Mona Harry Hamburg und andere Gelegenheiten
Mona Harry
HAMBURG UND ANDERE GELEGENHEITEN Mit Zeichnungen der Autorin
K J M Buchverlag
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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Urheber unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 1. Auflage, April 2019 Copyright © 2019 Klaas Jarchow Media Buchverlag GmbH & Co. KG Simrockstr. 9a, 22587 Hamburg www.kjm-buchverlag.de ISBN 978-3-96194-065-3 Herstellung und Gestaltung: Eberhard Delius, Berlin Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg Korrektorat: Rainer Kolbe, Hamburg Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten
Inhalt
Stadt im Hafen__8
Containerbegriff__12
Seemannsgarn__14
Regenschirme__17
Wind__ 22
Franzbrötchen__24
Stadtmenschen__30 Ansteckend__47 Im Rahmen__51 Speicherstadt__68 Ein Versuch__78
Wetter__19
Sternschanze__27
Haltung__37
Placebo__40
S-Bahn-Bänke__49 Mauern__59
Perle__65
Vor Uhrteilen__70 St. Pauli__80
Überbrücken__83
Eine sich verlaufende Nacht in drei Akten__85 Gelegenheit__92 Denk mal__99
Heimweg__94 Elbtunnel__101
Nacht__96 Elbstrand__103
5
Elbe__106
Wasser und Liebe__108
Herbstzeit__114 Norden__120
6
Umland__116 TschĂźss__125
Distanzen__118
Stadt im Hafen Weit nördlich des Südens Und südlich von noch weiter im Norden Hat eine Stadt im Hafen festgemacht Ist sesshaft geworden Hat sich Landgang verschafft Dort liegt diese Stadt nun vor Anker Bei Tag und bei Nacht Bei Sonne, bei Nebel, bei Regen Sieht sie der Elbe zu beim Kommen und beim Gehen Mit ihr sitzen Fernweh und Heimweh Hand in Hand am Hafen Und erzählen einander von früher Diese Stadt ist zusammengesetzt aus Gegensätzen Die sich nicht miteinander auseinandersetzen Sie besteht aus einer Ansammlung von Richtungen Aus Menschen, Gebäuden, Geschichten und Dichtungen
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Häuser stehen hier dicht gedrängt im Wind wie Schafe Als wollten sie den grauen Tag vergessen und verschlafen Und wenn die Stadt im Sturm leicht schwankt Hört man die Holzplanken leis’ knarzen Diese Stadt ist zurückhaltend, hanseatisch, gelassen Und weil die Sonne nie wirklich lang’ bleibt Ist sie mit allen Wassern gewaschen Man sagt, sie sei ein Tor zur Welt Und doch auch Heimathafen Weil sie für alle Menschen offen ist Egal woher sie kamen Der Hamburger Berg ist kein Berg Der Hamburger Dom keine Kirche Die Flora blüht hier nicht im Park Und es gibt Alsterschwäne Die man unter Strafe nicht beleidigen darf Diese Stadt ist manchmal ein bisschen viel Klischee Und auch ein Kommerz-Ungeheuer Beizeiten etwas selbstverliebt Und zweifellos meistens zu teuer
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Doch Hamburg ist auch der Nebeldunst Der aus den Hafenbecken steigt Ist Franzbrötchen und Krabbenduft Und die Möwe, die am Himmel kreist Hamburg ist das Nachhausekommengefühl Beim Überdieelbbrückenfahren Ist die Nase an Scheiben platt drücken, um Kräne zu sehen Und immer wieder gerührt sein vom Anblick des Hafens Hamburg ist Großstadtleben, ist Alltagstrott Ist Wind und Elbe und Fleete Diese Stadt hat bei mir einen Stein im Brett Der so groß ist wie der Alte Schwede Diese Stadt ist Fernweh und Heimweh Ist Leben unter den Möwen Hamburg, du machst es mir ordentlich schwer Auch andere Städte zu mögen
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Containerbegriff Hamburg ist ein Sammelbecken Für Gebäude, Straßen, Schiffe und Menschen Für Flusen, Flausen und Wollmäuse Wenn man Hamburg zu lange nicht staubsaugt Findet man manchmal Erinnerungen hinter dem Sofa Die machen einen stutzig Die hatte man da nicht erwartet Hamburg ist ein Sammelbecken Und ein Containerbegriff Das passt Denn es passt viel in diesen Begriff hinein Und es passen viele Container in Hamburg hinein Da kommt einiges zusammen
