JURAcon Jahrbuch 2012/2013: Leseprobe 3

A N DR E A S C A H N ( H R S G.)

JAHRBUCH DA S K AR R I E R E H A N D B U C H F Ü R J U R I S T E N

2012 /2013 Leseprobe 3 : "Auf eigenen Beinen: Die Gründung einer Boutique-Kanzlei als Karriereoption"

praxisbeiträge

Auf eigenen Beinen: Die gründung einer BoutiqueKanzlei als Karriereoption von Dr. Lars friske Endlich sein eigener Chef sein. nach sieben Jahren in der großkanzlei freshfields BruckDen freien Beruf des Anwalts so haus Deringer LLP gründete ich Anfang 2010 zusammen mit ausüben, wie man dies für richdrei weiteren Partnern Metis Rechtsanwälte LLP, eine auf tig hält, und nur dem Mandangesellschaftsrecht und Arbeitsrecht spezialisierte Boutiqueten gegenüber verantwortlich Kanzlei in frankfurt am Main. Doch woher kam der damalige sein. Fast jeder, der sich für den Antrieb zu dieser entscheidung und was sollte man bei einer Anwaltsberuf interessiert oder solchen gründung unbedingt bedenken? bereits entschieden hat, denkt irgendwann einmal über den Schritt in die Selbstständigkeit nach. Mit der Anwaltszulassung in der Hand kann nicht für aussichtsreich. Und drittens braucht es ein sich jeder für ein paar Euro ein Messingschild anfer- Team von Gründern, das sich fachlich und menschtigen, Visitenkarten lich absolut vertraut. Ohne eine gewisse kritische drucken lassen und Masse wird man am Markt als neuer Spieler kaum seine anwaltliche ernst genommen werden.

Tätigkeit aufnehmen. Die Frage ist Es verwundert daher nicht, dass die häufigste Form nur, ob ein solches der Gründung neuer Wirtschaftskanzleien in der Unterfangen auch von Erfolg gekrönt ist. Diese Form von Abspaltungen – sogenannten Spin-offs Frage stellt sich ganz besonders im Bereich Wirt- – von Großkanzleien erfolgt. Prominente Beispiele schaftsrecht, einem der am härtesten umkämpften erfolgreicher Neugründungen in letzter Zeit waren Anwaltsmärkte. in Frankfurt METIS Rechtsanwälte LLP und Wendelstein, in Hamburg Voigt Wunsch Holler oder wAs es BRAUcht: DReI GRUnDVoRAUsDittmar Michelsen Mosch, in Düsseldorf Arnold setZUnGen Die Gründung einer auf Wirtschafts- Ruess und in München Gütt Olk Feldhaus. All dierecht spezialisierten Kanzlei erfordert nach meiner sen Einheiten ist gemeinsam, dass sie von erfahreErfahrung neben vielen Details vor allem drei Dinge: Erstens setzt sie wie jede Kanzleigründung eine akribische Den freien Beruf des Anwalts so ausüben, Vorbereitung mit ausreichend Vorlauf wie man dies für richtig hält, und voraus. Zweitens ist im Bereich Wirtnur dem Mandanten verantwortlich sein. schaftsrecht eine gewisse BerufserFast jeder, der sich für den Anwaltsfahrung der Gründer unverzichtbar. beruf interessiert oder bereits entschieden Erst diese verschafft einem die nötige hat, denkt irgendwann einmal über fachliche Expertise, die die Unternehden Schritt in die Selbstständigkeit nach. men als Mandanten von einer Wirtschaftskanzlei zu Recht erwarten und die weder im Studium noch im Referendariat vermittelt wird, sowie das berufliche Netz- nen Anwälten aus internationalen Großkanzleien werk von Kontakten, auf das man nach der Grün- gegründet wurden und mit dem Anspruch angetredung zurückgreifen kann. Die Gründung einer Wirt- ten sind, in einer kleineren Einheit auf dem Niveau schaftskanzlei durch Berufseinsteiger halte ich daher der Großkanzlei zu beraten.

