Eigel Wiese
Mary Celeste Ein Schiff auf ewiger Reise
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Urheber unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. April 2019 Copyright © 2019 Klaas Jarchow Media Buchverlag GmbH & Co. KG Simrockstr. 9a, 22587 Hamburg www.kjm-buchverlag.de ISBN 978-3-96194-066-0
Satz, Gestaltung: Svenja Wiese, Hamburg Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg Coverbild: Herbert Schieritz, Neuhütten Lektorat / Korrektorat: Rainer Kolbe, Hamburg Herstellung: Eberhard Delius, Berlin Druck & Bindung: CPI, Leck Alle Rechte vorbehalten
Mehr zu den Büchern des KJM Buchverlags: www.kjm-buchverlag.de | www.hamburgparadies.de
Schiffers Gut holen Ebbe und Flut
Inhalt
Prolog 11 Kapitel 1 Mary Celeste 14 Kapitel 2 New York 22 Kapitel 3 Auf hoher See 43 Kapitel 4 Freitag, der 13. 68 Kapitel 5 Eine fantasievolle Geschichte um das Geisterschiff 105 Kapitel 6 Die Mary Celeste wird Literatur 113
Kapitel 7 Noch mehr fantastische Erklärungen 123 Kapitel 8 Geisterschiffe waren nicht selten 176 Kapitel 9 Die Mary Celeste in Romanen und Filmen 196 Kapitel 10 Weitere Thesen um das Rätsel der Mary Celeste 201 Kapitel 11 Das Ende der Mary Celeste 213 Kapitel 12 Eine neue Erklärung 218 Kapitel 13 Was wirklich geschah 227 Nachwort 245 Bildstrecke 246 Zeitstrahl 272 Glossar 282 Kurzbiografie 290
Prolog
Es gibt Schiffe, die sind längst auf Riffen zerschellt oder in den Tiefen der Meere versunken, trotzdem sind sie unsterblich und leben weiter in Erzählungen von Seeleuten oder Menschen der Küste. Seeleute sind gute Erzähler und Zuhörer. Denn Erzählen ist an Bord von Schiffen die beliebteste Freizeitbeschäftigung, andere Unterhaltung gibt es besonders auf Segelschiffen wenig. Wenn die Mannschaft Freiwache hatte, musste sie sich unter Deck zurückziehen. Oben durfte sich nur aufhalten, wer dort auch zu arbeiten hatte. Jeder andere wäre nur im Weg gewesen. Aber auch bei manchen Arbeiten waren gute Geschichten gefragt, besonders, wenn es so öde Tätigkeiten waren wie das Zerzupfen von altem Tauwerk, aus dessen Fäden man noch immer ein brauchbares neues Garn drehen konnte. Während die Finger eintönig beschäftigt waren, erzählten sich die Seeleute Geschichten. Seemannsgarn eben. Gute Geschichten sind rar. 11
Wer sich als Neuling mit guten neuen Geschichten an Bord einführt, der steigt in der Achtung seiner Bordkameraden, ganz gleich, wie befahren oder unerfahren er ist. Eine Mannschaft mag ein Schiff verlassen, die Erzählungen verlassen es nie, heißt eine unter Seeleuten gängige Redensart. Eine andere: Wenn ein Schiff eine Erzählung einmal gehört hat, dann bleibt sie auch an Bord. Dergleichen gehört dazu, so wie man einem Schiff eine Persönlichkeit zuerkennt und eine Wesensart, es sogar tauft. Obgleich aber eine Geschichte ein Schiff nicht verlässt, so kann sie sich doch vervielfältigen. Das Schöne an Geschichten ist ja, dass man sie teilen kann, ohne dass sie weniger werden. Im Gegenteil, mancher hat eine neue Einzelheit hinzugefügt. Oder auf einem anderen Schiff, dem diese Geschichte ebenfalls gehört, eine andere Variante gehört und erzählt sie nun weiter. So werden Geschichten mit dem Teilen nicht weniger, sondern nehmen auch noch zu. Bis eine Geschichte so oft erzählt ist, dass niemand mehr weiß, wer sie zum ersten Mal zum Besten gegeben hat und was ihre ursprüngliche Form war. Oft sind es Schiffsnamen, um die sich die Geschichten ranken. Einer dieser Namen lautet Mary Celeste. Die Mary Celeste wurde 1782 im Nordatlantik auf halber Strecke zwischen den Azoren und Gibraltar aufgefunden, seetüchtig, aber ohne einen einzigen Menschen an Bord. Damit bietet sie alles, was eine gute Geschichte ausmacht,
man konnte sie richtig spannend erzählen und sie ohne Einschränkungen immer weiter spinnen, denn es gab ja keine Lösung des Rätsels. Deshalb konnte man sich über sie immer wieder unterhalten und bis heute neue Theorien entwickeln. Aber irgendwann war sie so oft erzählt, gehört und weitergegeben worden, dass man gar nicht mehr wusste, ob es dieses Schiff wirklich jemals gegeben hatte oder es nur eine spannende Fama war. Beliebt sind eigentlich alle Geschichten um Geisterschiffe. Noch dazu, wenn Mannschaften, entweder verschwunden oder verdammt sind, ewig zur See zu fahren, weil sie sich gotteslästerlich verhalten haben. Solche Geschichten nach dem Muster des »Fliegenden Holländers« kann man bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Heinrich Heine hat diese Geschichte während seines Aufenthaltes in England gehört und aufgeschrieben. Sie hat ihn so beeindruckt, dass sie in seinem Werk gleich zweimal erscheint. Das erste Mal 1827 und das zweite Mal 1834. Heines Darstellung hat wiederum Richard Wagner so sehr beeindruckt, dass er 1843 eingestand, sie habe ihn auf die Idee seiner Oper vom »Fliegenden Holländer« gebracht. Die Mary Celeste aber ist keine Sage, sie hat es wirklich gegeben. Schiffsschicksale haben mich schon seit meiner Jugend interessiert, seit ich wusste, dass das Schiff meines Urgroßvaters eines Tages ohne ihn als Kapitän und Eigner heimgekehrt war.
