JOURNAL DER KÜNSTE
DAS HAUS AM PARISER PLATZ ZWISCHEN KUNST UND POLITIK ZUR AKTUALITÄT DES TANZERBES VON MARY WIGMAN BIS JOHANN KRESNIK JUNGE AKADEMIE DIE STIPENDIATINNEN UND STIPENDIATEN 2019
DEUTSCHE AUSGABE MAI 2019
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S. 3
S. 32 TANZ UND ERINNERUNG
S. 60
EDITORIAL
TRANSFORMATION STATT RESTAURATION VERSUCH EINER STANDORTBESTIMMUNG
DAS KUBISTISCHE GESICHT
KUNSTWELTEN
Ralph Hammerthaler
Johannes Odenthal S. 4 DAS HAUS AM PARISER PLATZ
S. 36
KÄTHE-KOLLWITZ-PREIS 2019 HITO STEYERL
BALLETT KANN KÄMPFEN JOHANN KRESNIK UND SEIN „CHOREOGRAPHISCHES THEATER“
Anke Hervol
Helene Herold S. 8
S. 62 KUNSTWELTEN
AM PEENESTROM, AM PEENESTROM, DA BLÜHT EIN GÄNSEBLÜMCHEN … Constanze Witt und Katherina Seemann Villanueva
S. 40
ZWISCHEN KUNST UND POLITIK DIE AKADEMIE AM PARISER PLATZ 4 Werner Durth
MARY WIGMAN: DIE VERKÖRPERUNG DES AUSDRUCKSTANZES Stephan Dörschel
S. 64 KONTAKTE ’19
S. 46
DAS FESTIVAL
S. 16
LESESAAL MIT SCHÖNER AUSSICHT DAS ARCHIV AM PARISER PLATZ 4 Werner Heegewaldt
Gregorio García Karman
KARIN WAEHNER: VORREITERIN DES MODERNEN TANZES IN FRANKREICH Stephan Dörschel
S. 20
DER BILDERKELLER
T.I.T.O. – THE INTERNATIONAL TURNTABLE ORCHESTRA EINE KURZE PERSÖNLICHE GESCHICHTE Ignaz Schick
Angela Lammert S. 48 S. 23
SPURENSUCHE DIE LICHT.BILDER VON CHRISTINA KUBISCH
JUNGE AKADEMIE
DEEPFAKES & WAHRHEITSREGIME Lynn Takeo Musiol im Gespräch mit Clara Herrmann
S. 66 FREUNDESKREIS
DER WERT DER BERLINER KULTUR
Rosa von der Schulenburg S. 50 JUNGE AKADEMIE
DIE STIPENDIAT*INNEN 2019 S. 24 CARTE BLANCHE
VA WÖLFL S. 56 GRIPS – DIE ERSTEN FÜNFZIG JAHRE
MIT GRIPS UM DIE WELT Volker Ludwig S. 58 FUNDSTÜCKE
DER DIE DAS GRIPS Andrea Clos
Ein Gastbeitrag von Udo Marin
EDITORIAL
Liebe Leserinnen und Leser, das neue Heft unseres Journals bietet starke Bilder. Bilder, die provozieren und überraschen, vielleicht auch verstören, und die die Vielfalt künstlerischer Programme und Aktivitäten in der Akademie der Künste eindrucksvoll vermitteln. Sie reichen von den scharfsinnigen Installationen von Hito Steyerl, der diesjährigen Trägerin des Käthe-Kollwitz-Preises, über die Arbeiten des Choreografen, Aktions- und Videokünstlers, Malers und Fotografen VA Wölfl, der die Carte blanche gestaltet hat, bis hin zu den immer wieder aufs Neue faszinierenden Fotos der Ausdruckstänzerinnen Mary Wigman und Karin Waehner. In ganz anderer Weise frappierend ist ein Foto vom Pariser Platz, das eine riesige, unwirkliche Brache vor den Ausstellungshallen der Akademie der Künste zeigt. Schlagartig werden dem Betrachter die tiefgreifenden, nicht nur baulichen Veränderungen bewusst, die sich in den letzten 25 Jahren abspielten und zu denen auch der 2005 eingeweihte Neubau der Akademie gehört. In einem Beitrag über den Pariser Platz 4 kennzeichnet Werner Durth die Historie des Hauses als Paradigma für die Verwerfungen der jüngeren deutschen Geschichte und „den ebenso lähmenden wie belebenden Konflikt zwischen künstlerischem Anspruch und politischer Wirklichkeit, [der] dieser Sozietät von Anbeginn mitgegeben“ war. Zu den wenigen im Original erhaltenen Teilen des Vorgängerbaus gehört der Bilderkeller, in dem 1957 und 1958 die legendären Faschingsfeste der Meisterschüler der Ost-Akademie stattfanden. Hier wurde ausgelassen gefeiert, hier haben Manfred Böttcher, Harald Metzkes, Ernst Schroeder und Horst Zickelbein großformatige Wandbilder hinterlassen, die so in damaligen Ausstellungen nicht hätten gezeigt werden dürfen. Angela Lammert beschreibt, wie die nunmehr der Öffentlichkeit zugänglichen Bilder zur Metapher für die kunstpolitischen Auseinandersetzungen dieser Zeit geworden sind. Nach langen Umbauarbeiten konnten vor einem Jahr die Ausstellungssäle und der Lesesaal am Pariser Platz wieder in Betrieb genommen werden und das Archiv seine Räume, Werkstätten und Magazine beziehen. Anlass genug, am 5. Mai mit einem Tag
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der offenen Tür den zweiten zentralen Standort des Archivs der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ein Höhepunkt ist die Ausstellung Erlesene Bibliotheken, die ein herausragendes Sammelgebiet vorstellt. Mit über 300 privaten Büchersammlungen von Künstlerinnen und Künstlern besitzt die Akademie einen Schatz, der nicht nur wertvolle Erstausgaben, Privatdrucke, Tarnschriften und rare Künstlerbücher enthält, sondern auch in besonderer Weise künstlerische Arbeitsprozesse und Netzwerke erkennen lässt. Ein anderer Schwerpunkt des Journals gilt dem Tanz. Wie lässt sich das Erbe der tänzerischen Moderne, das oft nur noch in Beschreibungen, Fotos, Notationen und Rezensionen fassbar ist, rekonstruieren und für die Gegenwart nutzbar machen? Die Programmreihe „Was der Körper erinnert: Zur Aktualität des Tanzerbes“, die von der Akademie gemeinsam mit der Kulturstiftung des Bundes im Spätsommer realisiert wird, widmet sich diesem Thema mit der Installation Das Jahrhundert des Tanzes, aktuellen Tanzproduktionen und diskursiven Veranstaltungen. Die vorgestellten Archive von Johann Kresnik, Mary Wigman und Karin Waehner waren dafür eine wichtige Grundlage. Was hat ein Hochbett mit internationaler Theaterrezeption zu tun? Volker Ludwig, Gründer des GRIPS Theaters und AkademieMitglied, zeigt, wie die Idee eines emanzipatorischen Kinder- und Jugendtheaters von Berlin ausstrahlte und weltweit erfolgreich war. Unter dem Titel „50 Jahre Zukunft“ feiern GRIPS Theater und Akademie der Künste gemeinsam am 28. April am Pariser Platz das 50-jährige Jubiläum und die Übernahme des Theaterarchivs. Viel Freude bei der Lektüre Ihr Werner Heegewaldt Direktor des Archivs der Akademie der Künste
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DAS HAUS AM PARISER PLATZ Hito Steyerl, Abstract, 2012, Zwei-Kanal-HD-Video, Ton, 7:30 Min Installationsansicht: Käthe-Kollwitz-Preis 2019. Hito Steyerl. Akademie der Künste, Berlin, 21.2.–14.4.2019
KÄTHE-KOLLWITZ-PREIS 2019 HITO STEYERL
Hito Steyerl, Hell Yeah We Fuck Die, 2016, Drei-Kanal-HD-Videoinstallation, Environment, 4:35 Min / Robots Today, 2016, Ein-Kanal-HD-Video, 8:02 Min, Installationsansicht: Käthe-Kollwitz-Preis 2019. Hito Steyerl. Akademie der Künste, Berlin, 21.2.–14.4.2019
Hito Steyerl gelingt es auf provokante und scharfsinnige Weise, physische, visuelle und intellektuelle Informationen in ihrem künstlerischen und theoretischen Schaffen zu bündeln. Ihr Werk umfasst Texte, Performances und Dokumentarfilme, in denen sie sich mit postkolonialer Kritik, Machtmissbrauch, Gewalt, feministischer Repräsentationslogik sowie den Einflüssen der Globalisierung auf den Finanz-, Arbeits- und Warenmarkt auseinandersetzt. Die Preisträgerin bietet neue Sichtweisen und Perspektiven auf den aktuellen Kunstbetrieb, wie einst die Namensgeberin der zu verleihenden Auszeichnung Käthe Kollwitz, die vor hundert Jahren in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen wurde. Die Frage nach dem Einfluss virtueller Realitäten auf die User*innen und Rezipient*innen konkretisiert sich in Hell Yeah We Fuck Die (2016). Stählerne Absperrelemente und Wände mit kompilierten Video-AudioSequenzen humanoider Roboter hinterfragen die Rolle von Computertechnologien in Kriegssituationen. Auch
die Videoarbeit Abstract (2012) konfrontiert eine militärische Konfliktsituation in der von Kurden bevölkerten Osttürkei mit Handybildern der Künstlerin auf dem Pariser Platz – schwerwiegende ortsspezifische Bezüge zwischen den weit voneinander entfernten Orten ergeben sich aus den Bildern. Auf einer LED-Wand präsentiert die Preisträgerin auch ihre filmische Studie Die Leere Mitte (1998), die von Passanten geäußerte Zukunftsvisionen für die Brache zwischen Reichstag und Potsdamer Platz erfasst und mit fast vergessenen dokumentarischen Bildern die Zeit vor der Bebauung eines ganzen Stadtteils in Erinnerung ruft. Anlässlich der Preisverleihung stellt Hito Steyerl in der Akademie der Künste am Pariser Platz eine Auswahl von Werken vor, die über historische, politische und/oder räumliche Bezüge die Mitte Berlins zwische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kontextualisieren. ANKE HERVOL ist Sekretär der Sektion Bildende Kunst der Akademie der Künste.
DAS HAUS AM PARISER PLATZ
ZWISCHEN KUNST
DIE AKADEMIE AM PARISER PLATZ 4
Pariser Platz mit dem Hotel Adlon und der Akademie der Künste, um 1910
UND POLITIK Werner Durth
Verbindungshalle als Thronsaal, um 1910
An kaum einem anderen Ort in Berlin hat der Wechsel der Epochen deutscher Geschichte eine solche Dichte von Spuren des Wandels hinterlassen wie an dem mit der Adresse Pariser Platz 4. Für eine schmale Parzelle an der östlichen Ecke des Platzes hatte 1737 der „Schutz-Jude und Hoff-Agent Meyer-Riess“, der dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. das Militär finanzieren half, Baurecht erhalten. Als ein nicht adeliger Bauherr errichtete er zwischen prächtigen Nachbarn ein vergleichsweise bescheidenes Haus, das nur über zwei Jahrzehnte auf seinen Namen eingetragen war. Nach mehrfachem Besitzerwechsel, inzwischen mit einer Fassade in schlichtem Klassizismus ausgestattet, übernahm 1903 der Preußische Staat das Gebäude, um hier der 1696 gegründeten Königlich Preußischen Akademie der Künste einen repräsentativen Standort und eine bessere Einrichtung zu geben als im Alten Marstall Unter den Linden, wo die Künstlersozietät über fast zwei Jahrhunderte zwischen Stallungen und Militärbauten unter eher armseligen Bedingungen untergebracht war. Stattdessen sollte nach Abbruch des Marstalls die neue Staatsbibliothek errichtet und durch den Umzug der Akademie deren Aufwertung demonstriert werden.
Anspruch und politischer Wirklichkeit war dieser Sozietät von Anbeginn mitgegeben – einerseits Mittel zum Zweck der erstrebten Königswürde zu sein und an den großen Akademien in Paris und Rom gemessen zu werden, andererseits unter bescheidenen Bedingungen vom Königlichen Marstall aus Weltgeltung erlangen zu müssen; „musis et mulis“ spöttelte der große Philosoph Leibniz über diesen denkwürdigen Ort mit seinem „Pferdemiste-Geruch“ (Johann Gottfried Schadow), an dem Kunst und Wissenschaft aufblühen sollten. Sarkastisch bemerkte Friedrich der Große, sein Großvater habe die Akademie wohl kaum aus reiner Begeisterung eingerichtet, und notierte: „Man überredete ihn, dass es sich für seine Königswürde schicke, eine Akademie zu haben, wie man einem Neugeadelten einredet, es sei anständig, eine Meute von Hunden zu halten.“ Anständig vorzeigbar sollte sie sein, aber nicht teuer – so hätte das Motto des Enkels lauten können, der seiner Akademie so weit die Mittel entzog, dass sie nur durch den Erfindungsreichtum der Mitglieder und ihr Engagement im Privatunterricht in den eigenen Wohnungen überlebte. Auf die dringende Bitte um Finanzierung von Heizung und Licht antwortete der kunstsinnige König knapp, dass die Künstler „keine Lampen bey mahlen nöthig haben; denn wer da mahlen will, STANDORTWECHSEL der mahl am Tage und nicht des abends.“ Im Rückblick scheint es, als sei die Akademie seit ihrer Gründung Selbst in der Blütezeit der Akademie waren die Arbeitsbedinzu einem listigen Doppelleben gezwungen gewesen, in dem sie gungen kläglich. Immer wieder wandte sich der große Bildhauer einerseits hartnäckig den Eigensinn künstlerischer Praxis zu Schadow in seiner fast fünfzigjährigen Direktorenzeit mit Bittbriebehaupten und höchsten Erwartungen zu entsprechen hatte, ande- fen an die staatlichen Instanzen: „Der ungebundene Vorrath des rerseits aber im wechselnden Stellenwert für die jeweils Herrschen- Elementar Zeichenwerks und mehreres desgleichen liegt zur Aufden stets auch deren Willkür und Anmaßung ausgeliefert war. Der bewahrung unter dem Dache, dieses hat noch keine Fenster, Staub ebenso lähmende wie belebende Konflikt zwischen künstlerischem und Regen und Schnee und Ungeziefer dringen ein.“
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Im Rückblick scheint es, als habe sich die Akademie gerade in den dunklen Stunden ihrer Geschichte durch das Werk, das Engagement und die Präsenz ihrer Mitglieder stets neu erfinden müssen, um jener Idealvorstellung nahezukommen, die Daniel Chodowiecki 1783 in folgende Worte fasste: „Academie ist ein wort das eine Versammlung von Künstlern Bedeutet, die an einem ihnen zugewiesenen ort, zu gewissen Zeiten zusammenkommen, um sich miteinander über ihre Kunst freundschaftlich zu Besprechen, sich ihre Versuche, Einsichten und Erfahrungen mitzutheilen, und einer vom anderen zu Lernen, sich miteinander der Vollkommenheit zu nähern suchen.“ Mit der feierlichen Eröffnung des Hauses am Pariser Platz waren im Januar 1907 neue Bedingungen geschaffen worden. Ernst von Ihne, Hofarchitekt des Kaisers Wilhelm II., hatte die schlichte Fassade des klassizistischen Stadtpalais belassen, den Altbau im Inneren gemäß den Belangen der Akademie umgebaut und nach Süden hin auf der langgestreckten Parzelle ergänzt durch eine Folge von Ausstellungssälen, die wegen ihres Zuschnitts und ihrer Belichtung durch Glashauben bald als die schönsten in Europa galten. Als Gelenk zwischen dem erneuerten Altbau und der Folge der Hallen mit Oberlicht hatte der Architekt einen hohen Treppenturm und den Thronsaal des Kaisers entworfen. Dessen Anwesenheit sollte den Ausstellungen Glanz und den Künstlern Anerkennung verleihen, zumal sich inzwischen das Interesse des kundigen Publikums anderen Ereignissen wie den AusBlick in die Frühjahrsausstellung 1930 stellungen der Berliner Sezession zuwandte. Diese neue Vereinigung von Künstlern, der neben namhaften Malern wie Lovis Corinth, Walter Leistikow und Lesser Ury auch Max Liebermann als Mitglied der Königlich Preußischen Akademie angehörte, präsentierte seit 1899 neueste Tendenzen der Kunst, Die Folgen der politischen Polarisierung, die ab 1928 vor allem vom die in der Akademie absichtsvoll vernachlässigt wurden. Im Rück- nationalsozialistischen „Kampfbund für deutsche Kultur“ voranblick auf deren konservativen Habitus attestierte Liebermann eine getrieben wurde, sind bekannt. Am 30. Januar 1933 begann die „Verknöcherung und Engherzigkeit“, durch die das „vorwärtsstür- Herrschaft Hitlers, und nur sechs Wochen nach der „Machtübermende Talent der Jugend“ dieser Sozietät entfremdet worden sei. nahme“ drohte der zuständige Reichskommissar mit der SchlieNach den lähmenden Jahren des Ersten Weltkriegs und den ßung der Akademie. Um diese Entscheidung aufzuhalten, folgte revolutionären Wirren im politischen Umbruch markierte 1919 der Drohung der Austritt von Käthe Kollwitz und Heinrich Mann, dem sich andere Mitglieder unter Protest gegen die politische Eindie Wahl Max Liebermanns zum Präsidenten einer erneuerten Akademie den Übergang in eine Epoche freier Entfaltung der Künste, flussnahme anschlossen. Nach dem Austritt beziehungsweise Auswobei angesichts der Vielfalt unterschiedlicher Strömungen schluss weiterer namhafter Künstler verlor die Akademie an Bedeuaktueller Kunst im Laufe der Jahre zunehmend auch völkisch-ras- tung, im Juli 1937 wurde ihre Satzung aufgehoben. Schon wenige Monate zuvor hatte der junge Architekt Albert sistische Argumente vorgetragen und in Angriffen auf „entartete Kunst“ polemisch verschärft wurden. Als Zeichen gegen die schlei- Speer, am 30. Januar 1937 im Alter von 31 Jahren von Hitler zum chende Resignation unter den Mitgliedern ernannte auf Initiative „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“ ernannt, seine Liebermanns 1931 der Minister für Kunst, Wissenschaft und Volks- Chance erkannt, in den Räumen der Akademie seine Dienststelle bildung zur Belebung der Akademie eine Gruppe von Künstlern wie einzurichten und die großen Ausstellungshallen für Werkstätten Otto Dix, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, dazu die Architekten und Präsentationen der großen Modelle zur Neugestaltung deutErich Mendelsohn, Ludwig Mies van der Rohe und Martin Wagner scher Städte zu nutzen. Tatsächlich bezog Speer mit Kollegen zu Mitgliedern, wodurch intern die Konflikte mit konservativen Kol- bereits im März einige Räume im Haus am Pariser Platz 4, ab 1938 legen verschärft und in der Öffentlichkeit aufgenommen wurden: erweiterte er die Ausstellungshallen um seitliche Anbauten für wei„Die Geister reihen sich zur Schlachtordnung auf“, warnte schon tere Büros und Werkstätten. Die Lage der Räume Speers am Pariser Platz hatte für ihn und 1928 die Völkische Kunstkorrespondenz. Im selben Jahr erschien das vulgärdarwinistische Pamphlet Kunst und Rasse von Paul Hitler den einzigartigen Vorteil, dass von der nahe gelegenen Neuen Schultze-Naumburg, der 1930 in die Akademie berufen wurde. Reichskanzlei an der Voßstraße Adolf Hitler jederzeit ohne Begleit-
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Die Ruine des Akademiegebäudes nach dem Brand vom März 1945
schutz unbemerkt zum Haus der Akademie kommen konnte, da der um Grundlagen für die Zeit nach dem Krieg zu schaffen, Grundlagen, Weg durch die seitlich abgeriegelten Ministergärten entlang der die sowohl in personellen Kontinuitäten wie in den erarbeiteten Wilhelmstraße führte. Nun konnte sich Hitler auch kurzfristig mit Konzepten nach 1945 wirksam wurden und manchen Mitarbeitern Albert Speer treffen und sich seiner Leidenschaft widmen, mittels neue Karrieren ermöglichten. Plänen und Modellen grandiose Stadtbilder zu imaginieren. Um für die Neubauten der künftigen „Welthauptstadt Germa- DAS HAUS AM PARISER PLATZ nia“ Platz zu schaffen und für die betroffenen „Abrissmieter“ Wohn- Infolge des Luftkriegs schwer beschädigt, brannte das Haus am raum zu bieten, begann im Oktober 1938 auf der einst dem Schutz- Pariser Platz am 18. März 1945 vollständig aus. Das hohe juden des Königs übereigneten Parzelle die systematische Treppenhaus, der Thronsaal und die Folge der Ausstellungshallen Erfassung und Räumung von „Judenwohnungen“ in Berlin. Nach blieben trotz einiger Schäden in der Substanz erhalten. Nach der dem Überfall deutscher Truppen auf die europäischen Nachbar- Teilung Deutschlands in zwei Staaten und der Gründung der Deutländer und einer Reihe von „Blitzkriegen“ wurden die Planungen schen Akademie der Künste im Osten wurde im April 1951 mit dem zur Neugestaltung Berlins und anderer deutscher Städte weiter Ausbau der Saalfolge begonnen, jetzt „Atelierflügel“ genannt. Im vorangetrieben, um gemäß dem „Erlaß zur Sicherstellung des Sie- Oktober 1952 konnte hier der Bildhauer Fritz Cremer sein Atelier ges“ im Blick auf den für 1942 erwarteten „Endsieg“ mit der Bau- einrichten. In den folgenden Jahren boten Cremer und seine vorbereitung möglichst weit fortgeschritten zu sein. Dies betraf Kollegen ihren Meisterschülern in diesem Haus größtmögliche auch die Ausweitung jener Gebiete, die nach Vertreibung der jüdi- Freiräume, die junge Künstler wie Wieland Förster und Werner schen Bewohner als „judenrein“ ausgewiesen wurden, während die Stötzer, Manfred Böttcher, Harald Metzkes, Ernst Schroeder, betroffenen Menschen in Sammelstellen verbracht und durch Horst Zickelbein und andere produktiv zu nutzen wussten. Deportationen ihrer Vernichtung ausgeliefert wurden. Trotz verschärfter Anweisung zur „Studiendisziplin“ und Im Februar 1942 zum Rüstungsminister ernannt, begann Speer Meldepflicht konnte sich in der Ruine am Pariser Platz ein Milieu in Kenntnis der aussichtslosen Lage an den Fronten bereits kollegialer Loyalität zwischen Lehrenden und Lernenden entab 1943 den Wiederaufbau zu planen und richtete 1943 den falten, das den Beteiligten lebenslang in Erinnerung blieb. „Arbeitsstab Wiederaufbauplanung kriegszerstörter Städte“ ein, Bleibendes Dokument der Spannungen zwischen staatlichen
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Blick auf den Pariser Platz mit den Ausstellungshallen und Anbauten, Februar 1992
Reglementierungsversuchen und experimenteller künstlerischer Praxis sind die raumhohen Wandgemälde, die für nächtliche Faschingsfeiern 1957 und 1958 im Untergeschoss der Akademie spontan entstanden. Die Kellerräume wurden Treffpunkt einer kleinen Gemeinschaft von Künstlern und ihrer engsten Freunde, in deren Malerei sich der Aufbruch zu anderen Welten jenseits des Sozialistischen Realismus spiegelte. In den Jahren repressiver Kunstpolitik des Staates wurde die Akademie am Pariser Platz zugleich Schutzraum der Aufsässigen und Angriffsziel der Parteifunktionäre. Über fast vier Jahrzehnte blieb der inzwischen kleinteilig genutzte Atelierflügel des Akademie-Gebäudes ein beliebter Begegnungsort der Künstlerszene, obwohl sich die Nachbarschaft drastisch veränderte. Denn mit dem Bau der Mauer ab August 1961 war das Ensemble der alten Atelierbauten in eine makabre Isolation geraten. Nach Abbruch des Vorderhauses am Pariser Platz, des benachbarten Hotels Adlon und anderer Bauten in der unmittelbaren Umgebung blieb allein die Folge der Ausstellungshallen mit Thronsaal und Treppenturm als letztes Bauwerk nahe dem Brandenburger Tor erhalten, wohl auch deshalb, weil durch diese Nähe zur Mauer nun in der Leere des Grenzgebiets das schroff aufragende Gebäude als Unterkunft für die Wachmannschaften zur Kontrolle der Grenzanlagen genutzt werden konnte. In dem einstigen Thronsaal wurden mit abgehängter Decke unter den
