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Besuch bei einer Diva

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Darwin

Darwin

35 Besuch bei einer Diva

»Bitte keine abrupten Bewegungen, nicht trampeln, nicht rennen, gehen Sie wie auf Samtpfoten! Der Trittschall zehrt an ihren Nerven. Das sind Schwingungen in Tiefenbereichen, die wir gar nicht hören ...«

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Ich sagte nicht Ja, sondern nickte nur, der Schwingungen wegen. Die Haushälterin ging voran über einen langen Flur mit Eichenparkett und Minimal Art an den Wänden. Sie beherrschte den Samtpfotengang perfekt: geräuschlos, unverkrampft und elegant. Im Gegensatz zu mir hatte sie die Routine und Filzpantofeln über den Schuhen wie in einem Museum. Hofentlich, dachte ich nur, habe ich nicht schon beim Betreten des Hauses zu viel Lärm gemacht und bin in Ungnade gefallen ... »Vor allem aber starren Sie nicht!«, fuhr die Haushälterin fort und zupfte im Weitergehen sehr feine oder imaginäre Härchen von ihrem Hosenanzug. »Sehen Sie ihr nie direkt in ihre eisblauen Augen. So berühmt sie dafür ist, so empfindlich ist sie gegen fremde Blicke.«

Wir erreichten die Flügeltür am Ende des Ganges. Dort bekam auch ich Filzpantofeln, XXL, was mich auf beschämende Weise daran erinnerte, dass mein Besuch in diesen heiligen Hallen eine Art Ruhestörung darstellte. Hinter der Flügeltür verbarg sich nicht, wie erwartet, das eigentliche Wohngemach, sondern ein riesiges Vorzimmer mit einem raumgreifenden Kronleuchter und einer Reihe von Louis-Quinze-Stühlen, die ofenbar für all jene gedacht waren, die hier auf ihre Audienz warteten. »Noch ein Wort zur Augenhöhe: Am besten, Sie knien nieder oder hocken sich vor ihr auf den roten Teppich. Sie schaut nicht gern zu jemandem auf. Und fassen Sie sie um Gottes willen nicht an! Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass sie zutraulich wird und sich an Sie schmiegt – Hände weg!« Fast schon zwanghaft suchte die Haushälterin auch die historischen Polster nach Härchen ab und wies mir einen Platz zu. Ich setzte mich so lautlos wie möglich auf die äußerste Stuhlkante in der Erwartung, dass sie mich gleich melden würde. Doch sie klopfte nicht an die stuckgerahmte Tür mit der goldenen Klinke, sondern setzte sich zu mir. Ofenbar hatte ich noch immer nicht die Stufe erreicht, eintreten zu dürfen. »Schön haben Sie‘s hier«, flüsterte ich, als die Haushälterin nichts weiter sagte. Doch ich dachte nur: teuer! Dieses Palais im 1. Arrondissement musste ein Vermögen gekostet haben und die Einrichtung noch einmal so viel.

»Gehört alles ihr«, erriet die Haushälterin meine Gedanken. »Es war sein letzter Wille.« »Gerüchten zufolge hat sie 170 bis 800 Millionen geerbt ...«, nahm ich den Faden auf, um aus halbwegs berufenem Mund mehr zu erfahren. Doch die absurd hohen Summen, die durch die Boulevardblätter geisterten, wurden in diesem Hause selbstverständlich nicht kommentiert. Unter dem Schweigen bemerkte ich leise Naturgeräusche: Wasserplätschern, Blätterrauschen, Vogelgezwitscher. Es klang nach einem großen Garten oder Park vor den Fenstern, musste sich aber um eine Geräuschkulisse handeln, die über versteckte Lautsprecher eingespielt wurde. In dem Punkt stimmten sämtliche Gerüchte überein: Nicht trotz, sondern wegen ihrer Prominenz ging sie nie vor die Tür. Natur interessierte sie nur als Kunstprodukt. Ein Vogelruf hörte sich fast an wie ein Handy. Auch die Haushälterin hob den Kopf und lauschte, ließ ihn dann aber wieder sinken. »Und immateriell? Würden Sie sagen, sie ist seine geistige Erbin?«, stellte ich die Frage noch einmal anders. »Sie haben den Verstorbenen doch auch gekannt. Sehen Sie viele Ähnlichkeiten zwischen ihm und ihr ... als Persönlichkeiten, meine ich, oder wenn Sie so wollen, Seelenverwandte?«