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Kapitel 1
Wer die Tatsachen hinter der Geschichte der Mary Celeste ergründen will, muss gut 2.000 Seemeilen von der Stelle entfernt anfangen, an der das Schiff entdeckt wurde. Genauer gesagt, in dem kleinen Dorf Utersum auf der Nordseeinsel Föhr. Denn dort beginnt einer der Handlungsfäden dieser Geschichte, die sich in ihrem Verlauf zu einem der größten Seegeheimnisse entwickeln sollte. Sie beginnt mit dem Namen Lorenzen, der gleich zwei Mal auf der alten vergilbten Mannschaftliste des rätselhaften Schiffes auftaucht, nämlich mit den Brüdern Volkert und Boy Lorenzen. Sie sind die Urgroßonkel von Uwe Lorenzen, der auf Föhr lebt und viele Details dieser Geschichte seiner Familie erforscht hat. Uwe Lorenzen hatte schon als Kind gehört, dass zwei Vorfahren mit der gesamten Besatzung unter geheimnisvollen
Umständen spurlos von Bord eines einsam im Atlantik segelnden Schiffes verschwunden und nie wieder aufgetaucht sind. Der große schlanke Mann mit den weißen Haaren und dem klaren Blick ist nicht selber Seemann gewesen, aber er hat eine eigene Segelyacht und als Sportsegler viele Seemeilen Erfahrung auf der Nordsee – in einem Revier also, das einen Segler herausfordert. Er wurde Zimmermann und brachte es zum angesehenen Meister. Für Leute wie ihn muss eine Arbeit ein solides Fundament haben und alle Teile müssen gut ineinander passen. Den Spruch »Was nicht passt, wird passend gemacht« lässt er nicht gelten. In diesem Sinne machte er sich genauso gewissenhaft auf die Recherche der Spuren von der Mary Celeste und seinen Vorfahren. Er begann mit der Suche in den Kirchenbüchern der Gemeinde St. Laurentii, zu der auch Utersum gehört. Als er dort außer einigen der üblichen Datumseinträgen nicht viel fand, weitete er seine Recherchen aus bis in englische Bibliotheken. Denn im Kolonialgebiet Gibraltar waren es englische Behörden, die den Fall als Erste untersuchten. Und als die so erfahrenen Einzelheiten ihm noch immer nicht genau genug waren, spannte er den Bogen bis zu amerikanischen Instituten, fragte auch dort nach Dokumenten und Fotos und wurde fündig – erstaunlich, wenn man bedenkt, wie viel Zeit seither vergangen ist.
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Mary Celeste
Dass Uwe Lorenzen und ich aufeinandertrafen, war kein Zufall. In der alten Mannschaftsliste aus dem Jahr 1872 war gleich zweimal der Familienname Lorenzen aufgetaucht. Gab es auf der Insel vielleicht noch Angehörige? Ich machte mich im Internet auf die Suche und fand ihn.
Wer im Dorfkrug von Utersum auf Föhr einen Manhattan bestellt, ist dem Ursprung dieser Geschichte näher als erwartet. Der Cocktail aus amerikanischem Whiskey, französischem Wermut, einem Spritzer Angostura Bitter, garniert mit einer Maraschinokirsche, den man eher in einer Bar mit Neonreklame erwartet als in einem Dorf mit Strohdachhäusern, ist auf der Nordseeinsel so beliebt, dass die Inselbewohner ihn als ihr Nationalgetränk bezeichnen. Föhringer, die als Auswanderer aus den Staaten zurückgekehrt sind, sollen ihn bekannt gemacht haben. Allerdings weiß man bei manchen Menschen von dieser nordfriesischen Insel gar nicht, ob sie nun ausgewandert oder schon wieder zurückgekehrt sind. So wie Volkert Lorenzen aus Utersum, der gleich nach der Konfirmation nach New Orleans reiste und sich in der Seefahrt verdingte. Es war für Seeleute nicht außergewöhnlich, ihr Erwach-
senenleben jenseits des Ozeans in der neuen Welt zu starten. Denn nach dem Krieg zwischen Preußen, dem verbündeten Österreich und Dänemark war das bislang dänische Föhr im Jahr 1864 preußisch geworden. Damit mussten die bislang von erfahrenen Kapitänen privat betriebenen Seefahrtschulen schließen und junge Männer, die Kapitäne und Steuerleute werden wollten, die staatlichen Schulen besuchen. Bei den Preußen hatte eben alles seine Ordnung. Und was viele als noch schlimmer empfanden – sie mussten den zwei Jahre dauernden preußischen Wehrdienst leisten, während Dänemark sie grundsätzlich davon befreit hatte. Mit ihren plattdeutschen Sprachkenntnissen waren Verständigungsprobleme im englischsprachigen Nordamerika zudem leicht zu überwinden. Fragte man in jenen Zeiten einen jungen Föhringer, wohin er denn lieber fahren würde, nach Hamburg oder New York, war die Antwort wahrscheinlich: »Nach New York natürlich. In Hamburg kenne ich ja niemanden.« Aber das Leben in Nordamerika war nicht nur friedlich. Als 1861 der amerikanische Bürgerkrieg ausbrach und Truppen der Nordstaaten Häfen des Südens blockierten, wehrte Volkert Lorenzen sich gegen diese Bedrohung seiner Lebensgrundlage und heuerte auf einem Blockadebrecher der Konföderierten an. Nach dem Ende des Krieges wollte er erst einmal in friedlicherer Umgebung leben und kehrte nach Föhr zurück.