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eingebrochenen Stuckresten die hell tapezierten Kammern für Wachpersonal und eine „Grenzverletzerzelle“ eingebaut, während in der Saalfolge nebenan der Atelierbetrieb weiterlief. So ließe sich die Situation in diesem Haus über Jahre als gelebte Paradoxie beschreiben: als Leben im Versuch größtmöglicher Staatsferne an einem allein der Kunst vorbehaltenen Ort, nächstgelegen zur Mauer, durch Stacheldraht und Todesstreifen eng umschlossen vom Kontrollapparat des Staats. Unterdessen hatte die 1955 im Westen Berlins gegründete Akademie der Künste 1960 ihr eigenes Domizil im Tiergarten erhalten, in dem von Werner Düttmann entworfenen Neubau am Hanseatenweg. In der überraschenden Vielfalt der Formen, Orte und Materialien, in stetem Wechselspiel zwischen Innen- und Außenräumen, zugleich offen und intim, bot dieses Ensemble in den folgenden drei Jahrzehnten die Chance zur Entfaltung künstlerischer und politischer Selbstverständigung der Mitglieder und weiter Ausstrahlung in die Öffentlichkeit. NACH DER WENDE Der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands im Oktober 1990 zog kontroverse Debatten über die Zukunft beider Akademien nach sich, da deren Vereinigung von zahlreichen Mitgliedern der Akademie im Westen rigoros abgelehnt und auch in der Bundespolitik nicht maßgeblich unterstützt wurde, zumal Bundeskanzler Helmut Kohl seine Ablehnung eines solchen
Vorschlags zu erkennen gab. Intensiv wurden in den Plenarversammlungen verschiedene Wege zu einem gemeinsamen Neubeginn diskutiert, darunter auch der Gedanke einer Neugründung als unabhängige Europäische Künstlersozietät. Doch zeichnete sich bald eine pragmatische Lösung ab, auch um das in mehreren Archiven bewahrte Erbe beider Akademien, den Schatz der Sammlungen und Nachlässe auf Dauer sichern und der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. Vor allem dem großen persönlichen Engagement der beiden Präsidenten Walter Jens und Heiner Müller war es zu verdanken, dass unter Ablehnung jeder Form „staatlicher Bevormundung“ ein Gesetz zur Bildung der Akademie der Künste unter Trägerschaft der Länder Berlin und Brandenburg erarbeitet und dadurch im September 1993 eine Fusion möglich werden konnte, die allerdings mit dem Austritt namhafter Künstler aus der Akademie im Westen Berlins verbunden war. Im Rückblick auf die gemeinsame Geschichte beider Akademien war bereits im Frühjahr 1993 beschlossen worden, durch ein internes Gutachterverfahren der Akademie Entwürfe für einen Neubau des zerstörten Hauses am Pariser Platz am historischen Stammsitz und Vorschläge zum Umgang mit dem noch vorhandenen Gebäudebestand zu gewinnen. Ziel war, nach Auswertung der Beiträge Empfehlungen zum weiteren Vorgehen zu erhalten, wobei auch zwei vom Senat beauftragte Gutachten zur künftigen Entwicklung des Pariser Platzes berücksichtigt werden sollten. Nach weiterer Klärung des Raumprogramms wurde noch im Oktober 1993 eine zweite Phase des Gutachterverfahrens eingeleitet. Nach gründlicher Vorprüfung und Bewertung der 19 eingereichten Beiträge kam die Jury am 25. Mai 1994 einstimmig zu der Empfehlung, den Entwurf von Günter Behnisch und Kollegen den weiteren Planungen zugrunde zu legen. Zwei Tage später bestätigte auch die Mitgliederversammlung einstimmig diese Empfehlung. Am 29. Mai wurde Walter Jens erneut zum Präsidenten gewählt und betonte seine Freude über das beschlossene Neubauprojekt
und die absehbare Rückkehr der Akademie an den historischen Standort. Danach präsentierte der Architekt vor der Presse im Haus am Hanseatenweg erstmals öffentlich den Entwurf und erläuterte das Konzept einer Öffnung des Hauses zum Platz hin, wobei er durch Hinweise auf Materialität und Proportionierung der Glasfassade am Pariser Platz auch den absehbaren Konflikt mit der kürzlich erst vorgelegten Gestaltungssatzung ansprach. Nachdrücklich bestätigte Günter Behnisch, dass man angesichts der öffentlichen Bedeutung dieses Hauses und seiner Lage in der stets verschatteten Ecke des Platzes bewusst von jenem Teil des Vorschlags der geplanten Gestaltungssatzung abgewichen sei, der auch an dieser Stelle eine Lochfassade auf Sockel und als Baumaterial Naturstein oder Putz vorschreiben wolle. In allen anderen Punkten folge man in Maß und Proportion den Vorgaben des seit Dezember 1993 bekannten Entwurfs zum Bebauungsplan für den Pariser Platz, mit Respekt vor dem Konzept der „kritischen Rekonstruktion“, die nach Maß und Proportion dem Vorkriegszustand des Ensembles verpflichtet sei, in der konkreten Ausführung allerdings eine zeitgemäße Architektur fordere, um einen sichtbaren Dialog zwischen Bestand und Neubau zu entfalten. DEBATTEN UND VERZÖGERUNGEN Kern und Ausgangspunkt des Entwurfs war der historische Baubestand mit Treppenturm, Thronsaal und Ausstellungshallen, neben dem eine öffentliche Passage den Pariser Platz mit dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas verbinden würde. Mit einladender Geste sollte die Glasfassade am Platz die Altbauten sichtbar machen und deren Zugänglichkeit durch die helle „Fuge“ der Passage bis zur Behrenstraße hin signalisieren. Auf der Grundlage dieses von der Akademie empfohlenen Gutachtens wurde vom Senat ein Vorentwurf beauftragt und mit einer Kostenschätzung von 110 Millionen DM im Dezember 1995 eingereicht. Um zuvor auch die Berliner Öffentlichkeit mit dem Ort, seiner Geschichte und
Entwurf zum Neubau der Akademie, Längsschnitt mit dem Archivbereich an der Behrenstraße rechts, Mai 1994
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dem künftigen Umbau vertraut zu machen, wurde im April 1995 die Ruine gesichert und für ein großes Publikum zugänglich gemacht. Gleichzeitig mit der Verhüllung des Reichstags durch Christo und Jeanne-Claude sollte nun in den nahe gelegenen Ausstellungshallen am Pariser Platz 4 an die Ursachen und Folgen des Zweiten Weltkriegs erinnert werden, die hier ebenso eindrücklich wie vielschichtig ihre Spuren hinterlassen hatten. Aus Anlass des Kriegsendes vor 50 Jahren zeigte im Mai 1995 die Ausstellung 1945. Krieg – Zerstörung – Aufbau Materialien zur Neugestaltung deutscher Städte aus der Dienststelle Albert Speers in Kontrast zu Plänen des Wiederaufbaus west- und ostdeutscher Städte nach 1945. Diese Präsentation fand weltweit Resonanz und steigerte das Interesse an den Plänen zum Neubau, in dem „vom Keller bis zum Dach“ die originale Bausubstanz erhalten werden sollte. Während der Neubau des Hotels Adlon nebenan zügig an Kontur gewann und ein großes Bauschild bereits das Ergebnis mit seiner nach historischem Vorbild konzipierten, reich dekorierten Steinfassade präsentierte, verzögerte sich der Baubeginn der Akademie durch ungeklärte Verfahrensfragen über vier Jahre, obwohl schon Anfang 1996 eine Bauvoranfrage von der Senatsverwaltung unter Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) positiv entschieden worden war. Dieser Bescheid wurde von Nagels Nachfolger Jürgen Klemann (CDU) im März 1996 wieder aufgehoben, da die gläserne Fassade des Neubaus nicht der seit Februar 1996 gültigen Gestaltungssatzung entsprach, die nur Stein- oder Putzflächen an den Fassaden der Randbauten zum Platz hin vorsah. Während die Architekten sich ratlos berieten, hatte Nagel die Stellung gewechselt. Seit Mai 1996 war er als Geschäftsführer des Immobilienunternehmens Bredero tätig, zuständig für den Neubau des Hotels Adlon, dessen historisierende Fassadengestaltung den Architekten des Akademiegebäudes wiederholt als Vorbild empfohlen wurde.
Solchen Erwartungen widersprach öffentlich auch Bundespräsident Roman Herzog, der sich anlässlich des 300-jährigen Gründungsjubiläums der Akademie über die Planung des Neubaus informiert hatte. Er erklärte, dass schon das Gebäude zeigen müsse, dass man „die Zukunft meistern will und nicht nur die Tradition konservieren“. Kurz: „Eine Akademie der Künste kann kein bloßer Honoratiorenklub sein und sollte auch nicht so aussehen.“ Diese Stellungnahme wurde in der Öffentlichkeit als deutliche Unterstützung des Bauvorhabens wahrgenommen. Und doch war nach langem Ringen mit der Senatsbauverwaltung erst 1998 eine Ausnahmeregelung zu erreichen, die eine Realisierung des Entwurfs ermöglichte, welche jedoch ganz anders ausfiel als von den Architekten anfangs geplant. Denn ein weiterer Bauverzug ergab sich aus der Entscheidung des Senats, den südlichen Grundstücksteil einer privaten Nutzung zu überlassen, wodurch die Verlagerung von Teilen des sieben Geschosse hohen Archivs in Untergeschosse am Pariser Platz sowie die Integration des Lesesaals in den Neubau am Platz erforderlich wurden. Obwohl die Kosten der unterirdischen Anlage die Einnahmen aus dem Grundstücksverkauf weit übertrafen und das Konzept eines allseits zugänglichen Archivs mit offenem Lesesaal und Ausblick auf das Denkmalgelände an der Behrenstraße zum Scheitern verurteilt war, wurde diese Entscheidung durchgesetzt. Trotz vehementer Proteste von Seiten der Akademie und der Architekten wurde 1999 der Grundstücksteil an der Behrenstraße zwecks Erweiterung des Hotels Adlon verkauft und das Grundstück der Akademie einer Münchner Leasing-Gesellschaft übertragen. Mit der Ausführung des Projekts wurde ein Generalunternehmen zu einem Festpreis von 76 Millionen DM beauftragt, der für die Fertigstellung des komplizierten Gebäudes nicht angemessen kalkuliert war, wie sich bald zeigte. Nach einer Reihe finanzieller Nachforderungen und weiterer Bauverzögerungen
Berlin nach Planung von Albert Speer, Ausstellung 1945 im Altbau der Akademie, Juni 1995
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Thronsaal mit Grundriss der entfernten Einbauten, Juli 2003
Neubau der Akademie der Künste, September 2008
kündigte der Senat den 1999 geschlossenen Vertrag mit dem Generalunternehmer und übernahm den Bau 2003 in eigene Regie. „Die Vergabe der Bauleistungen zu einem Pauschalfestpreis von 38,35 Millionen Euro war völlig unrealistisch“, zitierte die Presse im November 2003 aus einem Bericht des Rechnungshofs an das Berliner Abgeordnetenhaus. Mit dem Abschluss des Hauptstadtkulturvertrags im Januar 2004 wurde die Rechtsaufsicht über die Akademie an den Bund übertragen, im Frühjahr 2005 wurde das durch den Grundstücksverkauf und diverse Umplanungen verstümmelte Ensemble fertiggestellt, im Mai 2005 fand die feierliche Eröffnung statt. Bei allem Glanz der Veranstaltungen an diesem prominenten Ort und wachsender Akzeptanz des Hauses in der Öffentlichkeit blieben die nächsten Jahre überschattet durch die Folgen funktionaler und technischer Mängel, deren Behebung langwierige Gutachten und weitere Kosten nach sich zog. Dennoch konnte der Gesamtbetrieb der Akademie nahezu reibungslos aufrechterhalten werden, denn mit den Störungen wuchs die Fähigkeit zur Improvisation, zumal das Haus am Hanseatenweg, inzwischen denkmalgerecht saniert, mit seinem reichhaltigen Raumangebot Lücken zu überbrücken half – ein wohlvertrautes Basislager gegenüber der Dauerbaustelle am Pariser Platz, die über Jahre noch eine Experimentalwerkstatt zur Bewältigung unvorhersehbarer Ereignisse blieb. Immerhin: Die Schäden konnten behoben, Technik und Betrieb neuen Standards angepasst werden. Seit 2018 sind Archiv und Lesesaal eingerichtet, auf verschiedenen Ebenen zeigt die Akademie ihre Schätze. Die Regie der Arbeits-
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teilung zwischen dem Haus am Platz und dem im Tiergarten hat sich bewährt. Und doch bleibt das Befremden darüber, dass in den Wirren der Wendezeit unter schwierigen Bedingungen zwar die Vereinigung der Akademien gelang, nicht aber die einfache Aufgabe, ihr ein Haus nach den vereinbarten Plänen zu bauen. So ist dieses Gebäude mit seinen Mängeln zugleich auch ein Dokument der Selbstbehauptung der Akademie in der weiterhin virulenten Spannung zwischen Kunst und Politik, die jede Generation vor neue Aufgaben stellt.
Ausführlich zur Geschichte des Hauses, mit zahlreichen Abbildungen und Geleitworten von Adolf Muschg, Walter Jens und György Konrád siehe Werner Durth / Günter Behnisch, Berlin – Pariser Platz 4. Neubau der Akademie der Künste, Berlin 2005, dem auch die Zitate im Text sowie die Bilder (außer der Aufnahme des Neubaus von 2008) entnommen sind.
WERNER DURTH war bis 2017 Professor für Geschichte und Theorie der Architektur an der Technischen Universität Darmstadt. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung und seit 1989 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin, Sektion Baukunst. Mit Günter Behnisch hat er den Neubau der Akademie der Künste am Pariser Platz konzipiert.
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DAS HAUS AM PARISER PLATZ
Mit einem Tag der offenen Tür präsentiert sich am 5. Mai das Archiv der Akademie der Künste am Pariser Platz. Im vergangenen Jahr konnte das Archiv die dortigen Diensträume, Magazine und Werkstätten beziehen. Im zentralen Lesesaal mit seinem einzigartigen Blick auf das Brandenburger Tor stehen die reichhaltigen Bestände der Bibliothek und des Baukunstarchivs zur Einsichtnahme zur Verfügung. Mit über 600.000 Bänden handelt es sich bei der Bibliothek um eine der größten Büchersammlungen zur Kunst und Kultur der Moderne im deutschen Sprachraum. Von besonderer Bedeutung sind die vielfältigen Sondersammlungen mit wertvollen Erstausgaben, Literatur zum Expressionismus, Tarnschriften und seltenen Exilausgaben aus den Jahren 1933–1945. Das Baukunstarchiv bietet einen herausragenden Fundus zur deutschen wie internationalen Architekturgeschichte und verwahrt 71 Archive und 80 Sammlungen. Die Eröffnung erfolgte nach langer Bauzeit, vielen Provisorien und einem Umzug mit besonderen logistischen Herausforderungen: 9.800 Regalmeter Bücher, 637 Regalmeter Archivgut, 2.300 Planrollen und 574 Planschübe mit Bauzeichnungen, 320 Architekturmodelle und 73 Gemälde mussten transportiert werden; 20 Mitarbeiter/innen erhielten ein neues Domizil. Der Pariser Platz 4 ist nunmehr neben dem RobertKoch-Platz 10 der zweite Hauptstandort des Archivs.
LESESAAL MIT SCHÖNER AUSSICHT DAS ARCHIV AM PARISER PLATZ 4 Der Tag der offenen Tür ermöglicht einen ungewohnten Blick hinter die Kulissen eines Kunstarchivs. Archivar/innen und Restaurator/innen lassen sich bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen. Führungen erklären die wechselvolle Geschichte des Akademiegebäudes und zeigen die sonst verschlossenen Magazine. Lesungen und Vorträge bieten Einblicke in die Bestände. Eine besondere Attraktion ist eine Modenschau von Schauspieler/innen der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin. Sie präsentieren Theaterkostüme aus dem reichhaltigen Fundus des Archivs. Am selben Tag eröffnet die Ausstellung Erlesene Bibliotheken – Aus den Sammlungen der Akademie, in der besondere Schätze aus Vor- und Nachlassbibliotheken zu sehen sind. Die eigene Büchersammlung war für viele Künstlerinnen und Künstler eine bevorzugte Werkstatt und Inspirationsquelle. Die hinterlassenen Widmungs- und Arbeitsexemplare mit Anstreichungen, Kommentaren und Einlagen sind heute eine unverzichtbare Quelle, um Denkweisen, Arbeitspraktiken und künstlerische Netzwerke zu entschlüsseln. Die Ausstellung ist bis zum 16. Juni in den Ausstellungssälen am Pariser Platz 4 zu sehen.
WERNER HEEGEWALDT ist Direktor des Archivs der Akademie der Künste.
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DAS HAUS AM PARISER PLATZ
DER BILDERKELLER AM PARISER PLATZ
Fasching und/oder Widerstand: Welche Rolle spielte der Pariser Platz 4 als Produktionsort vor und nach dem Mauerbau? Und wie kommt es, dass die Künstlerinnen und Künstler in den 1950er Jahren mit ähnlichen Argumenten kritisiert und abgelehnt wurden wie nach 1989? Ein Beitrag von Angela Lammert zum „Bilderkeller“ unter der Akademie der Künste am Pariser Platz und seiner kunsthistorischen Bedeutung, von der „schwarzen Periode“ bis zur Utopie einer europäischen Künstlersozietät. Rosa von der Schulenburg folgt Christina Kubisch bei ihrer visuellen Spurensuche im Bilderkeller zur Eröffnung des Hauses 2005.
DER BILDERKELLER Angela Lammert
WIDERSTAND IM KELLER? „Widerstand im Keller“ – so sind die Wandmalereien im sogenannten Bilderkeller am Pariser Platz im Herbst 2018 während der Berlin Art Week bezeichnet worden. Zunächst war es aber Fasching, der im ehemaligen Kohlenkeller der Deutschen Akademie der Künste 1957 und 1958 gefeiert wurde: Mitglieder und Meisterschüler aller Künste trafen zusammen, von Fritz Cremer und Heinrich Ehmsen bis zu Paul Dessau und Helene Weigel. Feuchtfröhlicher Spaß, Tanz auf dem Vulkan in der Nachkriegszeit und freies Austoben an den Wänden. Erhalten haben sich Wandmalereien von Manfred Böttcher, Harald Metzkes, Ernst Schroeder und Horst Zickelbein. Zu den Hauptakteuren gehörte auch der Bildhauer Werner Stötzer. Ihre Dekorationen wurden zweimal im Keller der Akademie „begraben“. Zwar wurden sie im Mai 1989 vom Kohlenstaub befreit, fotografiert und publiziert, doch 2000 standen die Bagger zum Abriss bereit, und nur durch einen Baustopp mit Hilfe der Denkmalpflege konnte die Zerstörung verhindert werden.1 Jetzt sind sie
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nach dreißig Jahren erstmals wieder der Öffentlichkeit zugänglich. Sie gehören zu den einzigen drei originalen Resten der historischen Bebauung des Pariser Platzes – neben den Ausstellungsräumen aus der Königlichen Akademie der Künste und dem Brandenburger Tor – und sind zugleich Zeugnisse der zeitlich längsten Nutzungsspur des Gebäudes: Von 1950 bis 1989 wurde das Haus für Ateliers von Mitgliedern und Meisterschülern, den Druck-, Foto- und Ausstellungswerkstätten und später vom Literaturarchiv genutzt. Das Gebäude am Pariser Platz war in der DDR ein Ort der künstlerischen Produktion und Begegnung: Neben dem bis zu seinem Lebensende dort arbeitenden Fritz Cremer fanden sich Waldemar Grzimek, Gustav Seitz, aber auch Heinrich Ehmsen und Otto Nagel dort mit jungen Künstlern zusammen. „Das ist kühn!“, soll Ehmsen zu den schwarzen, von der Presse angegriffenen Bildern Metzkes' gesagt haben. Stötzer erinnert sich, mit Grzimek den Kopf für dessen Heinrich-Heine-Denkmal mehrfach neu an den Tonrumpf angesetzt zu haben. Auch John Heartfield, Gret Palucca und später Konrad Wolf und Diego Rivera trafen sich am Pariser Platz. Ein Ort, zunächst umrahmt von Ruinen und freiem Blick aufs Brandenburger Tor, dann von der Mauer begrenzt, vor dem Neubau wieder ohne Mauer – und unter dem Schutzmantel des letzten Präsidenten der Akademie im Ostteil, Heiner Müller, mit der Galerie Pariser Platz 4 zum Ausstellungsort anderer Art geworden.
SCHWARZ Die sogenannte Schwarze Periode oder der Strenge Stil der Berliner Malerei – so die Legende – war von einem Fass schwarzer Pigmente gespeist, das für die Faschingsmalereien im Keller verwandt wurde und als Farbton in die Ölbilder wanderte, die in den darüber gelegenen Ateliers entstanden. Sie führten zum Unmut der offiziellen Kunstkritik: Zu unzeitgemäß fand man die Bilder. Der gleiche Vorwurf traf die Künstler nach 1989: In den Akten, Stillleben und Landschaften fand man nicht die narrative, auf die Politik bezogene Motivwelt, wie sie in der Leipziger Schule dominierte. Ein westlich sozialisiertes Publikum assoziiert mit der Kunst in der DDR Maler wie Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Willi Sitte oder Werner Tübke. Das ist aus Sicht historischer Deutungshoheiten symptomatisch. Das große internationale Interesse am Bilderkeller – von der Tate Modern aus London bis zu Japan und Finnland – und der Erfolg von Filmen wie Gundermann (2018) von Andreas Dresen weisen womöglich darauf hin, dass die Zeit reif für ein anderes Narrativ über die DDR ist. Der Generation der um 1930 geborenen Meisterschüler ging es um einen anderen als den geforderten Realismus. Der von außen empfundene Druck ließ sie zusammenrücken und in ihren Arbeiten aufeinander reagieren. Die daraus hervorgegangenen „schwarzen Bilder“ korrespondieren mit Tendenzen der europäischen Malerei von Bernard Buffet bis zur Abstraktion von Hans Hartung – sie sind nicht nur in einem DDR-Getto anzusiedeln, wie es oft getan wird. Aus dem Chaos des
Akademie der Künste, Bilderkeller: Wandbilder von Manfred Böttcher
Krieges kommend, war die Sehnsucht nach dem Vitalen in der Form stark. Das Naturhafte des Gegenstandes sprengend, dennoch an ihm interessiert zu sein, verband sie. Der Fasching von 1957 hatte kein Thema. Fotografien zeigen die unterschiedlichsten Motive: vielarmige Göttinnen, auf den Kopf gestellte Gipsfiguren und zeichenhafte Elemente. Ein Jahr später, 1958, gehen die Faschingsmalereien auf einen Vorschlag von Werner Stötzer zurück – auf die Ballade vom Wilddieb, in der der Förster mit der Staatsmacht und der Wilddieb mit dem Subversiven assoziiert war. Melancholisch in sich versunkene Gestalten mit abgewinkelten Köpfen und Handgelenken umrahmen eine nach vorn geklappte Tischplatte, auf der ein Wildschweinkopf, leere Teller und Krüge neben wenigen unverzehrten Speisen stehen. Keiner sieht den Anderen an, keiner blickt aus dem Bild heraus. Neben dem schwarzen Kolorit, das die Bilder dieser Jahre verbindet, sind es der flächige Aufriss der Komposition, die scharfe Zeichnung und die symbolhaften Elemente, die zum Ausdruck einer jungen, noch suchenden Künstlergeneration und der Gegenwärtigkeit ihrer Ängste und Nöte wurden. Ausgetrocknete Haifische, Artisten, ein einsames Bett, karge Landschaften und dunkle Interieurs – das waren die Motive, die den erwähnten Unmut der offiziellen Kunstkritik hervorriefen. Böttchers zeichenhafte Menschenkürzel – gewissermaßen „Pencks vor Penck“ – haben zwar keine direkten Beziehungen zu seinen sonstigen Arbeiten dieser Zeit. Allerdings sind sie durch den Gebrauch der Farbe Schwarz verbunden. Das Schwarz steigerte seine
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Vorstellung von einer „Verzauberung der Dinge“, der Doppelwertigkeit von Darstellung und schlüssiger innerer Bildordnung. In den raumgreifenden und sich über Eck ausbreitenden picassoesken Frauenakten mit anschwellenden Gliedmaßen schlug sich nieder, dass die Meisterschüler sich innerhalb einer europäischen Nachkriegsmoderne verorteten. Auch in ihrem reifen Werk sollten sie diesen Sinn für das Politische im Alltäglichen behalten.
