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2 kuangalia (schau

29 #2 kuangalia (schau)

Ein wahrer Mann weint nicht wie ein Kind, sagte Thandiwe an dem Abend, an dem wir ihn nach Hause brachten, weil seine Beine unter ihm nachgaben. Er sagte es oft. Und manchmal sagte er es so oft, dass ich fast glaubte, er versuche sich selbst vom Weinen abzuhalten, indem er diesen Satz sagte. Ich hätte meinen Verdacht möglicherweise verworfen oder Thandiwe sogar geglaubt, hätte ich seine Geschichte nicht erfahren, hätte er sie nicht heldenhaft erzählt. Und sie war heldenhaft.

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Denn Thandiwe dealte mit Drogen. Er war noch ein Kind. Er lebte auf den Straßen, irgendwo an der Grenze, und schafte unbemerkt kleine, knisternde Tütchen von der einen Seite auf die andere. Als wir auf den Stufen vorm Goethe-Institut saßen, behauptete er, nie welche genommen zu haben, in den ganzen Jahren nicht. Aber, sagte er weiter und zuckte mit den Schultern, als spiele das alles keine große Rolle mehr, seine Schwester sei nun trotzdem tot. Sein Vater, der zweite, sei trotzdem Alkoholiker gewesen. Seine Brüder seien verschwunden, sagte Thandiwe, er könne sich nicht einmal an ihre Gesichter erinnern. Die Mutter blieb übrig, trotzdem, allein in ihrem Haus, in dem kein Mobiliar mehr stand. Schau, flüsterte er leise, sieh genau hin. An seiner Seite blickte ich zurück in seine Vergangenheit, schaute weiter, das ferne Bild, schwarz-weiß, darauf die Mutter, sitzend, und ihr Gesicht ganz ausdruckslos. Die Wände kahl um sie herum, gräulich, wo das Licht hinfiel, nackt und leer, leerer, weit weg. Ich blinzelte. Schulbücher kosten Geld, sagte Thandiwe in die nun unbewohnte Stille auf den kalten Stufen. Und Alkohol auch. Und die Miete. Dann gingen wir hinein, weil der Film begann.

Der Sprecher erklärte, dass weltweit eine dreifach größere Bevölkerung von der Menge verfügbarer Lebensmittel ernährt werden könne und dass es an logistischen Herausforderungen scheitere, eine gerechtere Umverteilung zu erzielen. Ich nickte, ich kannte dieses Problem. Um mich herum trügerisch falsches, betretenes Schweigen, die Zuschauenden ein kleines Meer heller Köpfe in der Dunkelheit. Ich wusste, warum. Thandiwe nicht. Der Bildschirm des kleinen Fernsehers vorn auf dem Podest flimmerte, und wir sahen containerweise Obst und Gemüse in dunklen Kammern verschwinden, gemeinsam irgendwie, ein kollektiver Akt der Zurschaustellung unserer vorgeblichen Weißen Scham. Aber da sog Thandiwe scharf die Luft ein, und ich sah ihn weinen, das erste Mal, und auf dem Heimweg knickten ihm vor Unglauben die Knie ein.

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