Finale – Die Abschlusspublikation zum Literatur Labor Wolfenbüttel

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John von Düffel

Besuch bei einer Diva

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»Bitte keine abrupten Bewegungen, nicht trampeln, nicht rennen, gehen Sie wie auf Samtpfoten! Der Trittschall zehrt an ihren Nerven. Das sind Schwingungen in Tiefenbereichen, die wir gar nicht hören ...« Ich sagte nicht Ja, sondern nickte nur, der Schwingungen wegen. Die Haushälterin ging voran über einen langen Flur mit Eichenparkett und Minimal Art an den Wänden. Sie beherrschte den Samtpfotengang perfekt: geräuschlos, unverkrampft und elegant. Im Gegensatz zu mir hatte sie die Routine und Filzpantoffeln über den Schuhen wie in einem Museum. Hoffentlich, dachte ich nur, habe ich nicht schon beim Betreten des Hauses zu viel Lärm gemacht und bin in Ungnade gefallen ... »Vor allem aber starren Sie nicht!«, fuhr die Haushälterin fort und zupfte im Weitergehen sehr feine oder imaginäre Härchen von ihrem Hosenanzug. »Sehen Sie ihr nie direkt in ihre eisblauen Augen. So berühmt sie dafür ist, so empfindlich ist sie gegen fremde Blicke.« Wir erreichten die Flügeltür am Ende des Ganges. Dort bekam auch ich Filzpantoffeln, XXL, was mich auf beschämende Weise daran erinnerte, dass mein Besuch in diesen heiligen Hallen eine Art Ruhestörung darstellte. Hinter der Flügeltür verbarg sich nicht, wie erwartet, das eigentliche Wohngemach, sondern ein riesiges Vorzimmer mit einem raumgreifenden Kronleuchter und einer Reihe von Louis-Quinze-Stühlen, die offenbar für all jene gedacht waren, die hier auf ihre Audienz warteten. »Noch ein Wort zur Augenhöhe: Am besten, Sie knien nieder oder hocken sich vor ihr auf den roten Teppich. Sie schaut nicht gern zu jemandem auf. Und fassen Sie sie um Gottes willen nicht an! Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass sie zutraulich wird und sich an Sie schmiegt – Hände weg!« Fast schon zwanghaft suchte die Haushälterin auch die historischen Polster nach Härchen ab und wies mir einen Platz zu. Ich setzte mich so lautlos wie möglich auf die äußerste Stuhlkante in der Erwartung, dass sie mich gleich melden würde. Doch sie klopfte nicht an die stuckgerahmte Tür mit der goldenen Klinke, sondern setzte sich zu mir. Offenbar hatte ich noch immer nicht die Stufe erreicht, eintreten zu dürfen. »Schön haben Sie‘s hier«, flüsterte ich, als die Haushälterin nichts weiter sagte. Doch ich dachte nur: teuer! Dieses Palais im 1. Arrondissement musste ein Vermögen gekostet haben und die Einrichtung noch einmal so viel.


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