„Ist das aufrichtig?“
BITTERE FRÜCHTE „Bittere Früchte“ ist der Titel eines Zeitungsartikels zu der von Fritz Cremer initiierten Ausstellung Junge Künstler – Malerei (15.9. – 29.10.1961), an der auch die Faschingsmaler teilnahmen. Ungeplant fiel der Mauerbau in diese Zeit. Es kam zu einem kulturpolitischen „Kesseltreiben“ gegen die Akademie und zu einer aufgeheizten kulturpolitischen Debatte am Robert-Koch-Platz am 19. Oktober 1961, von der sich Tonbandprotokolle erhalten haben. Sie zeugen von einem harschen Gesprächsgefecht. Fingierte Arbeiterbriefe wurden vorgelesen und von Paul Dessau enttarnt (Heartfield soll wortlos seine Jacke in die Luft geworfen haben, wie Dieter Goltzsche berichtet), Cremer wiederholte mit
brüchiger Stimme immer wieder, „Ist das aufrichtig?“, und meinte damit die Kulturfunktionäre. Der Filmemacher Jürgen Böttcher / Strawalde – „Ich bin der Gangster-Maler“ – hielt eine mutige Rede, wandte sich gegen die Angriffe und bezeichnete den Kunstkritiker Horst Jähner als Friseur, „aber ein Friseur, der nicht mehr frisiert, was seine eigentliche Sache wäre“. Helene Weigel sprach über den Hochmut von Nachahmungen – denn der Weg der Kunst gehe darüber hinweg. Die Konflikte entflammten auch in der Literatur um den Schriftsteller und späteren Präsidenten der Akademie der Künste, Heiner Müller, und den Liedermacher Wolf Biermann. Der Disput entwickelte sich zu einem Stellvertreterkrieg gegen die Akademie-Mitglieder. Böttcher, Schroeder und Zickelbein waren Meisterschüler bei dem aus der klassischen Moderne kommenden Maler Heinrich Ehmsen, der 1945 Mitbegründer der Hochschule für bildende Künste in Berlin-Charlottenburg war und 1950 entlassen wurde. Metzkes war Meisterschüler bei dem mit Heinrich Zille und Käthe Kollwitz befreundeten Otto Nagel, der von 1956 bis 1962 Präsident der Deutschen Akademie war. Stötzer war Meisterschüler bei dem Bildhauer Gustav Seitz, der ebenfalls in Westberlin entlassen wurde. Um einige andere Mitglieder zu nennen: Bertolt Brecht, Paul Dessau, Hanns Eisler, Waldemar Grzimek, John Heartfield, Helene Weigel, Arnold Zweig (1950–1953 Präsident). Schon 1958 war in der Presse zu lesen: „Die vertoteten Landschaften von Schroeder, das verkümmerte Buffetfräulein von Böttcher und die chinesischen Trauma von Metzkes verdeutlichen die
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Akademie der Künste, Bilderkeller: im Vordergrund Wandbild von Harald Metzkes und Manfred Böttcher
Anklänge […] an den Existenzialismus, zu dessen Pessimismus in Fragen des Daseins man sich scheinbar hingezogen fühlt. Die gleichsam aus der Konserve geschaffenen Werke, das Depressive ihrer menschlichen Entleerung, verdeutlicht das Abseitige ihrer künstlerischen Position, in die sie während ihres Aufenthaltes an der Akademie geraten sind.“ Termini wie das „Abseitige“, „französischer Miserabilismus“ „Konservenkunst“ sind exemplarisch für die kunstpolitischen Debatten und Auffassungen der Zeit. Zeitweilig wurde die Meisterschülerausbildung ganz ausgesetzt. Cremer verteidigte diese
„Wir wissen alle, dass die Existenz dieser Akademie in Frage steht. Umso wichtiger ist, dass sie arbeitet“ im Grunde loyale, aber auch „mit sehr viel echter Skepsis“ ausgestattete neue Generation. Er war überzeugt, dass die DDR gerade die „sogenannten schwierigen jungen Künstler“ brauchte und „nicht die Musterknaben, die Langweiligen, Wohlgefälligen“. In Folge dieser Debatte trat er als Sekretär der Bildenden Kunst zurück und Otto Nagel musste es ihm als Akademiepräsident gleichtun – aus „gesundheitlichen Gründen“, wie es offiziell hieß. Die Überschätzung der politischen Wirkung von Kunst
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schloss gerade auch den Disput über ihre Formen ein. Was umstritten ist, ist streitbar. Metzkes 1957 gemaltes, drastisches und surreal anmutendes Stillleben eines präparierten Hais tritt nicht nur als Motiv gleichfalls bei seinen Malerfreunden und Faschingsdekorateuren auf, sondern setzt an der „Kriegsfibel“ des 1956 verstorbenen Bert Brecht an. Das Bild, das schon 1977 von der Nationalgalerie in der DDR angekauft wurde, führt das Kreatürliche besiegter Aggressivität vor Augen und erinnert an Krieg und Nachkrieg. Die Notwendigkeit zur Entscheidung kann als „bittere Frucht“ jener Jahre gelten. Die Faschingsmalereien sind einmalige Zeugnisse dieser Auseinandersetzungen und machen erstmals diese historische Schicht des Gebäudes sichtbar. Das war auch 1991 im Zusammenhang mit dem neu gegründeten „PariserPlatz-Verein“ der Grund darauf hinzuweisen, dass die Akademie im Ostteil der Stadt weder allein „Schutz und Hort des Verständnisses“ noch allein „angepasste Staatsinstitution“ war, sondern dass sich deren Eigenart (wie im Westteil der Stadt) gerade in der Ambivalenz findet. Der Verein – der aus einem freien Zusammenschluss von Künstlern, Handwerkern und Wissenschaftlern der Akademie entstanden war – veranstaltete im ehemaligen Atelier von Cremer die ersten öffentlichen Ausstellungen. „Wir wissen alle, dass die Existenz dieser Akademie in Frage steht. Umso wichtiger ist, dass sie arbeitet“, schreibt Heiner Müller mit Blick auf seinen nie realisierten Plan einer Europäischen Künstlersozietät. Aber das ist ein anderes Kapitel.
1 D ie hinteren Kellerräume hat man im Jahr 2000 abgerissen. Zuvor wurden die Malereien in diesem Teil von der RAO (Restaurierung am Oberbaum GmbH Mitte) abgenommen; siehe http://rao-berlin.de/akademie-der-kuenste-in-berlin-ampariser-platz/.
ANGELA LAMMERT ist Leiterin des Bereichs interdisziplinäre Sonderprojekte der Akademie der Künste.
BILDERKELLER Mittwochs um 18 Uhr und sonntags um 11 Uhr werden geführte Rundgänge durch den Bilderkeller angeboten. Die Teilnehmerzahl ist auf 20 begrenzt, Anmeldung ist erforderlich. Tel: +49 30 200 57 1000, Mail: kunstwelten@adk.de. Preis: € 6/4. www.adk.de/bilderkeller
Christina Kubisch, o. T., aus der Serie Licht.Bilder, 2005, Fotoarbeit mit UVLicht, Piezo-Pigmentdruck auf Bütten
SPURENSUCHE DIE LICHT.BILDER VON CHRISTINA KUBISCH Rosa von der Schulenburg
Licht im Keller: Zur Eröffnung des Akademie-Neubaus 2005 wurde Christina Kubisch eingeladen, auf die Räumlichkeiten zu reagieren. Anlässlich der Ausstellung Raum. Prolog schickte sie das Publikum unter die Erde auf eine der elektromagnetisch-akustischen Entdeckungstouren, die ein Markenzeichen der multimedialen Künstlerin sind. Die damals von Feuchtigkeit, Ausblühungen und Verwitterung stark gezeichneten und nur teilweise sichtbaren und fragmentierten Wandbildreste des „Bilderkellers“ übten eine große Faszination auf sie aus. So wie sie die spezifischen Schwingungen und die Rhythmik der elektromagnetischen Felder eines jeweiligen Ortes über kabellose Kopfhörer hörbar zu machen versteht, wählte Kubisch im Bilderkeller nun das elektromagnetische Wellenspektrum von ultraviolettem Licht, um etwas nicht
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oder kaum Sichtbares im Sinne des Wortes „ans Licht“ zu holen. Es gehe ihr – so die Künstlerin – nicht so sehr um versteckte Realitäten als vielmehr um unsere mangelnden Fähigkeiten, diese mit dem menschlichen Sensorium wahrzunehmen. Mit zwei starken UV-Strahlern leuchtete sie die Wände ab und machte mit Hilfe dieser Frequenzen fluoreszierende Organismen wie Schimmel, Flechten, Ausblühungen im Stein und andere Ablagerungen sichtbar, die sich im Laufe der Jahre in die Malereien eingenistet und mit ihnen verbunden hatten. Aus diesen „Zeitbildern“1 entwickelte sie mittels Langzeitbelichtung eine Serie von analogen Fotoarbeiten. Kubisch interessiert sich dabei gleichermaßen für die besondere Schönheit der feuchtigkeitsbedingten Oberflächenphänomene des Ausblühens und Verfallens am Mauerwerk als auch für den speziellen Charme der künstlerischen Relikte. Der an die Fluoreszenz erinnernde strahlende Blauton in den Piezo-Pigmentdrucken auf Büttenpapier und die abstrakten, ausschnitthaften Formen vermitteln den durch UV-Licht sichtbar gewordenen Zustand des Ortes auf eine Weise, die die Dokumentation der Spuren zu einem ästhetischen Vergnügen macht. Die Licht.BilderSerie, bestehend aus neun Blättern, wurde 2005 in einer Auflage von 5 (plus einem EA, épreuve d'artiste) gedruckt. Ein Blatt zitiert ein Detail aus einer zwei Eckwände füllenden, turbulenten Szene, die wahrscheinlich von Harald Metzkes und Manfred Böttcher gemeinsam geschaffen wurde. Zwei muntere nackte Weibsbilder und eine Karl-Valentin-artige Gestalt mit Hut, Frack, modisch hochhackigen Schuhen und dicker Zigarre (oder lang
ausgerollter Faschingspfeife) zwischen den Lippen haben sich in einem beschwingten Reigen offensichtlicher Lustbarkeit vom Boden gelöst. Der flotte Dreier scheint in dieser fröhlichen Männerfantasie im forschen Griff der einen Dame nach dem phallischen Gebilde im Mund des Mannes seinen Dreh- und Angelpunkt zu haben. Christina Kubisch freilich konzentriert sich in ihrer Adaption auf ein anderes vielsagendes Detail, auf die mit modischem Schuhwerk unterm engen Beinkleid keck gestreckte untere Beinpartie des Herrn. Mit sicherem Griff dreht Kubisch das Detail um 90 Grad im Uhrzeigersinn weiter, so dass sich der Galan nun nicht mehr nur in Schieflage befindet: Durch diesen Dreh in schwindelige Steillage gebracht, erreicht die Dynamik des Vergnügens für das Mannsbild den Höhe-, wahrscheinlich aber auch den Wende- und Endpunkt. Honi soit qui mal y pense (Eine Schelmin, die Übles dabei denkt). 1 E rst in späteren Jahren (sukzessive bis 2014) erfolgten konservatorische und restauratorische Maßnahmen, um die am Ort noch verbliebene DDR-Malerei im Bilderkeller zu erhalten.
ROSA VON DER SCHULENBURG ist Leiterin der Kunstsammlung der Akademie der Künste.
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RITTERS ABSCHIED VA Wölfl VOM FENSTERSCHLIESSEN Interview mit VA Wölfl von Jürgen Kramer (Maler) J.K. J.K. Gleichsam ein leerer
Schädel, voll von Erde und von Sinnen, von Sinnen, dunkler dankbarer Leichenschmaus mit ihr, übersät, von Wunden übersät, ach wie rührselig und welche Anmut, welche Anmut in Ihren vier toten Augen, in ihrem geöffneten Leib, in ihrem Blut, das Bad in ihrem Blut und der Hunger nach Fleisch. r VA W. Ritters Abschied (Ländler) Jodle J.K. Mit Wirklichkeit verhandelnd, schon entschwunden; oder mit sich verhandelnd, schon verloren. Vier liebe Säulen, Löcher tragend, ein Alltag und ein Menschenschutt, Müllhalde der Kraftlosen, der Feiglinge, aber das Kostbare, es verflüchtigt sich; denn wie Säue in Beliebigkeiten suhlen. VA W. Heißt das Gerinne des Sandes, das Verschütten (des Salzes) bringt ein Unglück? Bringt nur. † es ist! (dieses Kreuz als »Und« gedacht - - - ein Plus?) Durchblicke Die Minusse in den Säulen, verschüttet, und überhaupt, das Museum als verschütteter Mut! J.K.
CARTE BLANCHE
VA WÖLFL
J.K. Ist das Museum ein Ort
der Feiglinge, das Publikum eine Ansammlung von Betschwestern in Furcht vor Selbstentleibung? Aber, was ist das: Viermal misslungene Flucht, verwaiste Hölle, ein Leichenleben und in den Augen immer nur Asche? VA W. Das Publikum, die Öffentlichkeit das Fragwürdigste. Darein ein Bewerber, ein Sieger, ein Häuptling, ein Feigling, die Spitze das Tragischwürdigste: kein Unterschied. Feigheit, Abfall der Macht.
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DUETT
VA W. Zur Frage zur Antwort:
J.K., J.K. Warum nicht
eine Kunst ohne den Anderen, eine ganz und gar tote Kunst, nicht einmal Selbstgespräche. Es treten ab: die Lebenden. Mehr als eine Kunst für die Kunst und dennoch die Kümmernis um alles in allem, eine ungebundene, unabhängige Kunst. Nur Leichengeruch um sich verbreitend, nur noch Flair von Untergang (für Buchhalter und Connaisseurs). W AV. Auch das Schweigen rufen? Verlaß die Malerei - besser verlassene Kunst, sonst ist auf sie Verlaß So erfüllt sich in der Nähe, was in der Ferne gesucht wird: die Sucht sehnt sich todesfreudig dunkel in Schwarzem rührend, quacksalbernd bis an den Rand da - -. Darüber hinaus und sich freudig ja so jauchzend an die Hoffnungslosigkeit schmiegend ... Endlich keine Hoffnung. oh - die Hoffnungslosigkeit ist. Endlich sicher. Ohne Thema lallen, nur Sing Sang. Endlich die feste Burg von Hoffnungslosigkeit. Endlich dies stählerne Schwert von Hoffnungslosigkeit.
Der Maler an den Tod Stehend: „elegant“ Sitzend: „denkt“ Kniend: „Herbst“ „Gott gib mir die Würde Laub zu sein Trocken Nur Farbe" liegend: Liegend: „Leb mich und vergiß wohl“ VA W. Ja - sie fallen mit den Schattenfängern mit der Sekunde der Wahrheit. Wahrheit kommt nicht ungeschminkt daher, von der Lüge erwartet, diese sich verkleidend
VA W. Vergessen!
Der Adler, die Schlange, Winter, Mittag, auf der Höhe, außer Sturz, welches Medium braucht der Künstler? J.K. Überflüssige: Im Strudel der Verdrehung endlich einen Stillstand, Halt und nochmals Halt, mit jedem Bild hält der Maler die Welt an. Totenstille, nun denn, nichts geht mehr, die Häme da capo. Nicht das Übelste eines. VA W.
(MONTÄNE ZEREMONIE - pah WELCH EINE ZÄHLSUCHT). J.K. Aber warum Scheu
vor Liebe, dieser verkleideten Strassengöttin, willfährige Hure der Allgemeinheit, allerbanalst schickt ihre Strahlen in diesen dummen Raum, lachend die Schatten, billiges Theater der Bewegung für Scheinlebende, nichts sich wirklich ereignend. Das heißt nichts. So ist es.
