NOIR - Ausgabe 1 - Ist Deutschland für Jugendliche noch lebenswert?

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Editorial

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DEUTSCHLAND, DEUTSCHLAND ÜBER ALLES? Ich habe gelogen. Statistisch lügt jeder Mensch bis zu 50 Mal am Tag. Hochgerechnet ergibt das bei sechs Milliarden Menschen im schlimmsten Fall 300 Milliarden Lügen täglich, Sekunde für Sekunde rund 3,5 Millionen. Klar, sind solche Statistiken mit Vorsicht zu genießen. Denn wer ist schon psychologisch-sozialer Durchschnitt? Trotzdem: Wir flunkern was das Zeug hält. Aus Langeweile, um zu gefallen oder weil wir — wegen dem unfähigen Busfahrer, wem sonst — zu spät zur Vorlesung kommen. Ich habe im vergangenen Juni alle belogen. Meine Freunde, meine Eltern. Wegen einem kleinen, hässlichen, billigen Fähnlein. Ein abgeschnittenes weißes Plastikrohr, daran ein lasches, durchscheinendes Stückchen Stoff, an das mit schiefer Naht eine Made-in-ChinaWaschanleitung genäht wurde. In der Ecke rechts unten prangte in großen orange-roten Lettern der Name einer populären Baumarktkette. An deren Kasse packte mich die schwarz-rot-goldene Versuchung für 50 Cent. Auf der Heimfahrt lag das schlaffe Ding auf dem Beifahrersitz. Wie eine tickende Zeitbombe. Deutschlandfahnen waren für mich bis dato Inbegriff von Volkstrauertagen und Nationalismus. Unterm Strich also wenig attraktiv. Daheim rutschte es mir dann so raus: „Die gab es zum Einkauf gratis dazu.“ Besagtes Fähnchen lugte anklagend aus der Plastiktüte. Schon hatte ich gelogen. Statistisch bestimmt nicht die einzige Lüge dieses Tages. Aber warum? Schämte ich mich der Flagge meines eigenen Landes? Ich habe niemandem Böses getan, ebenso wenig meine Eltern und Großeltern. Trotzdem fühlte ich mich nach der Lüge erleichtert. Was mich jedoch am meisten überraschte, war die Reaktion meines Vaters, nachdem ich ihm das unselige Fähnchen kurzerhand vermacht hatte. Gedankenverloren starrte er es an: „Ich bin 57 Jahre alt. Doch das hier ist die erste deutsche Fahne, die ich in Händen halte.“ Zaghaft schwang er sie im Wohnzimmer. Schon wieder dieser seltsame, irgendwie melancholische Blick, den

die Autofähnchen, die Schals. Die Weltmeisterschaft 2006 gewöhnte uns an den Anblick. Zum Finale hin sah man sogar vormalige Kritiker mit schwarz-rot-goldenem Accessoir. Fast ein Jahr ist mittlerweile vergangen. Das Fähnchen ist verschollen. Vielleicht liegt es auf dem Speicher, in einer dunklen Ecke im Keller, im Müll. Was bleibt? Das Gefühl, dass in Deutschland doch mehr steckt, als nur der Hang zu kollektivem Schuldbewusstsein und Minderwertigkeitskomplexen. Doch macht das Deutschland für junge Menschen attraktiv? Oder sollte man so schnell es geht, das Weite suchen? Fliehen in ein Land, das mehr Chancen bietet, ein herzliches Willkommen, ein üppiges Gehalt. Oder dem aufkommenden deutschen Wir-Gefühl Raum geben, sich zu entfalten. Es weiter tragen, bevor es durch Regeln und Bürokratie erstickt wird. Oder durch unsere eigenen Ausflüchte. Ich habe mich für die Offensive entschieden. ke Heute würde ich nicht mehr lügen.

