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JUrACOn JAhrBUCh 2015/2016 D E umfangreichem Kanzlei- und Law-school-register


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» In einer Wirtschaftsrechtskanzlei wäre ich nicht so gut aufgehoben« Nachgefragt: Das JURAcon-Interview mit Maria Scharlau LL.M., Referentin für Internationales Recht bei Amnesty International Deutschland

frau Scharlau, welcher Weg hat Sie zu amnesty geführt? Ich habe Jura in Münster studiert und während dieser Zeit schon ehrenamtlich bei Amnesty als Asylberaterin gearbeitet. Während meines ganzen Studiums habe ich mich mit dem Bereich Grundrechte/Menschenrechte beschäftigt und alle Kurse, Seminare und Vorlesungen besucht, die zum Thema angeboten wurden. Bei ELSA, der European Law Students’ Organisation, war ich ebenfalls für den Bereich Menschenrechte zuständig, habe Veranstaltungen zum Thema organisiert und Workshops gehalten. Ein Jahr habe ich in Ferrara in Italien studiert und auch dort versucht, Menschenrechte, Europarecht und Verfassungsrecht als Schwerpunkt zu setzen. Nach meinem 1. Staatsexamen in Münster habe ich schließlich meinen LL.M. am College of Europe in Brügge, Belgien, mit Schwerpunkten im Europäischen Verfassungsrecht und Asylrecht gemacht. Während meines Referendariats in Berlin habe ich meine Wahlstation schließlich bei Amnesty absolviert. Ich hatte eine tolle Ausbilderin, die mir spannende Aufgaben gegeben hat, die ich über meine Wahlstation hinaus als freie Mitarbeiterin weiterverfolgen konnte, indem ich zum Beispiel Gutachten verfasste. Schließlich wurde bei Amnesty meine derzeitige Stelle „Internationales Recht“ neu geschaffen, auf die ich mich direkt beworben habe. Meine Richtung hatte ich immer fest im Blick, und dann kam etwas Glück hinzu.

Wie schwierig ist es, eine Wahlstation bei amnesty zu bekommen? Ich rekrutiere inzwischen selbst und befasse mich mit der Auswahl von Bewerbern. Wir führen ein Bewerbungsgespräch – telefonisch oder persönlich – und dabei findet man schnell heraus, ob jemand über eine Basis verfügt und Vorkenntnisse hat, auf denen man aufbauen kann. Wir erwarten keine Spezialkenntnisse, aber eine Art politisches Bewusstsein und

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menschenrechtliche Grundkenntnisse. Man kann also sagen: Man rutscht nicht so durch, kann aber bei vorhandenem Interesse und einigen Grundkenntnissen einen Ausbildungsplatz für die Wahlstation bekommen.

Wie viele referendare nimmt amnesty pro Jahr? Wir unterscheiden nicht streng zwischen Referendaren und Praktikanten. Wir sind vier Volljuristen und beschäftigen neben einer Reihe von Praktikanten fünf bis zehn Referendare pro Jahr. Allerdings hätten wir gerne noch mehr – man merkt Referendaren einfach an, dass sie schon ein Studium abgeschlossen haben! Leider interessieren sich viele Jurastudenten gar nicht für das Thema Menschenrechte. Ehemalige Aushilfen, Praktikanten und Referendare sind natürlich ein beliebter Pool an potenziellen Mitarbeitern, weil sie unsere Struktur schon kennen und wissen, was auf sie zukommt. Wenn man also anpeilt, in diese Richtung zu gehen, ist es unerlässlich, ein Praktikum oder eine Referendarstation zu machen. Wozu braucht amnesty Juristen? Wir haben einen menschenrechtlichen Ansatz. Arbeitsgrundlage sind die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ und die verbindlichen UN-Pakte: der UN-Zivilpakt und der UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Sie bedürfen wie alle Rechtsakte der Auslegung. Es ist ja immer die Frage: Was ist zum Beispiel eine Versammlung? Was ist eine Meinung? Und das ist – nicht nur, aber zunächst einmal – juristische Definitionsarbeit. Auch jetzt bei der NSA- und der allgemeinen Überwachungsdiskussion stellen sich Fragen wie: Was ist überhaupt Privatsphäre? Wann, in welchem Maße und auf welcher rechtlichen Grundlage darf darin eingegriffen werden? Natürlich spielen juristische Argumente auch in

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Gerichtsverfahren eine Rolle, in denen Menschenrechte verteidigt werden. Das ist zwar nicht mein Bereich, aber das macht Amnesty auch: Prozesshilfe für Einzelpersonen und Strategic Litigation, das heißt die Unterstützung bei Gerichtsverfahren mit Grundsatzcharakter. Wir sind hier, zum Glück, nicht nur Juristen, aber vieles an unserer Arbeit ist juristisch: Wir nehmen die Menschenrechte beim Wort!

