Juri Zilberman, Sergey Tyschko «Vielleicht wird Wladimir Semjonowitsch helfen könen…».

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Juri Zilberman, Sergey Tyschko

«Vielleicht wird Wladimir Semjonowitsch helfen könen…».

(Kommentar zu einem unbekannten Brief Michail Tschechows an Wladimir Horowitz)


Im Archiv der Yale-Universität (USA) haben wir einen bis jetzt unbekannten und noch nie veröffentlichten Brief, versehen mit dem Datum 18. Juli 1950, des berühmten russischen Schauspielers, Regisseurs und Theaterpädagogen Michail Alexandrowitsch Tschechow an den berühmten Pianisten Wladimir Horowitz entdeckt. Das ist das einzige uns vorläufig zur Verfügung stehende Zeugnis ihres Briefwechsels. Es sei erinnert, daß Michail Tschechow, Neffe von Anton Pawlowitsch Tschechow, ein Gesinnungsgenosse und Anhänger von Stanislawski war und in dem Moskauer Akademischen Künstlertheater spielte, wonach er selbst das Erste Studio des Moskauer Akademischen Künstlertheaters (MChT) führte. 1928 ging er in die Emigration und seit 1939 wohnte in den USA. Dort gründete er seine Schauspielerschule. (Bild 1. M.Tschechow; V.Horowitz, 1953).

Zu seinen Zöglingen gehörten Anthony Quinn, Harry Cooper, Gregory Peck, Clint Eastwood, Merilyn Monroe, Yul Brinner und viele andere. Wir wollen diesen Brief nach den Prinzipien kommentieren, zu denen wir uns früher im Buch „Wanderungen Glinkas“, in einigen Artikeln über Horowitz und jetzt aktiv in einem neuen Buch über den Pianisten bekannt haben. Ihnen liegt der volle Text des Briefes vor: (Bild 2. Der Brief).

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Den 18. Juli 1950 Lieber Wladimir Semjonowitsch(1), ich beginne mit einer Entschuldigung für diesen Brief, aber es ist mir sehr schwer ums Herz. Ich wende mich an Sie, weil ich so gut wie verzweifelt bin. In Paris wohnt mein alter, guter und teurer Freund der Bildhauer Arkadi Bessmertni (2). Er ist ein Krüppel - von Kind auf sind seine Beine gelähmt (3). Als Hitler in Paris einzog, mußte Bessmertni als Jude fliehen (4). Er hatte damals einen dreirädrigen Rollstuhl mit einer Handsteuerung (5). In der Straße war er von einem Lastkraftwagen angefahren worden, der ihm die gelähmten Beine gebrochen und seinen dreirädrigen Rollstuhl zerschlagen hat. Als ich arbeitete und noch Geld hatte, half ich ihm, aber heutzutage bin ich selbst hilflos – habe weder Gesundheit noch Arbeit; mein Freund Bessmertni fleht mich aber um Hilfe – er will sich einen Rollstuhl kaufen, der aber dreihundert Dollar ($ 300-00) kostet (6). Wladimir Semjonowitsch, ich schäme mich sehr, sehe aber keinen anderen Ausweg, obwohl ich sehr lange darüber nachgedacht habe. Neulich wurde ich wach und denke mir: Vielleicht wird Wladimir Semjonowitsch helfen können (7)! Und kurz nach jenem Nachtaufwachen schreibe ich an Sie. Entschuldigen Sie mich um Gottes willen, aber die hoffnungslose Lage meines Freundes läßt mir keine Ruhe. Wenn Sie bereit wären zu helfen, lieber Wladimir Semjonowitsch, gebe ich Ihnen meine Adresse… Auf den ersten Blick kommt das Schreiben Tschechows an Horowitz ziemlich paradox vor: sowohl jene merkwürdige Anrede Wladimir Semjonowitsch (Horowitz hieß ja Wladimir Samojlowitsch) als auch der Hauptheld der Erzählung – der wenig bekannte, von Kind auf gelähmte Bildhauer Arkadi Bessmertni (sein Name erschien nie zusammen mit Horowitz); alle Einzeilheiten mit dem Lastkraftwagen, der den Rollstuhl beschädigt hat, die gebrochenen Beine – das alles wirkt dramatisch, diese Details vermitteln jedoch nichts Neues in Bezug auf das Verständnis der wechselseitigen Beziehungen zwischen zwei großen Künstlern. Anhand dieses kurzen Briefes lassen sich jedoch einige unseres Erachtens interessante Beobachtungen über den Charakter der Beziehungen, Stimmungen und des Umgangs im Milieu der russischen Emigration in einem lokalen Querschnitt wie beispielsweise im „Dreieck“ Wladimir Horowitz - Michail Tschechow – Sergej Rachmaninow machen. Es geht dabei um einen Bereich, der bis heute an die Peripherie der biographischen Forschungen gerückt war – die Veranlagung aller drei zur Wohltätigkeit. Die Beziehungen zwischen Horowitz und Tschechow hatten eine ziemlich lange Geschichte und zeichneten sich in allen Etappen ihrer Bekannschaft durch Wärme und ungewöhnliche Vertraulichkeit aus – von ihrem ersten persönlichen Treffen noch in den jungen Jahren, als sie an gemeinsamen Konzerten in Moskau teilnahmen, bis zu den 30er Jahren, als sie beide in die Einfluß- und Charmesphäre des Rachmaninows Genies gerieten, und später in den USA, in den Jahren des Zweiten Weltkrieges. Dabei blieben weder Rachmaninow noch Horowitz teilnahmslos gegenüber Tschechow in Amerika. 1941 geriet das New-Yorker 3