.J.K
VA W. - -
Endlich der vergiftetste, der tiefste Brunnen aller Hoffnungslosigkeiten
J.K. Keine Frage ob lebendes
Bild oder Totenacker. Diese gähnenden Idioten sind selbst Ausstellung, Performance Die Hoffnung ist los! von Alltagsgrauen. Warum noch Antworten, wo keine Fragen J.K. Und wenn vier Bilder sind? wie die vier Seiten eines Grabes Kurzum, die Fenster im oberen wären ... Stockwerk müssen nicht mehr VA W. Unverzug, Saat und geschlossen werden. Ernte, universelle Wunde; das hieße den Rethor zum Klausner Der Delinquent fällt bereits. machen. SOUFFLEUSE VA W. Alle flüstern machen. machen. »bodenlos« hieße den Rethor zum Klausner Ernte, universelle Wunde; das Der Chor: ... und da sein, wo VA W. Unverzug, Saat und man ist - wem gelingt das? J.K. Es bedeutet nichts! Woanders ist es anders und der Das Atelier. Friedhofszimmer, Abwesende ist nicht da. ist zu einem Asyl ungebetener Gäste geworden - aber doch: was für ein Fest! 1. Version: Herausgegeben vom Museum Folkwang, Essen 1987, Der Bufettier ist noch kaum Redaktion: Ulrich Krempel, Texte © bei den Autoren 2. Version: Skulpturenmuseum Glaskasten Marl 2010 erkaltet und ergab nicht ein Wort ein anderes. 3. Version: Journal der Künste 10
= hilf – führe – fürchte mich – Wort *
TANZ UND ERINNERUNG
TRANSFORMATION STATT RESTAURATION Johannes Odenthal
Anne Teresa De Keersmaeker, Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich, 1982
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VERSUCH EINER STANDORTBESTIMMUNG VON TANZGESCHICHTE
Fase wird in der Akademie der Künste aufgeführt am 24., 25. und 26. August 2019 jeweils um 20 Uhr
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Wir befinden uns in einer Zeit der Restauration. Ein Symbol für den aktuellen Umgang mit Erinnerung ist das Humboldt Forum im Zentrum Berlins mit einer historisierenden Schlossfassade, die in ihrer monumentalen Bedeutungsleere die Komplexität deutscher Geschichte zu verdrängen versucht, und die im deutlichen Gegensatz steht zum Ausstellungskonzept einer weltoffenen Perspektive postkolonialer Dynamiken in Europa. Symbol für unsere Gegenwart sind vor allem auch die Erinnerungsveranstaltungen, die zu den Zugpferden nationaler und regionaler Kulturpolitik geworden sind. Luther, Bauhaus, Beethoven, Ende und Beginn von Kriegen, Jubiläen. Willkommen in einer Gegenwart, die sich im Korsett einer ritualisierten Vergangenheitsfeier bewegt. Unsere Gedächtnisstrukturen sind statisch und konservativ. Dabei treiben neue rechte Bewegungen mit nationalistisch geprägten Identitätskonzepten die künstlerischen und kulturellen Kräfte in Deutschland und Europa vor sich her. Es geht um einen Angriff auf die Grundlagen unserer Gesellschaft, die sich an einem offenen und toleranten Wertesystem orientiert. Heimat wird zur Matrix von Ausgrenzung und Rassismus. Antisemitismus und die Leugnung oder Verharmlosung historischer Katastrophen als Teil deutscher und europäischer Geschichte sind offensichtliche Versuche, nationalistische Kräfte zu stärken. Das, was wir das kulturelle Gedächtnis nennen, müssen wir mit Aleida Assmann lesen als einen selektiven Prozess von Identitätsbildung, der geprägt wird durch Narrative, die politisch aufgeladen sind. Aber wie funktioniert kulturelles Gedächtnis in den Erfahrungen des Individuums, in Familien, in Gemeinschaften tatsächlich? Wie schreibt sich Gedächtnis in unsere Körper ein und wie kann es uns gelingen, ein kritisches Gedächtnis mit einer Wirkung für die Gegenwart zu praktizieren, es zu leben? Den künstlerischen Zugängen, so die These, kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Die Kunst als eine Bühne der Auseinandersetzung zwischen individuellen Recherchen und Erinnerungen einerseits und gesellschaftlichen Narrativen andererseits, die zur Verhandlung stehen. Dabei geht es um die Wirksamkeit von Erinnerung für die Gegenwart. Es geht um eine Form der Erinnerung, die im Sinne von Beuys nur dadurch lebendig bleibt, dass sie immer neu transformiert, immer neu angeeignet und fortgeschrieben wird, kurz: um ein lebendiges kulturelles Gedächtnis, das sich in seinen Fragmenten und Lesarten im sozialen Raum ereignet. Das betrifft auch die Archive. Der Kurator und Theaterdirektor Ong Keng Sen spricht für die asiatische Kunstszene von einem „Archival Turn“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Das Archiv als Ausgangspunkt oder als künstlerische Methode wird zum kreativen
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Faktor zeitgenössischer Kunstproduktion. Archive sind Speicher aus resultieren Ansätze, Geschichte, Erinnerung, Archive oder auch der Erinnerung, die aber so lange tot sind, wie sie nicht genutzt einen Kanon immer neu zu denken in einem Sinne, den Aby Warwerden. Sie stehen in einem Spannungsverhältnis zum Epheme- burg oder Walter Benjamin Anfang des 20. Jahrhunderts aufgeren, zum Performativen, zu den Körpern der Künstlerinnen und zeigt haben. In einer Reihe aus Aufführungen, Vorträgen, PerforKünstler. Wie könnte ein Künstlerarchiv der Zukunft aussehen? mance-Lectures und Diskussionen widmet sich die Akademie der Was ist ein lebendiges, ein kreatives Archiv? Das sind Fragen, mit Künste diesem Themenkomplex eines lebendigen Gedächtnis-Kondenen sich die Archive wie die Kulturinstitutionen auseinanderset- zepts – ein Schwerpunktprogramm, das die Akademie gemeinsam zen müssen. Und es sind Fragen, die insbesondere den Umgang mit der Kulturstiftung des Bundes, Sharing Heritage und „Tanzmit dem Erbe des Tanzes, der performativen Künste generell betref- fonds Erbe“ im Zeitraum vom 24. August bis zum 21. September fen, gerade weil diese primär im Moment der Aufführung leben und 2019 realisiert. erlebbar sind. Ein Blick auf die Tanzmodernen des 20. Jahrhunderts zeigt TANZGESCHICHTE UND KÖRPERGESCHICHTE eine explosionsartige Entwicklung von neuen Körperbildern, Bewe- Dabei wird eine mögliche Tanzgeschichte durchsetzt von einer gungsformen und Wahrnehmungsebenen. Wir sehen die Emanzi- anderen Geschichte, der Geschichte des Körpers. Denn der Körpationskraft der neuen Tanzbewegungen, die Befreiung aus per selbst wurde erst mit der Entwicklung der Evolutionstheorie Geschlechterrollen und Körperbildern, die Dynamik von utopischen um 1800 als ein historischer, als ein sich verändernder denkbar. Aufbrüchen, von politischer Vereinnahmung, aber auch von Wider- Bis dahin hatte er als Schöpfung Gottes keine Geschichte. So kann stand. Dafür stehen Tänzerinnen und Tänzer wie Isadora Duncan, man sich auch eine Entwicklung des menschlichen Körpers erst Mary Wigman, Gret Palucca, Jean Weidt oder Valeska Gert. Und seit etwa zweihundert Jahren vorstellen. Mit Jean-Baptiste de wir sehen die Aufbrüche der Nachkriegsmoderne in Deutschland Lamarck und Charles Darwin, den Wegbereitern der Evolutionsmit dem Tanztheater, in Japan mit dem Butoh oder in den USA mit theorie, ging erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts die menschliche dem postmodern dance. Natur in die Struktur der Geschichte ein. Damit wurde dem Körper Acht Jahre lang hat die Kulturstiftung des Bundes Projekte ein vollkommen neues Potenzial der Erinnerung erschlossen, aber gefördert, die sich mit diesem Erbe des modernen Tanzes ausein- auch die Möglichkeit der Veränderung zugestanden. andersetzen. Wie kann ein historisches Bewusstsein entstehen für Das Verständnis von der Natur des Menschen hatte sich fundiese ephemeren und doch äußerst einflussreichen und innovati- damental gewandelt. Diese Natur war jetzt eine historische geworven gesellschaftlichen Kraftfelder, die als künstlerische Praxis der dene und eine zu gestaltende. Mit dem Entstehen von KörperGegenwartskunst so gut wie abwesend sind? Trotz ihrer immen- Geschichten entwickeln sich auch neue Körper-Techniken. Bis in sen Bedeutung für die Moderne überhaupt, für die Bildende Kunst, die Gegenwart wird dieses Feld der Neuentdeckungen des Körpers das Theater, die Baukunst oder die Philosophie, sind Schlüssel- zu einer wesentlichen Triebkraft der Tanzgeschichte. Erinnerung werke des Tanzes nur in sekundären Dokumenten präsent. wird nicht nur in einem kulturellen Kontext verortet, sondern auch in einem Kontext der physischen menschlichen Grundlagen. BioTRANSFORMATION STATT RESTAURATION logische Fakten wie Frau und Mann werden in ihren historischen Der Kern der Tanzgeschichte, also der Tanz selbst, ist abwesend. und kulturellen Prägungen lesbar und eröffnen einen neuen kultuSobald Tanz aus der Gegenwart fällt, ist er nur noch im Gedächt- rellen Gestaltungsraum. Die Identität von kultureller Herkunft und nis abrufbar, in der Körper-Erinnerung von Tänzern und Betrach- dem Erlernen von Körpertechniken wird aufgelöst durch das Vertern, im Foto, in der Notation, im Video oder in der Kritik. Die fügbarmachen von Körperbildern und Lehren aus allen Kulturen Substanz des Tanzes, das Tanzen dagegen ist nur präsent im der Welt. Vor allem aber wird der Körper lesbar als ein einzigartiAugenblick der Bewegung. So gesehen ist der Gegenstand der ges Archiv von kulturellem und natürlichem Wissen, das durch eine Tanzgeschichte, also des Tanzes als Vergangenem, nicht vorhan- Explosion in der Bewusstseinserweiterung seit dem 19. Jahrhunden. Auch wenn Tänze und Choreografien wiederholbar sind, sie dert wesentliches Gestaltungsmittel für Bewegungsformen und aktualisieren sich nur im jeweiligen Körper und sind aufgeladen Erzähl-Ebenen darstellt. mit Jetztzeit. Insofern wird in der Tanzgeschichte, insbesondere Durch diese Öffnung eines neuen Horizonts von Gedächtnis im Umgang mit dem Tanz-Erbe, ein Erinnerungsmodell wirksam, müssen wir auch den Begriff der Erinnerung für den Tanz neu defidas die restaurativen Tendenzen der Erinnerungskultur in Frage nieren. Die Fragen danach, wie Choreografien bewahrt werden, wie stellt. Der Tanz steht für ein Konzept der Transformation, durch die sich Tanzgeschichte von Körper zu Körper fortschreibt, wie sich das Vergangene sich immer neu in der Gegenwart einlöst. eine historische Choreografie in den Bewegungen eines Tänzers Die Tanzmoderne des 20. Jahrhunderts ist ein starkes State- aktualisiert, diese Fragen sind nur die eine Seite der Erinnerung. ment für eine individuelle körperliche und emotionale Aneignung Die andere Seite, das ist die Körpergeschichte des Individuums, von historischem Material, von einer historisch gebundenen Kör- das auf der Bühne präsent ist, ist die kollektive Geschichte von perkunst. In dieser Fragilität ist ein Konzept von lebendigem Gemeinschaften, die Tänzer aktualisieren, das sind die evolutioGedächtnis aufgehoben, ein Konzept, in dem sich Vergangenheit nären Aspekte der modernen Körper, die über Techniken und Wisimmer in einem transformativen Sinn als Gegenwart abbildet. Dar- sen verfügen, die vor fünfzig oder hundert Jahren nicht vorhanden
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waren. In diesem Bezugsfeld gewinnt der zeitgenössische Tanz eine sensationelle Bedeutung für die eigene Geschichte. Er wird zum komplexesten Forschungsfeld der Kulturgeschichte, weil er unausweichlich am Schnittpunkt von Natur- und Kulturgeschichte einer Gesellschaft steht. So findet die amerikanische Bewegungsforscherin Bonnie Bainbridge Cohen in der Bewegungsentwicklung des Menschen, vom Säugling zum Erwachsenen, die Motive der biologischen Evolution wieder. Jeder Mensch durchläuft nach ihrer Forschung eine evolutionäre Bewegungsgeschichte. Die Erkenntnisse aus der Körper-Forschung verbinden sich mit der Praxis der zeitgenössischen Tanzszenen. Andere Tänzer und Tänzerinnen der Moderne und der zeitgenössischen Kunst haben auf das Wissen von animistischen Kulturen zurückgegriffen, das im Wesentlichen auf einem Körpergedächtnis basiert, auf einer oralen Tradition, die sich den Schriftkulturen entzieht. So erinnert Kazuo Ohno in seinem Tanz an das kosmische Gedächtnis der Zellen, das er zum Leben erwecken will. Diese Überschreitung biografischer Erinnerungen erschließt dem Körper eine Beziehung zur Welt, die ihre Natur neu befragt und neu bestimmt. Es ist nicht mehr ein unreflektiertes Zurück, wie es die Utopisten der Lebensreformbewegung erträumten, sondern die differenzierte Auseinandersetzung mit einem großen Bewusstseinspotenzial. Das vermeintlich archaische Wissen, die Ideologie eines Ursprungs sind aufgegangen in zeitgenössischen Positionen. Erinnerung bedeutet hier nicht Festhalten am Vergangenen, sondern Wahrnehmung, Aktivierung der gegenwärtigen körperlichen und geistigen Funktionen. Wenn wir also von Erinnerung sprechen, dann müssen wir verschiedene Ebenen des Erinnerns benennen. Eine Ebene ist die der Körpergeschichte im Sinne einer Naturgeschichte des Menschen. Eine zweite Ebene ist die der Sozialisierung in einer Kultur und in einer Zeit. Gabriele Brandstetter spricht hier in Anlehnung an Alexander Kluge von einer „Chronik der Gefühle“ bei dem Versuch, das Tanztheater der Pina Bausch zu lesen.1 Eine dritte Ebene ist die der Kunst- und Tanzgeschichte selbst. Auch Tanz als Bühnenkunst hat eine eigene Geschichte, auf die sich Tänzer und Choreografen beziehen, in der sie sich bewegen oder mit der sie brechen. Auf einer vierten Ebene sehe ich die individuelle Körpergeschichte. Es sind die persönlichen Biografien, die zum Erinnerungsmaterial von Choreografien werden. Jede Bewegung, jede Choreografie lädt sich mit diesem biografischen Material auf und verändert es mit jeder Aufführung.
gessens so radikal gegangen wie die Improvisation. Das Vergessen im Erfinden. Vergessen bezieht sich hier auf die Übermacht der vorhandenen Formen, des Gelernten und Gewohnten. Insofern tritt die Improvisation in ein ambivalentes Verhältnis zur Erinnerung. Denn in der Loslösung von den gelernten Formen werden andere Erinnerungsräume wirksam, wie sie Steve Paxton in der Contact Improvisation zur Methode gemacht hat. Mobilisiert wird ein anderes, intuitives Wissen des Körpers und zwischen Körpern, das an die Stelle der kulturellen Traditionen tritt. Die Rekonstruktionen, Reenactments, die kritischen Auseinandersetzungen mit historischem Tanzmaterial, sie haben eines gezeigt: Jedes historische Bewegungsmaterial wird durch die Tänzer in einen aktuellen Erfahrungshorizont transportiert und in seinen Inhalten neu bestimmt. Geschichte ist ein immer wiederkehrender Aneignungsprozess. Zugleich aber ist das historische Material eine unendliche Quelle an ästhetischer Formensprache, konzeptuellen Fragestellungen, Körperbildern und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen. Dieses gilt es zu nutzen, nicht als Konserve, sondern als lebendiges Archiv. 1 Gabriele Brandstetter, „Fundstück Tanz. Das Tanztheater als eine Archäologie der Gefühle“, in: Johannes Odenthal (Hg.), tanz.de. Zeitgenössischer Tanz in Deutschland – Strukturen im Wandel – Eine neue Wissenschaft, Berlin 2005, S. 12–19, hier S. 14.
JOHANNES ODENTHAL ist Programmbeauftragter der Akademie der Künste. 1986 gründete er die Zeitschrift tanz aktuell, 1994 ballet international / tanz aktuell (heute tanz). Zuletzt veröffentlichte er zusammen mit Koffi Kôkô den Band PASSAGEN. Der Tänzer Koffi Kôkô und die westafrikanische Philosophie des Vodun (2018). Teile des obigen Textes gehen zurück auf den Beitrag „Erinnern und Vergessen. Fragmente zu einer Körper-Geschichte des Tanzes“, in: ballet-tanz (Doppelheft 2005), S. 28–30.
Was der Körper erinnert: Zur Aktualität des Tanzerbes 24. August bis 21. September 2019 Die umfangreiche Installation Das Jahrhundert des Tanzes führt
DAS TANZERBE ZWISCHEN VERGESSEN UND IMPROVISIEREN 1873 schrieb Friedrich Nietzsche in Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben: „Der Mensch fragte wohl einmal das Tier: Warum redest du mir nicht von deinem Glücke und siehst mich nur an? Das Tier will auch antworten und sagen: Das kommt daher, dass ich immer gleich vergesse, was ich sagen wollte – da vergaß es aber auch schon diese Antwort und schwieg.“ Für Nietzsche ist das Vergessen neben Kunst und Religion eine Möglichkeit, die immer größer werdende Last des Vergangenen zu bewältigen. Wohl keine andere Form der Tanzentwicklung ist diesen Weg des Ver-
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Materialien aus deutschen Tanzarchiven und internationale Aufführungen zusammen. In einer Programmreihe von mehr als 20 aktuellen Tanzproduktionen wird das Tanzerbe von Isadora Duncan, Mary Wigman und Valeska Gert bis zu Anne Teresa de Keersmaekers und Xavier Leroy als Gegenwartskunst exemplarisch thematisiert. Ein Campus führt internationale Studentinnen und Studenten in die Themen choreografischer Bewegungs- und Körperforschung ein. Ein diskursives Veranstaltungsprogramm reflektiert die gesellschafts- und kulturpolitische Bedeutung von tänzerischem Erbe und stellt sie in den Kontext von postkolonialen und geschichtstheoretischen Debatten. Eine Filmreihe sowie ein Reader zum „Jahrhundert des Tanzes“ vervollständigen das Gesamtprogramm. Für vier Wochen wird die Akademie der Künste am Hanseatenweg zur forschenden Plattform des tänzerischen Erbes.
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BALLETT KANN KÄMPFEN JOHANN KRESNIK UND SEIN „CHOREOGRAPHISCHES THEATER“ Helene Herold
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Programmheft-Cover: Macbeth, 1995, Ernst Jünger, 1994, Ulrike Meinhof, 1994, Volksbühne Berlin
Betrachtet man die friedlich aneinandergereihten Kästen, die das Archiv von Johann Kresnik beherbergen, ahnt man kaum, welche Wucht sie beinhalten. Und doch, die Materialien aus dem Vorlass von Johann Kresnik bilden die Grundlage seines Schaffens und zeugen von seinen Erfolgen mit dem „choreographischen Theater“, das Widerstand, Anarchie und Gesellschaftskritik auf die Bühne bringt und stets politisch ist. Seine Inszenierungen sind ebenso kraftvoll wie brutal. Der Weg des Tänzers und Choreografen ist ungewöhnlich. Der 1939 geborene Kresnik wächst in Kärnten auf, macht eine Ausbildung zum Werkzeugmacher. Eine Ballettschule besucht er nie. Seine früheste Leidenschaft ist die Malerei. Später wird er lebendige Bilder auf der Bühne erschaffen. Mit 16 geht er das erste Mal in die Oper und lernt dadurch eine ganz neue Welt kennen, die ihn sofort in Bann zieht und nicht mehr loslässt. Er findet seinen Weg über die Grazer Bühne zunächst als Statist, bald als Tanz- und Schauspielschüler, wechselt mit dem Choreografen Jean Deroc 1960 von Graz nach Bremen und wird wenig später von Aurel von Milloss nach Köln engagiert, wo er ab 1962 bei Leon Wojcikowsky, einem der bedeutendsten Trainingsleiter der damaligen Zeit,
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trainiert und innerhalb von zwei Jahren zum Solotänzer wird. Es ist nicht die klassische Tänzerlaufbahn, es ist nicht das typische Alter, um mit klassischem Ballett zu beginnen. Doch Kresnik setzt sich durch. Er arbeitet mit George Balanchine, John Cranko, Maurice Béjart, Agnes de Mille. Nach einigen Jahren werden ihm der klassische Tanz und dessen Repertoire zu eng, die Stücke zu langweilig. Ihm fehlen die Inhalte im Ballett, es ist für ihn nicht zeitgemäß. Diese Erkenntnis geht einher mit den Ereignissen der 1960erJahre: Den bekannten Muff unter den Talaren entdeckt Kresnik auch im Ballettsaal. Er verabschiedet sich von der Welt des klassischen Tanzes und entwickelt seine ganz individuelle Bühnenhandschrift. Richtungsweisend ist seine erste eigene Choreografie 1967 zu Texten von Schizophrenen (O sela pei). 1968 reagiert Kresnik mit Paradies? auf die Bonner Notstandsgesetze und das Attentat auf Rudi Dutschke. Das Stück wird nur ein Mal aufgeführt, weil unter den Zuschauern rote Fahnen schwenkende APO-Mitglieder sind. Dieses Publikum möchte das Theater nicht. Im selben Jahr holt Kurt Hübner Kresnik ans Theater Bremen, wo er Direktor des Tanztheaters wird. Dort kreiert er als Reaktion auf den Vietnamkrieg mit der Kriegsanleitung für jedermann (1970) ein
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1 Choreographische Skizze zu Wendewut, Handzeichnung von Johann Kresnik, 1993 2 Ideenskizze Chorszene Hannelore Kohl, Handzeichnung von Johann Kresnik, 2004 3 Bühnenbildskizze und Entwurf Ablauf Schlussszene Hannelore Kohl, Handzeichnung von Johann Kresnik, 2004 4 Ideenskizze aus dem Arbeitsbuch zu Ulrike Meinhof, Handzeichnung von Johann Kresnik, 1990
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politisches Lehrstück mit einer klaren Botschaft gegen die Waf- Selbst klassische Ballett-Stoffe enthebt er der Inhaltslosigkeit. fenindustrie. Bis 1979 bleibt er in Bremen, geht dann nach Heidel- So werden etwa in seiner Schwanensee AG (1971) die kleinen berg, wo sein Familiendialog (1980) mit der Zeit des Nationalso- Schwäne zu Fabrikarbeiterinnen, die im Dienste des Fabrikbesitzialismus abrechnet und den Kampf junger Menschen um zers Rotbart stehen. Nicht von ungefähr findet Kresnik für seine Selbstbestimmung thematisiert. Mit Sylvia Plath (1985) erarbei- Art des Tanzes den Begriff des „choreographischen Theaters“: tet Kresnik eines der ersten Stücke auf der Basis von Biografien. Seine Inszenierungen gehen über das Tanztheater hinaus und Zahllose weitere solcher „Biopics“ sollten folgen, darunter dehnen die Sprache des Tanzes in bisher ungekanntem Maß. Die Pasolini (1986), Macbeth (1988), Frida Kahlo (1992), Rosa Luxem- Tänzerin Regine Fritschi, die Darstellerin der Ulrike Meinhof, die burg (1993), Nietzsche (1994), Gründgens (1995), Leni Riefen- viele Jahre mit Kresnik gearbeitet hat, beschreibt die Voraussetstahl (1996), Goya (1999), Picasso (2002), Gudrun Ensslin (2005). zungen für die Arbeit mit Kresnik so: Die TänzerInnen müssten sich Neben den politischen Themen sind es Mörder, Selbstmörder, Täter von der klassischen Ballettwelt verabschieden und auf eine Welt und Opfer, die die Grundlage der Stoffe liefern, die es für Kresnik einlassen, die physische und psychische Brutalität, Zerstörung und zu zeigen gilt. Die Liste seiner Inszenierungen ist lang, so viele Elend, Leid und Trauer nicht tabuisiert. Uraufführungen mit sozialkritischen Themen hat kaum ein andeIm Rahmen des „Tanzfonds Erbe“-Projekts erfolgte in Anlehrer auf die Bühne gebracht. Seine radikalen, sehr intensiven bis nung an Kresniks Kriegsanleitung für jedermann eine Weiterentblutig vorgetragenen Stücke sind weltweit bekannt und wurden wicklung des politischen Tanztheaters durch die Gruppe Bodytalk vielfach ausgezeichnet. mit dem Stück Friedensanleitung für jedermann, inszeniert von 1989 kehrt Kresnik nochmal für einige Jahre nach Bremen der ehemaligen Kresnik-Tänzerin Yoshiko Waki und Rolf Baumgart. zurück. Dort entsteht Ulrike Meinhof (1990), und in Wendewut (1993) Kresnik wirkt nach. Auf der Bühne und im Archiv. Das Johann-Kressetzt er sich mit der deutsch-deutschen Teilung auseinander. nik-Archiv in der Akademie der Künste bildet die Arbeit Kresniks 1994–2002 inszeniert er mehrere Stücke an der Volksbühne in einer bemerkenswerten Materialfülle ab. Die InszenierungsBerlin, darunter die Anti-Kriegs-Revue Ernst Jünger (1994). unterlagen zum „choreographischen Theater“ werden durch die 2003–2008 leitet er in Bonn das „Choreographische Theater“. Dort Konzeptionen, Probenprotokolle, Abläufe, Notizen, Programmhefte, entsteht Hannelore Kohl (2004), die hier zugleich als Täterin und Fotografien und choreografischen Skizzen von Kresnik ergänzt. Die Opfer dargestellt wird, die den Aufstieg ihres Mannes zum Unterlagen stammen aus seiner Tätigkeit in Bremen (1968–1979 Bundeskanzler unterstützt, mit den Auswirkungen der Macht aber und 1989–1994), Heidelberg (1979–1989), an der Volksbühne psychisch und physisch nicht fertig wird. Mit Die 120 Tage von Berlin (1994–2002) sowie in Bonn (2003–2008) und sind interesSodom an der Berliner Volksbühne stellt er 2015 sein letztes sierten NutzerInnen im Lesesaal der Akademie der Künste am großes Stück vor. Robert-Koch-Platz zugänglich, wenn sie sich davon überzeugen Bekannt wird Kresnik für seine schonungslose Bildsprache wollen, dass Ballett kämpfen kann. auf der Bühne. Er befreit den Tanz von Tabus, schmerzhafte Konfrontationen werden nicht ausgespart, und reale, aktuelle ProbHELENE HEROLD ist Archivarin im Archiv Darstellende Kunst leme der Gesellschaft werden zum Inhalt seiner Inszenierungen. der Akademie der Künste.
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MARY WIGMAN
Chorische Bewegung (Gruppentanz), 1929 fotografiert von Charlotte Rudolph
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Stephan Dรถrschel
DIE VERKร RPERUNG DES AUSDRUCKSTANZES
Hexentanz, 1930 fotografiert von Charlotte Rudolph
„Nicht ‚Gefühle‘ tanzen wir! Den Wandel und Wechsel seelischer Zustände tanzen wir, wie sie als rhythmisch bewegtes Auf und Ab im Menschen lebendig sind.“
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Der künstlerische Nachlass von Mary Wigman, der vom Archiv der Akademie der Künste bewahrt wird, ist einer der meistgefragten Bestände dieses größten genreübergreifenden KünstlerInnen- und Kunstarchivs Deutschlands. Und allein drei Rekonstruktionsprojekte des von der Kulturstiftung des Bundes ins Leben gerufenen „Tanzfonds Erbe“ bezogen sich direkt auf das Werk dieser Künstlerin, die, 1886 in Hannover geboren, ihre wichtigsten Jahre in Dresden verbrachte. 1920 eröffnete sie in dieser Stadt, durch den Kapp-Putsch und den Generalstreik an der Fortsetzung ihrer Tournee gehindert, mit dem Geld einer wohlhabenden Schülerin ihre Schule, die – neben Wigmans Choreografien – eine ganze Generation von Tänzerinnen und Tänzern prägen sollte. Doch auch das ist noch zu wenig. Tatjana Gsovsky, die eine Generation jüngere russischstämmige Erneuerin des klassischen Balletts in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg, schilderte ihr Erstaunen – man könnte es auch Entsetzen nennen –, als sie 1924 nach Berlin kam und feststellen musste, dass ihr geliebtes klassisches Ballett eine Sache des Vaudevilles geworden war und der von Mary Wigman und Rudolf von Laban kreierte moderne Tanz, der Ausdruckstanz, die Bühnen Deutschlands erobert hatte. Deutschland galt bis dahin nicht unbedingt als Tanznation. Das waren Russland,
Frankreich oder Großbritannien. Doch um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert griff die Lebensreformbewegung um sich, die die steifen wilhelminischen Korsetts abstreifte und in der Natur und einer freien, ungekünstelten Bewegung die Zukunft sah. Und in deren Folge entwickelte sich ausgerechnet in Deutschland eine Tanzform, die in Europa und den USA nach dem 1. Weltkrieg für Furore sorgte. Neben Wigman selbst und Rudolf von Laban waren es die frühe Wigman-Schülerin Gret Palucca, der Wigman-Schüler Harald Kreutzberg und der Laban-Schüler Kurt Jooss, die dem Tanz weit über die Entwicklung des Ausdruckstanzes hinweg neue Wege wiesen. Man tanzte nicht mehr Spitze, man entwickelte für jeden Tanz ein vollständig neues, eigenes, individuelles Formenvokabular, man kannte keine „Positionen“, man war nicht mehr auf die klassische Ballettmusik angewiesen, sondern bewegte sich unter Umständen nur mit und nach Rhythmusinstrumenten oder ganz ohne Musik – und falls doch, dann komponierten junge TonkünstlerInnen eigens für diese Tänzerin oder diesen Tänzer. Der Unterricht in der Bautzner Straße in Dresden wurde nicht mehr vom körperlichen Drill bestimmt, sondern war der Ausbildung einer individuellen künstlerischen Persönlichkeit gewidmet. Die bildende Kunst, hier vor allem die Malerei, gehörte ganz selbstverständlich zum Bildungskanon, Emil Nolde und Ernst Ludwig Kirchner zählten zu Mary Wigmans engerem Freundeskreis. Gret Palucca war mit den Bauhauskünstlern Paul Klee, Wassily Kandinski und László Moholy-Nagy eng befreundet und trat in ihren Kreisen auf. Mary Wigman gehörte somit Anfang der 1920er Jahre zu den revolutionären KünstlerInnen, die den Begriff der „Goldenen Zwanziger“ prägten. Viele ihrer Tänze wurden von den hauseigenen Komponisten begleitet: 1925–1928 Will Goetze, 1929 dann für zehn Jahre, bis zur nicht
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wurden immer mehr abgewürgt: Schulen wurden geschlossen, allen voran die Wigman- und die PaluccaSchule, Auftrittsmöglichkeiten erschwert. Das ermöglichte den ProtagonistInnen des Ausdruckstanzes nach Kriegsende vermeintlich dort anzuknüpfen, wo ihnen das untergegangene Regime die Betätigungsmöglichkeiten verbaut hatte. Aber die Zeit war in eine andere Richtung gegangen, das klassische Ballett, durch die vier Besatzungsmächte gefördert, die auch alle große Ballett-Nationen waren, gewann neuen Zuspruch, und es gelang ihm, sich zu erneuern. Der Ausdruckstanz war eine nostalgische Angelegenheit geworden. 1 M ary Wigman, „Tanz“, in: Rudolf Bach, Das Mary WigmanWerk, Dresden 1933, zitiert nach: Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik (Hg.), Mary Wigman – Sprache des Tanzes (=Schriftenreihe der Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik Nr.1), Henschelverlag, Berlin 1989, S. 9.