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Gründung einer Boutique-Kanzlei

Kein einfacher Weg, aber es lohnt sich

den: Für welche Mandanten habe ich ein attraktives Warum gibt es eigentlich nicht viel mehr Kollegen, Angebot? Was kann ich besser als meine Wettbedie diesen Weg gehen? Man muss sich zunächst werber? Wo sind Nischen, in die ich stoßen kann? klarmachen, dass es kein bequemer Pfad ist, den Wie sorge ich dafür, dass der Markt auch davon man da einschlägt. Um alles, was einem in einer erfährt, was ich zu bieten habe? Mit welchen Partgroßen Wirtschaftskanzlei ganz selbstverständlich nern kann ich zusammenarbeiten? Welche Rechtsund geräuschlos abgenommen wird, muss man sich form soll die Kanzlei haben? Welchen Namen soll in seiner eigenen Kanzlei zunächst selbst kümmern. die Kanzlei tragen? Wie finanziere ich die nicht Es gibt keine IT-Abteilung, kein Empfangsteam, unerheblichen Gründungskosten für IT, Telefonankein Office Management, kein Marketing, keine lage, Bibliothek, Büromöbel, Website usw.? Was Buchhaltung. Für all dies lassen sich auch in einer für Fördermöglichkeiten gibt es, zum Beispiel Exiskleineren Einheit gute und effiziente Lösungen fin- tenzgründungskredite der Kreditanstalt für Wiederden, aber es kostet Zeit und Nerven, sich damit aufbau (KfW) oder den Existenzgründungszuschuss auseinanderzusetzen. Jeder Gründer wird hier seine der Bundesagentur für Arbeit? Und nicht zuletzt: eigenen Erfahrungen sammeln müssen und dabei sicherlich auch an der einen oder anderen Stelle Lehrgeld Eine Kanzlei zu gründen heißt wirklich zahlen.

unternehmerisch zu denken. Es geht nicht mehr nur um die Lösung juristischer Probleme – obwohl dies sicherlich nach wie vor wichtiger Teil der Tätigkeit bleibt.

Zudem erfordert eine Gründung auch ein hohes Maß an Risiko- und Verantwortungsbereitschaft. Statt berechenbarer monatlicher Einkünfte gibt es zukünftig wie bei jedem anderen Selbstständigen die Ungewissheit, welches Ergebnis am Ende eines Monats oder Jahres in den Büchern steht. Wer schon schlecht schläft, wenn das Aktiendepot mal um 5 Prozent sinkt, ist daher wohl kaum der richtige Typ für die Selbstständigkeit. Zudem muss man auch bereit sein, Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere zu übernehmen, denn als Kanzleigründer wird man vom Angestellten zum „Chef“ – mit allen Konsequenzen.

Vom Juristen zum Unternehmer

Eine Kanzlei zu gründen heißt wirklich unternehmerisch zu denken. Es geht nicht mehr nur um die Lösung juristischer Probleme – obwohl dies sicherlich nach wie vor wichtiger Teil der Tätigkeit bleibt. Daneben hat man auch ein Unternehmen zu führen und muss Antworten auf Fragen wie die folgenden fin-

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Welchen Preis kann ich für meine Dienstleistung am Markt nehmen? Es sind viele Stunden, die man mit der Beantwortung solcher Fragen zubringt, um am Ende ein schlüssiges Konzept zu haben, hinter dem alle Gründer gemeinsam stehen.

Ich will ehrlich sein: So manches Mal im Gründungsstadium habe ich mir die Frage gestellt, warum ich mir das alles angetan habe. So zum Beispiel, als nach einem Windows-Update der gesamte Server gerade dann ausfiel, als ein wichtiger Vertrag eilig fertiggestellt werden musste, oder als ich mich kurz nach der Geburt meiner Tochter am Wochenende durch einen Berg von administrativen Dingen wühlen musste, statt Zeit zu Hause zu verbringen. Dennoch fällt mein Fazit nach knapp zwei Jahren ganz eindeutig aus: Es lohnt sich! Denn es ist ­unglaublich

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Gründung einer Boutique-Kanzlei

befriedigend, in einem Umfeld zu arbeiten, das man täglich selbst entscheidend mitgestalten kann.