Studio von Tschechow sowie sein Begründer selbst in eine bedrängte finanzielle Lage. Im nächsten Frühling 1942 empfahlen ihn Rachmaninow, Horowitz und Heifetz einflußreichen Personen in Hollywood und trugen somit zu seiner erfolgreichen Karriere in der kinematographischen Hauptstadt Amerikas bei. 1942 siedelte Tschechow auf Rachmaninows Rat nach Kalifornien (Beverly Hills) über und wohnte ganz in der Nachbarschaft mit Sergej Wassiljewitsch. Horowitz brachte den Sommer 1942 und den Winter 1943 auch dort zu, und genauso in der Nähe der Rachmaninows Villa. Obwohl wir in Briefform bzw. in Memoiren keine Erwähnungen der persönlichen Treffen zwischen Horowitz und Tschechow zu jener Zeit entdeckt haben, ist es kaum zu glauben, daß sie in Beverly Hills keinen Umgang miteinander hatten – wenn man insbesondere den bis zu Ende seines Lebens immer zunehmenden Drang Rachmaninows zu seinen Landsleuten in Betracht zieht. Auch der vorliegende Brief läßt natürlich keinen Zweifel daran, daß die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Horowitz und Tschechow auch in den Nachkriegsjahren andauerten. Gehen wir aber unmittelbar zu unserem Kommentar über. 1. Es fällt im Text sofort auf, daß Tschechow Horowitzs Vatersnamen unverkennbar falsch nennt – „Semjonowitsch“. Es ist schwer zu urteilen, warum er sich hier so verwickelt und dazu den Fehler sogar viermal (!) im Rahmen eines ziemlich kurzen Briefes wiederholt hat. Horowitz hatte sich eigentlich an solche Lapsus gewöhnt – beispielsweise nannte ihn der Pianist und Dirigent Wladimir Aschkenasi nicht anders als „Wladimir Israilewitsch“! Hier können wir in diesem Zusammenhang nur Vermutungen hegen. Man könnte solche Anrede an Horowitz für Vergeßlichkeit, aber kaum für einen elementaren Schreibfehler halten. Um so mehr, daß wir in den umfangreichen „russischen“ Briefen des Pianisten, die im Archiv der Yale-Universität aufbewahrt werden, kein einziges Mal solche Variante des Vatersnamens von Wladimir Samojlowitsch getroffen haben. Wir wissen aber ganz genau, daß solcher Vatersname Horowitz doch wenigstens einmal „verliehen“ worden war: nämlich in seinem 1925 von einer Sowjetbehörde ausgestellten Reisepaß. Dort stand klar und deutlich geschrieben: „Horowitz Wladimir Semjonowitsch“. (Bild 3. Reisepaß V. Horowitzs).