Filmaufnahmen zu Hexentanz, 1930
freiwilligen Übergabe der Schule an ihn, Hanns Hasting, nach dem 2. Weltkrieg Ulrich Kessler. Aber sie tanzte auch nach klassischer Musik: Johann Sebastian Bach, Johannes Brahms, Franz Liszt sowie viele zeitgenössische Komponisten wie Arnold Schönberg oder Béla Bartók. In ihrem letzten Soloprogramm „Abschied und Dank“ widmete sie zwei Tänze großen leidenden Frauen: Tanz der Brunhild und Tanz der Niobe. Längst war sie 1942, mitten im Krieg, zur entrückten Legende geworden, war mit ihren 56 Jahren schon jenseits des Alters einer aktiven Tänzerin angekommen. Sie trat aber auch später noch in ihren Choreografien auf, zuletzt 1953 in Die Seherin in Chorische Studien II. Mary Wigman schuf auch Gruppenwerke, gründete eine Tanzcompagnie und kreierte chorische Werke wie 1930 Albert Talhoffs Totenmal – bis hin zur Teilnahme am künstlerischen Rahmenprogramm der Olympischen Sommerspiele 1936 im nationalsozialistischen Deutschland. Dies alles widersprach nicht dem ausgeprägten und konstitutiven Individualismus des Ausdruckstanzes – auch nicht die Verwendung von entindividualisierten Masken. Ganz im Gegenteil überhöhten sie den individualistischen Eindruck und gaben ihm etwas Programmatisches. Mary Wigman hatte – als Tänzerin ihrer eigenen Choreografien – viele Gesichter: dämonische, lyrische, dramatische. Ihre Inspirationen nahm sie von überall her, und die 1920er Jahre boten mit ihren politischen wie gesellschaftlichen Umwälzungen und Brüchen reiches Material. Dabei vermied sie – hier noch ganz dem Kunstideal der vorhergehenden Epoche verhaftet – jede tagespolitische Anspielung: Schließlich
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ging es um Höheres, die Kunst hatte sich aus dem politischen Tagesgeschäft herauszuhalten und sich den ewigen Fragen zuzuwenden. „Nicht ‚Gefühle‘ tanzen wir! Sie sind schon viel zu fest umrissen, zu deutlich. Den Wandel und Wechsel seelischer Zustände tanzen wir, wie sie als rhythmisch bewegtes Auf und Ab im Menschen lebendig sind. Die Inhalte des Tanzes und des Tanzkunstwerkes sind die gleichen wie die der übrigen gestaltenden und darstellenden Künste: Es geht hier wie dort um den Menschen und sein Schicksal.“1 Mary Wigman nahm aktiv – und im Lauf der Zeit mit steigendem Selbstbewusstsein – für sich in Anspruch, den Ausdruckstanz, den German Modern Dance oder German Expressionist Dance zu vertreten, nein zu verkörpern. Ihre Auseinandersetzungen mit Rudolf von Laban, ihr Einsatz für die Autonomie des Freien Künstlerischen Tanzes, wie er später durch ihre Schülerin Gret Palucca in der DDR vertreten werden sollte, waren geprägt von einem hohen Sendungsbewusstsein und einer – man verzeihe das Wort in diesem Zusammenhang – totalen Hingabe an ihren Tanz. Dem ordnete sie wie selbstverständlich alles andere unter. Nur so sind ihre Arrangements mit den nationalsozialistischen Machthabern zu verstehen. Auch wenn es zu dieser Zeit anders tönte, sie für einen deutschen Tanz warb, der dem deutschen Wesen entsprach – es ging ihr immer nur um ihren Tanz, der der Ausdruckstanz war. Die Liaison mit dem Nationalsozialismus war deshalb auch nur kurz. Nach den Olympischen Spielen hatten die AusdruckstänzerInnen das Ihre für das internationale Renommee eines modernen, weltoffenen Kulturbegriffes getan und
DAS MARY-WIGMAN-ARCHIV Mary Wigman, die 1955 in die neugegründete Westberliner Akademie der Künste – erstmals mit einer Sektion Darstellende Kunst – gewählt wurde, vermachte ihren künstlerischen Nachlass der Akademie. Er enthält ihre choreografischen Skizzen und Notizen, ihre Tagebücher und Fotoalben, die sie nicht nur mit Erinnerungsfotos, sondern auch mit eigenhändigen Farbskizzen und Reiseschilderungen zu sehr persönlichen Zeugnissen gestaltete. Neben den Fotos, Theaterzetteln und den Kritiken ihrer zahlreichen Auftritte, Solos oder mit ihren unterschiedlichen Tanzgruppen, befinden sich in dem Nachlass auch zahlreiche Vortrags- und Lehrmanuskripte (die internationale Tanzgeschichte durch die Zeiten und über die Kulturen hinweg!). Bemerkenswert für die „Hohepriesterin des deutschen Ausdruckstanzes“ ist die Fähigkeit zur Selbstironie, wie sie von Schülerinnen und Schülern bei diversen Schulfeiern belegt wird – was in den erhaltenen Manuskripten und Fotos dokumentiert ist, die eine höchst amüsierte Mary Wigman zeigen. Das Familienarchiv von Mary Wigman wird vom Deutschen Tanzarchiv der Kulturstiftung der Sparkasse Köln aufbewahrt, und auch die Sondersammlung Tanzarchiv Leipzig in der Universitätsbibliothek Leipzig besitzt eine Mary-Wigman-Sammlung.
STEPHAN DÖRSCHEL ist Leiter des Archivs Darstellende Kunst der Akademie der Künste.
Gรถtzendienst, 1917 fotografiert von Hugo Erfurth
Mary Wigman hatte – als Tänzerin ihrer eigenen Choreografien – viele Gesichter: dämonische, lyrische, dramatische.
links: Zeremonielle Gestalt, 1925 fotografiert von Charlotte Rudolph rechts: Totentanz II (Maskentanz), 1926 fotografiert von August Scherl
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TANZ UND ERINNERUNG
KARIN WAEHNER VORREITERIN DES MODERNEN TANZES IN FRANKREICH Stephan Dörschel
Karin Waehner, geboren am 12. März 1926 im damals deutschen die 35 Briefe und 3 Postkarten, die Mary Wigman ihrer Schülerin Gleiwitz im heutigen Polen, gehörte zu den Ausdruckstänzerinnen, zwischen 1949 und 1972 geschrieben hat, sondern bemerkenswert die begannen, als der Ausdruckstanz bereits eine grandiose umfangreiche Unterlagen zu eigenen Choreografien und AuftritGeschichte war, aber der Vergangenheit angehörte. Sie besuchte ten sowie biografische Dokumente wie Ausweise und ärztliche von 1946 bis 1950 die Wigman-Schule in Leipzig, bevor die bewun- Atteste, die inzwischen auch online recherchierbar sind. Es sollte derte Lehrerin nach Westberlin ging. 1953 begann sie, nach einem der Beginn eines umfassenden Karin-Waehner-Archivs in der AkaSüdamerika-Aufenthalt, ihre Karriere ausgerechnet in Frankreich, demie der Künste werden, zu dem Karin Waehner versprach, Matedem Land, in dem nach dem 2. Weltkrieg eine Revitalisierung des rial zu ergänzen. Als sie 1999 starb und sich die dann schon klassischen Balletts geschah – und sie gehört heute zu den gro- vereinigte Akademie der Künste an die – ihr unbekannten – ßen Gründungspersönlichkeiten des modernen Tanzes in Frank- Testamentsvollstrecker wandte, ging die Bitte um Ergänzung und reich. Vor genau 60 Jahren, 1959, gründete sie mit den les ballets Vervollständigung allerdings ins Leere. Jahre später wurde der contemporains Karin Waehner ihre eigene Tanzgruppe, die über 40 künstlerische Nachlass von Karin Waehner an die Bibliothèque ihrer Choreografien aufführte. Eine ganze Generation von Choreo- Nationale de France übergeben und 2017 auch ein Mitarbeiter der grafinnen und Choreografen des zeitgenössischen Tanzes beruft Akademie zu einer internationalen Tagung zu Karin Waehner nach sich auf ihre Pionierarbeit, die sie unter anderem ab 1960 als erste Paris eingeladen. Im vergangenen Jahr erinnerte Heide Lazarus in Lehrerin für modernen Tanz in der Schola Cantorum, einer Pariser dem „Tanzfonds Erbe“-Projekt Karin Waehner (1926–1999) – EigenMusikhochschule, über Jahrzehnte hartnäckig verfolgte. Erst in sinnig in Zwischenräumen an die Botschafterin des Ausdrucksden 1980er Jahren gelang es Karin Waehner auch in Deutschland, tanzes in Frankreich. und zwar in beiden Deutschlands, mit ihrer Gruppe aufzutreten. Ein äußerer Anlass waren die Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Mary Wigman in den beiden Akademien der Künste in Ost- und STEPHAN DÖRSCHEL ist Leiter des Archivs Darstellende Kunst der Akademie der Künste. Westberlin. Die DDR-Akademie erhielt zu diesem Anlass nicht nur
links: Karin Waehner und Jean Bouffort in Poème, 1965, fotografiert von Jean Babout rechts: Karin Waehner in Un et un sont un, Februar 1965, fotografiert von Jean Babout
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JUNGE AKADEMIE 48
DEEPFAKES & WAHRHEITSREGIME Sind Avatare wirklich nur Marionetten? Welche Bedeutung hat Theatralität, wenn Computertechnik und Theaterkunst aufeinandertreffen? Die Autor*in und Regisseur*in Lynn Takeo Musiol, derzeit Stipendiat*in der JUNGEN AKADEMIE in der Sektion Darstellende Kunst, erforscht neue Formen des Theaters in hybrid digital-analogen Strukturen. In ihrer performativen Installation [hinterland-x] verbindet sie Textmaterial aus ihren Flüchtlingsforschungen mit Deepfake-Avataren bekannter Politiker*innen – hyperrealistische Videos, die von Computern erzeugt werden.
LYNN TAKEO MUSIOL IM GESPRÄCH MIT CLARA HERRMANN
CLARA HERRMANN Technologische Komponenten verändern das Erzählen grundlegend, fragmentieren und multiplizieren es. Im Netz gibt es selten nur noch einen Erzähler oder eine Wahrheit. Von der Auswahl Ihrer Stoffe bis zur Produktion – wie erforschen Sie digitales Erzählen? LYNN TAKEO MUSIOL Erzählen ist für mich ein historisch biografiebezogener Prozess im Sinne Annie Ernauxs: Erzählen ist das, was durch mich hindurchgegangen ist und was außerhalb von mir ist. Dieses Ich als einen Durchgangsort zu verstehen, kommt meinem Verständnis von digitalem Erzählen nahe. Digitales Erzählen ist vor allem räumliches Erzählen. Und das meint: sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie ich eine Welt erschaffe, die sich zwischen Realität und Fiktion verhaftet. CH Geht Theatralität durch das Netz, das Ins-NetzStellen verloren? LTM Ich glaube, dass jeder Versuch, neue Medien in den Theaterraum zu setzen und ihn mit diesen neuen Medien zu bespielen, Formfragen, aber auch Fragen der Ästhetik, der Realisierbarkeit, der Dramaturgie aufwirft. Ich bin grundsätzlich an interdisziplinärem, eklektischem Denken interessiert: Inwiefern können digitale Möglichkeiten unser theatrales Verständnis von Raum, Zeit und Körper erweitern? Dabei geht es einerseits um die Frage der Übersetzbarkeit des digitalen Spiels in eine theatrale Deutlichkeit. Andererseits geht es um die Schaffung neuer theatraler Subjekte wie beispielsweise Avatare, die im Zusammenspiel mit Schauspieler*innen, Performer*innen oder Zuschauer*innen einen Hybridraum zwischen Realität und Fiktion eröffnen. Da, wo die Behauptung des Spiels ins Wanken gerät, wo sich Erwartungen und Zuschreibungen verflüssigen, gewinnt die Theatralität an Bedeutung, unabhängig davon, ob wir dies über reines Sprechtheater oder die Mischung eines digital-analogen Raumes kreieren. CH Sie experimentieren mit Games-Elementen wie Avataren – Grafikfiguren, die einem Internetnutzer in der virtuellen Welt zugeordnet werden. Dabei geht es auch um die Frage der Übersetzbarkeit von Körperlichkeit in die virtuelle Welt. Wie schaffen Sie Verbindungen, auch zum Publikum? LTM Verbindungen können durch Identifikation, aber auch über das Moment der Entfremdung hergestellt werden. Emese [meine Kollegin] und ich nutzen in unserer Arbeit klassische dramaturgische Bezugspunkte und versuchen darüber hinaus, einen physischen Raum zu kreieren, der die Offenheit in sich trägt, um beide Aspekte zu verweben. Dabei interessiert uns der mögliche Bruch, die Fragilität der physischen und digitalen Komponenten, auch als ein Moment des Nicht-einordnen-Könnens von Seiten des Publikums. Wir experimentieren unter anderem mit Motion-Capture- und Lippensynchronisationstechnologien. Hier werden menschliche Bewegungen wie beispielsweise Gesichtsausdrücke aufgezeichnet und digital weiterverarbeitet. So haben wir ein Modell von einem Schauspieler erstellt, dessen Bewegungen auf der Echtzeit-Spracherkennung basieren. Ein
Algorithmus versucht, die Silben zu erkennen und sie einem Gesichtsausdruck zuzuordnen, der zuvor manuell für diese spezifische Silbe eingerichtet wurde. Diese Übersetzbarkeit von menschlichen Attributen auf Avatare kann wie Sirenen fungieren: Sie locken, weil innerhalb der digitalen Spiegelung – Mensch/Avatar – Momente der Identifikation, aber auch der Verwirrung, der Irritation entstehen. Avatare haben kein Gespür für unser „inneres Selbst“ (Foucault). Sie als bloße Marionetten zu bezeichnen, wäre allerdings auch schief, wenn wir davon ausgehen, dass sich der Mensch durch biotechnologischen Fortschritt immer weiter modifiziert. Vielleicht sind Avatare Komplizen, vielleicht aber auch nicht mehr als affektiv stimulierte Projektionen. CH In Ihrer performativen Installation [hinterland-x], die Sie während Ihres Akademie-Stipendiums erarbeitet haben, kommen Deepfake-Avatare und digitale Sensorik zum Einsatz. Deepfakes stehen für die Kombination aus Deep Learning, einer Methodik aus der künstlichen Intelligenz, und Fake für Fälschung. Täuschend echte Bilder und Bewegtbilder können beispielsweise von prominenten Personen erstellt werden. Worum geht es in [hinterland-x] und wer wird hier gefaked? LTM Die Ausgangssituation der performativen Installation liegt, im Kontext der Flüchtlingsthematik, in dem postkolonialen Gedanken hegemonialer Ordnung begründet: wer über was in welchem Kontext spricht und wer nicht sprechen darf. Hierbei frage ich mich, wie Erzählungen konstruiert und umgedeutet werden, welche Instanz also Deutungshoheit über Wissen, Praxen und Handlungen besitzt und was für Wahrheiten zirkulieren, um ebenjene Deutungshoheit zu legitimieren. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán revitalisierte beispielsweise das Symbol der Stephanskrone als politische Kulisse, um sich im Sinne einer ultrakonservativen Geschichtsideologie zu legitimieren. Dabei interessiert mich der Aspekt, dass Zukunft als eine Erfüllung der fernen Vergangenheit angesehen wird. Geschichte wird so in einen Binarismus gelenkt, der die Prozesshaftigkeit verliert. Emese und ich nutzen sogenannte Deepfakes in Sinne einer geschichtsbezogenen Fabrikation und spielen mit Zeitlichkeit, indem wir die Fähigkeit der Imagination kultivieren: Was für ein Spiel entwickelt sich, wenn wir Köpfe bekannter Politiker*innen als Deepfakes generieren und ihnen die Narrative von Flüchtlingen einspeisen? Können wir von einem utopischen Moment sprechen, weil der Deepfake oder Avatar die Strategie des Abwesenden umkehrt? Der Fake liegt hier in der Entkleidung der Sprache und Körperlichkeit und in dem Schaffen eines Avatars, der historische Ebenen in eine (eigentlich) abwesende Gegenwart hievt. CH Im postfaktischen Zeitalter, so heißt es, erschafft sich jeder seine eigene Welt. Sie beschäftigen sich in [hinterland-x] auch mit der Fluidität von Wahrheiten und ihrer Darstellung. Auf welche Weise und worum geht es Ihnen dabei? LTM Die Deepfakes umspannen den Grundsatz, dass Wahrheit niemals ist (oder war), sondern immer hergestellt, ausgeführt und akzeptiert werden muss. An dem zugrunde liegenden Wahrheitsregime-Begriff interessieren mich die Regeln, nach welchen Dinge präsentiert und repräsentiert werden, aber auch die Frage, wie Subjekte aufgefordert werden, wahrheitsgemäß zu handeln. Zu erwähnen wäre hier beispielsweise das Sozialkreditsystem in China, bei dem alle Bürger*innen ab 2020 ein
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Lynn Takeo Musiol und Emese Papp, Walking
Lynn Takeo Musiol und Emese Papp, Pitbull
zentral verwaltetes Punktekonto haben, mit dem gesellschaftliche Vertrauenswürdigkeit ausgewiesen wird. Das einfache Regelsystem hat eine gesellschaftliche Normierung zur Folge, die auf der Strategie der Selbstkontrolle beruht. Ein zentralistisch konturierter Wahrheitsbegriff gepaart mit affektiven Strategien findet sich in Argumentationen politisch Rechter. Dabei interessiert mich der Exklusivanspruch einer Wahrheit, die sich nicht mehr über empirische Fakten vermittelt, siehe Trump, sondern affektiv hergestellt wird. Claire Colebrook schreibt in ihrem Essay Slavery and the Trumpocene: It’s Not the End of the World: „Once you question truth, the human, the enlightenment and the veracity of the news, there is nothing left.“ Was ist dieses Nichts, dieser Leerraum, dieses Stehen ohne Geländer? Wie orientiere ich mich, wenn meine Bezugspunkte, die mir Sinn vermitteln, wegfallen oder ad absurdum geführt werden? Welche Sprache entwickle ich? Die Deepfakes werfen genau diese Fragen auf und verdeutlichen, dass Wahrheit immer bestreitbar, immer anfechtbar sein muss, was ihren politischen Charakter ausmacht. CH Theater kann als Ort der kritischen Reflexion technische Innovation nicht nur aufnehmen, sondern auch inhaltlich sowie formal kritisch betrachten und infrage stellen. Welche Haltung nehmen Sie als Autorin und Regisseurin hier ein?
LTM Die unumwundene Stärke des Theaters liegt darin, im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen Diskurse, Wissenspraxen, Positionen kritisch und aus intersektionaler Sicht zu gestalten, zu deuten, zu reflektieren. Theater sind für mich Verbindungsorte, die Experimente nutzen, um über die Imagination und das (Er)forschen Erkenntnisse oder Wahrheiten produzieren zu können. Und das heißt für mich immer auch in Verbindung zu sein mit dem Queeren, mit dem Utopischen, dem Unbefleckten, um das Alte in ein neues Licht zu rücken, ohne es zu entwerten.
Die performative Installation [hinterland-x] wird im Rahmen von Agora Artes, Werkpräsentationen der Stipendiat*innen der Jungen Akademie, am 4. Mai in der Akademie der Künste am Hanseatenweg gezeigt.
CLARA HERRMANN ist Leiterin der Jungen Akademie der Akademie der Künste.
