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Globale Impfgerechtigkeit nicht in Sicht

Versagen auf ganzer Linie

Globale Impfgerechtigkeit ist nicht in Sicht

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Der Zugang zu Covid-19-Impfstoffen ist weiterhin weltweit zutiefst ungerecht verteilt. Während sich hierzulande alle Menschen boostern lassen können, wartet in anderen Teilen der Welt sogar das medizinische Personal noch auf seine Erstimpfung. Laut Angaben der WHO liegt in 34 Ländern des globalen Südens die Impfquote unter 10 Prozent und in 86 Ländern sind weniger als 40 Prozent geimpft. Drei Milliarden Menschen haben noch keine Dosis erhalten. Die Zahl der Auffrischungsimpfungen in den reichen Ländern übersteigt hingegen inzwischen die Zahl aller verabreichten Dosen in den ärmeren Ländern insgesamt. Politiker*innen und Intellektuelle aus Afrika haben in diesem Zusammenhang von kolonialen Mustern und Impfstoff-Apartheid gesprochen.

Doch Deutschland und die EU blockieren weiterhin die Freigabe der Patente auf Coronavirus-Impfstoffe und Medizinprodukte für den Zeitraum der Pandemie – auch unter der neuen Bundesregierung. So erklärte die BMZ-Ministerin Svenja Schulze (SPD) im Januar 2022 vor Journalist*innen „Ich bezweifle, dass die Entwicklungsländer leichter an Impfstoffe herankommen, wenn wir die Patente freigeben. Die Impfstofftechnologie ist sehr komplex und Patente erklären immer nur einen kleinen Teil des gesamten Herstellungsprozesses. Das Hauptproblem ist nicht: Wie kommt man an das Patent? Sondern: Wie kriegt man den Impfstoff auch in ärmeren Ländern produziert und anschließend verteilt und verimpft? Dabei helfen Unternehmenspartnerschaften.“

Über 100 Staaten, Expert*innen der WHO und des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Gesundheits- und Menschenrechtsorganisationen sehen das anders. Sie alle unterstützen den von Südafrika und Indien schon im Herbst 2020 bei der Welthandelsorganisation WTO eingebrachten Antrag – den so genannten TRIPS-Waiver. Das TRIPS-Abkommen von 1995, das Patentfragen und andere handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums regelt, lässt eine temporäre Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte auf Impfstoffe, Diagnostika, Therapeutika und Medizinprodukte im Falle von internationalen Gesundheitsnotlagen zu. Sogar die Biden-Administration hat letztes Jahr ihre Blockadehaltung aufgegeben. Aber der TRIPS-Waiver scheitert weiterhin an der Weigerung Deutschlands und wenigen anderen europäischen Ländern mit starker Pharmaindustrie sowie an der EU Kommission. Im Moment kontrollieren wenige Pharmahersteller die globale Produktion und die Verkaufspreise von Covid-19-Impfstoffen und Medizinprodukten. Die private, künstlich verknappte, gewinnorientierte Herstellung von Arzneimitteln führt dazu, dass viele Länder die Preise der Pharmahersteller nicht zahlen können und die Produktion weit hinter dem globalen Bedarf zurückbleibt. Eine Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte könnte laut Ärzte ohne Grenzen (MSF) die bedarfsorientierte Produktion durch mehr Hersteller ermöglichen, Generika zu einem bezahlbaren Preis zur Verfügung stellen und die Kontrolle in die Hände der Regierungen übertragen. Hersteller erhielten die nötige Rechtssicherheit, um in die lokale Produktion zu investieren.

Im Dezember 2021 widerlegten Expert*innen der Süd-Süd Initiative AcessIBSA und MSF die Behauptung, die Länder des globalen Südens seien nicht in der Lage, kurzfristig die Impfstoffproduktion aufzubauen. Sie ermittelten rund 120 potenzielle Hersteller in Lateinamerika, Afrika und Asien, die in drei bis sechs Monaten in der Lage seien, mRNA Impfstoffe zu produzieren. Ein Grund dafür ist, dass mRNA Impfstoffe erheblich einfacher zu produzieren sind als herkömmliche Impfstoffe, weil es keine komplizierten und zeitintensiven biologischen Produktionsschritte gibt. Mit einem TRIPS-Waiver und der Bereitschaft zum Technologie-Transfer hätten also Dutzende lokale Hersteller jetzt schon seit über einem Jahr kostengünstig Impfstoffe produzieren können. Doch auch beim Thema Technologie-Transfer wird weiter gemauert. So weigert sich BioNTech /Pfizer, seine Impfstofftechnologie mit dem Technologietransferhub der WHO in Südafrika zu teilen. „Das Ringen um TRIPS-Waiver und Technologie-Transfer zeigt auf extreme Weise, wie sehr die Profitinteressen der Pharmaindustrie Vorrang haben vor den Gesundheitsbedürfnissen und Menschenrechten weltweit“, kritisiert IPPNW Vorstandsmitglied Carlotta Conrad.