Die Haushälterin hob erneut den Kopf und schwieg weiter. »Ich schreibe nicht darüber, keine Sorge, das bleibt unter uns. Ihre Meinung interessiert mich rein privat, schließlich ist das der Kern der Frage, die mich herführt: Lebt er in ihr weiter?«

Ich rechnete mit keiner Antwort. Auch ihre Medienagentin hatte nichts dazu gesagt und mir am Ende nur fünf Minuten Besuchszeit eingeräumt. »Sie sollten ihn in ihrem Beisein nicht erwähnen«, hauchte die Haushälterin. So lange nach seinem Tod wirkte sie noch immer bestürzt, vielleicht aus echter Traurigkeit, vielleicht stellvertretend. »Sein Name ist für sie wie eine Wunde. Alles, was auch nur entfernt nach ihm klingt, tut ihr weh ...« »Ja, aber«, geriet ich ins Stottern, »wie soll ich mich davon überzeugen, ob er in ihr weiterlebt, wenn ich nicht einmal von ihm sprechen darf?« »Das ist Ihr Problem. Aber unterschätzen Sie nicht ihre Treue zu dem Toten. Für immer heißt bei ihr für immer. Ihr Trauerjahr endet nie ...« Die Haushälterin sah mich ernst und unmissverständlich an. Auch sie hatte eisblaue Augen, wie mir erst jetzt aufel, sofern es sich nicht um Kontaktlinsen handelte. Diskret wich sie

36 37 meinem Blick aus, stand auf und horchte an der Tür. Das Vogelzwitschern klang jetzt eindeutig wie ein Klingelton und war anscheinend das Signal zum Einlass, ausgerechnet im Moment meiner größten Verlegenheit. Hier saß ich, umgeben von dem Vermächtnis eines der größten Modeschöpfer aller Zeiten, in einer Welt, die er für seine liebste Hinterbliebene geschafen hatte, und durfte seinen Namen nicht nennen.

Die Haushälterin drückte die goldene Klinke, winkte mir und formte mit den Lippen stimmlos die Silben: Cinq minutes! Dann öfnete sie die Tür. Ich war so überrumpelt, dass ich meinen Stuhl halb umstieß und über meine Filzlatschen stolperte. Samtpfoten gingen anders.

Der Empfangssaal lag im Halbdunkel. Im fahlen Schein des Tageslichts hinter den Vorhängen wirkte der rote Teppich violett. Die Haushälterin ermahnte mich mit zwei, drei stummen Gesten, auf die Knie zu gehen, den Blick zu senken, und ließ uns dann allein. Ich war am Ziel und gleichzeitig wie fehl am Platz. Irgendwo auf den Samtkissen einer weitläufigen Chaiselongue lag das Objekt meiner literarischen Begierde, hingegossen und verschattet, eine Silhouette, die für meine Augen tabu war. Ich wagte kaum zu atmen, geschweige denn, die Stimme zu erheben. Stattdessen verharrte ich auf den Knien und spürte, dass ich älter wurde. Das Blut in meinen Beinen staute sich ungut; in meiner linken Fußsohle meldete sich ein Krampf. Ansonsten geschah nichts.

Meine Audienz hatte ich mir anders vorgestellt.

Es wäre gegen die Etikette gewesen, wenn ich einfach angefangen hätte zu sprechen ohne eine Form von Ansprache oder Aufforderung ihrerseits. Doch von der Chaiselongue kam kein Laut, kein Zeichen, nicht einmal Atmen. Die Naturgeräuschkulisse war hier noch vielstimmiger als im Vorraum, tief und lebendig wie ein Wald bei Dämmerung. Ihr schien das egal zu sein. Das Gezwitscher und Geraschel erregte ihre Aufmerksamkeit genauso wenig wie ich.

Auf der Chaiselongue tat sich nichts.