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JUNGE AKADEMIE
DIE STIPENDIAT*INNEN 2019
BAUKUNST
ERIC LE MÉNÉ, PARIS Ausbildung Abschlüsse in Architektur
und Bauingenieurwesen an der École nationale supérieure d'architecture in Paris-Malaquais und der École spéciale des travaux publics du bâtiment et de l'industrie, Paris Arbeit Erfinder, irgendwo zwischen plastischer Kunst, Produktion und reiner Forschung, mit Interesse an der Bewahrung von Energie, an ökologischem Wohnen und natürlichem Komfort Projekt „Das Stipendium wird Le Molding – dem 3D-Sandschalungsdrucker zum Betongießen – helfen, auf die nächste Entwicklungsstufe zu kommen. Meine Forschung wird verschiedene Aspekte berücksichtigen: die Festlegung auf einen möglichst großen Maßstab und dessen Umsetzung und das Weiterdenken über die Auswirkungen einer gegossenen 3D-Struktur.“
3D-Druck
EFILENA BASETA, WIEN Ausbildung Architektin/Ingeneurin
(Nationale Technische Universität Athen), Master in Advanced Architecture (Institut d’Arquitectura Avançada de Catalunya, IAAC), Doktorandin (Universität für angewandte Kunst Wien) Arbeit Erforschung von Materialverhalten, physisch und digital, um Strukturen zu schaffen, die in ihrer Form anpassungsfähig sind Projekt „Ich möchte mit digitalen Herstellungstechnologien rechnerisch konstruierte Bauelemente erzeugen, die ihre Steife entsprechend ihrer Krümmung verändern. Das System kann für kurzfristige formgebende Berechnungen von statischen Strukturen oder als nachgiebiger Mechanismus in anpassungsfähigen Strukturen verwendet werden.“
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Industriell hergestellte Gitterkonstruktion aus Holz (Herstellung Blumer Lehmann AG), 2017
BILDENDE KUNST
CEMILE SAHIN, BERLIN Ausbildung Bildende Kunst am
Central Saint Martins College of Art and Design in London und an der Universität der Künste in Berlin Arbeit zwischen Film, Fotografie, Skulptur, Sound und Text. Ausgangspunkte sind gefundene Bilder, Dokumentationsmaterialien und Texte, die Cemile Sahin neu inszeniert: Wie verändert sich Geschichte – und ihre Erzählung –, wenn sie über die Narrative verschiedener Perspektiven konstruiert wird? Projekt Videoarbeit in Fortsetzung der Miniserie Center Shift. „Der Fokus wird auf zwei von mir geschriebenen Texten liegen, die ineinander übergehen und sich mit dem Verhältnis von Wort und Bild und der Wirkmacht von Zeitlichkeit beschäftigen.“
Still aus CENTER SHIFT #0, 2018
ROBERT OLAWUYI, DÜSSELDORF Ausbildung Kunstgeschichte an der Eötvös-Loránd-
Reflection, 2017
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Universität, Budapest und Videokunst an der Kunsthochschule für Medien Köln und in der Klasse von Prof. Marcel Odenbach an der Kunstakademie Düsseldorf Arbeit Videoinstallationen, die sich oft an der Grenze von Figuration und Abstraktion befinden, wo die Wahrnehmung als Prozess der Reflexion sichtbar wird. Videoloop als ausgedehntes Moment der Erkenntnis, der die Idee der linearen Zeit aufbricht Projekt „Installative Videoarbeit, vielfältige Kunstszene Berlins kennenlernen“
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DARSTELLENDE KUNST ARTEMIY SHOKIN, WIEN UND BERLIN Ausbildung Bühnengestaltung an der Akademie der bildenden Künste Wien, unter der Betreuung von Prof. Anna Viebrock Arbeit freier szenischer Künstler und Bühnenbildner, interessiert sich für die Kreation von geschlossenen theatralen Installationsräumen und der damit einhergehenden Differenz des Privaten und des Öffentlichen Projekt „Sprache und Form unterschiedlicher Arten von Vorhersagungen erforschen – jenseits der Esoterik. Ich suche nach Zeichen, Objekten, Symbolen des Ritus. Wie entsteht eine sakrale Erfahrung?“
According to Given Circumstances, 2018
Lavinia Room, 2015
REGINA FREDRIKSSON, KOPENHAGEN Ausbildung Det Kongelige Danske Kunstakademi
in Kopenhagen bei Eva Hess Thaysenund Hanna Hjort als Hauptgesangslehrerinnen Arbeit Sopranistin, u. a. die Sopranstimme in Rossinis Petite Messe solennelle Projekt „Arbeit mit der deutschen dramatischen Sopranistin Katrin Kapplusch am Repertoire und an den Rollen, die ich in der Oper präsentieren möchte. Ich würde mir wünschen, mit der Regisseurin Arila Siegert zusammenzuarbeiten.“
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FILM- UND MEDIENKUNST
JOHANN LURF, WIEN Ausbildung Bildende Kunst an der Akademie der bil-
denden Künste, Wien Arbeit Experimentalfilmemacher; seine formaleren
Filme werden immer von starken Erzählungen begleitet, die jedoch subtil die Gesellschaft, Codes, Normen, Wahrnehmungen sowie die Geschichte und Entwicklung des Kinos selbst untersuchen. Projekt „Die Recherche in Berlin wird an meinen Found Footage Film (2017) anknüpfen, der Sternenhimmel der Filmgeschichte zusammenträgt und untereinander vergleicht.“
Cavalcade, 2019
„Earth Series“ mit Laura Wagner, 2019
FRANZISKA PFLAUM, WIEN Ausbildung Bildende Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien und Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, Potsdam-Babelsberg Arbeit Regisseurin und Drehbuchautorin, arbeitet an der Fertigstellung eines mittellangen Spielfilms sowie an der Umsetzung mehrerer Kinofilmprojekte und schreibt an einer deutschösterreichischen Fernsehserie Projekt „Menschen mit der Fotokamera begegnen und sie interviewen. Die dokumentarische Ebene soll durch einen fiktiven Handlungsstrang in Form von Off-Texten, inszenierten Fotos und Found-Footage-Material durchbrochen werden – eine Collage, die sich zwischen Film, Fotografie und Hörspiel bewegt.“
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Still aus So schön wie du, 2014
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LITERATUR ANNA WEIDENHOLZER, WIEN BARBARA DELAĆ, KOTOR/MONTENEGRO Ausbildung Studium der Vergleichenden Ausbildung Studium moderner und zeitgenössischer
Literaturwissenschaft an der Universitat Wien und der Uniwersytet Wrocławski Arbeit Autorin, Der Winter tut den Fischen gut (2013), Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse, Weshalb die Herren Seesterne tragen (2016), Longlist für den Deutschen Buchpreis Projekt „In Berlin möchte ich einen Anfang finden. Ich habe gerade meinen dritten Roman fertiggestellt und stecke irgendwo zwischen diesem und dem nächsten, im Hinterkopf eine Ahnung, was danach kommen könnte, so zart, dass es noch zu früh wäre, sie zu benennen.“
Kunsttheorien Universität Donja Gorica (Podgorica/ Montenegro) Arbeit Schriftstellerin, Preisträgerin des 32. Festivals junger Dichter in Zaječar, wo sie ihr erstes Buch Tomorrowland (2018) veröffentlichte Projekt „Ich möchte das gesamte Spektrum der Gedanken, Ängste und Wünsche in der U-Bahn einfangen – eingeschrieben in Rhythmus und Fahrtrichtung der U-Bahn, an einem Ort, wo die Perspektive des Außenstehenden vom elektronischen Abenteuer der Sprache angetrieben wird. Auf der Ebene eines Simulakrums klingt das wie eine poetische & politische Rhapsodie.“
MUSIK
Computer Music, 2016, Ensemble Tzara
KAJ DUNCAN DAVID, BERLIN Ausbildung Studium der Musik, Komposition und elekt-
Up Close and Personal, 2018, Daniel Gloger
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ronischen Komposition an der Goldsmiths, University of London und den Musikakademien in Aarhus und Dresden Arbeit Komponist, der zwischen notierter Komposition, elektroakustischer Musik und audiovisueller Performance arbeitet; seine Arbeiten beinhalten häufig das Medium Licht und erforschen die Möglichkeit des Moments, an dem ineinandergreifende visuelle und klangliche Materialien zu einer einzigen musikalischen Geste werden. Projekt „Ich werde an einer audiovisuellen, elektroakustischen, musikalisch-theatralischen Situation für zwei Interpreten, Licht und Video arbeiten. Elektronisch modifizierte Stimme und Text in Form von Videoprojektionen sind zentrale Elemente. Ein vorläufiger Titel für das Stück lautet Excerpts from conversations with a supercomputer. Thematisch untersucht das Stück die existenziellen Auswirkungen weit entwickelter künstlicher Intelligenz auf die Menschheit.“
KRISTINE TJØGERSEN, OSLO Ausbildung Komposition bei Prof. Carola Bauckholt an
der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz und Klarinette bei Prof. Dr. Hans Christian Bræin an der Norges musikkhøgskole in Oslo Arbeit Komponistin; arbeitete u. a. mit dem Arditti Quartet, Mimitabu, BIT-20, Bruckner Orchester Linz; Klarinettistin in den preisgekrönten Ensembles asamisimasa und Ensemble neoN. Projekt „Ich werde die folgenden Stücke komponieren: ein Klavierkonzert für Ellen Ugelvik und die Trondheim Sinfonietta und ein Orchesterstück für das norwegische Kringkastingsorkestret (KORK). Für mich steht Musik in Kontakt mit etwas außerhalb ihrer selbst. Sie kann durch Interaktion verändert und weiterentwickelt werden. Die Verbindung mit etwas anderem birgt immer ein gewisses Risiko und das finde ich spannend, denn man riskiert, dass sich Musik zu etwas ändert, was man noch nicht kennt.“
Mistérios do Corpo, 2017, Arditti Quartet, Only Connect Festival of Sound, Oslo
SEBASTIÁN SOLÓRZANO, MEXIKO-STADT Ausbildung Schüler bei Jennifer Tipton im Rahmen
WERNER-DÜTTMANN-STIPENDIUM
der Rolex Mentor und Protégé Arts Initiative 2014–15. Im Jahr 2016 erhielt er das Jóvenes Creadores FONCA-Stipendium. Arbeit Lichtkünstler; er konzentriert sich in seinen Arbeiten auf Live-Art, Lichtdesign und Expanded Cinema. Derzeit experimentiert er mit Maschinen und Licht als choreografischen Präsenzen, um transdisziplinäre Performances zu entwickeln. Projekt „Ich möchte die Forschung, die ich in diesem Jahr begonnen habe, fortsetzen und eine neue Reihe von Performance-Stücken erarbeiten. Darin kommt mein Körper in Kombination mit Leuchtmitteln und -mechaniken zum Einsatz.“
Artificial Horizons, 2017
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GRIPS DIE ERSTEN FÜNFZIG JAHRE
MIT GRIPS UM DIE WELT Volker Ludwig
1969 gab es in Westdeutschland für Kinder im Theater nur Weihnachtsmärchen
Bella, Boss und Bulli. Volker Ludwig, GRIPS Theater in Japan, 2009
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1975 von der CDU verteufeltes Kindertheater in Europa längst selbstverständlich war. Griechenland, Kroatien und die Türkei waren mit frühen GRIPS-Stücken vertreten, Mannomann aus Ankara tourte durch 40 Berliner Schulen. Schon 1973 sorgten die Mugnog-Kinder in Athen für eine Sensation: Unter der Herrschaft der Militär-Junta wurde die Holzkiste, von den Kindern in Berlin „Mugnog“, in Athen „Mormolis“ genannt, zum Symbol des Widerstands und jede Aufführung zur Demonstration. Der anarchische Kinderspaß war auf einmal das politischste Theaterstück der Zeit. Noch heute schwärmen mir Athener von dieser legendären Aufführung vor. Vassilis Koukalani hat Mormolis nach 45 Jahren wieder auf die Bühne gebracht, GRIPS hat sie zu seinem 50. Geburtstag eingeladen, und zu sehen ist sie am 8. Juni – im Studio der Akademie! 1975 kam das Goethe-Institut auf die geniale Idee, Theaterleute der „Dritten Welt“ mit der „GRIPS-Methode“ bekannt zu machen. Selten ist ein Experiment derart geglückt. Erstes Versuchsland war Brasilien, noch unter der Militärdiktatur. Die Idee eines Theaters mit einer
Die Akademie der Künste am Hanseatenweg und das GRIPS Theater am Hansaplatz sind seit 45 Jahren Nachbarn. Besucher wissen das zu schätzen. Auch wir haben die Nähe gern genutzt und das Studio bei Bedarf mit GRIPS-Sondervorstellungen gefüllt. Unvergessen das Gastspiel des legendären Werkteater Amsterdam, mit dem wir uns beim Holland-Festival 1980 angefreundet hatten und das wir den Berliner Theaterfans 1981 in der Akademie vorstellen konnten. Zu der Zeit waren wir viel in Europa unterwegs, mit Trummi kaputt durch Italien, mit Max und Milli durch Skandinavien, mit den Jugendstücken in London und Nanterre und in den Niederlanden gleich mit sieben Stücken auf einen Streich … Als wir, eine kleine Truppe linker Kabarettisten, 1969 mit antiautoritärem Kindertheater begannen, gab es in Westdeutschland für Kinder im Theater nur Weihnachtsmärchen. Als der Wind sich nach der Studentenrevolte drehte und links auf einmal schick wurde, war GRIPS die einzige Alternative. Die Stadttheater rissen sich um unsere frechen Stücke, jedes wurde gleich 20–30 Mal nachgespielt, wohlgemerkt außerhalb der Weihnachtszeit, bald auch im Ausland, wo wirklichkeitsnahes Kindertheater längst die Regel war. 1979 organisierte GRIPS mithilfe der Berliner Festspiele ein Festival mit der Überschrift „10 Jahre emanzipatorisches Kindertheater“, um den Berlinern zu zeigen, dass unser seit
Max und Milli. Volker Ludwig, GRIPS Theater in Griechenland, Athen, ohne Datum
sozialen Funktion stieß auf riesiges Interesse. GRIPS war für die Brasilianer eine subversive Waffe. Unsere Methode, die Probleme unseres Publikums zu erforschen und auf die Bühne zu bringen, machte in Brasilien das Theater zum Sprachrohr der Unterdrückten. Mein sechswöchiger Besuch und eine Inszenierung Wolfgang Kolneders löste für viele Jahre eine Welle von GRIPSInszenierungen und Adaptionen aus. Auf einer Reise 1983 durch Indien stieß GRIPS auf ähnliches Interesse, besonders in Kalkutta und Maharashtra, das eine lange Volkstheater-Tradition hat. Der berühmte Schauspieler und Psychiater Dr. Mohan Agashe, damals auch Leiter der Theatre Academy in
Pune, entdeckte im GRIPS die „Theaterform, die Indien heute braucht“. Nach einem langen Berlin-Aufenthalt entwickelte er für Indien eine komplexe GRIPS-Strategie aus Seminaren, Workshops für Schauspieler, Regisseure und Autoren sowie Inszenierungen. 1986 inszenierte Wolfgang Kolneder (vier Monate nach Linie 1) in Pune Max und Milli, 1989 sein Assistent Ranga Godbole, heute bedeutender Filmproduzent, Mannomann. Das GRIPSFieber verbreitete sich schnell über ganz Indien. Auf dem Festival „10 years coming to Grips with India“ 1996 in Mumbai sah ich GRIPS-Stücke in vier indischen Sprachen. Mohans GRIPS Movement strahlte auch auf Pakistan, Sri Lanka, Nepal und Bangladesch aus. Seinem Unternehmen gab er übrigens den Namen D.A.T.E.: „Developing Awareness through Entertainment“. Kann man das Wesen des GRIPS Theaters besser beschreiben? Ein Problem war anfangs die Werktreue, die Ehrfurcht vor dem Originaltext. Unsere Stücke sind für unser Berliner Publikum geschrieben und sollten in anderen Ländern für das jeweilige Publikum adaptiert werden. Das Hochbett beispielsweise, in dem Max und Milli schlafen, kennt man in Indien nicht. Dennoch bestand die Regisseurin in Kalkutta darauf. Mit Recht: Das Hochbett hat dem Publikum so gefallen, dass es in Kalkutta zur Mode wurde. Heute haben unsere Stücke in Indien weitgehend ausgespielt. Die GRIPS-Szene wird beherrscht von original indischen Stücken, die nach der „GRIPS Methodology“ entwickelt werden. Wir haben uns überflüssig gemacht, und das war auch das Ziel. Geblieben ist eine innige Freundschaft. Mit GRIPS-Gastspielen von Stücken für kleine Kinder hatte ich immer Probleme wegen der Sprachbarriere. Wenn möglich, bevorzugten wir Inszenierungen unserer Stücke in deren Sprache, was dank des Goethe-Instituts auch in allen Erdteilen geschah. Ein Glücksfall war allein das Stück Vorsicht Grenze! (1997) über die Sinnlosigkeit von Schlagbäumen, das fast ohne Sprache auskam. Acht Jahre lang spielte Axel Prahl mit Uli von Lenski den Grenzwächter, auch im Baltikum, in Warschau und Krakau, in Perm, Jekaterinburg und Omsk, in Tschechien und der Türkei … Die große Zeit der internationalen Gastspiele begann mit der musikalischen Revue Linie 1. Schon 5 Monate nach der Uraufführung 1986 musste in Dublin das lange versprochene Gastspiel eines „Musicals“ stattfinden, und Rod Lewis, der in London und Liverpool GRIPS inszeniert hatte, studierte mit unserem Ensemble das Stück in englischer Sprache ein. Die Erfolge in Dublin und danach London waren überwältigend: Wir lernten, dass die Urberliner Charaktere unseres Stückes in Wahrheit typische Großstadt-Gewächse sind, wie man sie in allen Metropolen der Welt wiedererkennt. Nach dem Gewinn des Mülheimer Dramatikerpreises 1987 ging es durch ganz Westeuropa, 1988 sogar nach Dresden, Karl-MarxStadt und Halle, wurde von Reinhard Hauff verfilmt, kam zu Festivals in Jerusalem, in New York , Brisbane und Melbourne, wo der Jubel am größten war, dann wurden Moskau (zusammen mit Ab heute heißt du Sara) und Prag nachgeholt und im neuen Jahrtausend Korea und Indien, jetzt mit Übertitelung. Die Begeisterung in Mumbai und Pune war unbeschreiblich. Spannender noch als unsere Gastspiele waren die ausländischen Nachinszenierungen. Neben vielen Theatern, die das Stück in Berlin beließen, interessierten
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läuft die Seoul Line 1 wieder und wird im Juni dem GRIPS Theater zum 50. Geburtstag gratulieren. Nichts wie hin! Weit über 2.000 Nachinszenierungen haben die GRIPS-Stücke bisher erlebt, in über 50 Ländern, einige in Kooperation, viele in engem Kontakt mit GRIPS. Lebenslange Freundschaften sind entstanden, von Kanada bis Australien, Stockholm bis Athen, Seoul bis Pune. Das GRIPS-Archiv, das zu unserer Freude ab nun von der Akademie der Künste gehütet wird, kann von zahllosen Abenteuern auf unseren Reisen um die Welt erzählen.
Pani Phir Gaya Pani Par – Wasser im Eimer. Reiner Lücker, Stefan Reisner, GRIPS Theater in Indien, Neu-Dehli, ohne Datum
uns besonders die Produzenten, die unsere Handlung auf ihre jeweiligen Städte übertrugen. Es begann mit Island Line in Hongkong und Línea Roja in Barcelona. Besonders aufregend war Chord Line in Kalkutta, das jahrelang durch die Stadt tingelte, inszeniert von dem bekannten Sänger und Schauspieler Anjan Dutt mit George Kranz als musikalischem Leiter. Eine anrührende Liebeserklärung der Ärmsten der Armen an ihre Stadt, statt mit einem Selbstmord gleich mit fünf Toten und einer Geburt … Es gab eine wunderbare Underground-Version aus Vilnius, die ebenso in Berlin gastierte wie die sensationellen Versionen aus Namibia und dem Jemen, die die Handlung in Sammeltaxis verfrachteten. In Namibia war ein deutsches Mädchen auf der Suche nach ihrem Lover, im Jemen war ein zwangsverheiratetes Mädchen hinter dem Mann her, der sie als Tourist kaufte und sitzen ließ. Den Höhepunkt aller Linie-Varianten der Welt aber erlebte ich in Seoul. Kim Min-ki, heute in Korea hochverehrt, Komponist und charismatischer Liedermacher, eine Art koreanischer Bob Dylan, dessen Lied „Morgentau“ zur Nationalhymne der demonstrierenden Studenten unter dem Militär-Regime wurde, bekam vom Goethe-Institut eine deutsche Linie 1–Kassette. Ohne ein Wort zu verstehen, faszinierte ihn das Stück dermaßen, dass er es sich übersetzen ließ. Er spürte eine große Nähe zwischen den Menschen dieser geteilten Stadt und denen seines geteilten Landes und erarbeitete eine koreanische Neudichtung, die mir den Atem stocken ließ. Die Musik blieb – wie übrigens auch in allen anderen Versionen, die von Birger Heymann. Die Charaktere sind alle wiedererkennbar. Die Seele des Stückes kommt zum Leuchten und dennoch ist es eine durch und durch koreanische Schöpfung. Kim Min-kis Seoul Line 1 wurde zu Recht der größte Erfolg der koreanischen Theatergeschichte und zugleich der größte Erfolg, den ein deutsches Theaterstück je hatte. Über 4.000 Vorstellungen gab es von 1994 bis 2008, mit Gastspielen in Berlin, Hongkong, China und Japan, und seit September 2018
Seoul Linie 1. Volker Ludwig, Kim Min-ki, GRIPS Theater in Südkorea, Seoul, 1000. Vorstellung in Seoul, 2017
VOLKER LUDWIG, Dramatiker, Gründer und langjähriger Leiter des GRIPS Theaters, ist seit 2010 Mitglied der Akademie der Künste, Sektion Darstellende Kunst.
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NEUES AUS DEM ARCHIV
FUNDSTÜCKE – DER DIE DAS GRIPS Andrea Clos
Es ist ein Ding in einer Kiste, man könnte meinen, ein Gesicht mit überdimensionaler Nase oder ein Tier. So sieht es aus, der oder die oder das GRIPS. Gemeint ist das Theater-Logo, das 1972 von Jürgen Spohn, einem deutschen Grafiker, der vor allem als Kinderbuchautor und -illustrator bekannt war, geschaffen wurde. Anlass war der Umzug des Kinder- und Jugendtheaters aus den Räumen des „Reichskabaretts“ in der Wilmersdorfer Ludwigkirchstraße in das Forum-Theater am Kurfürstendamm. Eine Namensänderung stand an und man entschied sich für den Namen GRIPS. „Spaß am Denken“ sollte der Begriff symbolisieren, und die Kinder und Jugendlichen, die das GRIPS Theater besuchten, nahmen das wörtlich: Laut Aussage von Gründer Volker Ludwig wollten sie immer gern wissen, was es bedeutet und wie er aussieht, „der GRIPS“. Und so entstand als Illustration dieses kleine schwarze GRIPS-Ding, das meistens aus der berühmten GRIPS-Kiste lugt. An der Seite ist ein Aufzieh-Schlüsselchen angebracht, das immer wiederkehrenden Spaß impliziert – welches Kind liebt es nicht, einen Hüpffrosch wieder und wieder mit einem Federmechanismus aufzuziehen? Genau dieselbe Kontinuität, gepaart mit einer Unmenge Spielspaß, ist es, mit der das Ensemble seit 50 Jahren seine internationalen kleinen und großen Gäste in inzwischen über einhundert Uraufführungen begeistert – und das ist offensichtlich eines seiner Erfolgsgeheimnisse. Nicht verzaubern, sondern für morgen stark machen soll dieses Theater, realistische Alltagsgeschichten ohne pädagogischen Zeigefinger erzählen, und das mit dem Anspruch, die Welt nicht als unveränderlich hinzunehmen, sondern vor allem weiterzudenken. Seit 1974 hat das GRIPS seinen Standort im Hansaviertel, die pädagogische Arbeit des Theaters sucht ihresgleichen. Die GRIPS-Kiste wird inzwischen in die Lernprozesse im Schulunterricht integriert: Eine Zusammenstellung von kreativen Methoden und Materialien nimmt Bezug auf die Lebenswelt der Schüler und will den Schulunterricht kreativ anregen. Das GRIPS-Logo gibt es mittlerweile in einer Vielzahl von Darstellungen und Varianten, gezeichnet von Rainer Hachfeld, Karikaturist und Bühnenautor und einer der Hausbühnen-
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bildner des GRIPS. Es kann Ente oder Schnecke, Spinne oder Hubschrauber sein. Alles. Wie auch das GRIPS Theater längst ein Theater für alle – und für alle Generationen – geworden ist! Das GRIPS-Publikum der ersten Tage ist in die Jahre gekommen, viele Schauspieler der ersten Tage sind längst weitergezogen und die dritte Generation Zuschauer geht, inzwischen auch schon fast erwachsen, in die Vorstellungen. Was nicht an Aktualität eingebüßt hat, sind die Stücke. Die legendäre Linie 1 von Volker Ludwig und Birger Heymann ist immer noch regelmäßig ausverkauft, gastierte in unzähligen Ländern und ist das laut Presseberichten weltweit meistgespielte deutsche Musical. Das Archiv des GRIPS Theaters hat 2019 ein neues Zuhause am Robert-Koch-Platz in Mitte gefunden. In das Archiv der Akademie der Künste wurden ca. 180 Stückordner mit Inszenierungen von den 1960er Jahren bis heute übernommen, dazu kommen viele Kisten Fotos, Programmmaterialien und Plakate. Und auch die Dinge, die man nicht immer in einem Archiv vermutet: zum Beispiel der die das GRIPS. Das schwarze Plüschding war übrigens ein Premierengeschenk zur Inszenierung Julius und die Geister von Volker Ludwig in der Regie von Frank Panhans im Jahr 2002. Das GRIPS feiert in diesem Jahr einen runden Geburtstag. Es wird 50 Jahre alt, und das ist für die Akademie der Künste – gleich dem Ensemble – ein doppelter Ansporn. Die Online-Datenbank zum Bestand wird in Kürze freigeschaltet, sodass die ersten bereits verzeichneten ca. 1.000 Datensätze einzusehen und für Recherchen zugänglich sein werden. ANDREA CLOS ist Archivarin im Archiv Darstellende Kunst der Akademie der Künste.
