A N DR E A S C A H N ( H R S G.)
JAHRBUCH DA S K AR R I E R E H A N D B U C H F Ü R J U R I S T E N
2012 /2013 Leseprobe 10: "Anwaltsstation in einer internationalen Großkanzlei"
erfahrungsberichte
Anwaltsstation in einer internationalen großkanzlei von Wiebke Carstensen
Der erste Kontakt erfolgte über Zwischen Mai und september 2011 absolvierte Wiebke eine Bewerbermesse für JurisCarstensen ihre Anwaltsstation im Bereich Kartellrecht einer ten. Durch Kurzinterviews hatte amerikanischen großkanzlei. Da sie durch eine nebenich die großartige Gelegenheit, tätigkeit in einer anderen Kanzlei bereits erfahrungen im viele interessante Kanzleien in Kartellrecht gesammelt hatte, wollte sie nun durch die kurzer Zeit kennenzulernen. Der Anwaltsstation herausfinden, ob die Arbeit in diesem Bereich, erste Eindruck in dem Gespräch insbesondere in einer großkanzlei, eine Jobperspektive für sie mit einem Partner von Cleary darstellen könnte. Gottlieb Steen & Hamilton war direkt positiv, und schon kurz darauf hatte ich ein weiteres Gespräch im Kölner nommen und betreut. Man brauchte sich nicht zu scheuen, auch später noch das eine oder andere Büro der Kanzlei. Mal nachzufragen. Dieses war im Gegensatz zu einigen anderen Bewerbungsgesprächen, die ich zuvor gehabt Mittags hatte ich einen Welcome-Lunch, bei dem hatte, recht lang und intensiv. Ich sprach nachei- ich ganz ungezwungen mit zwei Associates reden nander mit einer Partnerin und drei Anwälten. Die konnte und ein paar nützliche Tipps für den EinGespräche waren ausgesprochen angenehm und stieg bekam. In meiner Kanzlei duzten sich alle, was entspannt. Weder wurde juristisches Wissen abge- sicher typisch amerikanisch ist. Auch wenn man sich fragt, noch wurden einschlägige Erfahrungen in am Anfang etwas scheut, gewöhnt man sich schnell dem angestrebten Fachbereich erwartet. Es ging daran. Ich habe es als etwas sehr Positives empfuntatsächlich hauptsächlich um ein erstes Kennenler- den, da man sich direkt dazugehörig fühlte. nen und darum, ob beide Seiten das Gefühl hatten, ich würde ins Team passen. Im Anschluss wurde ich AUfGABenstellUnG GenAU BespRechen noch durch die Kanzlei geführt und unter ande- Meine Aufgaben waren sehr vielfältig und umfassrem den Referendaren vorgestellt, die zu dieser Zeit ten viele Bereiche des Kartellrechts, mit denen ich gerade eine Station absolvierten. Mit ihnen konn- vorher noch nicht in Berührung gekommen war. te ich auch kurz reden und nach ihrer Zufrieden- Neben allgemeinen Rechercheaufgaben und klasheit fragen. Mir gefiel diese Art des Vorstellungsge- sischen Marktabgrenzungen durfte ich gegen Ende sprächs sehr gut, weil ich direkt einen Gesamtein- meiner Station auch ganze Schriftsätze in einem druck von der Kanzlei, dem Team und dem generel- großen Schadensersatzverfahren verfassen. len Arbeitsklima erhielt. Meine Aufgaben bekam ich von unterschiedlichen eInstIeG In DIe GRosskAnZleI Der erste Tag Anwälten und auch mal direkt vom Partner. So habe war vollgepackt mit Computertraining, Bibliotheks- ich die verschiedensten Arbeitsstile kennengelernt führung und Einführung in die unterschiedlichen und musste mich mit unterschiedlichen AnfordeRecherche- und Archivierungssysteme. Neben den rungen auseinandersetzen. Die Aufgaben variierten ganzen Namen, die man sich auf einen Schlag mer- in Umfang und Intensität sehr, was man manchken musste, galt es, ganz schön viele Informatio- mal nicht von Anfang an abschätzen konnte. Es ist nen zu verarbeiten. Jede Großkanzlei hat ihre eige- daher immer wichtig, mit dem jeweiligen Anwalt nen Systeme und Abläufe, in die man sich aber im Vorhinein den Erwartungshorizont in inhaltlicher sehr schnell einfindet. Ich fühlte mich gut aufge- und zeitlicher Hinsicht genau abzuklären. Ansons-
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Anwaltsstation in den USA
ten vertieft man sich womöglich in Details einer umfangreichen Recherche zu einer Frage, obwohl es eher um eine möglichst schnelle Antwort geht, um den Mandanten zufriedenzustellen. Wenn man merkt, dass man bei einer Aufgabe nicht weiterkommt, sollte man sich meiner Erfahrung nach bloß nicht scheuen, noch einmal bei dem jeweiligen Anwalt nachzufragen. Manchmal handelt es sich einfach um ein Missverständnis oder es stellt sich heraus, dass der Anwalt selbst schon erfolglos recherchiert hat, sodass es gar nicht überraschend ist, dass man nichts zu der Frage gefunden hat.
die eine oder andere spannende Aufgabe außerhalb des Kartellrechts erledigen durfte. Dabei habe ich, obwohl die klassische Großkanzleitätigkeit ja nicht unbedingt examensrelevant ist, durchaus einige Dinge gelernt, die mir auch im Referendariat von Nutzen waren.