Lifestyle. Der große Festival-Guide 2007

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Sport. Trend Unterwasser-Rugby

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Kultur. Der Film liebt Paris

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JPBW. Unterwegs mit der Mobilen Akademie

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Thema. Paradies Deutschland

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Experte. Otto Herz über Bildung

Poltik. Die Thronfolger der großen Parteien: Jungpolitiker im Porträt

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Porträt. Schwarz auf Weiß: „Alfons mit dem Puschelmikro“ im Porträt

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Politik. Klimawandel trifft Birkenstock

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Querbeet & Gewinnspiel

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I N H A LT

ich schon in den Gesichtern vieler beobachtet hatte. Gefährlich könnten diese Flaggen sein,

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Wissen. Schneller in Paris als in Berlin: Der TGV auf deutschen Schienen

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Reise. Geheimtipp Paris

Foto: pixelio.de (User: Jörg)

Titelbild: Tobias Fischer

Kleine Titelfotos: Julian Schmidt (jugendfotos.de), Landesmuseum Württemberg - Frankenstein/Zwietasch, www.uibk.ac.at

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Editorial

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Impressum

No ir - Au sga b e 1/07

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Life s t yl e ~ Kultur ~ T i t el t h em a ~ P o r t r ät ~ Wissen ~ R eise ~ Sport ~ JPBW-Intern ~ Politik ~ Querbeet

Party, Kings of Leon, Queens of the stone age, Interpol, Snow Patrol, und und und Erwartete Besucher: rund 45 000 Preis: 109 Euro inklusive Parkplatz, Camping und Müllpfand

~ Das

Fest

-------------------------------------------------------------------------------------20. —22. Juli 2007 kostenlos Karlsruhe / Günther-Klotz-Anlage (bei Europahalle)

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Auch dieses Jahr kommen bei Rock am Ring Rock-Fans auf ihre Kosten

ROCK AROUND THE CLOCK Ob Reggaeband, Newcomer oder Rockstar — der Sommer bringt sie wieder auf deutsche Bühnen

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iese wundervollen Locken wippen im Takt der Musik. Blond, von der Sonne gebleicht, ein bisschen verschwitzt — zum verrücktwerden. Dann setzt die Band zum Refrain an. Sie jauchzt, springt, alle springen mit. Für einen Moment berührt ihr Arm deine Haut. Du fliegst, deine Brust vibriert unter dem Bass. Und du weißt: In dieser Sekunde schlagen Tausende Herzen im selben Takt: poch, poch, poch. Die tobende Menge schiebt sie davon. Ihr rotes Shirt mit den kleinen Matschflecken am Saum und den Knitterfalten von der Nacht im Zelt — verschwunden. Du findest sie nicht wieder. Doch das ist nicht so schlimm. Denn wer einmal ein geniales Festival besucht, wird zum Wiederholungstäter. Also stehen die Chancen gut, dass du sie wieder triffst. Und selbst wenn aus dem wilden Rocker, dem heißen Groupie wieder Alltagsmenschen werden: du erkennst sie wieder. Den adretten jungen Bankkaufmann mit dem verwaschenen Armband, dass unter dem Ärmel seines Anzugs hervorlugt. Und vielleicht auch die junge Germanistikstudentin mit den blonden Locken. k e , t f

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~ Rock

am Ring / Rock im Park

Das Fest in Karlsruhe ist eines der größten Umsonst-und-draußen-Festivals Europas. Neben unbekannteren Newcomern der Musikszene spielen jeden Abend namenhafte Stars und Sternchen aller Genres. In den letzten Jahren waren Juli, Silbermond, Seed, Gentleman und Wir sind Helden zu Gast in Karlsruhe. Bands 2007: Sunrise Avenue, Pink Cream 69, und viele andere (weitere Bands standen zum Redaktionsschluss nicht fest) Erwartete Besucher: 150 000 — 200 000 Preis: kostenlos

~ Chiemsee

Reggae Summer

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------01. — 03. Juni 2007 125 Euro Nürburgring (Eiffel) / Zeppelinfeld (Nürnberg)

17. — 19. August 2007 Übersee (am Chiemsee), Bayern

79 Euro

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-------------------------------------------------------------------------------------Bands: Linkin Park, Die Ärzte, Wir sind Helden, Arctic Monkeys, Mando Diao, Kaiser Chiefs, The Smashing Pumpkins, The Fratellis, Maximo Park, My Chemical Romance, Beatsteaks, Korn, Billy Talent, The Hives, und viele andere Erwartete Besucher: rund 85 000 (Rock am Ring), rund 50 000 (Rock im Park) Preis: 125 Euro inklusive Parkplatz und Camping

Bands: Gentleman, Jimmy Cliff, Freddie McGregor, Freundeskreis, Blumentopf, Sergent García, Elijah Prophet & Utan Green, Black Dillinger, und viele andere Erwartete Besucher: rund 20 000 Preis: 79 Euro inklusive Parkplatz, Camping und Müllpfand