Dabei konnte das Mainzer Unternehmen den Impfstoff nur dank jahrzehntelanger öffentlich finanzierter Forschung zur mRNATechnologie an Universitäten entwickeln und wissenschaftliche Erfolge, die nie patentiert wurden, einfach übernehmen. Zusätzlich erhielten im Jahr 2020 BioNTech/Pfizer von den Regierungen Deutschlands und der USA öffentliche Gelder in Höhe von 1,9 Milliarden US-Dollar. Schon jetzt haben BioNTech Pfizer mit Coro-

na-Impfstoffen weit mehr verdient, als sie selber für Forschung und Entwicklung ausgegeben haben. 7,1 Milliarden Euro Gewinn machte BioNTech in den ersten neun Monaten 2021 nach eigenen Angaben. Trotz der millionenschweren öffentlichen Förderung hat Deutschland das Unternehmen im Gegenzug weder dazu verpflichtet, sich aktiv am Technologie-Transfer zu beteiligen, noch den Abgabepreis des Impfstoffes zu deckeln.

Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) hat in seinem Jahresbericht die reichen Länder, darunter Deutschland und die EU, scharf für Versäumnisse bei der globalen Impfgerechtigkeit kritisiert und diese für das Scheitern des von der WHO mitgegründeten globalen Verteilungsmechanismus COVAX (Covid-19 Vaccines Global Access) mitverantwortlich gemacht. Über bilaterale Verträge mit Impfstoffherstellern hätten sich die reichen Länder vorab einen Großteil der Impfstoffproduktion gesichert und Impfdosen weit über dem eigenen Bedarf gehortet. Daher verfügte die öffentlich-private Plattform COVAX lange Zeit kaum über zu verteilende Impfdosen. Ursprünglich sollten darüber weltweit zunächst zeitgleich Risikogruppen und das medizinische Personal in allen Ländern Zugang zu Impfstoffen erhalten. Doch stattdessen wurde COVAX zu einer Plattform für freiwillige Finanzierungsbeiträge und Impfdosenspenden aus dem globalen Norden. „Globale Impfgerechtigkeit bedeutet: den weltweiten Zugang zu Impfungen sicherzustellen. Dieser kann nicht durch Wohltätigkeit auf Basis von Überschussspenden oder Entwicklungshilfe erreicht werden. Der Zugang zu Impfstoffen gegen eine tödliche Krankheit ist Teil des international anerkannten universellen Rechts auf Gesundheit. (...) Die globale Impfgerechtigkeit ist nicht nur gesundheitspolitisch geboten, die Vertragsstaaten des UN-Sozialpakts sind dazu auch menschenrechtlich verpflichtet (Art. 12 UN-Sozialpakt).“, heißt es im Jahresbericht des DIMR.

Der künstlich verknappte Zugang zu Impfstoffen ist auch epidemiologisch kontraproduktiv. „Niedrige Impfquoten weltweit begünstigen die Entstehung weiterer Virusvarianten, da geringere Immunität in der Bevölkerung dazu führt, dass das Virus sich stärker ausbreitet und dadurch noch gefährlichere oder ansteckendere Mutationen leichter entstehen können“, erklärt IPPNWVorstandsmitglied Robin Maitra, der selbst eine Corona-Schwerpunktpraxis leitet. „Diese Mutationen lassen sich auch nicht regional begrenzen. Die Pandemie lässt sich nur gemeinsam und global bekämpfen. Das ist auch im Interesse der reichen Länder.“

Je länger die Pandemie dauert, desto immenser werden auch die Folgeschäden. „Wir befinden uns in Wirklichkeit in einer Polypandemie“, so Global Health Expertin und IPPNW-Ärztin Katja Goebbels. „Es geht ja nicht nur um die Gesundheitsschäden und Todesopfer, die Covid-19 weltweit kostet, sondern um all die massiven sozialen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden, die die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie vor allem im globalen Süden verursachen.“

Bei der Übernahme des Vorsitzes der G7 hat Deutschland im Januar 2022 einen Schwerpunkt globale Impfgerechtigkeit angekündigt. Versprochen werden eine finanzielle Aufstockung der globalen Impfkampagne über COVAX und Unterstützung beim Aufbau von lokaler Impfstoffproduktion in Entwicklungsländern zusammen mit den Ursprungsherstellern. Mehr alter Wein in neuen Schläuchen: Zu groß scheint die Sorge von Big Pharma und Regierungen des globalen Nordens zu sein, mit der Freigabe der Patente einen Präzedenzfall zu schaffen, der Patente auf essentielle Arzneimittel grundsätzlich infrage stellen könnte.

MITARBEITERINNEN EINER CORONAIMPFPRAXIS AUF MADAGASKAR (2021).

Mehr unter: ippnw.de/bit/impfgerechtigkeit

Anne Jurema ist IPPNW-Referentin für Soziale Verantwortung.

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