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Den Grund für solche Verwirrung festzustellen ist heutzutage kaum möglich – es ist ja bekannt, daß Horowitzs Vater Samuil Joachimowitsch hieß. Man könnte das vielleicht aus einem Schreibfehler des Beamten erklären, der den Paß ausstellte. Michail Tschechow muß in seiner Anrede wohl nicht nach 20 Jahre alten Paßangaben gerichtet haben. Trotzdem erscheint der Vatersname „Semjonowitsch“ in Bezug auf Wladimir Horowitz mehrmals in einer umfangreichen Monographie von Plaskin, und das (zusammen mit dem vorliegenden Brief) bringt auf den Gedanken, daß der „Paßvatersname“ in der Emigrantenumgebung des Pianisten ganz gängig war. 2. Und jetzt ein paar Worte über Arkadi Bessmertni. Gerade um seine Person dreht es sich in dem zu kommentierenden Text. In der Literatur haben wir leider nur dürftige Angaben ausfindig machen können. Es steht nur fest, daß Arkadi Solomonowitsch Bessmertni (1890-1965) Bildhauer und ein bester Freund von Michail Tschechow war. Während der Revolution ging er in die Emigration. Er war mit der Schauspielerin des Akademischen Künstlertheaters Maria Krishanowska verheiratet, mit der er sich in Paris niederließ; von seinen Skulpturen ist nichts bekannt. Der Briefwechsel zwischen Tschechow und Bessmertni dauerte während langer Jahrzehnte und zeichnete sich durch freundschaftliche Wärme und besondere Freimütigkeit aus (einmal hatte Tschechow Bessmertni sogar vor einem Selbstmordversuch bewahrt). Er half seinem Freund im Laufe aller Emigrationsjahre und schickte ihm in den letzten Jahren Lebensmittelpakete. Folglich dauerten die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Michail Tschechow und Arkadi Bessmertni mehr als 35 Jahre, wenn man ihre erste Bekanntschaft bis zu dem Brief, den wir jetzt kommentieren, in Betracht zieht. Es besteht kein Zweifel, daß Bessmertni, vorgestellt in dem Brief an Horowitz als „alter, guter und teurer Freund „ des Schauspielers, in der Tat solch einer auch war. Von persönlichen Kontakten zwischen Horowitz und Bessmertni ist nichts bekannt. 3. Was die Ursache und den Charakter der Krankheit Arkadi Bessmertnis anbetrifft, die Tschechow erwähnt, so wissen wir davon nichts Genaues. Von seiner langen Invalidität zeugt aber einleuchtend ein in der Wohnung Michail Tschechows 1917 gemachtes Foto. (Bild 4. Foto mit A. Bessmertni).

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Darauf sitzt der Bildhauer in einer unnatürlichen Pose neben dem Klavier. Wenn man die anderen Figuren in Betracht zieht, so entsteht der Eindruck, daß Arkadi Solomonowitsch auf etwas Höherem als einem gewöhnlichen Stuhl, sondern eher in einem Rollstuhl sitzt. 4. Als Tschechow schrieb, daß Bessmertni als Jude aus dem von den Nazieindringlingen besetzten Paris fliehen mußte, erinnerte er sich natürlich an den Brief Arkadi Solomonowitschs, in dem jener von seinen Mißgeschicken während des Kriges berichtet hatte. Wir können nur vermuten, worum es im Brief ging, während wir im Antwortschreiben Tschechows (vom 4. Februar 1946) lesen: „Dein erster Brief , in dem du alle von dir und Mascha erlebten Greuel beschreibst, hat auf mich einen erschütternden und bedrückenden Eindruck gemacht… Mein lieber Freund, ich werde deine Qualen nie vergessen, ich werde sie immer als ein großes menschliches Leiden empfinden, das dir zuteil geworden ist, ich werde mich freuen, daß alles schon vorbei ist, und daß du am Leben geblieben bist!“ Es gelang Bessmertni jedoch nicht, den Nazis weit zu entfliehen, es ist bekannt, daß er und seine Frau den ganzen Krieg im besetzten Frankreich zugebracht haben. Dabei ist es nicht so wichtig in welchem Teil – in dem der deutschen Verwaltung unterstellten Teil oder in der formell „freien“ von der kollaborationistischen Vichy-Regierung kontrollierten Zone: beide Varianten waren für die Juden gefahrdrohend und jedenfalls mit schmerzlichen Entbehrungen verbunden. Das alles bringt auf den Gedanken, daß Tschechow Horowitz um die Hilfe für Bessmertni nicht nur als für seinen alten Freund, sondern auch als für das Opfer des Nazismus bat. An der klaren Stellungnahme Horowitzs zu diesem Problem zweifelte er keinen einzigen Augenblick – die Wohltätigkeit des Pianisten während des Zweiten Weltkriges war ja allgemein bekannt. (Darüber werden wir später erzählen). 5. Es handelt sich hier zweifelsohne um ein dreirädriges Rollermobil. Die Menschen, die derselben Generation wie die Autoren dieses Artikels angehören, und deren Kindheit auf die Nachkriegsjahre fällt, können sich an jene dreirädrigen Rollermobile erinnern (mit einem Zeltbahndach bzw. ohne dieses, das einer Karosserie ähnelte) – mit unheimlichem Gepolter und im Schneckentempo fuhren jene „Dinosaurier“ des technischen Designs in den Straßen der Städte. Es sei bemerkt, daß das nach dem Krieg ein internationales Verkehrsmittel war, verbreitet in gleichem Maße sowohl in der UdSSR als auch im Auslande. In der Sowjetunion war das unansehnliche Rollermobil С1Л bekannt, in Deutschland – sehr gut entworfene Rollermobile „Messerschmitt“, „Tempo“ und „Goliath“. 6. Und jetzt ein paar Worte über den Preis des Rollermobils für Bessmertni, das Tschechow mit etwa dreihundert Dollar veranschlagt hatte. Es sei bemerkt, daß diese Summe für die Nachkriegsjahre ziemlich groß war: zu solch einem Preis konnte man sich 1949 beispielsweise ein Motorrad «Harley Davidson» anschaffen, dessen Warenzeichen auch heutzutage sehr 6