~ Rock

am See

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/ Hurricane

-------------------------------------------------------------------------------------22. — 24. Juni 2007 109 Euro Tuttlingen - Neuhausen o. E. / Eichenring Scheessel

-------------------------------------------------------------------------------------Bands: Pearl Jam, Beastie Boys, Marilyn Manson, Placebo, Incubus, Fanta 4, Bloc

01. September 2007

52 Euro

Konstanz (Bodenseestadion), Baden-Württemberg

-------------------------------------------------------------------------------------Bands: Nine Inch Nails, Sportfreunde Stiller, NOFX und viele andere Erwartete Besucher: rund 25 000 Preis: 52 Euro, für Parken und Camping fallen weitere Kosten an

F oto: w w w . R oc k - a m - R i n g. c o m


Lifestyle ~ K u ltur ~ T i t e l t h e m a ~ P or t r ät ~ Wissen ~ R eise ~ Sport ~ JPBW-Intern ~ Politik ~ Querbeet

EINE I LIEBESERKLÄRUNG AN PARI RS Etliche Kinofilme spielen in der Stadt der Liebe, in Paris. Doch nun ist aus der ewigen Kulisse das Sujet des Episodenfilms „Paris, je t‘aime“ geworden

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er Titel „Paris, je t‘aime“ steht bildhaft für den Inhalt der 18 Kurzfilme: Allesamt sind sie kleine Liebeserklärungen an Paris. Trotzdem bedient der Film selten gängige Klischees. Internationale Regisseure – unter ihnen die Brüder Coen und Jean-Luc Godard sowie Gérard Dépardieu – nehmen ihr Publikum mit in neue Welten. Neben einem Ausflug ins Paris der Liebenden lernt der Zuschauer das Paris der Hoffenden und Verzweifelten zwischen Banlieue, Champs-Elysée, Montmartre und Quartier Latin kennen. Die Reise durch Paris ist kein gewöhnliches Porträt einer Stadt, sondern eine Weltreise. Jeder der fünf-minütigen Kurzfilme spielt in einem der Arrondissements, der Stadtviertel. Und so unterschiedlich die Pariser Arrondissements sind, gerieten dabei die Themen und Kulissen: Schauplät-t ze sind Friedhöfe, Stadthäuser, Ateliers, Wohnghettos und sogar ein asiatischer Friseursalon. Kinostars wie Juliette Binoche, Gérard Dépardieu, Nick Nolte, Elijah Wood und

Ein Pantomime in Paris: Findet er wohl seine große Liebe?

Natalie Portman stellen die hochkarätige Besetzung. Einziger Wermutstropfen: Tom Tywker, Regisseur von „Das Parfüm“, hatte bei diesem ansonsten großartigen Film seine Finger im Spiel. Sein kurzer Abstecher ins Reich der Unterwelt harmoniert nicht

mit der poetischen Stimmung, welche die Regisseure der anderen Episoden einzufangen versuchten. Trotzdem sollte man sich den Film nicht entgehen lassen: Denn er ist so schön und tragisch wie das Pariser Leben selbst. sg

Lesenswert

Sehenswert

Die neue Spezies: Homo buerocensis

Tarantinos neuer Streifen

1900 kamen auf 100 Industriearbeiter drei Büroangestellte. 107 Jahre später kommen auf einen Industriearbeiter zwei Büroler. „Wir sind erst am Anfang der bürokratischen Epoche“, wertet Peter Huth, Autor des Buches „Das Büro“. Ein Leitfaden fürs Büro? „Das Büro ist die Familie des modernen Menschen“, schreibt Peter Huth. Jeder zehnte Deutsche lerne dort die große Liebe kennen. Das Büro sei Heimat. Kollegen ersetzen die Familie. Grenzen zwischen Beruf und Privatem verschmelzen. In diesem Lebensraum entdeckt Peter Huth eine neue Spezies: den Homo buerocensis. Logisch, dass dieser ein Buch braucht, in dem erklärt wird, wie er sein Überleben sichert.