Geht es so weit, dass amnesty die Strafverteidigung übernimmt und Verfahren in der bundesrepublik anstrengt? Nein, anwaltlich werden wir selbst nicht tätig. Wir bezahlen in bestimmten Fällen die Anwaltskosten, etwa in Asylfällen, die wir für unterstützenswert halten. Unsere Londoner Zentrale ist bei der Unterstützung von Gerichtsverfahren stärker aktiv. Wir leisten eher politische Arbeit, auf der Grundlage von Stellungnahmen und dergleichen. Außerdem informieren wir unsere Mitglieder und motivieren sie, sich für die Amnesty-Forderungen einzusetzen. Worin bestehen Ihre aufgaben? Wir stellen politische Forderungen auf, ganz konkret zum Beispiel: Wir wollen eine namentliche oder numerische Kennzeichnungspflicht für alle Polizisten in Deutschland. Dann adressieren wir mit einer solchen Forderung die Politik, die Akteure selbst, sprich die Polizei. Wir reden mit Medienvertretern, erläutern unseren Standpunkt innerhalb der eigenen Organisation. Das

„Was ist eine Meinung? Das ist zunächst einmal juristische Definitionsarbeit.“

ist dann genau mein Bereich. Ich schreibe zum Beispiel interne Briefings zu diesen Themen: Polizei und Menschenrechte, Schutz gegen Folter, Humanitäres Völkerrecht – wie zum Beispiel die Bewertung von Drohnenangriffen der USA in Pakistan – gehören zu meinem Verantwortungsbereich. Unsere jeweilige Position und Forderung muss ich für den richtigen Adressaten passend aufbereiten, entweder in juristischer Fachsprache oder allgemein verständlich. Um diese Forderungen durchzusetzen, machen wir Lobbyarbeit und adressieren die Verantwortlichen.

man muss Sie sich also am Schreibtisch vorstellen? Ja, überwiegend schon. Aufgelockert eben durch Aufgaben wie Interviews, Gespräche in Ministerien, Netzwerktreffen, Fachgespräche etc.

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ketzerisch könnte man fragen: Ist in deutschland für amnesty eigentlich genug los? Wir sind ja kein Staat mit massenhaften menschenrechtsverletzungen. Wir arbeiten überwiegend nicht mit Bezug zum eigenen Land, sondern zu menschenrechtlich relevanten Situationen weltweit. Das genannte Polizeithema ist eine Ausnahme. Deutschland ist zum Glück kein Land, in dem regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen geschehen, aber natürlich muss die Bundesregierung auch vor der eigenen Haustür kehren, gerade wenn man eine Vorreiterrolle übernimmt. Zum Beispiel kritisieren wir derzeit stark die deutsche Flüchtlingspolitik. Wir beobachten die Entwicklungen genau und haben bis zuletzt versucht, die jüngst im Bundesrat verabschiedete Drittstaatenregelung zu drei Balkanstaaten zu verhindern. Ein anderes Beispiel ist unsere aktu-

„Wir nehmen die Menschenrechte beim Wort!“ elle „Stop-Folter-Kampagne“. Das Zusatzprotokoll der UN-Antifolterkonvention sieht vor, dass jedes Land eine Präventionsstelle einrichtet, die Hafteinrichtungen besucht und dafür sorgt, dass Folter und Misshandlungen gar nicht erst aufkommen. Dazu muss man wissen, dass auch in Deutschland durch Sicherheitskräfte Misshandlungen stattfinden. Nicht systematisch und nicht strukturell, aber es passiert eben. Und nun ist diese Präventionsstelle in Deutschland dermaßen dürftig ausgestattet, dass es im internationalen Vergleich eher eine Schande ist. Auch da legen wir den Finger in die Wunde. Denn auch wenn Deutschland kein ernsthaftes Folterproblem hat, sollte es Vorreiter sein. Außerdem nehmen wir die Bundesrepublik in die Pflicht, über ihre außenpolitischen Beziehungen zu wirken und Folter zu bekämpfen – zum Beispiel in Usbekistan.

Wie sieht die aufgabenverteilung in Ihrer abteilung aus? In meiner Abteilung, in der Regional- und Themenexperten arbeiten, sind wir zwölf Mitarbeiter, davon vier Juristen. Unsere Abteilung stellt das inhaltliche Expertenwissen, während die Abteilung Kampagnen und Kommunikation beispielsweise Öffentlichkeitsarbeit macht. In unserer Abteilung sind fünf Regionalreferenten für alle Regionen der Welt. Während ich mich mit den klassischen Menschenrechten befasse, bearbeitet eine juristische Kollegin von mir die wirtschaftlichen und kulturellen Rechte. Eine Kollegin befasst sich mit Asylrecht und Asylpolitik, und dann haben wir einen Kollegen, der als Jurist Asyleinzelfälle einstuft und bewertet, ob diese unterstützt werden können. könnten Sie Ihre aufgabe auch erfüllen, wenn Sie keine Juristin wären? Das frage ich mich auch manchmal. Einerseits haben viele Themen und Fragestellungen, mit denen ich mich beschäftige, nicht viel mit den Studieninhalten zu tun, die ich einmal gelernt

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habe. Andererseits glaube ich, dass es enorm hilft, mir die juristische Technik und Systematik angeeignet zu haben. Ich denke, es ist eine Voraussetzung für meine Tätigkeit, das Rechtssystem des Staates genau studiert zu haben.