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Manhattan auf Föhr
Im Winter 1871/72 war er wieder in Utersum. Doch er träumte noch immer von den Zeiten in Amerika. Seinen Schwärmereien lauschte auch sein Bruder Boy, in dem die abenteuerlichen Geschichten seines sechs Jahre älteren Bruders die Sehnsucht weckten, eines Tages selbst in die Neue Welt zu fahren. Zumal der Militärdienst drohte. Sein Traum ging am 1. Mai 1872 in Erfüllung. Gemeinsam mit Volkert ging er in Wyk an Bord eines kleinen Küstenseglers, der sie zunächst nach Hamburg brachte, von wo aus viele Auswandererschiffe den Nordatlantik kreuzten. Mit an Bord waren ein Sohn der Familie Korsemann aus Utersum sowie Arian Knudt Martens und Gerret Christian Tönissen von der Nachbarinsel Amrum, auch sie mit dem Ziel Amerika. Der Auswanderersegler, der das Ziel New York hatte, gehörte der Hamburger Reederei Sloman. Zu Reeder Robert Miles Sloman hatten die Föhringer besonderes Vertrauen, denn er hatte fünf Jahre auf ihrer Insel verbracht, er war vor den Franzosen geflüchtet, die Hamburg besetzt hielten. Für die Besatzer verkörperte er als Engländer, der sich in Hamburg niedergelassen hatte, den Feind. Auf den Inseln aber nutzten ihm seine englischen Wurzeln und engen Verbindungen nach Großbritannien. Deshalb betätigte sich Sloman als englischer Konsul. Das brachte ihn häufig als Gast ins Haus des Lotseninspekteurs Hinrich Braren. Und ihm gefiel dessen Tochter Gundalena.
In Briefen schwärmte er von ihrer Anmut und ihrem Lachen. Seine Besuche wurden häufiger und am 16. Dezember 1806 heirateten sie. Bei diesen engen Bindungen an Föhr wäre es geradezu ein Affront gewesen, die Reise über den Nordatlantik nicht mit einem Schiff der Reederei Sloman zu unternehmen. Aber es gab auch praktische Gründe: Doctor Barth war der einzige Auswanderersegler, der New York direkt von Hamburg aus ansteuerte, während andere Schifffahrtslinien erst noch eine Reihe weiterer europäischer Häfen anliefen, um weitere Auswanderer aufzunehmen.
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An Bord des Auswandererseglers Im verwirrenden Mastenwald des Hamburger Hafens mit seinen Hunderten von Seglern brauchten die Föhringer die Hilfe eines Jollenführers, um den Auswanderersegler Doctor Barth zu finden. Die Besitzer der kleinen Boote kannten die Liegeplätze der großen Segler genau. Sie waren täglich zwischen den Dalbenreihen unterwegs, an denen die großen Schiffe festgemacht hatten, die nur mit den kleinen Booten zu erreichen waren. Als Boy den Betrieb an Bord der Doctor Barth sah, wäre er am liebsten sofort umgekehrt. Da drängelten sich ganze Familien orientierungslos mit
ihrem Gepäck, und besonders an den Treppen zu den unteren Decks, wo es immer enger wurde, gab es kein Durchkommen. Menschen versuchten, für Möbel, Bündel mit Kleidern und sogar Matratzen irgendwo einen Platz zu finden. Immer wieder wurden sie dabei aufgescheucht von Matrosen, die im Gewühl versuchten, an den drei Masten Segel zu setzen. Etwas Ruhe kehrte ein, als ein qualmender Hafenschlepper sie auf den Haken nahm. Seine Leine spannte sich und der Rumpf der Doctor Barth löste ich langsam von den Dalben. Die Türme der Hamburger Kirchen verschwanden achteraus, während der Schleppzug elbabwärts dampfte. Die Nordfriesen beobachteten jetzt schon eher amüsiert, wie sich die Menschen an Bord Stück für Stück in der fremden Umgebung einzurichten versuchten und Mühe hatten, auf den nur wenig schwankenden Planken das Gleichgewicht zu halten. Am Abend wichen die Ufer zurück, an der Backbordseite war ein Balkengerüst zu erkennen. Die Nordfriesen konnten es sofort einordnen. Das war die markante Kugelbake, hier war die Elbe zu Ende und die Nordsee begann. Die Passagiere bemerkten es auch so, denn der Seegang nahm zu, immer mehr bleiche Gesichter waren zu sehen. Auch die Gerüche ließen darauf schließen, dass etliche Passagiere seekrank wurden. Den auf See erfahrenen Männern von der Nordseeküste machte es zwar nicht zu schaffen, aber sie bemühten sich, dem Geruch unter Deck zu entgehen.