26. Juli 2007: In den deutschen Kinos startet Quentin Tarantinos neuer Film „Death Proof“. Kurt Russell, der seit „Die Klapperschlange“ und seiner legendären Rolle als Snake Plissken Kultstatus genießt, spielt den psychopathischen, narbengesichtigen Stuntfahrer Mike. Der macht sich mit seinem Auto auf die Jagd nach hübschen, jungen Frauen. Doch Mike rechnet nicht damit, dass diese keine so einfache Beute sind, wie es auf den ersten Blick scheint. Ein echter Tarantino, gespickt mit lässigen Dialogen und einer atemberaubenden Autoverr folgungsjagd, der einmal mehr zeigt, dass das vermeintlich schwache Geschlecht sich durchaus zu wehren weiß. fk

Fotos: Uni ve r s a l Fi l m AG , R o wolth Verlag

Dafür hat Peter Huth viele wertvolle Tipps parat: Was ist bei einer Liebesbeziehung zum Chef (wahlweise der Sekretärin) zu beachten. Möglichkeiten, seinem Chef das Du aufzuzwingen. Wie plane ich eine Intrige. 88 Wörter, die man im Büro nicht verwenden sollte. Sowie ein praktisches Glossar mit Schlüsselbegrif-f fen der Bürosprache. Gespickt ist das Ganze mit Erfahrungsberichten aus Büros, in denen Peter Huth bereits gearbeitet hat — für Neulinge genauso interessant wie für alte Hasen. mk

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FLUCHT AUS DEM PARADIES Wie attraktiv ist Deutschland für junge Menschen? Soll man bleiben, soll man gehen? Eine Bestandsaufnahme der eigenen Heimat

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u bist Deutschland. Kurz, knapp, Gesagt wird diesbezüglich viel, bündig. Und weiter? Der Werbe- getan wurde bisher noch wenig. slogan, mit dem die Regierung Auch Einwanderer erkenfür unser Land wirbt, hinterlässt einen nen früher oder später die faden Nachgeschmack: Wenn wir Deut- Nachteile für junge Familien, sche uns das Deutschsein in Deutschland die noch immer existieren. Unauf diese Weise näher bringen müssen, ser Land erwartet von uns lewas sagt das über unser Land aus? Wenn benslanges Lernen, Leistung, wir die elementarste Tatsache unserer nati- Einsatz. Gleichzeitig hört onalen Identität plakativ der Aussage einer man das Getuschel, sieht Litfaßsäule entnehmen. Wenn das Gefühl die Blicke, die man jungen nicht aus dem Herzen kommt, sondern Müttern oder Vätern zuwirft: aus der Flimmerkiste. Was steckt also hin- „Die sind doch viel zu jung für ter dem Gebilde Deutschland? Und ist ein das Kind. Verantwortungslos.“ Leben hier für junge Menschen attraktiv? Toleranz sieht man hingegen selDeutschland ist voll. Unser Land stellt ten. Obwohl wir uns als äußerst den bevölkerungsreichsten Staat der EU. tolerantes Land betrachten. 82,3 Millionen Menschen teilen sich Doch es tut sich was. Fami357 092 Quadratkilometer. Umgerechnet lienministerin Ursula von der Leyen: tummeln sich auf jedem Quadratkilome- „Familie muss besser lebbar werden. Famiter 231 Einwohner. 10 Millionen Deutsche lien brauchen Einkommen, Zeit für ihre sind zwischen 15 und 25 Jahre alt. Kinder im Alltag sowie gute BetreuungsDoch das wird sich laut der elften Be- und Bildungsangebote.“ Andere Länder völkerkungsberechnung des Statistischen mit ähnlichen Voraussetzungen wie etwa Bundesamts schnell ändern: Bis 2050 Frankreich oder die skandinavischen Staaleben in Deutschland nur noch knapp 69 ten hätten es geschafft, sich schneller und bis 74 Millionen Menschen — so viele wie flexibler auf die globalisierte Welt einzuzuletzt 1963. „Der Rückgang der Bevöl- stellen. Deutschland hinkt international kerung ist nicht mehr aufzuhalten“, sagt hinterher. Für junge Deutsche, die sich Walter Radermacher, Vizepräsident des eine Familie wünschen, keine optimale Statistischen Bundesamtes. Voraussetzung. Die überalterte Bevölkerung stirbt. Der Deutschland ist bequem. Seit GrünNachschub bleibt aus. dung der BundesDie geläufige Meirepublik war die nung: Die Jugend sei Wahlbeteiligung für Schuld. Denn die bleieine Bundestagswahl be zu lange selbst Kind noch nie so gering und mache sich zu wie 2005. Gerade spät Gedanken über 77,7 Prozent nutzten Fa m i l i e np l a n u n g . ihr Wahlrecht. Für Bisher hat man Defidie vergangene EuroKƉƟŵŝƐŵƵƐ ĚĞƌ ũƵŶŐĞŶ 'ĞŶĞƌĂƟŽŶ zite mit Einwanderern pawahl machten sich oder deren Kindern sogar nur 45 Prozent kompensiert. Doch das klappt nicht mehr. auf den Weg zur Urne. Europa — für viele Jetzt ist Umdenken gefragt. Und Entge- Deutsche immer noch sehr weit weg. genkommen. Deutschland muss für Junge Auch in Deutschland selbst steht es attraktiver werden, Chancen bieten. nicht zum Besten: Die großen Parteien