Welche juristischen themen oder Spezialgebiete spielen materiellrechtlich eine rolle? Völkerrecht ist die Arbeitsgrundlage – für mich insbesondere Humanitäres Völkerrecht, also Kriegsvölkerrecht –, dann Internationales Strafrecht sowie Kenntnisse im Strafprozessrecht. Zentral sind natürlich alle Menschenrechtsverträge und ihre Schutzsysteme. Wie viele Vorkenntnisse sollte ein bewerber mitbringen? Solide Kenntnisse im Völkerrecht sollte man sich angeeignet haben, das sollte ein Schwerpunktbereich sein. Die Binnenspezialisierung innerhalb des Völkerrechts kann dann später erfolgen. Wir bekommen auch Bewerbungen von Kandidaten, die Erfahrungen im Internationalen

„Wir wollen eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten in Deutschland.“

Strafrecht, an internationalen Gerichtshöfen und dergleichen gesammelt haben. Darüber freuen wir uns besonders. Eine zu frühe und zu enge Spezialisierung muss aber nicht sein. Wichtig ist auch, den Gesamtüberblick zu wahren, juristisch breit aufgestellt zu sein.

Ist es für Ihre berufsentscheidung wichtig gewesen, eine politische Identität bzw. überzeugung zu haben? Man muss in gewisser Weise ein politischer Mensch sein. Oder anders herum: Weil ich ein politisch denkender Mensch bin, wäre ich in einer Wirtschaftsrechtskanzlei nicht so gut aufgehoben gewesen. Eine parteipolitische Zugehörigkeit ist aber ganz und gar nicht nötig, unser Prinzip ist ja gerade die Überparteilichkeit und Unabhängigkeit. Wichtig ist die persönliche Überzeugung von der Universalität der Menschenrechte. Was war Ihr schwerster fall? Das war just an meinem ersten Arbeitstag: Osama bin Laden war von US-amerikanischen Sicherheitskräften getötet worden, und ich musste in kürzester Zeit eine Stellungnahme dazu verfassen, ob dies völkerrechtskonform war oder nicht. Ein gutes Beispiel übrigens für den Charakter meiner Tätigkeit. Daran gewöhnt, dicke Bretter zu bohren, dachte ich zuerst: Gebt mir

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eine Bibliothek und vier Wochen Zeit, dann sage ich etwas dazu. Aber es musste eben schnell gehen und trotzdem richtig sein. Das ist die Kunst.

zu welchem ergebnis kamen Sie? Die Frage ist immer, ob man wirklich alle Fakten kennt. Die waren am Anfang nicht alle bekannt. Aber soweit wir sie inzwischen kennen, lässt sich sagen, dass die Tötung von Bin Laden gegen das Menschenrecht auf Leben und gegen humanitäres Völkerrecht verstieß. Was zeichnet eine Juristin bei amnesty – außer fachkenntnissen – aus? Politisches Gespür gerade für die Übergänge zwischen Politik und Recht, für strategisches Vorgehen und Handlungsspielräume. In meinem Bereich muss man schnell zu richtigen Einschätzungen kommen. Es gibt eine wahnsinnige Bandbreite an Aufgaben, im Zweifel wollen alle gleichzeitig etwas von einem. Man muss sehr gut priorisieren können und kommunikationsstark sein, weil man mit sehr vielen verschiedenen Adressaten zu tun hat. Wie sieht Ihr weiterer Weg aus? Da ich parallel an meiner Promotion arbeite, würde ich zumindest die nächsten Jahre gerne bei Amnesty bleiben. Meine Lernkurve ist noch ziemlich steil, sodass ich motiviert arbeite. Kollegen von mir sind in Amnesty-Auslandsbüros gewechselt oder ins Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, auch in andere NGOs – aber einen „logischen“ Karriereverlauf gibt es nicht. das Interview führte: Falk schornstheimer Coach und Berater · Frankfurt am Main

marIa Scharlau p 2000 bis 2006 Jurastudium in Münster p 2003/2004: Auslandsstudium in Ferrara, Italien p 2006 1. staatsexamen in nordrhein-Westfalen p 2006/2007: LL.M. am College of europe in Brügge, Belgien p referendariat in Berlin, Verwaltungsstation in

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der europaabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums, Anwaltsstation im Öffentlichen recht bei Freshfields Bruckhaus deringer, Wahlstation bei Amnesty International p 2010 2. staatsexamen in Berlin p seit 2011 bei der deutschen sektion von Amnesty International

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