Und es ist ungleich motivierender, sich ein Mandat selbst erarbeitet zu haben, als es einfach als Angestellter auf den ohnehin vollen Schreibtisch gelegt bekommen zu haben. Und auch wenn das nicht das Wichtigste sein mag: Ich genieße es nach wie vor, an Tagen, an denen ich keine Mandantentermine habe, selbstverständlich mit Jeans ins Büro zu kommen.

Vieles spricht für die kleinere Einheit Fazit: Wer als Berufseinsteiger eine anwaltliche Tätigkeit im Bereich Wirtschaftsrecht in Erwägung zieht, sollte sich frühzeitig und ernsthaft mit dem Phänomen Boutique-Kanzlei auseinandersetzen. Denn zum einen ist die Gründung einer solchen Kanzlei für manchen vielleicht eine Option für den späteren Karriereweg, die man rechtzeitig vorbereiten und bei der Karriereplanung im Auge haben sollte. Aber auch dem Berufseinsteiger ohne konkrete Gründungspläne bieten kleinere Einheiten ausgezeichnete Perspektiven. Der Charme solcher Kanzleien liegt sicherlich in der persönlicheren Atmosphäre. Anders als in der Großkanzlei hat man hier nie das Gefühl, eine „Nummer“ zu sein, sondern kann von Anfang an mitgestalten. Auch bei der Mandatsarbeit ist die Chance in der kleineren Einheit deutlich höher, sofort eigenverantwortlich und sichtbar in die Mandate eingebunden zu werden, während in der Großkanzlei anfangs oft nur eine vorbereitende Mitarbeit im Hintergrund erfolgt. Und zumindest bei den als Spin-off von Großkanzleien entstandenen Kanzleien muss man auch bei der Attraktivität und Internationalität der Mandate keine Abstriche machen.

Übrigens spricht auch das heute bei Berufseinsteigern immer mehr im Vordergrund stehende Thema Work-Life-Balance für die kleinere Einheit. Sicherlich wird man als Wirtschaftsanwalt immer überdurchschnittlich viel arbeiten. Eine Boutique-­Kanzlei

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kann jedoch viel leichter als die Großkanzlei für unterschiedliche Lebenskonzepte flexible Antworten finden. Auch das „up or out“-Prinzip der Großkanzleien, das guten Mitarbeitern, die jedoch nicht Partner werden können oder wollen, den weiteren Verbleib im Unternehmen versagt, findet sich in den Boutique-Kanzleien nicht.

Mit Sicherheit nicht geringer als bei den Großkanzleien ist allerdings das Anforderungsprofil von Boutique-Kanzleien. Da diese mit den internationalen Großkanzleien qualitativ mithalten wollen, müssen sie ebenso großen Wert auf hervorragende Examina und ausgezeichnete Englischkenntnisse legen.

GroSSkanzlei oder kleinere Einheit?

Letztlich ist die Entscheidung zwischen Großkanzlei und kleinerer Einheit aus meiner Sicht vor allem eine Typfrage. Jeder Berufsanfänger, der seinen Weg als Wirtschaftsanwalt gehen möchte, sollte sich frühzeitig fragen, ob er sich langfristig eher in einer großen oder in einer kleineren Einheit sieht. Und wer schon zu Beginn seines Berufslebens weiß, dass er mittelfristig nicht der Typ für die Großkanzlei ist, sollte sich fragen, ob sich der Umweg für ihn lohnt oder ob er seine ersten Berufserfahrungen nicht ebenso gut oder sogar besser in einer kleinen Boutique-Kanzlei sammeln kann. Engagierten Kandidaten mit dem Willen, etwas zu gestalten, bieten sich hier exzellente Perspektiven. Es lohnt sich also ein näherer Blick, gute Gelegenheiten hierfür sind Referendariatsstation, Nebentätigkeit oder Praktikum.

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