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Seemannsgarn Seemannsgarn ist ein dünner, sehr reißfester Zwirn Es besteht aus Firlefanz und Flausen Aus Kapriolen und Mätzchen, grobem Unfug und Ohrensausen Sowie einer kleinen Prise leichter Brise All dies zusammengesponnen ergibt dann Seemannsgarn Und das stopft dann Logiklöcher, selbst dort wo keine war’n Man nutzt Seemannsgarn auch zum Knüpfen von Netzen Von abstrusen Geschichten aus absurdesten Sätzen Seemannsgarn wird gebraucht zum Zeitvertreib Oder dort, wo man nicht weiter weiß Wo etwas unerklärlich bleibt Mit Seemannsgarn lässt sich ein Segel weben Ein Segel das leicht genug ist, um im Regen zu schweben Und wenn man dann noch ein Schiff baut aus Satzbausteinen Mit Schiffsbauchwänden aus Gedankengerüst Mit Satzzeichen und mit Sprachbildern geschmückt
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Mit einer Besatzung bestehend aus Hirngespinsten Die nie etwas suchen und doch stets etwas finden Dann lässt sich ein Seemannsgarnsegel setzen Und mit ein bisschen Rückenwind zwischen den Zeilen Lassen sich mit dem Schiff neue Welten bereisen Denn dieses Schiff durchquert Ozeane, die es selber erfindet Wo das Seemannsgarnsegel Gedankenfäden verbindet Da entstehen Welten im Kopf, die den Horizont weiten Die zu großen Gedanken und Fragen verleiten Mit Seemannsgarnsegeln Auf Buchstabenmeeren Zwischen Wellen und Wogen Wird das Vorstellbare in größere Dimensionen verschoben Denn Seemannsgarnspinnen vergrößert die Vorstellungskraft Weshalb man aus Seemannsgarn Manchmal auch Wirklichkeit macht
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Regenschirme Die Regenschirme gehĂśren dem Wind Hat mal jemand gesagt Und er nimmt sie sich zurĂźck Wenn man nicht laut genug schimpft
17
Wetter Dir sitzt da was auf der Schulter Was da eben noch nicht war Da verdreht dir was den Kopf Und verstrubbelt dir dein Haar Da zerrt etwas an dir wie ein wetterndes Kind Unser steter Begleiter – Sein Name ist Wind Und wir hier in Hamburg haben Wind in den verschiedensten Farben Vielleicht die größte Auswahl an Luftzugarten Wir haben steife Brisen Und Sommernachtswind Laue Lüftchen Und Wind, der wie Darth Vader klingt Luftzugstakkato Und starke Fallwinde Sturmflut-Sturmböen Und Winterwinde Windwirbel und -hosen Zwischen Wellen und Bojen 19
Rückenwind, Gegenwind und Wind von der Seite Wind zwischen Häuserzeilen und Wind in der Weite Luftzüge und Zugwind und Fahrtwind Kalten und warmen Und Seewind und Stadtwind Und welchen zum Baden Wind in steif, stark oder stürmisch Mal gleichmäßig sanft, mal ruppig und böig Land auf und Land ab, auflandig, ablandig Man wird überall fündig Kurz gesagt: Es ist hier recht windig
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Wind Über Hamburger Dächern Wandert der Wind mit Spazierstock Manchmal klopft er damit an die Dachfenster Als wollte er sich über die Lautstärke beschweren Meist trägt er den Kragen hochgeschlagenen Und einen blauen Mantel Vorbei an Schäfchenwolken wandert er Die sieht man Aber nicht bei diesem Wetter Das ist schade, sonst würde man sehen Dass sie Wollpullover mit groben Maschen tragen Und manchmal auch Schwimmflügel Je nach Wetterlage
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Franzbrötchen Käpt’n Blaubär sagte: Abenteuer riechen nach Feuern Die in der Ferne brennen Mit einem Hauch Zimt darin Ich muss dann an Franzbrötchen denken Franzbrötchen haben Zugegebenermaßen Mehr als nur einen Hauch Zimt darin Eher einen ganzen Windstoß Trotzdem passen sie für mich zu Abenteuern Als Kind gab es Franzbrötchen Wenn wir unterwegs waren Unterwegs in der Stadt, auf dem Markt, im Park, am Hafen Das war immer ein Abenteuer Alles war so groß und so viel Man sagt, Franzbrötchen seien der misslungene Versuch Der Hamburger, ein Baguette zu backen Man sagt auch, dass das eigentlich niemand so genau weiß Man sagt so einiges 24
Ich war verständnislos Als ich irgendwann verstand Dass man Franzbrötchen anderswo Gar nicht kennt Ich glaube, da habe ich zum ersten Mal begriffen Was es bedeutet Dass nicht überall Hamburg ist
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