populär ist. Für $7450 konnte man damals übrigens ein neues Haus, für $1420 einen Wagen kaufen, und ein Gallon Benzin kostete nur 17 Cent. Es ging auf den ersten Blick um etwas sehr Pragmatisches… Aber der Lastkraftwagen, der Arkadi Solomonowitsch angefahren, seine gelähmten Beine gebrochen und den dreirädrigen Rollstuhl zerschlagen hatte, verleiht der Erzählung Tschechows eine mystische Weissagung. Es handelt sich darum, daß Tschechow schon vor vielen Jahren an seinen Freund schrieb, während er diesen aus allen Kräften vor Selbstmordversuchen bewahren wollte: „Wenn du wirklich „nach einem Ende trachtest“, so kann unverzüglich ein Wagen wie deiner dich anfahren und zerquetschen“. Eine erstaunliche Weissagung! 7. Und jetzt über das Wichtigste – über die Wohltätigkeit. Die Bitte um die Hilfe hat Tschechow in solche Worte gefasst: „Vielleicht wird Wladimir Semjonowitsch helfen können…“ Es sei gesagt, daß der vorliegende Brief nur ein winziger Teil der Wohltätigkeit von Wladimir Horowitz, Michail Tschechow und Sergej Rachmaninow ist. Dabei sehen wir, daß die alten Traditionen der russischen Wohltätigkeit in einem neuen – amerikanischen und westeuropäischen – Kontext erfolgreich weiterbestehen. Michail Tschechow hatte alle Gründe, auf eine positive Antwort von Horowitz zu rechnen. Es ging dabei nicht nur um ihre freundschaftlichen Beziehungen, sondern auch um eine umfangreiche, vieljährige Wohltätigkeit des großen Pianisten, von der Tschechow zweifelsohne wußte. Es sei bemerkt, daß Horowitz in dieser Hinsicht vollkommen die Traditionen seiner Familie geerbt hatte – sein Großvater Joachim Samoilowitsch war beispielsweise in Kiew für seine Wohltätigkeit sowohl in der Russischen Musikgesellschaft als auch im Kiewer jüdischen Krankenhaus bekannt. Was Wladimir Horowitz anbetrifft, so fiel seine Wohltätigkeit besonders in den Jahren des Zweiten Weltkrieges ins Auge. Dabei hat er es fertiggebracht, gleichzeitig allen zu helfen – sowohl dem Internationalen Roten Kreuz als auch der USArmee und der Antihitlerkoalition im allgemeinen und unter anderem der UdSSR. Das wird klar, wenn man die bisher nicht veröffentlichten Briefe des Pianisten aus dem Yale-Archiv aufmerksam liest. Gerade hier entdecken wir einzigartige Angaben nicht nur über den „amerikanischen“ Vektor der Wohltätigkeit Horowitzs – zum Beispiel zahlreiche Dankesbriefe aus verschiedenen Truppenteilen für seine Konzerte, sondern auch Angaben über die Hilfe unmittelbar für Rußland, von dem letzteren war bis vor kurzem ja nichts bekannt! Nennen wir nur einige Beispiele: Ende 1941 führte der Pianist ein Konzert in New York zu Gunsten der russischen Soldaten auf, 1942 gab er in Los Angeles, Chicago und New York drei Konzerte nacheinander zu Gunsten der Kriegsopfer in Rußland. Und das sind bei weitem nicht die Einzelfälle! Dabei bemerkte Horowitz, es käme für ihn darauf an, „einen Präzedenzfall auch für andere Musiker und Öffentlichkeit zu schaffen“, d.h. er empfand die Wohltätigkeit als eine Systemerscheinung. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß es hier um die 7


