JURAcon Jahrbuch 2012/2013: Leseprobe 7

A N DR E A S C A H N ( H R S G.)

JAHRBUCH DA S K AR R I E R E H A N D B U C H F Ü R J U R I S T E N

2012 /2013 Leseprobe 7: "Juristische Karrieren in der Europäischen Kommission"

Karrierethemen

Juristische Karrieren in der Europäischen Kommission von Prof. Dr. Frank Hoffmeister

Die Auswahlverfahren werden vom Europäischen Amt für Personalangelegenheiten (EPSO) zentral durchgeführt. Juristen haben hier die Wahl, ob sie an einem allgemeinen Verfahren für Verwaltungsräte teilnehmen möchten oder ein spezielles Verfahren für Juristen durchlaufen wollen.

Die Europäische Kommission bietet für junge deutsche Juristen ein breites Feld an interessanten Tätigkeiten mit guten Aufstiegschancen im europäischen Beamtenverhältnis an. Voraussetzung ist die Absolvierung eines strengen Auswahlverfahrens sowie die Bereitschaft, seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt nach Brüssel zu verlegen.

Das Nadelöhr des allgemeinen Verfahrens Die allgemeinen Verfahren werden naturgemäß von einer weit höheren Anzahl von Hochschulabsolventen belegt, wodurch es einen sehr starken Wettbewerb gibt. Am Ende steht allerdings die Befähigung, sich für ein breites Feld an Posten zu bewerben, die nicht auf Juristen zugeschnitten sind. Viele Generaldirektionen sind gleichwohl an jungen Verwaltungsräten mit juristischer Ausbildung interessiert. Dies gilt etwa für die Bereiche Wettbewerb, Binnenmarkt, Umwelt und Klimaschutz, Verkehr, Energie und natürlich Justiz und Inneres. Wer also durch das enge Nadelöhr eines allgemeinen Verfahrens schlüpft, hat danach durchaus gute Aussichten, seine juristischen Fähigkeiten in einer Generaldirektion als Verwaltungsrat einzubringen. So habe ich persönlich zunächst in der Generaldirektion Erweiterung gearbeitet, wo es naturgemäß eine Fülle von juristischen Fachfragen gab, die später ihren Niederschlag im Beitrittsvertrag der neuen Mitgliedstaaten gefunden haben.

Zugleich ist man in einer Generaldirektion voll in die Entwicklung der Fachpolitik eingebunden, was mit einer Tätigkeit als Beamter in einem Bundes­ ministerium vergleichbar ist.

Das spezielle Verfahren: Europarecht ein Muss Davon zu trennen sind spezielle Ver-

fahren für Juristen, die anschließend insbeson­ dere zu einer Einstellung in den Juristischen Dienst ­befähigen. Dieser Dienst besteht ausschließlich aus

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Juristen aller Mitgliedstaaten und berät die General­ direktionen sowie das Kollegium der Kommissare.

Es handelt sich also um eine spezialisierte Tätigkeit, bei der sehr gute Kenntnisse im Europarecht vorausgesetzt werden. Ein gutes institutionelles Grundverständnis sowie ein breiter Wissensstand bezüglich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu den zentralen Sachgebieten der Union müssen daher im Verfahren dargelegt werden. Anders als beim allgemeinen Verfahren ist die Anzahl der Bewerber nicht so enorm hoch, und aufgrund der guten juristischen Ausbildung in Deutschland haben erfahrungsgemäß deutsche Kandidaten mit Wahlfach Europarecht gute Chancen, sich durchzusetzen. Das besondere „Bonbon“ des Juristischen Dienstes besteht darin, dass man bereits als junger Mitarbeiter hohe Verantwortung tragen sowie die Kommission in Verfahren vor dem EuGH vertreten kann.

In beiden Verfahrensarten gibt es eine schriftliche und eine mündliche Phase. Hierbei ist die verhandlungssichere Beherrschung einer EU-Fremdsprache ein absolutes Muss. Wer darüber hinaus in einer zweiten EU-Fremdsprache dem Auswahlausschuss antworten kann, verbucht in der Regel ein weiteres Plus. Am Ende des Verfahrens steht die Qualifizierung, sich für offene Posten konkret zu bewerben.

Dies kann noch einmal erhebliche Anstrengungen erfordern. Wer jedoch auf einer Auswahlliste steht, kann sich auch an das Auswärtige Amt (Ständige Vertretung in Brüssel) wenden, um praktische Hilfestellung zu erhalten.

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Karriere in der Europäischen Kommission