Spezialisierte und spannende Aufgaben Die Mandate in einer Großkanzlei sind natürlich sehr umfangreich und man kann in den fünf Monaten in der Regel keinen Fall von Anfang bis Ende mitverfolgen. Man muss sich darauf einstellen, sehr spezialisiert zu arbeiten und zum Teil zu einer vermeintlich Stets wichtig bei Aufgaben: mit dem kleinen Frage mal ein paar jeweiligen Anwalt im Vorhinein den Erwartungs Tage zu recherchieren. Das horizont in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht ist sicherlich nicht mit dem genau abzuklären. „Tagesgeschäft“ eines Einzelanwalts zu vergleichen. Dafür sind die Mandanten große Unternehmen und Nichts ist jedenfalls schlimmer als stur weiterzuma- die Beratung ist sehr intensiv und spannend. Nicht chen, obwohl man sich nicht sicher ist, auf der rich- selten tauchen Fälle in der Zeitung auf, an denen tigen Fährte zu sein. Diese Zeitverschwendung ist man selbst oder die Kanzlei gerade arbeitet. weniger verzeihlich als eine nochmalige „dumme“ Nachfrage bei dem auftraggebenden Anwalt. Die Arbeit in „meiner“ Kanzlei erfolgte zu etwa 80 Prozent auf Englisch. Davor braucht man aber Hilfreich: Feedback und konstruktive keine Scheu zu haben, man findet sich sehr schnell Kritik Ich hatte das Glück, fast immer ein schnel- auch in die Fachbegrifflichkeiten ein. Es ist zwar les Feedback zu meinen Arbeiten zu bekommen, sicher vorteilhaft, schon vorher einmal länger im was ich als guten Lerneffekt empfunden habe. Ausland gewesen zu sein, aber ein Muss ist es Auch wenn ich mal etwas abgeliefert habe, womit nicht. Wir haben sehr oft mit unseren Kollegen in der jeweilige Anwalt nicht hundertprozentig zufrie- den ausländischen Büros kooperiert, was mir gut den war, habe ich doch immer konstruktive Kritik gefallen hat. Ich lernte auf diese Weise unterschiedbekommen. Bei allen Anwälten und auch Partnern liche Arbeitsweisen und verschiedenste Persönlichhatte ich den Eindruck, dass sie mir wirklich etwas keiten kennen. Der Anspruch meiner Aufgaben hat beibringen wollten und sich über gute Ergebnisse sich zudem stetig gesteigert, sodass es immer neue umso mehr freuten. Herausforderungen gab. Je länger ich an einem Mandat mitgearbeitet habe, desto mehr habe ich Gelegentlich kamen auch Anfragen von Anwälten mich auch mitverantwortlich gefühlt und hatte das aus den anderen Fachbereichen, sodass ich auch Gefühl, Teil des Teams zu sein.
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Erfahrungsberichte
Programm für Referendare Die Kanzlei von Cleary Gottlieb Steen & Hamilton hat – da sie in Deutschland eher klein und nur mit zwei Büros vertreten ist – kein festes Programm für Referendare, wie es in vielen anderen Großkanzleien üblich ist. Allerdings fanden fast wöchentlich interessante Video- und Telefonkonferenzen der unterschiedlichen Fachbereiche mit den Kollegen des New Yorker und des Brüsseler Büros statt, zu denen die Referendare immer herzlich eingeladen waren. Dabei wurden interessante Vorträge gehalten und es wurde über aktuelle Fälle berichtet. Bei einem mindestens monatlich stattfindenden Treffen der Fachgruppe Kartellrecht hielten teilweise auch Referendare kleine Vorträge zu aktuellen Themen, an denen sie gerade arbeiteten.