50 Jahre Zukunft. GRIPS Theater: Zum Anlass der Archivübernahme feiern am 28. April GRIPS Theater und Akademie der Künste gemeinsam am Pariser Platz. Die Archiveröffnung und Präsentation eines Jubiläumsbandes begleiten Philipp Harpain (Leiter GRIPS Theater), Werner Heegewaldt (Archivdirektor, Akademie der Künste), Ilona Schulz (Ur-Besetzung von Maria in Linie 1) Cornelia Schmalz-Jacobsen (ehemalige Senatorin für Jugend und Familie) Volker Ludwig (GRIPS-Gründer und langjähriger Leiter), die Millibillies mit Songs aus fünf Jahrzehnten und Rüdiger Schaper (Feuilletonchef, Der Tagesspiegel). Am 8. Mai wird der „berliner kindertheaterpreis“ verliehen, vom 6. bis 19. Juni 2019 veranstaltet das GRIPS ein großes Festprogramm zum 50-jährigen Jubiläum unter dem Titel „ON THE CHILD'S SIDE“.
KUNSTWELTEN
DAS KUBISTISCHE GESICHT Das im Februar erschienene Buch Baba, wie lange fahren wir noch? Erzählungen (Hg. Akademie der Künste) ist das Ergebnis eines ungewöhnlichen Projekts der Sektion Literatur und des Vermittlungsprogramms KUNSTWELTEN gemeinsam mit Larissa Boehning: Jugendliche und junge Erwachsene, die nach Deutschland geflohen sind, schlossen sich mit acht deutschsprachigen Autorinnen und Autoren zusammen. Die einen erzählten ihre Geschichte, die anderen hörten zu und formten daraus literarische Texte. Die „Erzähltandems“ werden im Verlauf des Jahres Schulen in Berlin, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern besuchen und Schülerinnen und Schülern ihre Geschichten vorstellen. Ralph Hammerthaler und Ahmed haben Passagen aus „Jenseits von Gaza“ am 12. März 2019 in der Anklamer Käthe-Kollwitz-Schule vorgetragen. Weitere Lesungen gestalten Kerstin Hensel und Daniel, Larissa Boehning und Somaye an Schulen in Köthen und Berlin.
„JENSEITS VON GAZA“ – WIE ICH MIT AHMED ALJAZARA UND SEINER FLUCHTGESCHICHTE AUF ANKLAM TREFFE Ralph Hammerthaler
Yakoub heißt er in meiner Geschichte, und mit Yakoub, der Figur im Buch, und ihm, Ahmed Aljazara, fahre ich im Zug nach Anklam, der Stadt oben im Osten kurz vor der Insel Usedom, ganz bestimmt jenseits von Gaza, wie ja auch alles, was Ahmed in den letzten Jahren erlebt hat, jenseits von Gaza liegt. Die Geschichte der Flucht zu seiner Mutter nach Schweden, dann, in einem zweiten Anlauf, nach Berlin verläuft kreuz und quer durch Europa, ist von Nöten, Gefahren und Rückschlägen geprägt, die einen schwächeren Menschen als Ahmed in die Knie gezwungen hätten. Darum erzählt „Jenseits von Gaza“ hinterrücks und allgemein von jemandem, der sich etwas in den Kopf setzt und es dann gegen alle Widerstände durchzieht, von jemandem, der nicht aufgibt. Als Ahmed in Malmö auf seinen Schwager trifft, empfängt er ihn mit den Worten: Du bist ein Löwe. Etwas von dieser Stärke wollen wir den Schülern in Anklam vermitteln, dieses Etwas werden sie brauchen können. Im Zug sag ich zu ihm: Kann sein, dass es gut läuft, kann auch sein, dass nicht so gut. Jedenfalls müssen wir damit
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rechnen, dass nicht alle so aufgeschlossen sind, wie es wünschenswert wäre. Dass sie dich vielleicht sogar ablehnen. Anklam hat kein gutes Image, was Toleranz und Weltoffenheit betrifft. Damit kann ich umgehen, sagt Ahmed. Ich sag noch nichts von der „braunen Hochburg“, von rechtsextremen Seilschaften, von Aufmärschen bis vor gar nicht so langer Zeit, weil mir schnell gefertigte Etiketten schon immer suspekt waren. Ich sag auch nicht, dass die NPD im Gemeinderat sitzt, im Jahr 2014 mit 9,2 Prozent der Stimmen gewählt. Die AfD hat, obgleich bei der letzten Bundestagswahl 2017 in Anklam mit 23 Prozent gewählt, kürzlich angekündigt, für die Kommunalwahl im Mai keine eigene Liste aufzustellen, und zwar mangels Kandidaten. Ich überlege, was der hohe Prozentsatz für die Schüler bedeutet, für Orientierung und Sozialisation. Lieber bin ich auf alles gefasst und sag das auch zu Ahmed: Lass uns auf alles gefasst sein. Noch dazu hat das Zeitmagazin vor ein paar Wochen eine lange Reportage über Anklam veröffentlicht, unter
dem Titel „Eine rechte Hand wäscht die andere“. Gemeint damit ist ein lockeres Netzwerk aus stadtbekannten Rechtsextremen, die sich bürgerlich zu etablieren suchen, indem sie ein Restaurant, eine Kneipe, Handwerksbetriebe oder Baufirmen eröffnen, denn auch rechtsaußen muss Geld verdient werden. Da die Recherchen gemeinsam mit dem WDR unternommen wurden, gibt es auch einen Fernsehfilm dazu, nicht ganz so alarmierend in Titel und Aufmachung, er heißt „Heimatland – Oder die Frage, wer dazu gehört“. Vor Ort, in der Lokalzeitung Nordkurier, sind sie über die Reportage alles andere als erfreut, der Kommentator ätzt gegen Klischees, die düsteren Fotos, die aufgeblasene Jagd nach verborgenen Nazis, ohne sein Ressentiment gegen westdeutsche Magazine und ihre westdeutschen Leser zu verheimlichen. Außerdem sei ja eh alles längst bekannt, ebenso wie bekannt sei, dass die rechte Szene in der Stadt seit Jahren eher schrumpfe als wachse, also, habt euch nicht so. Mit ostdeutschen Städten bin ich seit Langem vertraut. Jeweils für etliche Monate habe ich in Rheinsberg, Beeskow, Jena und Dresden gewohnt. Es gab eine Zeit Mitte der Neunziger, da ging ich nachts allein am liebsten mit meinem Arztkoffer durch die Stadt, so auch in Naumburg, er schützte mich, indem er mir Respekt verschaffte, selbst bei jugendlichen Skinheads. Mit meinem Hang zum Theater fragte ich mich, wie ich mich ins gefährliche Anklam wagen sollte. Kurz dachte ich an den Arztkoffer, aber dann ging ich nur zu meinem türkischen Friseur und ließ mir die Haare auf sechs Millimeter herunter rasieren, quasi Skin und respekteinflößend, sie sollen dort wissen, dass mit mir nicht zu spaßen ist. Als ich mit Ahmed in der Nacht durch Anklam ziehe, weise ich ihn immer wieder auf schöne Gebäude hin, auch auf das Steintor. Er sagt: Mich erinnert das alles an Ungarn. Dorthin haben ihn die schwedischen Behörden
einem langen Tag vor dem Haus sein Fahrrad abstellt, sagt er sich: Ich fühle mich als Berliner. In der zehnten Klasse der Käthe-Kollwitz-Schule hängen alle an seinen Lippen. Ich war auf alles gefasst, aber nicht auf dieses Interesse und diese Konzentration. Das Einzige, was mir auffällt, ist, dass nur Jungs Fragen stellen, die Mädchen hören aufmerksam zu. Ahmed hat „Jenseits von Gaza“ ins Arabische übersetzt, und er liest den Anfang in seiner Muttersprache vor, dann lese ich die-
Bist du in Deutschland angegriffen worden?
ausgewiesen, weil er von den ungarischen Behörden mit Fingerabdruck registriert worden ist, das erste Mal auf dem Boden der Europäischen Union, Dublin-Verfahren heißt das laute Argument, das aber in sehr vielen Fällen ganz leise oder überhaupt nicht ausgesprochen wird. Tatsächlich sieht die Innenstadt gut aus, vieles ist renoviert oder neu gebaut worden, rund um den Marktplatz sind Läden, eine Kneipe, ein Restaurant entstanden, kein Leerstand, und es heißt, dass wieder mehr Leute nach Anklam kommen als weggehen. Für die von rechtsaußen wird es so schwieriger, und es ist nur verständlich, dass der rebellierende Flügel in die Sicherheit einer wirtschaftlichen Existenz flüchtet. Ein bisschen gespenstisch wirkt unser Rundgang trotzdem, weil so gut wie niemand auf den Straßen unterwegs ist, vielleicht liegt es am Montag, jedenfalls sind Kneipen und Restaurants geschlossen, alles dunkel, wie geschaffen für eine Fotosession des Zeitmagazins. Ahmed hat die Idee, im hell erleuchteten Fitnesscenter nach einer geöffneten Kneipe zu fragen. Also gehen wir rein, ein dicker Skin, eine junge Frau, ein alter Mann an der Theke. Wo in der Stadt bekommt man noch ein gutes Bier?, frage ich, und alle drei müssen kurz überlegen. Dann aber hat der Skin gleich zwei gute Tipps und deutet die Richtung an. Der eine Tipp hat geschlossen, darum nehmen wir den anderen am Markt. Was ich Ahmed nicht verrate, ist, dass ich Bar und Restaurant schon aus dem Zeitmagazin kenne, dass der Inhaber mit der rechtsextremen Szene verbunden sein soll und einschlägige Tattoos auf dem Körper trägt, schwarze Sonne und so. Die Frau an der Bar ist nicht besonders freundlich, aber das kennt man ja aus Berlin und muss nichts heißen. Der Laden wirkt neu und schick, die Gäste eher jung und eher bürgerlich. Lübzer-Bier, meine Hausmarke, ist zu haben. Und dann
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frage ich Ahmed nach Gaza, und er erzählt und erzählt, zum Beispiel, wie Ehen durch die Eltern arrangiert werden, oder dass eine Kneipe wie diese in Gaza nicht erlaubt wäre. Wir basteln an einer Utopie für den Landstrich, die ich mir fürs erste nur unter internationaler Verwaltung vorstellen kann. Ahmed sagt: Israel müsste zustimmen. Und die Hamas? Die Hamas auch. Tja, eine Utopie.
Die Frau an der Bar ist nicht besonders freundlich, aber das kennt man ja aus Berlin
Inzwischen macht Ahmed in Berlin eine Ausbildung zum Software-Entwickler für medizinische Geräte, ich weiß, dass er gut darin ist, so viel mehr Ahnung hat als ich, und dass ihm der Job und sein Können helfen, einen ungesicherten Aufenthaltsstatus zu überstehen, am Ende vielleicht sogar in einen gesicherten umzuwandeln. Er ist jetzt Mitte zwanzig und denkt, dass er viel Zeit verloren hat, zwei Jahre Flucht, das Ankommen in Deutschland, das Lernen der Sprache. Ich stelle mir vor, dass ein Mensch von rechtsaußen, der in einen Operationssaal geschoben wird, Ahmed für seine technischen Fertigkeiten dankt, aber das wird nie passieren, weil der Rechtsaußen nichts von Ahmed weiß. Noch vor einem Jahr hat mir Ahmed seine Zukunft in Schweden ausgemalt, heute nicht mehr. In Steglitz hat er eine eigene Wohnung bezogen, und wenn er nach
selbe Stelle auf Deutsch, später dann einen längeren Teil. Die Schüler fragen Ahmed nach Erfahrungen mit der Polizei, danach, ob einmal mit der Waffe auf ihn angelegt worden sei, sie fragen nach seinem Aufenthaltsstatus und ob er sich vorstellen könne, nach Gaza zurückzukehren, wie er auf der Flucht der Kälte habe trotzen können, ob er in Deutschland schon einmal angegriffen worden sei. Er antwortet: ja, viele Erfahrungen mit der Polizei, ja, bedroht durch Waffen, nein, kein gesicherter Aufenthalt, ja, wenn die Verhältnisse in Gaza sich änderten, nein, im Dezember habe er vor Kälte geschlottert und nicht einschlafen können, nein, er sei noch nie angegriffen worden. Die letzte Antwort scheint die Schüler zu erstaunen, ganz so, als wüssten sie es besser. Nachher sitzen wir mit der Schulleiterin Marion Laue zusammen, sie sagt, dass ihre Schule auch Flüchtlingsklassen beherbergt habe und dass die Schüler mit dem Thema vertraut seien. Dass die Lehrer sich bemühten, schwierige Fälle in den Griff zu bekommen. Und nebenbei erinnert sie sich an Frank Castorf im Theater in Anklam, in der ersten Hälfte der Achtziger, Verbannung, sag ich, und sie lächelt und stimmt zu. Marion Laue strahlt Kompetenz und Liebenswürdigkeit aus, sodass ich mich in Anklam gerne noch einmal einschulen lassen würde. Auch sie und ihre Schüler prägen das Gesicht der Stadt, es wäre nicht leicht zu zeichnen; alles, was man gehört, gelesen und gesehen hat, ginge höchstens in einem kubistischen Porträt auf. So aber, wie Ahmeds Geschichte Mut macht, so machen auch die Schülerinnen und Schüler der Käthe-KollwitzSchule Mut. Noch ist nichts verloren.
RALPH HAMMERTHALER geboren 1965 in Wasserburg am Inn, lebt in Berlin. Er veröffentlichte die Romane Alles bestens (2002), Aber das ist ein anderes Kapitel (2007), Der Sturz des Friedrich Voss (2010) und Kurzer Roman über ein Verbrechen (2016). Er war Stadtschreiber in Dresden, Rheinsberg, Prishtina und Split. Sein Libretto Die Bestmannoper über den NS-Kriegsverbrecher Alois Brunner wurde von Alex Nowitz vertont; seine Theaterstücke sind in mehrere Sprachen übersetzt und u. a. in München, Berlin, Mexico City, Prishtina und Omsk aufgeführt worden. Zuletzt ist der Künstlerroman Unter Komplizen (2018) erschienen.
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KUNSTWELTEN
AM PEENESTROM, AM PEENESTROM, DA BLÜHT EIN GÄNSEBLÜMCHEN … Constanze Witt und Katherina Seemann Villanueva
Als wir vor zehn Jahren das erste Mal nach Lassan, eine kleine Stadt in Ostvorpommern, kamen, um im Rahmen des KUNSTWELTEN-Programms mit Schülern der dortigen Grundschule einen Animationsfilm zu drehen, staunten wir über den Anblick, der sich uns nach Durchquerung eines märchenhaften Waldes bot. Fischerhäuser mit bunten Holztüren säumen die zwei Straßen, die Lassan im Wesentlichen ausmachen und deren eine zum Hafen am Peenestrom führt, der den Landstrich im Osten begrenzt. Steht man dann am Wasser, wundert man sich wie schon Wolf Biermann in seiner dem Ort gewidmeten Ballade, „ob wir noch in Deutschland sind“ – und zwar mit aller Widersprüchlichkeit, die das bedeutet. Denn die deutsche Geschichte und ihre Auswirkungen sind hier deutlich wahrnehmbar: im zauberhaften Charme des Stadtbilds, in den Reminiszenzen an die deutsch-deutsche Teilung bis hin zu den aktuellen politischen Entwicklungen. In jedem Fall ist Lassan eine Stadt zwischen wohltuender Beschaulichkeit und Vergessenheit, ein Ort, an dem man so tun kann, als drehe sich die Welt nicht weiter – sowie neuerdings auch ein Magnet für alternative Lebensformen, die inzwischen sogar eine freie Schule umfassen. Die meisten Kinder besuchen jedoch die Grundschule in der Schulstraße, die seit 1990 ein Ort des Lernens und Wachsens für die Schüler aus Lassan und Umgebung ist. Das über 100 Jahre alte Schulhaus mit seinen
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geschmückten Fenstern wirkt wie eine Festung, in der man sich behütet fühlen darf. Tatsächlich hat man den Eindruck, als wache Marianne Köhn – seit über 40 Jahren an der Schule: zunächst als Lehrerin, dann als Schulleiterin – über „ihre“ Kinder. Frau Köhn kann man vertrauen, um Rat fragen, umarmen. Macht man sich bewusst, dass hier hohe Arbeitslosigkeit herrscht, dass es an Zukunftsperspektiven mangelt und es in der Umgebung kaum kulturelle Angebote gibt, ahnt man ihre Bedeutung. Frau Köhn ist die „gute Seele“ der Schule. In einer Stadt, die so klein ist, dass der (ehrenamtliche) Bürgermeister einen Malerbetrieb hat und die Schulsekretärin zugleich Hafenmeisterin ist, braucht es auch eine Schulleiterin, die sich den Menschen hier verbunden fühlt. Nicht zuletzt das Engagement und die Bodenständigkeit von Frau Köhn und auch ihren Kolleginnen mögen Marion Neumann, die Leiterin der KUNSTWELTEN an der Akademie der Künste, und Annett Freier vom DemokratieLaden Anklam, einer Einrichtung der Landeszentrale für politische Bildung, zu der Entscheidung gebracht haben, jedes Jahr aufs Neue herzukommen. Das ist innerhalb dieses Programms der Kulturellen Bildung einzigartig. Und auch für uns sind die Werkstätten, die wir hier veranstalten, ein sehr besonderer Teil unserer Arbeit, weil sie mittlerweile von Freundschaft und Vertrauen geprägt sind.
Vielleicht war es gerade diese Sonderstellung, die uns nie daran zweifeln ließ, dass es mit den Lassaner Kindern möglich sein würde, einen Film über Toleranz und Ausgrenzung, Freiheit und den Tod zu machen; eine Geschichte zur Grundlage zu nehmen, an deren Anfang ein Morgen steht, „in den die halbe Welt hineinpasste“. Thomas Rosenlöchers Kurzgeschichte Das Gänseblümchen, die Katze und der Zaun, auf der das Kinderbuch – die Vorlage für unseren Film – basiert, erzählt von einem Gänseblümchen, das in einem Garten blüht, in dem es als Unkraut verrufen und darum nicht geduldet ist. Die Katze und der Zaun werden Zeugen seines Wachsens und Sterbens, das sie nicht verhindern können. Der Löwenzahn macht vor, wie sich Zäune fliegend überwinden lassen, sodass am Ende ein Morgen steht, „in den die ganze Welt hineinpasste“, an dem alles blühen darf. Thomas Rosenlöcher ist auch nach Lassan gekommen, um gemeinsam mit den Kindern und uns ein Verständnis der Geschichte zu erarbeiten. Er liest und geht dabei zwischen den Kindern umher, stellt ihnen Fragen: Was heißt es, das Licht der Welt zu erblicken? Ist ein ordentlicher Garten langweilig? Und wie guckt eigentlich ein Zaun? So erfahren wir Wichtiges über die Vorstellungswelt der Lassaner Kinder. Wir sind überrascht, als wir sie nach dem Tod fragen. Die Schüler sprechen von einer Seele, die den Körper verlässt, von Wiedergeburt und auch vom Nichts. Doch Thomas Rosenlöchers Frage nach einem Garten, in dem alles gemeinsam existieren kann, führt zu Ratlosigkeit; auch nach Auflösung des in Frage stehenden Begriffs vom Paradies herrscht eher Schweigen. Damit ist jenes nicht planbare Moment eingetroffen, das unsere Arbeit so spannend macht, weil Denkprozesse in Gang gesetzt werden, die die Arbeit mit den Kindern maßgeblich bestimmen. Nun stehen wir vor der Aufgabe, die unterschiedlichen Interpretationen und Vorstellungen, und vor allem die Ideen der Kinder, zu einem einzigen, einheitlichen Film zusammenzuführen. In solchen Augenblicken wird spürbar, welche Verantwortung wir übernehmen. Am Abend des ersten Tages sitzen wir mit Thomas Rosenlöcher im Hotelzimmer. Seine Stimme soll im Film zu hören sein. Den Wind vom langen Spaziergang durch die flache Landschaft noch im Haar, sitzt er auf der Bettkante und liest seinen Text für die Aufnahme. Die verschiedenen Fassungen zwingen zur Entscheidung. Im Kinderbuch
hat uns die Trauer der Katze und des Zauns gefehlt: Wie könnten sie das Gänseblümchen nicht vermissen? Auch das Ende bereitet uns Kopfzerbrechen, der „Morgen, in den die ganze Welt hineinpasst“. In dem Kinderbuch wird es als eine diesseitige Bekehrung der spießigen Gärtner zu freien Menschen gedeutet, die nackt im Garten tanzen. Das reicht uns nicht. Die Idee eines Paradieses hingegen kannten die Kinder nicht. Muss sie also aus dem Film ausgeschlossen werden? Besticht nicht der Text dadurch, dass er dem Leser die Freiheit (und Aufgabe!) überträgt, das Ende mit Sinn zu füllen? Wir aber sind nicht nur Leser; wir müssen aus der Geschichte – gemeinsam mit Drittklässlern – einen Animationsfilm machen. Wir entscheiden uns für das „Paradies“. Auch die Kinder sind inzwischen mit der Idee vertraut. Dass ihre Erziehung offenbar nicht von der jüdisch-christlichen Tradition geprägt ist, lässt ihnen eine eigene Interpretationsfreiheit bezüglich dieser Vorstellung.
heraus. Die anderen Katzen sind nicht enttäuscht. Am Ende der Woche fahren wir erschöpft, aber erfüllt zurück nach Berlin, um den Film fertigzustellen. Bei der Abschlusspräsentation einige Wochen später ist die Schulaula voll; alle Generationen sind vertreten, auch der Bürgermeister ist gekommen. Die Stimmung ist feierlich, im Raum ist es mucksmäuschenstill. Das „paradiesische“ Ende war die richtige Entscheidung – als der
Abspann läuft, sind alle glücklich. Und irgendwie ergriffen. Aus der letzten Reihe kommt uns Frau Köhn entgegengelaufen: „Das war so schön“, sagt sie. „So schön.“ Sie hat tatsächlich Tränen in den Augen. Auch wir sind glücklich. Und erleichtert. Wir sind überzeugt, dass Kinder jedes Thema, das sie betrifft, und sei es noch so ernst oder traurig, behandeln können. Auch der Tod ist etwas, das mit den Fragen, Ängsten und Hoffnungen, die sich um ihn ranken, alle Generationen verbindet. Genau an dieser Stelle würden wir unsere Verantwortung verorten: in der Weise, wie man mit Kindern spricht. Thomas Rosenlöcher macht in seinem Buch wunderbar vor, dass man in einer Geschichte, in der Ungerechtigkeit, Verlust und der Tod vorkommen, den Humor nicht auslassen muss. Und auch bei der Arbeit am Film wurde viel gelacht: darüber, wie unterschiedlich die Katzen aussehen, über die großen Füße der Menschen, über die Augen des Zauns … Es mag sein, dass das daran liegt, dass wir die Kinder nicht bloß zu einer Auseinandersetzung zwingen. Wir machen etwas, und zum Prozess des Machens gehört die Beschäftigung mit schwierigen Fragen, die dadurch gerade nicht zum Tabu gemacht werden. Vielleicht ist ja der „Morgen, in den die ganze Welt hineinpasst“ der Morgen, in dem für alles Platz ist: für alle Fragen, für alle Erinnerungen, Erfahrungen und Gefühle, die schönen und unschönen. Wo alles, sei es noch so klein und zart, blühen darf. Wo man trauern darf. Und lachen.