Im Laufe der nächsten Tage spielte sich an Bord eine gewisse Routine ein, Menschen, die Musikinstrumente dabei hatten, lockerten die Stimmung auf. Es wurde sogar getanzt. Mit jedem Tag, mit dem sich das Schiff New York näherte, veränderte sich die Stimmung. Besorgte Charaktere sahen sorgenvoller in die Zukunft. Lebenskünstler, die sicher waren, sie würden sich in jeder Lage arrangieren, strahlten Zuversicht aus: Auch in einer neue Welt würden sie sich zurechtfinden. Aufregend wurde es, als der Ruf »Land in Sicht« zu hören war. Alle drängten sich an der Reling, um einen Blick auf das Land zu erhaschen, das ihre neue Heimat werden sollte. Da Volkert Lorenzen sich auskannte, übernahm er selbstverständlich die Führung der Gruppe nordfriesischer Seeleute. Zuerst aber mussten sie das zeitraubende Einwanderungsverfahren hinter sich bringen.
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Kapitel 2
New York
Schließlich stammt der Spruch »Zeit ist Geld« aus Amerika. Für Seeleute aus Nordfriesland war es in Amerika leicht eine Heuer zu bekommen, sie hatten allein von ihrer Herkunft den Ruf, von klein auf mit Schiffen aufgewachsen zu sein und ihr Handwerk zu beherrschen.
Die erste Spur verliert sich schon Bei ihrem ersten Rundgang durch den New Yorker Hafen stachen den Brüdern Lorenzen schlanke Schoner ins Auge, deren schnittig nach achtern geneigten Masten schon an ihren Liegeplätzen Geschwindigkeit ahnen ließen. Es waren Schiffe mit so ganz anderen Linienrissen als die gewohnten Schoner, Barkentinen, Kutter und Tjalken von der Nordseeküste. Schnelligkeit schien deren Konstrukteuren und den Eignern, die solche Schiffe in Auftrag gegeben hatten, wichtiger zu sein als ein großes Ladungsvermögen. Denn in so schlanken Rümpfen ließen sich beim besten Willen keine bauchigen Laderäume unterbringen, wie sie bei nordeuropäischen Schiffen seit Generationen üblich waren. Dies waren beliebte Schnellsegler für wertvolle und leicht verderbliche Frachten, die schnell ihr Ziel erreichen sollten. Später folgten in dieser Bauweise größere Schiffe, die als legendäre Klipper Rekordreisen nach Asien und zurück schafften.
Mit dem ersten Törn auf einem der schnittigen amerikanischen Schoner verliert sich allerdings für eine Weile die Spur von Volkert und Boy Lorenzen. Weder ist der Name des Schiffes überliefert, auf dem sie anheuerten, noch sind es die Zielhäfen, die sie anliefen. Doch einige Wochen später waren sie wieder in New York, abgerissen, mit kaum ein paar Dollar in der Tasche. Überliefert ist nur, dass ihr Schoner gekentert war und die Brüder sich eine Nacht lang an die Bordkante klammern mussten, bevor Fischer sie im Morgengrauen zufällig entdeckten und zu sich an Bord zogen. Sie quartierten sich in einem Boardinghaus an der Thames Street ein, in einem Viertel, in dem sie sich wie zu Haus fühlen konnten. Dort an der Lower East Side trugen viele Ladenschilder deutsche Aufschriften, es gab Bierhallen, Läden mit Waren nach deutscher Art, kulturelle Einrichtungen.
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Und natürlich Vereine. Die Verbindungen an das Heimatland waren so eng, dass die Deutsch-Amerikaner ein Jahr zuvor, im Mai 1871, den Sieg Deutschlands über Frankreich im Krieg 1870/71 mit einer großen Parade durch ihr Viertel gefeiert hatten. In dem Boarding House an der Thames Street trafen sie zwei weitere deutsche Seeleute, die ebenfalls eine Heuer suchten. Die vier Norddeutschen streiften also gemeinsam durch den New Yorker Hafen. Zahlreiche Schiffe lagen dort an den Kais dicht nebeneinander, mit dem Bug zum Land, die Klüverbäume ragten weit über die Kaimauern. Davor lagen Waren, die Stauer an Bord schleppen sollten. In den Häusern gegenüber der Hafenbecken fanden sich Schiffsausrüster, Segelmacher, Hafenkneipen, Händler von Navigationsinstrumenten und natürlich Reeder und deren Agenten. Aber nicht in deren Büros fragten sie nach einer Heuer, sondern wanderte aufmerksam entlang der Kais und Piers des New Yorker Hafens. Denn Volkert kannte die amerikanischen Gepflogenheiten. Sie beobachteten den Tiefgang der Schiffe, schätzten ab, wie weit das Stauen der Ladung vorangeschritten war und wann das Schiff voraussichtlich auslaufen würde. Sie begutachteten aber auch deren äußeren Zustand, denn mit einiger Erfahrung konnte man schon daran erkennen, wie
sich das Leben für die Besatzung gestalten würde. Gute Kapitäne hatten gepflegte Schiffe und auf gepflegten Schiffen konnte man einen guten Kapitän erwarten. Eines der Schiffe lag schon tiefer im Wasser, es schien, als würden demnächst die letzten Fässer der Ladung an Bord gehievt. Sie sahen zur Namenstafel hinauf, dort stand Mary Celeste, die Farbe war noch frisch. Der Name war offensichtlich geändert worden. Die vier Deutschen wurden mit Kapitän Benjamin Briggs einig und unterschrieben am 4. November 1872 im Büro des U.S. Shipping Commissioners auf einem vorgedruckten Standardformular ihren Heuervertrag für eine Fahrt nach Genua und in weitere Häfen des Mittelmeeres.
