriegsgefangenen, vornehmlich im Westen und weniger im Osten. Nach den Umbrüchen im Anschluss an den verlorenen Krieg geriet auch das DRK in eine Identitätskrise, weil ihm im Versailler Vertrag wehrmachtsnahe Tätigkeiten verboten worden waren.
Mit der Gründung des Deutschen Roten Kreuzes 1921 in Bamberg wurde eine personelle und inhaltliche Neuausrichtung hin zu zivilen Tätigkeiten innerhalb der Wohlfahrtspflege umgesetzt. Auf diesen Tätigkeitsfeldern kam es dann zu offenen und verdeckten Konflikten mit den etablierten konfessionellen und politischen Wohlfahrtsverbänden und Sanitätsorganisationen. Häufig obsiegte das DRK dank seiner Vernetzungen zu den staatstragenden Eliten, der Wehrmacht und staatlichen Institutionen.
1933 begannen mit der NS-Machtergreifung die Selbstgleichschaltung und die Geleichschaltung. Als Bindeglied zwischen dem Kaiserreich und dem NS-Regiem fungierte der DRK-Präsident Joachim von Winterfeld-Menkin, ein adeliger Herzensmonarchist und DNVP-Mitglied. Sein Counterpart auf NS-Seite war der Generaloberstabsarzt a. D., Chef des Sanitätswesens der SA, Dr. med. Paul Hocheisen. Beide öffneten das DRK der NSDiktatur – von verschiedenen Richtungen kommend. Sehr früh wurden unter Bruch des Neutralitätsdogmas jüdische und politisch andersdenkende Mitglieder aus dem DRK entfernt. NS-Mitglieder bekamen ohne erkennbare Gegenwehr zunehmend Einfluss in der Organisation. Zum Dezember 1933 wurde von Winterfeld-Menkin durch das hochadelige und hochrangige NSDAP-Mitglied Carl Eduard von Sachsen-Coburg-Gotha ersetzt. Er stilisierte sich nach außen als Gentleman-Nazi mit internationalen familiären Verflechtungen und war doch nach innen über nahezu alle NS-Aktivitäten informiert und teilweise auch involviert.
Bis 1937 war das DRK fest in das NSMacht- und Staatsgefüge involviert. Das nazifizierte DRK konnte sich sogar auf wichtigen Aufgabenfeldern gegen andere Parteiorganisationen behaupten. Militärische Traditionslinien und wehrmachtsnahe Untergruppierungen erstarkten im Kontext der Kriegsvorbereitungen. Aus dem Wohlfahrtswesen verabschiedete sich es sich zunehmend.
Eine weitere Zuspitzung erfolgte durch den neuen stellvertretenden und späteren geschäftsführenden DRK-Präsidenten Dr. med. Ernst Grawitz. Er war zum 1. Januar 1937 direkt von Hitler berufen und in Personalunion als Reichsarzt der SS und der Polizei, als SS-Obergruppenführer und Chef des SS-Gesundheitsdienstes an den KZ-Verbrechen beteiligt. Außerdem besetzten der Chefarzt der DRK-Krankenanstalten Hohenlychen und Leibarzt Himmlers, Prof. Dr. med. Karl Gebhardt, und der SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS und Leiter des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes, Oswald Pohl, zwei weitere wichtige Präsidiumsposten. In Personalunion waren sie ebenfalls in die verbrecherischen Menschenversuche oder führend in die Logistik der unmenschlichen Konzentrationslager involviert. Beide wurden in den Nürnberger Prozessen angeklagt und zum Tode verurteilt. Grawitz entzog sich sei-
ner Anklage und dem wahrscheinlichen Todesurteil im April 1945 durch Suizid. Weitere SS-Mitglieder wurden ins DRK auf allen Ebenen abkommandiert. Zwischen 70 und 90 Prozent der DRK-Spitzenfunktionäre waren 1939 teilweise hochdekorierte NSDAP-Mitglieder. Im DRK-Gesetz vom 9. Dezember 1937 (es war erstaunlicherweise bis zum 5. Dezember 2008 in Kraft) kulminierten alle vorausgegangenen Entwicklungen. Die bis dahin bestehenden 8.961 Mitgliedsorganisationen mit ihren inzwischen 1,6 Millionen Mitgliedern wurden zum neuen Deutschen Roten Kreuz mit zentralistischem Aufbau gemäß Führerprinzip zusammengefasst.