gesellschaftliche, einigermaßen „entpersönlichte“ Wohltätigkeit geht. Von einer zielgerichteten materiellen Hilfe Horowitzs für konkrete Personen ist aber nichts bekannt. Natan Milstein sagte aber, daß er noch in Sowjetrußland großzügige Almosen gab… Deswegen ist für Horowitz das zu kommentierende Briefsujet etwas Außergewöhnliches – im Unterschied beispielsweise zu Rachmaninow, dessen Briefsammlung mit Danksagungen, oft seitens wenig bekannter Menschen, einfach gesättigt ist. Das erfolgte natürlich gemeinsam mit allgemein bekannten und zahlreichen großen sozialen Aktionen. Es sei bemerkt, daß sich auch Michail Tschechow der Wohltätigkeit nicht fernhielt, die übrigens eine individuelle, zielgerichtete Hilfe bezweckte. In diesem Zusammenhang bemerkte seine Schülerin, Regisseurin Knebel in ihren Erinnerungen: „Während Tschechow selbst hungrig und schlecht eingerichtet war, setzte er sich immer für jemanden ein. Man bestürmte ihn mit Bitten, und er konnte niemandem absagen. Anhand der in verschiedenen Archiven entdeckten Briefe können die Leser einigermaßen begreifen, wie vielen Bitten er nachgekommen war“. Zwei Linien der Wohltätigkeit von drei hervorragenden Künstlern – eine umfangreiche soziale und eine zielgerichtete individuelle – verflochten sich manchmal miteinander und gaben ein gutes Vorbild für die Einigung der russischen Emigration um eine edle Idee herum. Als Beispiel können die Umstände dienen, die sich im Sommer 1942, d.h. in der schwierigsten und tragischsten Periode des Zweiten Weltkrieges, gestaltet hatten. Einerseits hatten damals eben Rachmaninow und Horowitz Michail Tschechow geholfen, sein persönliches Leben in Hollywood einzurichten. Andererseits überlegten sich Rachmaninow und Horowitz fast gleichzeitig das Projekt einer grandiosen gemeinsamen Wohltätigkeitsaktion in Carnegie-Hall zu Gunsten des Militärfonds. Das Konzert fand bekanntlich nach dem Tod von Rachmaninow und ihm zu Ehren am 25. April 1943 statt. Das war der berühmte Wohltätigkeitsabend, während dessen Horowitz das Erste Tschaikowski-Konzert für Klavier und Orchester aufführte (Dirigent Toscanini). Das Konzert hatte einen in der Geschichte des Musizierens niedagewesenen Betrag eingebracht – etwa 11 Mill. Dollar, was heutzutage umgerechnet 100 - 200 Mill. entspricht. Somit hatte sich 1942 unter dem Einfluß der Idee der Wohltätigkeit, wenn auch für einen kurzen Zeitraum, aus den seit langem bekannten und durch das gemeinsame Emigrantenschicksal zusammenschlossenen Menschen ein eigenartiges „Dreieck“ Horowitz - Rachmaninow - Tschechow herausgebildet. Und der vorliegende Brief ist nur ein Nachhall jener Beziehungen in den Nachkriegsjahren.

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