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Keiner wusste, dass die Mary Celeste als Unglücksschiff galt Es ist eine kurze Reise mit einem Segler von der kanadischen Ostküste in den Hafen von New York. Und Gerüchte verbreiten sich schnell in der Welt der Seefahrt. Besonders schlechte Nachrichten. Deshalb scheint es ein sinnloses Unterfangen zu sein, dem schlechten Ruf eines Schiffes über eine so kurze Distanz davonsegeln zu wollen. In den Häfen der kanadischen Ostküste war der Ruf eines
Der Hafen von New York zu der Zeit, als dort die Mary Celeste lag.
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Im Hafen von New York wurden viele Fässer verladen. Sie transportierten nicht nur Flüssigkeiten, sondern alle Arten von seefest verpackten Gütern.
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Benjamin Briggs war der Kapit채n der Mary Celeste.
Kapit채nsfrau Sarah Briggs
Kapit채n James H. Winchester reiste extra nach Gibraltar, um die Mary Celeste zu begutachten.
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Kapit채n David Reed Morehouse
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Die Mannschaftsliste der Mary Celeste mit den Namen der BrĂźder Lorenzen
Boy Lorenzen lieĂ&#x; sich vor der Abreise in einem Studio fotografieren.
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So waren die Fässer an Bord eines Seglers gestaut.
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Segelriss und Decksriss der Mary Celeste
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Die Mary Celeste unter vollen Segeln
Die Mary Celeste, abgebildet in dem Buch ÂťA Great Mystery of the SeasÂŤ
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So trafen sich die beiden Segler Dei Gratia und Mary Celeste.
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Seekarte mit den eingezeichneten Kursen von Mary Celeste und Dei Gratia
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Die Festung Gibraltar mit dem Hafen am FuĂ&#x; des Berges
In den Gerichtsgebäuden der englischen Kronkolonie wurde der Fall des herrenlos aufgefundenen Seglers verhandelt.
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Gibraltar und der Hafen auf der Seekarte
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Bevor der von Amrum stammende Seemann Knudt Martens als Besatzungsmitglied der Mary Celeste für tot erklärt werden konnte, musste in einer Föhrer Zeitung das Aufgebot veröffentlicht werden.
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Das Aufgebot für die Brüder Boy und Volkert Lorenzen
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Vor einer Hochgeschwindigkeitskamera bereitet ein Team von ›Real Life Media‹ den Versuch mit der Verpuffung vor.
Obgleich eine helle Flamme durch den Versuchsaufbau wabert, sind anschließend keinerlei Brandspuren mehr zu erkennen.
Als Zündmittel für den Versuch dient eine genau berechnete Menge Flüssiggas.
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Uwe Lorenzen am Strand bei Utersum
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Zeitstrahl
Co. nach New York verkauft. Die neuen Eigner lassen sie als Mary Celeste in das US-Schiffsregister eintragen.
1860
Mai 1871
Die Amazon wird in der Werft von Joshua Dewis in der Fun-
In New York ist die Verbindung an das Heimatland so eng, dass die
dy-Bucht auf Spencer’s Island an der Westküste Neuschottlands ge-
Deutsch-Amerikaner den Sieg Deutschlands über Frankreich im
baut.
Krieg 1870/71 mit einer großen Parade durch ihr Viertel feiern.
1861
1871/72
Volkert Lorenzen aus Utersum auf Föhr heuert – als Reaktion auf
Volkert Lorenzen ist wieder in Utersum.
den amerikanischen Bürgerkrieg – auf einem Blockadebrecher an. 1. Mai 1872 10. Juni 1861
Boy und Volkert Lorenzen gehen in Wyk auf Föhr an Bord eines
Die Amazon wird in Parrsboro als »Half-Brigg« in das Schiffsregis-
kleinen Küstenseglers. Der bringt sie nach Hamburg, wo sie an Bord
ter eingetragen.
des Auswandererseglers Doctor Barth gehen, der sie nach New York bringt.
15. Oktober 1867 Die Amazon läuft vor Neufundland auf Grund und wird beschä-
26. Oktober 1872
digt.
Sarah Elizabeth Briggs und ihre Tochter machen sich auf die Reise von Marion nach New York zu ihrem Mann Kapitän Benjamin Briggs und der Mary Celeste.
31. Dezember 1868 Richard W. Haines kauft die beschädigte Amazon für 1.700 US-Dollar. 8.825 Dollar zahlt er für Reparaturen und einen Umbau.
29. Oktober 1872 Briggs kauft dem bisherigen Kapitän Rufus Fowler die Mary Ce-
leste ab.