Das nun monofunktionale, kriegsfokussierte DRK war spätestens mit dem DRK-Gesetz ein integraler Bestandteil des nationalsozialistischen Staates und seines zivil-militärischen Komplexes. Die Aufgabe des DRK fokussierte sich nun alleinig darauf, der Wehrmacht, den SS-Divisionen und dem Luftschutzdienst kostengünstig und in möglichst großer Anzahl geschultes Sanitätspersonal bereit zu stellen, um Verwundete zu versorgen und deren Kampffähigkeit wiederherzustellen und die Zahl ziviler Bombenopfer zu reduzieren. Dazu sollte es als strategische Reserve bisher ungenutzte personelle Ressourcen, besonders innerhalb der weiblichen Bevölkerung und der Ärzteschaft, erschließen und medizinisch und sanitätstaktisch ausbilden und bereitstellen.
Vom Charakter her und de facto war es spätestens ab 1937 eine nationalsozialistische, von der SS durchtränkte Sanitätsorganisation mit NS-nationalstaatlicher Anerkennung und internationalen Verflechtungen, welche in die systematischen Kriegsvorbereitungen des Nazi-Regimes fest eingebunden war.
Mit dem Untergang des deutschen Reiches und des damit eng verwobenen DRK endet dieses belastende Kapitel aber noch nicht. Über Fluchtrouten nach Italien und unter aktiver Mithilfe des Internationalen Roten Kreuzes und des Vatikans konnten bis 1947 viele NS-Schergen mit gefälschten Papieren nach Südamerika fliehen wie zum Beispiel Adolf Eichmann, Josef Mengele oder Klaus Barbie.
Visualisiert und abgerundet wurden Aspekte der Tagung mit dem äußerst sehenswerten Film „Missbrauchte Helfer“ (1995) des Kölner Regisseurs Wolfgang Bergmann, der seinerzeit in den dritten ARD-Programmen gezeigt worden war.
Eine erkenntnisreiche Tagung dank der gut vorbereiteten Referent*innen und der regen Diskussionsbeiträge der Teilnehmer*innen. Die Vorträge werden erfreulicherweise zum 101. Geburtstag des DRK in einem Sammelband von der Universität Erlangen gedruckt vorgelegt.
Und was sagt das DRK dazu? Leider nahezu nichts. Die Gründung des demokratisch legitimierten DRK wurde zum 100. Geburtstag in keiner Weise gewürdigt. Man habe ja die 150-jährige Gründung 2013 gefeiert. Sein Pressesprecher verwies in seiner Not auf eine eventuelle Reaktion des DRK beim Rotkreuztag am 8. Mai 2021 in Bamberg. Wer das bisherige Programm allerdings studiert, wird bemerken, dass am 76. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges allgemein das Ehrenamt innerhalb des DRK im Fokus dieses Tages steht. Eine Reflexion zur Rolle des DRK im verbrecherischen Zweiten Weltkrieg oder gar eine offizielle Anerkennung des Verrates an den eigenen normativen Idealen ist zumindest bis Drucklegung dieses Forums nicht vorgesehen. Zu hoffen bleibt, dass innerhalb des DRK die Kräfte an Einfluss gewinnen, die die Zeit für eine offizielle und glaubwürdige Erklärung zur belastenden NS-Vergangenheit für gekommen sehen, und dass diese Tagung weitere historische und ethische Forschungen zur Geschichte des DRK mindestens bis zur Gründung der Bundeswehr 1955 beflügelt.
VEREIDIGUNG VON DRK-SCHWESTERN, UM 1933
Dr. Horst Seithe ist Mitglied der Regionalgruppe Nürnberg – Fürth – Erlangen und hat die Tagung organisiert.