te. Die Mittags- und nachmittägliche Kaffeepause haben Referendare und wissenschaftliche Mitarbeiter zudem fast immer gemeinsam verbracht. Manchmal sind auch einige Anwälte dabei gewesen, sodass man sich auch mal ganz ungezwungen außerhalb der Arbeit unterhalten konnte. Außerdem hat die Kanzlei ein Fußballteam, das mehr oder weniger regelmäßig einmal in der Woche trainiert und einmal im Jahr an einem Fußball-Cup verschiedener Kanzleien teilnimmt. Einsatzbereitschaft zahlt sich aus Die Arbeitszeiten der Referendare sind normalerweise von 9.00 Uhr bis etwa 19.00 Uhr. Es kann durch-
Jedem Referendar stand Die zeitaufwendigen Mandate waren ein Anwalt als Mentor zur auch die interessantesten. Zwar erwartet Seite. An diesen konnte niemand von Referendaren, bis spät in man sich, auch außerhalb die Nacht zu arbeiten, aber Einsatzbereitschaft konkreter Aufgaben, mit wird positiv bemerkt. allen Fragen und Problemen wenden. In der Regel bekam man auch die ersten Aufgaben von seinem Mentor, sodass man nicht während der ersten Tage aus passieren, dass man auch länger arbeitet, wenn ohne Aufgabe dasaß, sondern direkt einsteigen etwas Wichtiges ansteht. Ich habe das nicht als konnte. Außerdem fanden regelmäßig Referendar schlimm empfunden, weil die zeitaufwendigen abende mit aktuellen und ehemaligen Referenda- Mandate auch immer die interessantesten waren. ren, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Anwäl- Zwar erwartet eigentlich niemand ernsthaft von Referendaren, dass sie bis spät in die Nacht arbeiten statt. ten, aber Einsatzbereitschaft wird auf jeden Fall Gutes Team, auch auSSerhalb des Büros positiv bemerkt. Ich hatte ein sehr schönes großes Büro, das ich mit zwei anderen Referendaren beziehungsweise Umgekehrt kann es auch durchaus einmal vorkomwissenschaftlichen Mitarbeitern teilte. Dass man men, dass man nichts mehr zu tun hat. Es stellt sich nicht alleine saß, fand ich sehr angenehm. Man dann immer die Frage, wie man damit umgeht. konnte sich austauschen, und gerade am Anfang Meiner Erfahrung nach sollte man in jedem Fall war es sehr gut, jemanden zu haben, der bei den nachfragen, ob nicht noch jemand eine Aufgabe typischen Einstiegsschwierigkeiten helfen konn- hat. Wenn dann wirklich nichts zu tun ist – was
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aber eher der Ausnahmefall sein dürfte –, muss man sicherlich nicht sinnlos Zeit totschlagen. Allerdings kommt es eher nicht so gut an, deutlich vor 18.30 Uhr nach Hause zu gehen.
für das Referendargehalt zugelassenen Kappungsgrenze betrug, wurde sie gesplittet und ich erhalte die andere Hälfte während der Tauchzeit. Dies ist durchaus üblich.
Tauchen zwischen Arbeiten und Lernen
Die GroSSkanzlei: ein Platz für Die meisten Großkanzleien bieten verschiede- Teamplayer Die Anwaltsstation in einer Großne Tauch-Modelle an, die zwischen vier und sechs kanzlei zu absolvieren, ist sicher nicht für jeden Monaten Arbeit und den Rest Lernzeit bedeuten. sinnvoll. Wer gerne die „klassische“ Arbeit des In meiner Kanzlei war es üblich, fünf Monate Voll- Anwalts kennenlernen und insbesondere die Erfahzeit, also jeden Tag außer dem AG-Tag, zu arbeiten rung sammeln möchte, als Anwalt vor Gericht zu und den Rest zu tauchen. In meinen Augen ist das stehen, ist hier nicht gut aufgehoben. Insbesondere ein sinnvolles Modell, denn für Leute, die gerne in die wirklich interessanim Team arbeiten ten Aufgaben wird man und vielleicht schon Zu empfehlen ist die Großkanzlei nur vollwertig mit einbezoInteresse an einem besonders Leuten, die gerne im gen, wenn man über einen bestimmten RechtsTeam arbeiten und eventuell schon längeren Zeitraum voll mitgebiet haben, ist die Interesse an einem bestimmten arbeiten kann. Auch wenn Großkanzlei jedoch Rechtsgebiet haben. es manchmal stressig war, zu empfehlen. hat es mir sehr viel Spaß Für mich persönlich gemacht, und nur durch war die Entscheidiese intensive Mitarbeit über mehrere Monate habe ich den Einblick erhal- dung, meine Anwaltsstation in einer Großkanzlei zu machen, jedenfalls die richtige. Vom Teamgefühl ten, den ich mir vorgestellt hatte. und von der Freundlichkeit der Leute war ich positiv Man muss sich natürlich darüber im Klaren sein, überrascht. Die Art der Arbeit und die Herausfordass man in den Arbeitsmonaten so gut wie gar derung haben mir sehr viel Spaß gemacht und ich nicht zum Lernen nebenher kommt. Dafür wird kann mir jetzt gut vorstellen, nach dem Examen in man aber durchaus stattlich vergütet. Da die einer solchen Kanzlei anzufangen. Bezahlung in meinem Fall etwa das Doppelte der
Wiebke Carstensen LL.M. · Referendarin am Landgericht Düsseldorf
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