13. Oktober 1869 Die Amazon wird an das Reederkonsortium J. H. Winchester &
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31. Oktober 1872
25. November 1872
Sophia Mathilda Briggs feiert im Hafen von New York ihren zweiten
Gegen 8 Uhr wird die letzte Standortberechnung der Mary Celes-
Geburtstag. 2. November 1872
te im Logbuch notiert, etwa sechs Meilen nordwestlich der Azoreninsel Santa Maria. Wohl zwischen 8 und 12 Uhr wird die Mary Celeste aufgegeben und läuft dann 378 Meilen mit einer Geschwin-
1.701 Roteichenholzfässer mit Alkohol werden an Bord der Mary
digkeit von zwei bis drei Knoten weiter Richtung Gibraltar. – Einer
Celeste geladen.
unbestätigten Meldung zufolge sichtet ein deutscher Dampfer an der Stelle, an der die letzte Eintragung im Logbuch der Mary Celeste
4. November 1872
gemacht wurde, eine Brigantine in einer Distanz von zwei Seemeilen.
Vier Deutsche, darunter auch Boy und Volkert Lorenzen, werden Mitglieder der Besatzung der Mary Celeste. – Die Mannschaft
5. Dezember 1872
verstaut das letzte Fass der Ladung.
Die Mary Celeste wird im Nordatlantik aufgefunden. Kurz nach 13 Uhr sichtet die Mannschaft der Dei Gratia sie etwa auf halber
5. November 1872
Strecke zwischen den Azoren und Gibraltar.
Die Mary Celeste sticht unter Kapitän Briggs in See. gegen 15 Uhr 7. November 1872
Die Dei Gratia hat sich der Mary Celeste soweit genähert,
Der Atlantik ist für diese Jahreszeit außergewöhnlich stürmisch.
dass Kapitän Morehouse den Befehl geben kann, die Fahrt zu
Nachdem Kapitän Briggs den Befehl geben musste, den Anker fallen
stoppen.
zu lassen, kann die Reise erst an diesem Tag wieder aufgenommen
um 16.30 Uhr
werden, der Wind hat gedreht.
Die Besatzung der Dei Gratia gelangt auf die Mary Celeste und beginnt sofort, das Schiff wieder manövrierfähig zu machen.
24. November 1872
um 21 Uhr
Die Mary Celeste passiert die Inselgruppe der Azoren.
Nach langem Pumpen kann die Besatzung das Wasser aus dem Laderaum, der Messe, dem Logis und der Kombüse lenzen.
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11. Dezember 1872
weisung des Generalstaatsanwalts Frederick Solly-Flood ein zweites
Bis zu diesem Tag ist die Sicht gut und das Wetter klar. Dei Gratia
Mal untersucht.
und Mary Celeste segeln in Sichtweite voneinander weiter Rich15. Januar 1873
tung Gibraltar.
Kapitän Winchester kommt in Gibraltar an. 13. Dezember 1872 Am Freitag, dem 13. Dezember, erreicht die Mary Celeste den
5. Februar 1873
Hafen von Gibraltar. Bereits zwei Stunden nach ihrer der Ankunft
Die Ergebnisse der zweiten Untersuchung werden in der ›Shipping
wird sie unter Arrest gestellt. – Die ›Gibraltar Chronicle‹ veröffent-
Gazette‹ abgedruckt. – Sprague bittet den Kommandanten des ame-
licht eine Meldung über die Mary Celeste. Den Bericht über-
rikanischen Kreuzers Plymouth, die Mary Celeste zu untersu-
nimmt die britische Zeitung ›Liverpool Mercury‹, schmückt ihn
chen. Er kann keinen Grund für das Verlassen des Schiffes finden.
aber fantasievoll aus. März 1873 14. Dezember 1872
Die Mary Celeste wird nach Abschluss der Verhandlungen an
Der amerikanische Konsul Horatio J. Sprague in Gibraltar setzt mit-
ihren Besitzer Winchester zurückgegeben, der sie dem Kommando
tels Telegrafen eine Nachricht über die Mary Celeste ab, um den
von Kapitän George W. Blatchford unterstellte. Nach 87 Tagen im
Eigner James H. Winchester in New York zu informieren. – Das Rät-
Hafen kann die Mary Celeste endlich nach Genua auslaufen, wo
sel um die Mary Celeste erreicht die kleine Insel Föhr und ver-
sie elf Tage später eintrifft.
setzt die Angehörigen der vermissten Seeleute in Sorge. 10. März 1873 23. Dezember 1872
Winchester ist abgereist. Er schreibt an diesem Tag von New York
Eine Inspektion der Mary Celeste wird durch den Taucher Ricar-
aus an Sprague, er sei abgereist, weil seine Geschäfte während seiner
do Portunato durchgeführt.
Abwesenheit gelitten haben.
7. Januar 1873 Die Mary Celeste wird im Verlauf der Verhandlungen und auf An-
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12. März 1873
3. Januar 1885
Die ›New York Sun‹ legt eine falsche Spur zum Rätsel der Mary Ce-
Die Mary Celeste strandet auf den Korallenriffen von Rochelais
leste.
Bank im Golf von Gonave vor der Küste Haitis.
