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Bernard Lown: Eine kurze Würdigung

„Only those who see the invisible can do the impossible“

Eine kurze Würdigung des IPPNW-Begründers Bernard Lown, der im Juni einhundert Jahre alt geworden wäre

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Bernard Lown wurde am 7. Juni 1921 in Litauen geboren. 1935 emigrierte seine Familie in die USA. Bereits 1945 konnte er mit dem Medizinstudium an der University of Maine beginnen und das klinische Studium an der John Hopkins School of Medicine bis zum M.D. fortsetzen. 1953 wurde er als Arzt im Offiziersrang für den Einsatz in Korea zur Armee eingezogen. Man forderte von ihm eine Erklärung, welchen als ,,subversiv“ eingestuften Bewegungen er angehört habe, da Lown sich während der Studentenzeit in linken sozialen Gruppen engagiert hatte. Er lehnte das Ansinnen ab und wurde darauthin degradiert und in ein Militärhospital in Tacoma (Washington) strafversetzt.

Über dieses Jahr sagte Lown später: Es ruinierte ein Jahr meines Lebens und verzögerte meine Karriere um ein Jahrzehnt, aber es machte mich zu einem besseren Arzt“. 1955 konnte er seine klinische Tätigkeit am Peter Bent Brigham Hospital fortsetzen und mit Experimenten zu Ursachen und Therapie gefährlicher Herzrhythmustörungen und des akuten Herztodes beginnen. In Hundeversuchen, bei denen nach Ligatur einer Herzkranzarterie tödliches Kammerflimmern auftrat, fand Lown heraus, dass das Flimmern mit einem Elektroschock beseitigt werden konnte und ein normaler Herzrhythmus wieder einsetzte, obgleich der Coronarverschluss bestehen blieb. Aus diesen Experimenten entwickelte Lown 1962 den GleichstromDefibrillator zur sofortigen Unterbrechung des tödlichen Kammerflimmerns.

Das war eine sensationelle Erfindung, die Lown als Kardiologen weltweit bekannt machte. Millionen Menschen wurden seither mit der Defibrillation gerettet, die sonst dem akuten Herztod erlegen wären. Ich werde dieses ,,Wunder“ als junger Oberarzt an der Uniklinik Kiel nie vergessen, als wir mit dem neu erworbenen LownDefibrillator die ersten puls- und bewusstlos gewordenen Herzpatienten mit einem Stromstoß wiederbeleben konnten! 1963 folgten Lowns Erfindung der Elektrokardioversion des Vorhofflimmerns, die Lidocaintherapie gefährlicher Extrasystolie und die erste Einrichtung einer Herz-Überwachungsstation mit kontinuierlicher EKGAbleitung.

1960 kamen mit der zunehmenden Feindschaft zwischen den USA und der Sowjetunion weitere Aufgaben auf Lown zu: Beide Nationen rüsteten ihre Atomwaffen auf, und nahezu wöchentlich fanden Atombombentestexplosionen inden Wüsten Nevadas/USA und in Semipalatinsk/ Kasachstan statt. Der Bevölkerung gegenüber wurden Informationen über radioaktive Verstrahlung und die Auswirkungen einer Atombombe zum Beispiel auf eine amerikanische Stadt vorenthalten. Lown konnte dazu aus Gewissensgründen nicht weiter schweigen, ohne einzuschreiten.

„Never whisper in the presence of wrong!“ (1981)

Er lud Kollegen in seine Wohnung ein und gemeinsam beschlossen sie eine Ärzteorganisation mit dem Namen ,,Physicians for Social Responsibility“ zu gründen. Fortan publizierten sie im New England Journal of Medicine und anderen Zeitungen die wissenschaftlichen Fakten zu den Atombombenabwürfen 1945 über Hiroshima und Nagasaki und den Atombombentests. In der US-amerikanischen Bevölkerung entwickelte sich große Erregung und Entrüstung entstand. Das veranlasste US-Präsident John F. Kennedy und den russischen Generalsekretär Nikita Chruschtschow 1963, einen Vertrag zum Verbot überirdischer Atombombenexplosionen, den Limited Test Ban Treaty, abzuschließen. Nun durfte nur noch unterirdisch getestet werden. Eine gewisse Beruhigung der Bevölkerung stellte sich ein, aber das Wettrüsten ging weiter.

„Wir Ärzte müssen für die noch ungeborenen Generationen sprechen. Wir werden erfolgreich sein, wenn wir Millionen Menschen mit unserer Vision von einer Welt stärken, die von dem Gespenst der Atomwaffen befreit ist. “ (1986)

Lown erkannte, dass nur eine alle Blockgrenzen übergreifende Ärztebewegung eine größere politische Wirkung haben würde, um einen Atomkrieg verhüten zu helfen. Deswegen lud er 1978 wieder Kollegen in seine Wohnung – beschlossen wurde diesmal die Gründung der ,,International Physicians for the Prevention of Nuclar War – IPPNW“. Lown wurde zum Vorsitzenden gewählt und bemühte sich sogleich, den ihm von Kardiologenkongressen bekannten Direktor des Herzforschungsinstituts in Moskau, Evgeny Chasow, für die IPPNW zu gewinnen. Der bezweifelte einen Erfolg, aber nach zahlreichen Gesprächen in Moskau gelang es Lown, Chasow und auch die sowjetische Regierung von dem Wert einer großen internationalen Ärztevereinigung zu überzeugen.