Zwischen Flexibilität und Anpassung

tion wie in das Parlament oder in den Rat. Denn für Nach einer Probephase von neun Monaten wird offene EU-Posten kann sich jeder Kollege bewerein neuer Kollege in der Regel als Beamter mit ben, der die erforderlichen Qualifikationen mitdem Grad AD 5 und einem Anfangsgehalt von bringt. Das gilt auch für den Juristischen Dienst der circa 4.350 Euro steuerfrei eingestellt. Arbeitsort ist Kommission. So ist es möglich, aus einer GeneraldiBrüssel, und im täglichen Umgang arbeiten Kolle- rektion heraus in den Juristischen Dienst zu wechgen aus mehreren Mitgliedstaaten ständig zusam- seln – wie es zum Beispiel bei mir der Fall war – men. Das bedeutet auch, dass der Vorgesetzte mit hoher Wahrscheinlichkeit einen anderen Pass hat. In meiner zehnjährigen KarDas besondere „Bonbon“ des Juristischen riere kamen die jeweiligen Chefs Dienstes: Bereits als junger Mitarbeiter etwa aus Österreich, den Niederträgt man hohe Verantwortung und vertritt landen, Frankreich und Belgien. mitunter die Kommission in Verfahren vor Hierin liegt aus meiner Sicht eine dem Europäischen Gerichtshof. hohe kulturelle Bereicherung. Auf der anderen Seite wird auch eine gewisse Flexibilität und Anpassung erforderlich. Insbesondere bei juristischen Fragestellungen ist keinesfalls gesi- oder den Juristischen Dienst zugunsten einer Beförchert, dass die deutsche Herangehensweise auto- derungsstelle in einer anderen Generaldirektion zu matisch überzeugt. Stattdessen gilt es, mit guten verlassen. Diese Mobilität befruchtet das ArbeitsleArgumenten und soliden Kenntnissen der europäi- ben und hebt sich etwa von der Ministerialverwalschen Rechtsprechung zu punkten. Je nach Einsatz- tung in Deutschland ab. In Brüssel ist die Anzahl gebiet ist man auch sehr stark der Öffentlichkeit der „Queraufstiege“ wesentlich höher. Gleichwohl oder interessierten Parteien ausgesetzt. Hier gilt darf nicht unterschlagen werden, dass die Luft in es, den von der Hierarchie getragenen Standpunkt den höheren Etagen natürlich dünner wird. Neben der Kommission zu vertreten. Wie bereits erwähnt, den Leistungen spielen für Managementfunktionen heißt das für Kollegen aus dem Juristischen Dienst, auch Fragen der geographischen Ausgewogenheit, auch Schriftsätze für den EuGH zu verfassen und in der Sprach- und Sozialkompetenz sowie der FortLuxemburg zu plädieren. Arbeitssprachen sind Eng- bildung in Managementfragen eine wichtige Rolle. lisch und Französisch – außerdem bietet die Kom- Wie in jeder Verwaltung gilt auch hier: Man bedarf eines langen Atems. mission Kurse in weiteren Sprachen kostenfrei an.

Aufstiegschancen: „quer“ und direkt

Die Kommission bietet vielfältige Karrieremöglichkeiten an und betreibt eine aktive Politik zur Frauenförderung. Man kann sich dafür entscheiden, in einer Generaldirektion aufzusteigen – hierbei gilt es im Bestfalle, zehn Beförderungsstufen zu erklimmen. Oder aber man wechselt zwischen den Generaldirektionen oder sogar in eine andere EU-Institu-

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Europapolitik hautnah Eine weitere Besonderheit in der Kommission ist die Nähe zur europäischen Politik. Viele Dienststellen befassen sich mit politischen Vorhaben, die in eine juristische Form gegossen werden. Dadurch ergibt sich die spannende Möglichkeit, als Verwaltungsrat oder Jurist auch in politische Diskussionen einbezogen zu werden. Nicht selten muss ein Sachbearbeiter als

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Karriere in der Europäischen Kommission

„Experte“ bei der Entscheidungsfindung des Kom- ist, seine europarechtlichen Kenntnisse in eine missars behilflich oder bei politischen Treffen auf große Verwaltungsbehörde einzubringen, ist hier höherer oder höchster Ebene anwesend sein. Darüber hinaus gibt es gewisse Posten, die mit einer politischen Verwendung verbunden sind.

In beiden Verfahrensarten zum So hat jeder der 27 Kommissare Auswahl­verfahren in Brüssel gibt es eine eine Anzahl von persönlichen Beraschriftliche und eine mündliche Phase. tern in seinem „Kabinett“. Neben Die verhandlungssichere Beherrschung politischen Vertrauten aus seinem einer EU-Fremdsprache ist ein absolutes nationalen Umfeld sind dies auch Muss, Kenntnisse einer zweiten Kommissionsbeamte, die aufgrund EU-Fremdsprache sind ein weiteres Plus. ihrer Erfahrung und ihrer Kenntnisse zum Zuge kommen können. In der Barroso-II-Kommission hat mehr als die Hälfte der Kommissare sich für mindestens einen deutschen Berater entschie- sicher gut aufgehoben. Als ich 2001 in die Komden, zum Teil gerade wegen ihres juristischen Pro- mission eintrat, konnte ich mir kaum vorstellen, fils. Selbstverständlich ist diese Verwendung zeitlich wie es weitergehen würde. Zehn Jahre später kann begrenzt, das heißt an die Amtszeit des jeweiligen ich sagen, dass ich den Schritt keinen Augenblick bereut habe.

Kommissars gekoppelt.

Der Weg nach Brüssel Auf den ersten Blick mag die Vorstellung von der Europäischen Kommission als Arbeitgeber fernliegen. Aus Erfahrung lässt sich jedoch sagen, dass sich in Brüssel viele ungeahnte Möglichkeiten auftun können. Wer sich für ein internationales Umfeld interessiert und bereit

Weitere Informationen: Details über die Auswahl- und Arbeitsbedingungen in der Kommission sowie über laufende Verfahren bietet die Website von EPSO: http://europa.eu/epso/index_de.htm

Prof. Dr. Frank Hoffmeister Stellvertretender Kabinettschef des EU-Handelskommissars Karel De Gucht Brüssel

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