15. März 1873
6. November 1885
Der Kommandant des amerikanischen Kreuzers Plymouth ver-
Der amerikanische ›Boston Herald‹ veröffentlicht den Bericht von
schickt seinen Bericht. Die Zeitung ›Liverpool Mercury‹ druckt ihn
Dr. Habakuk J. Jephson trotz aller Zweifel am Wahrheitsgehalt.
ab. März 1902 24. März 1873
Es erscheint ein vorgeblich authentisches Interview mit der Ehefrau
Tönis Adolf Nickelsen, Bürgermeister von Utersum, schreibt einen
des ersten Offiziers.
Brief an Sprague und bittet um Auskunft über das Verschwinden der deutschen Seeleute. – Das Schatzamt der Vereinigten Staaten löst
10. März 1905
eine Fahndung nach den verschwundenen Besatzungsmitgliedern
Mit dem Aufgebot des Föhrer Landwirts Cornelius Lorenzen sollen
der Mary Celeste aus. – Die Liverpooler Tageszeitung ›Daily Al-
die verschwundenen Besatzungsmitglieder für tot erklärt werden.
bion‹ veröffentlicht eine Nachricht, die der Diskussion um die Mary
Celeste neue Nahrung gibt.
8. Dezember 1905 33 Jahre, nachdem die Mary Celeste verlassen aufgefunden wur-
Februar 1880
de, werden die Besatzungsmitglieder auch offiziell für tot erklärt.
Winchester verkauft die Mary Celeste mit hohem Verlust an eine 1913
Gruppe von Reedern.
Das ›Strand Magazine‹ lädt vier englische Schriftsteller ein, anhand Dezember 1884
der wenigen bekannten Fakten Erzählungen über das Rätsel der
Kapitän Gilman C. Parker übernimmt das Schiff. Der 17. Eigner in
Mary Celeste zu schreiben.
den vergangenen zwölf Jahren.
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November 1913
1972
Das ›Strand Magazine‹ bietet seinen Lesern den Bericht eines angeb-
Die Pidax Studios in Hamburg drehen den Film »Das Geheimnis
lichen Überlebenden, eingesandt von A. Howard Linford.
der Mary Celeste«.
Dezember 1913
Sommer 2001
Das ›Nautical Magazine‹ veröffentlicht ebenfalls einen Bericht eines
Clive Cussler behauptet, er habe das Wrack der Mary Celeste ge-
angeblichen Überlebenden.
funden.
1924
9. August 2001
Der Buchklassiker »Mysteries of the Sea« von John Gilbert Lockhart
Der Wissenschaftler Scott St. George von der Geological Survey
erscheint in einer Neuauflage, in der volle 30 Seiten dem Schicksal
of Canada erklärt, er habe die Wachstumsringe des Wracks den-
der Mary Celeste gewidmet sind.
drochronologisch untersucht. Seinem Bericht zufolge datieren die jüngsten Jahresringe auf ein Jahrzehnt nach der Strandung der
Mary Celeste.
12. September 1924 Auf der ersten Seite des ›Daily Express‹ erscheint ein Bericht, der angeblich die Wahrheit enthält. Juli 1926 Das ›Chambers Journal‹ präsentiert einen weiteren Überlebenden. – 1927 erscheint Lockharts Buch »A great Mystery of the Sea«. November 1932 60 Jahre nach den Auffinden der Mary Celeste schreibt die deutsche Zeitschrift ›Yacht‹ einen Bericht über das Geisterschiff. – Kurze Zeit später erscheint ein Bericht, in dem der Schiffskoch John Pemberton für die Glaubwürdigkeit herhalten muss.
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Glossar der seemännischen Fachbegriffe
Davit Halterung für Beiboote und Rettungsboote, mit denen diese bei Bedarf ausgeschwenkt werden können Fall Leine zum Setzen und Niederholen von Segeln
achtern, achterlich hinten, von hinten kommend Anluven Eine Kursänderung nach Luv, also gegen den Wind. Dabei müssen die Schoten, oder auf einem Rahsegler die Brassen, dichter geholt werden. ablandig Bezeichnung für Winde oder Strömungen, die vom Land kommen und zur See hin gehen. Das Gegenteil heißt auflandig. Backbord in Fahrtrichtung gesehen die linke Seite des Schiffes Bilge Die tiefste Stelle im Rumpf, an der sich Schwitzwasser und Leckwasser sammeln. Die Bilge muss über Pumpen regelmäßig entleert werden. Gelenzt werden, wie der Seemann sagt. Brassen Leinen an beiden Enden der Rahen, mit denen diese horizontal am Mast bewegt werden können
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Gaffel Ein Rundholz als oberes Ende eines Gaffelsegels. Die Gaffel streckt das Segel vom Mast aus nach achtern aus. Gieren Ein Schiff folgt den Bewegungen von Wind und Wellen. Besonderen Einfluss haben schräg von vorn oder achtern anlaufende Seen. Gordinge Leinen zum Aufholen und Zusammenziehen von Rahsegeln. Geitaue und Gordinge wirken zusammen. Ein Rahsegel wird zunächst mit den Geitauen aufgegeit, bis es bauchig unter der Rah hängt. Diesen Bauch ziehen dann die Gordinge zusammen, weshalb sie gelegentlich auch Bauchgordinge genannt werden. Gräting Eine Gräting ist ein stabiles, meist hölzernes Gitterrost, das Lukendeckel verschließt, aber trotzdem eine Durchlüftung zulässt. Sie ist so stabil, dass sie betreten werden kann.