LOWN ZU BESUCH IN BERLIN (2009)

Ein erster, noch kleiner IPPNW-Kongress fand 1981 in Virginia statt, ein großer Weltkongress 1982 in Cambridge/UK, und von da an jährliche Weltkongresse in jeweils einem anderen Land im Osten oder Westen, 1986 in Köln. Eine weitere Schilderung der vielen internationalen IPPNW-Aktivitäten und Gespräche Lowns mit bekannten Persönlichkeiten, die zum Friedensnobelpreis 1985 führten, ist hier nicht möglich, aber in Lowns Autobiographie „Ein Leben für das Leben“ interessant zu lesen. Mit dem Prestige des Friedensnobelpreises setzten Lown und seine IPPNW-Kolleg*innen die Friedensaktivitäten zum Abbau der Atomwaffen auf vielen Reisen fort, besonders in Moskau und den europäischen Ländern, aber auch in Kiew, Minsk, Delhi, Bagdad und weiteren Städten. Das Ziel war die Abrüstung der vorhandenen Atomwaffen und die Zusage, keine Atomwaffen neu anzuschaffen.

,,Nur eine emotional erregte Bevölkerung kann den Kurs der Geschichte vom Abgrund wenden.“ (1983)

Der Vision Lowns folgte 2007 das langjährige Mitglied des intemationalen IPPNWDirektoriums Dr. Ron McCoy, als er den unerwarteten Vorschlag machte, neben der IPPNW müsse es eine weltweite Bewegung der Zivilgesellschaft mit ihren Hunderttausenden von Mitgliedern geben, die sich quasi als „Tochter“ der IPPNW für die Ächtung und ein Verbot der Atomwaffen engagiere. Gegründet wurde die „lntemational Campaign to Abolish Nuclear Weapons“, die international die Diskussion um ein UNVerbot von Atomwaffen fortsetzte und die Verhandlungen gemeinsam mit Akteuren der Zivilgesellschaft begleitete. 2017 wurde das Atomwaffenverbot in der UN-Generalversammlung von 122 Staaten gegen die Stimmen der Atomwaffenstaaten verabschiedet. Anlässlich des Inkrafttretens im Januar 2021 haben viele international berühmte Persönlichkeiten ihre Regierungen zur Unterstützung des Atomwaffenverbotsvertrags aufgerufen, darunter auch Bernard Lown in seinem Appell 26 Tage vor seinem Tod. Im New England Journal of Medicine vom 21. Januar 2021 appellierte er an die Ärzteschaft, „den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen zu unterstützen, unter der Überschrift: „Die neue Gefahr eines atomaren Holocausts erfordert ärztliches Engagement.“

„Wir dürfen nicht unsere Augen schließen, auf das Gute hoffen und passiv bleiben. Hoffnung ohne Aktion ist hoffnungslos.“ (1987)

Neben Lowns Kampf für das Atomwaffenverbot wären noch viele Aktivitäten darzustellen: Gemeinsam mit anderen gründete er unter anderem „SatelLife“, eine Non-Profit-Organisation, die den Gesundheitsbereich in Ländern des globalen Südens mit Satelliten-Technologie unterstützte – dort, wo der Zugang durch schlechte Kommunikation, wirtschaftliche Bedingungen oder Katastrophen eingeschränkt war. Er gründete auch zwei „Bernard-Lown-Stiftungen“ für Angehörige des Gesundheitssektors in Entwicklungsländern, um ihnen ein einjähriges Studium an der Harvard Medical School zu ermöglichen. Er engagierte sich für eine US-Ärztebewegung, die sich gegen profitorientierte Medizin wendete und hielt Kurse fur eine nicht-invasive Medizin im von ihm gegründeten „Lown Cardiovascular Center“ an der Harvard School. Unter seinen Büchem sind „The Lost Art of Healing (Die verlorene Kunst des Heilens, 1996), „Prescription for Survival – A Doctor‘s Journal to end Nuclear Madness“ (Ein Leben für das Leben, 2008) und „Heilkunst – Mut zur Menschlichkeit “ (2016) .

Zehn Wochen vor seinem Tod schrieb mir Lown vom Krankenbett handschriftlich: „Ich gehe davon aus, dass die ärztliche Friedensbewegung einen bleibenden Effekt auf den Kampf um eine lebenswerte Welt gehabt hat. Sobald man diese Kraft spürt, kann sie einem nicht mehr so einfach weggenommen werden. Sie wird zu einem kraftvollen Vermächtnis“. Und neun Tage vor seinem Tod schrieb ich ihm über ICAN: „It is so good that you as the founder of the worldwide physicians‘ organisation to prevent nuclear war are still alive and can see the fruit of your life saving work: IPPNW and its creation ICAN, and the blessings of your inventions in cardiology“. Bernard Lown war ein Segen für die Menschheit, ein großer Arzt und Humanist. Er wird in Medizin, Wissenschaft und Zeitgeschichte unvergessen bleiben. Der Autor dieser Zeilen hat ab 1982 ganz eng mit Bernard Lown zusammengearbeitet und mit ihm viele IPPNW-Reisen und Aktivitäten unternommen. Meine Frau Monika, ebenfalls IPPNWMitglied, und ich waren mit ihm und seiner zwei Jahre früher verstorbenen Frau Louise in engster Freundschaft verbunden.

Prof. Dr. Ulrich Gottstein ist Ehrenvorsitzender der deutschen IPPNW.

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