Die Welt ist voll von Katzen, und im Film sind sie alle zu sehen Wir müssen immer wieder abwägen, an welchen Stellen der Raum für gemeinsame Entscheidungsfindungen, für Experimente, für spontane Einfälle der Schüler geöffnet wird. Das kann man nicht im Vorfeld planen, und die Kinder überraschen oft genug mit der Natürlichkeit, mit der sie gemeinsame Aufgaben bewältigen. Ein Junge ist beim Zeichnen unzufrieden mit sich. Bei der Animation aber ist er in der Lage, mühelos große Bewegungen in kleinste aufzuspalten und kontinuierlich auszuführen: Sein Stolz ist unübersehbar. So wählt jeder seine Aufgabe, und das Glück der Kinder, etwas zu finden, was sie besonders gut können oder gerne tun, ist im Klassenraum spürbar. Alle sind motiviert, aus allen Ecken tönt es: „Was kann ich jetzt machen?“ Dann die große Frage: Wer darf die Katze machen? Alle machen eine Katze, die Welt ist voll von Katzen, und im Film sind sie alle zu sehen. Eine Hauptkatze kristallisiert sich aufgrund der Möglichkeiten ihrer Mimik
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Die Filmemacherin CONSTANZE WITT studierte an der
KATHERINA SEEMANN VILLANUEVA studierte Philosophie,
Kunstakademie Düsseldorf bei Alfonso Hüppi und war 2007
Romanistik und Anglistik an der Universität Heidelberg.
Stipendiatin der Akademie der Künste. In ihrem Dokumentar-
Seit 2015 wohnt sie in Berlin, wo sie an ihrer Promotion zu
film Juan y Medio (2008) thematisiert sie die tiefe Spaltung
María Zambrano bei Gerhard Poppenberg, Romanistik-
ihrer chilenischen Familie seit dem Militärputsch in Chile 1973.
professor in Heidelberg, arbeitet. Darüber hinaus ist sie als
CLAUS LARSEN studierte Bildhauerei an der Funen Kunst-
freie Autorin und Übersetzerin tätig.
akademie in Odense in Dänemark. Seit 2010 lädt das Künstlerpaar Kinder der Grundschule Lassan im Landkreis Vorpommern-Greifswald zu Filmwerkstätten ein.
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KONTAKTE ’19
DAS FESTIVAL
Gregorio García Karman
Die dritte Ausgabe des Festivals KONTAKTE (26.– 29.9.2019) fragt nach Möglichkeiten des Performativen in der elektroakustischen Musik. Erkundet werden zum einen instrumentale physische Qualitäten des Musizierens (mit Modular-Synthesizern, Plattenspielern u. a.), zum anderen Formen musikalischer Praxis, die sich auf sonstige Weise dem Performativen öffnen. Als historische Kulisse dient das Feedback Studio Köln, gegründet 1970 von Johannes Fritsch (dessen Nachlass sich im Musikarchiv der Akademie der Künste befindet), Rolf Geelhaar und David Johnson. Die Feedback Gruppe war eine der herausragenden Initiativen zeitgenössischer elektroakustischer Musik, die sich im internationalen Gravitationszentrum Köln der 1970er Jahre herauskristallisierten und durch die Suche nach neuen Formen der
Selbstorganisation und Diversifizierung intellektueller Interessen – vor dem Hintergrund einer zunehmend globalisierten, komplexen und pluralistischen Welt – auszeichneten. Demgegenüber stehen aktuelle Produktionen, wie der dritte Teil der Musiktheater-Trilogie Stadt Land Fluss von Daniel Kötter und Hannes Seidl, ein Konzertprojekt aus dem Umfeld der Musikhochschule Shanghai sowie der von Ignaz Schick kuratierte Turntablisten-Marathon T.I.T.O., der am Tag des BerlinMarathons, dem 29. September, den Ausklang von KONTAKTE ’19 bildet. GREGORIO GARCÍA KARMAN ist Künstlerischer Leiter des Studios für Elektroakustische Musik der Akademie der Künste.
T.I.T.O. THE INTERNATIONAL TURNTABLE ORCHESTRA EINE KURZE PERSÖNLICHE GESCHICHTE
Ignaz Schick
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Plattenspieler spielten seit meinen ersten Experimenten mit elektronischer Musik neben Tonband- und Effektgeräten eine zentrale Rolle. So fing ich etwa 1987 als Teenager damit an, mit dem Vierspurkassettenrekorder eines befreundeten bildenden Künstlers in seinem auf einem Bauernhof in Niederbayern eingerichteten Tonstudio zu experimentieren. Inspiriert von Vorbildern aus unterschiedlichen Bereichen (Musiker, Komponisten und Fluxuskünstler wie John Zorn, Heiner Goebbels, Pierre Henry, Pierre Schaeffer, John Cage, aber auch Milan
Knížák und Christian Marclay) ging ich dazu über, gefundene oder geliehene Materialien von Schallplatte und Radio in meine collagenartigen Stücke einzumontieren. Ich machte Aufnahmen auf unserem Bauernhof und um ihn herum, in den Ställen und Werkstätten, in der Käseküche oder von meiner Mutter an ihrer Strickmaschine, von Gewittern oder unseren Nachbarn, und arbeitete diese alltäglichen Geräusche in meine frühen Kompositionsversuche ein.
Live stellten mich diese Experimente jedoch vor ein Dilemma: Wie kann ich in dieses Material direkt und physisch eingreifen und es nicht nur abspielen? So rückten neben Mehrspurbandmaschine und Fundobjekten manipulierte Schallplatten und Plattenspieler in mein Arsenal. Ein Schlüsselerlebnis waren auch Abbildungen von Milan Knížáks Broken Music, die ich in einem Kunstmagazin entdeckte. Die Schallplatte nicht nur in ihrer ursprünglichen Form als mechanisch abspielbaren Speicher zu nutzen, sondern die Oberfläche oder das Objekt selbst zu manipulieren. Ich fing an, billige Schallplatten mit Schmirgelpapier zu bearbeiten, Löcher zu bohren, Papier und Klebebänder aufzukleben oder Platten zu zerbrechen und mit den Bruchstücken weiterzuarbeiten oder gar neue Objekte aus Bruchstücken wieder zusammenzusetzen. Ab etwa 1993 fanden meine ersten Live-Performances mit Dual-Plattenspielern und Vierspurkassettenrekordern in München statt. Später kamen Sampler, MinidiscRekorder, Discman, Computer, Laptop, Objekte und Effektgeräte dazu. Was wie ein roter Faden durch all diese Instrumentarien lief, war die Arbeit mit klanglichem Fundmaterial und Samples: Klangobjekte, entweder physisch, als Klangerzeuger, oder eben abstrakt als Zitat und Ausgangsmaterial, um unzähligen Transformationsprozessen unterzogen zu werden. Nachdem eine Zeit lang der Plattenspieler fast komplett aus meinem Set-up verschwunden war, begann ich ihn ab etwa 1998/99 immer häufiger in mein Live-Instrumentarium zu reintegrieren. Grund hierfür war eine zunehmende Frustration über die Schwerfälligkeit von digitalen Samplern und Computern in der Praxis improvisierter live-elektronischer Musik. Vor allem fehlte mir die im Spiel von Instrumenten so wichtige haptische und direkte Zugriffsmöglichkeit auf das Material. Mit kleinster Geste lässt sich im Bruchteil einer Sekunde auf eine musikalische Situation reagieren, können abrupte Wechsel erzeugt werden, etwa durch minimale manuelle Eingriffe auf dem rotierenden Teller, dem Tonarm oder auch durch extrem schnellen Plattenwechsel. Ab etwa 2002/03 wurde der Plattenspieler zum zentralen Instrument meiner Arbeit. Mittlerweile spielte ich nicht mehr mit ausrangierten HiFi-Geräten, sondern mit direkt betriebenen DJ-Turntables mit kraftvollen Motoren. Inzwischen hatte ich auch von anderen Turntablisten wie Otomo Yoshihide, Martin Tétreault oder Philip Jeck, eRikm und Claus van Bebber gehört. Ich setzte mich noch einmal mit der Geschichte des Turntablism auseinander, mit den Anfängen in der Musique concrète,
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aber auch mit frühen Wegweisern wie John Cages Cartridge Music (1960) oder den Anfängen von Cut-up und Plunderphonics, um schließlich selbst Protagonist einer der extremsten Welle von Turntablism zu werden: dem Spiel ohne Schallplatten, nur mit dem Gerät und seinen Eigenklängen. Inspiriert vom kanadischen
Pionier des Turntablism, Martin Tétreault, und der japanischen Onkyo-Bewegung1 arbeitete ich von 2003/04 bis etwa 2012 ausschließlich mit Objekten auf dem rotierenden Plattenteller, verstärkt mit einem Mikrofon und bearbeitet durch einen Looper und Pitchshifter. Zur gleichen Zeit, also etwa 2003, fing ich an, mit Martin Tétreault im Duo zu spielen. Er war es auch, der mich dazu ermutigte, über die reinen Vinyltechniken hinaus zu forschen. Zeitgleich hatte ich bei Auftritten auf internationalen Festivals sowie bei diversen thematisch angelegten Slots zum Thema „Experimental Turntablism“ die Gelegenheit, einige der geschätzten Kollegen persönlich kennenzulernen. Mir fiel auf, dass neben Gemeinsamkeiten in der Nutzung der vorgegebenen und ja fast limitierten Tools alle einen eigenen Sound, einen eigenen Ansatz und eine eigene Methodik entwickelt hatten. Viele Kollegen haben einen außermusikalischen
oder autodidaktischen Hintergrund, sind keine klassisch geschulten Musiker und haben oft einen Background in der bildenden Kunst oder kommen aus der Clubkultur. Je mehr interessante Künstler aus diesem doch noch recht jungen Genre ich kennenlernte, desto mehr entstand Anfang der 2000er der Wunsch, ein konzentriertes Event zu organisieren, um all diese Leute zusammenzubringen. So entstand die Idee zu T.I.T.O – The International Turntable Orchestra, das Dank der Unterstützung von Evelyn Hansen und Erhard Grosskopf 2009 im Studio der Akademie der Künste am Hanseatenweg als viertägiges Festival realisiert werden konnte. 14 der damals wichtigsten experimentellen Protagonisten aus Europa, Japan, Australien, Kanada und den USA kamen nach Berlin, um morgens zu proben und ab Mittag bis spät in die Nacht hinein in Solo-, Duo-, Trio-, Quartettund Tuttiperformances ihre eigenwillige und faszinierende Kunst zu präsentieren. An vier Tagen drehten sich die Teller, es wurden Platten geschnitten und zerkratzt, aufgelegt und manipuliert, zerbrochen, gekaut oder zärtlich gestreichelt. Vom zartesten Knacksen, repetitiven und hypnotischen Drones, schnellen Cut-ups und Scratches bis hin zu eruptiven Noisewänden durchliefen die eingeladenen und damals wichtigsten Künstler des Genres die unterschiedlichsten musikalischen, aber auch körperlichen Zustände. Ich freue mich über die Einladung von Gregorio García Karman, im Rahmen von KONTAKTE ’19 zehn Jahre später eine neue Ausgabe von T.I.T.O. in Form eines ganztägigen T.I.T.O.-Marathons zu kuratieren. Anstatt dieselben Musiker wie 2009 einzuladen, haben wir uns entschieden, ein komplett neues Line-up zusammenzustellen, vor allem diejenigen Turntablisten zu gewinnen, die letztes Mal nicht dabei sein konnten, und darüber hinaus neue Tendenzen und junge Protagonisten vorzustellen. Für mich ist es eine Ehre verraten zu dürfen, dass wir den legendären tschechischen Fluxuskünstler Milan Knížák eingeladen haben, um unter anderem eine Performance von Broken Music mit The International Turntable Orchestra aufzuführen. 1 Eine Form der freien Improvisation, die Ende der 1990er Jahre in Japan entstand.
IGNAZ SCHICK ist Improvisationsmusiker (Altsaxofon, Plattenspieler, Bögen, Gongs, Becken, Objekte, Looper), Klangkünstler und Komponist.
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FREUNDESKREIS
Sexauer Gallery, Gewinnerin des VBKI-Preises BERLINER GALERIEN 2017
DER WERT DER BERLINER KULTUR Ein Gastbeitrag von Udo Marin
Über den Kunst- und Kulturstandort Berlin wird laufend abgestimmt – und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Denn das Votum wird mit den Füßen abgegeben: Im Gefolge großer Namen wie Olafur Eliasson oder Katharina Grosse zieht die Stadt Scharen von künstlerisch und kreativ veranlagten Menschen aus aller Welt an. Mehr als 10.000 Künstler haben hier ihr Experimentierfeld, ihren Heimathafen gefunden. Die Stadt bietet offenbar ideale Voraussetzungen – trotz inzwischen auch für Werkräume und Ateliers gestiegener Mieten. Und als hätte es noch eines letzten Beweises bedurft, kehrt auch einer der weltweit größten Musikkonzerne der Welt zurück an die Spree. Der Grund für den Umzug? „Berlin ist das kulturelle und kreative Epizentrum Deutschlands“, schrieb Sony-Music-Vorstandschef Patrick Mushatsi-Kareba. Die Sogwirkung ist groß, als Kreativstandort muss sich die deutsche Hauptstadt hinter New York, London und Paris nicht verstecken. Gemeinsam und in Wechselwirkung mit einer enormen Zahl von Kulturinstitutionen – alle Konzerthäuser, Theater, Museen, Clubs, Kunsthochschulen etc. aufzuzählen, würde Seiten
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füllen – prägt das kreative Element das Image Berlins und trägt maßgeblich zur weiter wachsenden Attraktivität der Stadt bei. Das einzigartige kulturelle Angebot und die schöpferische Atmosphäre sind Standortfaktoren, die an vielen Stellen ihre Wirkung entfalten – nicht nur weltweit agierende Musikkonzerne finden hier erfolgversprechende (Roh-)Stoffe, auch im Wettbewerb um Investoren, Unternehmen und kluge Köpfe ist das kreative Lebensgefühl der Stadt ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt. Allerdings mischen sich in die Freude über die „Künstlerhochburg“ auch nachdenkliche Töne. Als Handelsund Marktplatz von Kunst übt sich Berlin in vornehmer Zurückhaltung, die großen Geschäfte werden woanders abgeschlossen. Wie enorm das Gefälle ist, verdeutlicht eine schon etwas ältere Zahl des Instituts für Strategieentwicklung. Demnach erwirtschafteten alle deutschen Galerien für Gegenwartskunst zusammen 2013 einen Umsatz von rund 450 Millionen Euro. Ein einziger Galerist wie der US-Amerikaner Larry Gagosian, der ein globales Imperium von 17 Dependancen führt – leider nicht in Berlin –, nahm im selben Jahr fast 700 Millionen Euro ein. Wer diese Zahlen kennt und weiß, dass Berlin nur für einen vergleichsweise kleinen Teil des deutschen Galerienumsatzes steht, kann sich ausrechnen, wie es um die wirtschaftliche Situation gerade der kleineren der rund 500 Galeristen in der Hauptstadt bestellt ist. Noch bespielen diese in der ganzen Stadt eine Fläche von rund 50.000 Quadratmetern mit knapp 2.500 Ausstellungen jährlich – wobei die Betonung auf „noch“ liegt. Denn der Kuchen, den es zu verteilen gibt, dürfte zu klein sein, um allen ein dauerhaftes Überleben zu sichern – zumal die Kosten, etwa bei der Miete, weiter steigen. „Wir müssen aufpassen, dass der Markt nicht woanders stattfindet“, warnte Christian Boros, als Sammler und Mäzen einer der Wegbereiter der Kunstmetropole Berlin, bereits vor einiger Zeit in einem Gespräch mit
dem Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI). Der globale Markt braucht Anlässe, Anlaufpunkte, Ansprechpartner – und in diesem Punkt ist die typische Berliner Vielfalt eher downside als Vorzug. Der Wald kann vor lauter Bäumen verschwinden, heißt es. Auch um den Galerien Berlins mehr Sichtbarkeit zu verschaffen, haben wir – die 2.200 im VBKI versammelten Unternehmer – vor zwei Jahren beschlossen, unser Engagement für Kunst und Kultur weiter auszubauen. So hat der VBKI-Kulturausschuss unter der Leitung von Bernd Wieczorek (der auch Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft der Freunde der Akademie der Künste ist) mit dem „Hauptstadtkulturgespräch“ eine Diskussionsreihe auf den Weg gebracht, die zentrale Berliner Kulturthemen in den Blick nimmt, mit relevanten Akteuren aus Kultur, Politik und Wirtschaft diskutiert und so einen inzwischen etablierten Resonanzboden schafft. Und gemeinsam mit dem Landesverband Berliner Galerien (lvbg) ist die Idee entstanden, einen Preis für Berliner Galerien auszuloben. 2018 ist der mit 10.000 Euro dotierte VBKI-Preis BERLINER GALERIEN bereits zum zweiten Mal vergeben worden. Nachdem sich die Jury bei der Premiere 2017 für die Sexauer Gallery entschieden hatte, wurde im vergangenen Jahr die Galerie Daniel Marzona ausgezeichnet – zwei würdige Preisträger, die dem Kunstmarkt Berlin auch ein Stück Gesicht und Profil verleihen. Als kunstsinnige Bürger genießen wir das enorme kulturelle Angebot unserer Stadt, als Unternehmer kennen wir den unschätzbaren Wert der Kultur für die weitere Entwicklung unseres Standortes. Es gibt also mindestens zwei Gründe, warum wir wollen, dass Berlin für Künstler und Kreative aus aller Welt auch in Zukunft der place to be ist. UDO MARIN, Geschäftsführer des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller, ist Mitglied der Gesellschaft der Freunde der Akademie der Künste.
BILDNACHWEISE S. 4/5, 6/7 © Hito Steyerl, VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Fotos Andreas FranzXaver Süß, Courtesy: the artist, Andrew Kreps Gallery, New York and Esther Schipper, Berlin | S. 8 Stiftung Stadtmuseum Berlin; S. 9 Akademie der Künste, Archiv, Foto Roman März; S. 10/11 Bundesarchiv Koblenz; S. 11 Akademie der Künste, Archiv, Foto Fritz Eschen; S. 12 Werner Durth; S. 13 Behnisch & Partner; S. 14 links Albert Baustetter; rechts Restaurierung am Oberbaum; S. 15 Jürgen Schreiter | S. 16–19, Akademie der Künste, Fotos Erik-Jan Ouwerkerk, außer: S. 19 oben Roman März; S. 18 oben Akademie der Künste, Kunstsammlung, Inv.-Nr. KS-Gemälde MA 311, © Barbara Döhl; unten Restaurierungswerkstatt; S. 19 oben Akademie der Künste, Nachlassbibliothek Kurt-JungAlsen; unten Landhaus Schminke in Löbau, Akademie der Künste, HansScharoun-Archiv, Modellnr. 28 | S. 20+21 © Manfred Böttcher, VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Fotos Andreas FranzXaver Süß; S. 22 © Harald Metzkes, Manfred Böttcher, VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Foto Andreas FranzXaver Süß | S. 23 Akademie der Künste, Berlin, Kunstsammlung, Inv.-Nr. KS-Foto 1010.8, © Christina Kubisch | S. 32/33 Foto Herman Sorgeloos | S. 36+37 Akademie der Künste, Johann-Kresnik-Archiv 61, 60 und 62 © Volksbühne am RosaLuxemburg-Platz; S. 38 oben Akademie der Künste, Johann-Kresnik-Archiv 63_001, © Johann Kresnik; unten links Akademie der Künste, Johann-KresnikArchiv 64_001, © Johann Kresnik; unten rechts Akademie der Künste, JohannKresnik-Archiv 64_002, © Johann Kresnik; S. 39 Akademie der Künste, Johann-Kresnik-Archiv 57, © Johann Kresnik | S. 40 Akademie der Künste, Mary-Wigman-Archiv 292_312, Foto © Charlotte Rudolph, VG Bild-Kunst, Bonn 2019; S. 41 Akademie der Künste, Mary-Wigman-Archiv 636_467, Foto © Charlotte Rudolph, VG Bild-Kunst, Bonn 2019; S. 42 Akademie der Künste, Mary-Wigman-Archiv 626; S. 43 Akademie der Künste, Mary-Wigman-Archiv 264_003, Foto Hugo Erfurth; S. 44 Akademie der Künste, Mary-WigmanArchiv 642_024, Foto © Charlotte Rudolph, VG Bild-Kunst, Bonn 2019; S. 45 Akademie der Künste, MaryWigman-Archiv 246_001, Foto August Scherl | S. 46 Akademie der Künste, Karin-Waehner-Sammlung 200, Foto Jean Babout, ©Jean Masse; S. 47 KarinWaehner-Sammlung 201, Foto Jean Babout, © Jean Masse | S. 48 Porträt © Lynn Takeo Musiol; S. 49 Werkabbildungen © Lynn Takeo Musiol und Emese Papp | CARTE BLANCHE Texte und Bilder: VA Wölfl Seite 25: Woodstock Seite 26/27: Cemetery N.Y. Seite 28: Malerei Seite 29: Selbst Seite 30: Aquarell Seite 31: Christine + Judith Rückumschlag: Izaskun VA WÖLFL, künstlerischer Leiter des Ensembles NEUER TANZ, ist seit 2007 Mitglied der Akademie der Künste, Sektion Darstellende Kunst.
IMPRESSUM S. 50 oben Porträt und Werkabbildung © Eric Le Méné; unten Porträt und Werkabbildung Efilena Baseta; S. 51 oben Porträt Paul Niedermayer, Werkabbildung © Cemil Sahin; unten Porträt und Werkabbildung © Robert Olawuyi; S. 52 oben Porträt und Werkabbildung © Artemiy Shokin; S. 52 unten Porträt © Regina Fredriksson; S. 53 oben Porträt © Marcin Lewandowski, Werkabbildung links © Johann Lurf und Laura Wagner, VG Bild-Kunst, Bonn 2019; rechts © Johann Lurf, VG BildKunst, Bonn 2019; unten Porträt Paula Faraco, Werkabbildung © Franziska Pflaum; S. 54 oben links Porträt © Barbara Delać; oben rechts Porträt Otto Reiter; unten Porträt © Kaj Duncan David, Werkabbildungen © Kaj Duncan David; Foto links Armin Smailowic, Foto Mitte Rudolf Stoll; S. 55 oben Porträt Wolf James Photography, Foto Werkaufführung Jenny Berger Myhre / Only Connect; S. 55 unten Porträt © Bart Michiels, VG Bild-Kunst, Bonn 2019; Werkabbildungen © Sebastián Solórzano | S. 56+57 Akademie der Künste, Kunstsammlung, Inv.-Nr. KS 27706, 27793, 27795, 27803; S. 58 GRIPS Theater, © Rainer Hachfeld; S. 59 Akademie der Künste, Archiv GRIPS Theater, Foto Erik-Jan Ouwerkerk | S. 61 Foto Philip Euteneuer | S. 62+63 Filmstills © Claus Larsen und Constanze Witt | S. 64+65 © Ignaz Schick | S. 66 Foto Marcus Schneider, Courtesy SEXAUER
Journal der Künste, Heft 10, deutsche Ausgabe Berlin, Mai 2019 Auflage: 4.000
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Lithografie Max Color, Berlin Druck Ruksaldruck, Berlin Deutsche Ausgabe ISSN (Print) 2510-5221 ISSN (Online) 2512-9082 Digitale Ausgabe https://issuu.com/journalderkuenste Akademie der Künste Pariser Platz 4 10117 Berlin T 030 200 57-1000 info@adk.de, www.adk.de akademiederkuenste
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