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Gut stehendes und laufendes Gut (siehe jeweils dort)
Logis Mannschaftsunterkunft
Heuerbaas Vermittler von Arbeitsplätzen auf Schiffen
Luv dem Wind zugewandte Seite
Kalfatern Mit einem Kalfateisen wurde geteertes Werg zum Abdichten von Nähten zwischen einzelnen Plankengängen eingeschlagen. Große Öffnungen wurden zusätzlich mit Pech ausgegossen.
Niedergang eine Treppe vom Deck ins Innere des Schiffes
Klüverbaum Eine weit über das Vorschiff hinausragende Spiere, an der die Vorsegel gefahren werden. Bei Segelschiffen des 19. Jahrhunderts konnte der Klüverbaum 16 Meter lang sein. Landfall Das Sichten und Erkennen einer Küste von See aus. Die eindeutige Identifizierung der eigenen Position wird durch deutlich sichtbare Landmarken erleichtert. laufendes Gut Alles Tauwerk auf einem Segelschiff, das zum Bedienen der Segel benutzt wird. Es hat seinen Namen, weil es durch Blöcke, Scheiben oder Rollen läuft.
Rahsegel Ein rechteckiges Segel, das an einer Rah genannten Spiere gefahren wird. Eine Rah ist mit einem Rack genannten Beschlag horizontal am Mast befestigt. Schanzkleid Plankengang in Verlängerung der Außenhaut nach oben rings um das Oberdeck. Damit sollen Menschen an Bord geschützt und das Überkommen von Wasser verhindert werden. Schoner mit einem Schonersegel getakeltes Segelschiff Schonersegel Ein im Gegensatz zum Rahsegel nicht an einer Rah, sondern direkt am Mast angeschlagenes Segel. Mit Schonersegeln kann man höher anluven.
Lee dem Wind abgewandte Seite
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Schot Leine zum Bedienen von Segeln
Gut,laufendes Gut, also alle Teile, die zum Segeln eines Schiffes notwendig sind
Schratsegel Im Gegensatz zu den Rahsegeln sind Schratsegel längs am Mast angebracht und können direkt am Mast gesetzt werden.
Tidenhub Der mittlere Höhenunterschied zwischen Hochwasser und dem vorausgehenden sowie nachfolgenden Niedrigwasser. Zum Vergleich mit dem Tidenhub in der Fundy-Bucht in Neuschottland, wo die Mary Celeste gebaut wurde und der 20 Meter beträgt: Bei Cuxhaven in der Elbmündung beträgt der Tidenhub 2,85 Meter, an der Insel Sylt 1,70 Meter.
Seeschlag auf das Schiff schlagende schwere Seen, die erhebliche Schäden anrichten können Spiere Bezeichnung für Rundhölzer auf einem Schiff, mit Ausnahme der Masten stehendes Gut Tauwerk, das zum Befestigen der Masten, Ladebäume und anderer Spieren gehört. Es bleibt bei Segelmanövern stehen. Steuerbord in Fahrtrichtung gesehen die rechte Seite des Schiffes
Verschalken Das Verschalken dient der wasserdichten Abdeckung von Lukendeckeln. Dafür zieht man eine Plane über den Deckel. Sie wird dann zur Befestigung unter einem Eisenband oder Holzlatten am Lukenrand hindurchgezogen. Eingeschlagene Keile sorgen für dauerhaften Halt. Vorstag Leine, die den Mast nach vorn hält
Süll eine senkrechte, bis zu 30 Zentimeter hohe Planke um ein Luk, die Wasser ableitet, damit es nicht in das Luk strömt Takelage zusammenfassende Bezeichnung für Masten, Rahen, stehendes
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Kurzbiografie Eigel Wiese stammt mütterlicherseits von einer alteingesesse- nen Dithmarscher Seefahrerfamilie ab. Als Kind hörte er die Erzählungen über seinen Urgroßvater Johann Hinrichs, der im November 1870 während eines Sturmes vor der pommer- schen Küste auf der Fahrt nach Russland vom Besanbaum seiner Galiot Anna Christina getroffen und über Bord ge- schleudert wurde und ertrank. Seither faszinieren ihn Geschichten über Schiffsschicksale und er recherchiert die Vorgänge, über die er Bücher schreibt. So erschien 1997 ein Buch zum Untergang des deutschen Se- gelschulschiffes Pamir und 2012 eines zum 100. Jahrestag der Titanic-Katastrophe. Außerdem veröffentlichte er mehrere Bücher über Seenotfälle unSeenotrettung.
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Verzeichnis der Abbildungen S. 2 Herbert Schieritz, Neuhütten S. 9 S. 247–251 Sammlung Wiese S. 252 Sammlung Lorenzen S. 253 oben Sammlung Lorenzen S. 253 unten Sammlung Wiese S. 254–255 Sammlung Lorenzen S. 256 Sammlung Wiese S. 257–261 Sammlung Lorenzen S. 262–265 Sammlung Wiese S. 266–267 Sammlung Lorenzen S. 268 oben Real Life Media S. 268 unten Foto Eigel Wiese S. 269–270 Real Life Media S. 271 Foto Eigel Wiese S. 288 Privat
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