Von meinen fünf Minuten waren mindestens drei vergangen, als mich der Gedanke beschlich, es könnte ihr vielleicht nicht gut gehen. Womöglich war sie krank, depressiv oder tot? Eine Vorstellung, die bei mir sofort für feuchte Handflächen sorgte! Von allen Antworten auf meine Frage nach den Gemeinsamkeiten zwischen ihr und dem Mann, der sie berühmt gemacht hatte, war der Tod die letzte.

»Choupette?«, flüsterte ich und noch einmal lauter, »Choupette ...!«

Ich ignorierte das Blickverbot und musterte wie aus den Augenwinkeln den silberweißen, beinahe durchsichtigen Flaum zwischen ihren spitzen Ohren, ihr flauschig schneegeripptes Bauchfell, das leicht eingedreht in Seitenlage zum Vorschein kam. Doch unter der flufg difusen Fellwolke, die sie umhüllte, war keine Bewegung, kein Ein- und Ausatmen zu erkennen.

Für einen Sekundenbruchteil sah ich die Schlagzeilen der Boulevardpresse vor mir: »Lagerfelds Katze erleidet Kollaps – Luxusgeschöpf folgt seinem Schöpfer«; »Plötzlicher Tod des reichsten Tiers der Welt gibt Rätsel auf«; »Millionenerbin bei Interview verstorben – war es Mord?« Mir stand der Schweiß auf der Stirn.

Ich rutschte auf den Knien näher und beugte mich ein Stück weit über sie. Ihr kleines Gesicht mit der eingedunkelten Schnauze war zur Hälfte in die linke Vorderpfote gedrückt. Die Schnurrhaare auf der anderen Seite ragten regungslos ins Leere. Nur ein leichtes Zittern durchlief sie, als ich mich ihren mit Pinselhärchen besetzten Ohrenspitzen näherte. Doch vermutlich kam das von meinem Atem. Ich musste ein Keuchen unterdrücken – Knien war viel anstrengender als gedacht! –, wagte mich aber noch weiter vor, auf die Gefahr hin, dass hier alles überwacht und abgehört wurde. Dann hauchte ich ihr seinen Namen ins Ohr, einmal, zweimal. Es war der einzige Weg, sie zu wecken, schien mir, ohne dass im nächsten Moment die Security im Raum stand. Doch nichts geschah. Choupettes Schnurrhaare blieben starr.

Im besten Fall war ihr Schlaf tiefer als ihre Wunde.

Mein erster Impuls war, so schnell wie möglich abzuhauen. Doch ich stand betont langsam auf und ging rückwärts über den roten Teppich zur Tür. Meine Besuchszeit musste bald um sein, doch ich wollte keine Sekunde länger mit dieser Katzenmumie in einem Raum sein. Womöglich war sie schon viel länger tot? Vielleicht war dieses ganze Palais in Wahrheit ein Mausoleum! Entsetzt und fasziniert zugleich starrte ich auf ihre leblose Augenpartie, während ich nach der goldenen Türklinke tastete. Das legendäre Eisblau ihrer Iris würde ich wohl niemals zu sehen bekommen, dachte ich und wunderte mich einmal mehr, dass Katzen keine Augenlider hatten, die sie einfach so zufallen lassen konnten, sondern ihre Sehschlitze mit scheinbar großer muskulärer Anstrengung zusammenkneifen mussten. In dem Moment löste oder verschob

39 sich etwas in ihrem Gesichtsfell und die runden kalten Augen der Choupette blitzten mich an wie blaue Lichter.

Reflexartig riss ich die Tür auf und war mit einem Satz zurück im Vorraum.

Die Haushälterin, die mit Blick auf ihre Armbanduhr auf mich gewartet hatte, sah mich kurz an und guckte dann, einigermaßen erstaunt, zurück aufs Ziferblatt. »Sie schläft«, stammelte ich zur Erklärung, was vielleicht nicht einmal gelogen war. Ohne anzuhalten, eilte ich auf Zehenspitzen durch Vorhalle und Flur zur Haustür. Die Filzpantofeln mussten bei meinem plötzlichen Sprung im Empfangssaal stehengeblieben sein. »Ich glaube, sie träumt von ihm«, sagte ich in der Eingangstür noch zu der Haushälterin, die mir nacheilte, wie um mir in den Mantel zu helfen, den ich nicht mithatte. Dann entfernte ich ein unsichtbares Katzenhaar von meinem Ärmel und trat ins Freie.

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