“ W er m ic h u n t er sc h ä t z t , hat sc h o n v er l o r en”

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Die Versuchung: Deutschland ist kein Garten Eden. Wir müssen für unser Glück arbeiten, dürfen dafür aber von Wohlstand und Wissen kosten.

verlieren Mitglieder. Politikverdrossenheit macht die Runde. Denn viele Wahlversprechen platzen wie Seifenblasen, das Vertrauen geht flöten und Parteiprogramme ähneln sich gegenseitig immer stärker. Auch die Wählergruppe der bis 25-Jährigen gibt kein gutes Bild von sich ab: Rund zehn Prozent Wähleranteil gingen zwischen 1990 und 2002 verloren. Heute ist das Wahlrecht in Deutschland selbstverständlich — egal ob für Männer oder Frauen. Warum also wählen? Ist doch spießig und unspektakulär. Dennoch: Es gibt sie noch, die politisch engagierten jungen Deutschen. „Ich war schon immer der Jüngste. Deshalb habe ich bereits im Wahlkampf gesagt: Wer mich unterschätzt, hat schon verloren“, so Oliver Rastetter, Baden-Württembergs jüngster Bürgermeister. Mit 19 Jahren war er bereits Mitglied des Gemeinderats Muggensturm.


Lifestyle ~ Kultur ~ T ite lt he m a ~ P o r t r ät ~ Wissen ~ R eise ~ Sport ~ JPBW-Intern ~ Politik ~ Querbeet

Die kleine Schwarzwaldgemeinde Lauf im Ortenaukreis ist nun fest in der Hand des 26-jährigen Bürgermeisters. Der hat sich im vergangenen Herbst gegen zwei ältere, erfahrenere Konkurrenten durchgesetzt. Jetzt blickt man gespannt nach Lauf. Deutschland ist frei. Solange nicht eines von zig tausend Verbotsschildern der Freiheit Einhalt gebietet. Schließlich sind die Deutschen Perfektionisten. Das Phänomen Schilderwald wird zum Selbstläufer. Der ADAC schätzt, dass mindestens ein Drittel aller Verkehrszeichen überflüssig seien. Tatsächlich gibt es in Deutschland rund 600 verschiedene Zeichen. Insgesamt mehr als 20 Millionen. Auf einer deutschen Straße steht im Schnitt alle 28 Meter ein Verkehrszeichen. Da jedes rund 300 Euro kostet, entspricht der Schilderwald einem Wert von sechs Milliarden Euro. Der überflüssige Anteil beläuft sich auf zwei Milliarden Euro. Das ein oder andere Warnschild oder Tempolimit ist bestimmt begründet. Aber einmal ehrlich: Wer merkt sich 35 Schilder pro Kilometer? Niemand. Deutschland ist arm. Schließlich fehlt auf der anderen Seite das Geld für Schulen, Universitäten, Bildung. Von dunklen Schulbunkern, in denen der Putz abblättert und die Toiletten dahinschimmeln ganz zu schweigen. Oder von zu wenig Platz, öden, geteerten Schul-

Fotos: Tob i a s Fi s c h e r

höfen oder fehlenden Lehrmitteln. Von Studenten, die sich mit nächtlichen Nebenjobs über Wasser halten und rund 500 Euro Studiengebühren hinblättern müssen: für oftmals überfüllte Auditorien. Dabei schreit die deutsche Wirtschaft förmlich nach Fachkräften. Ja, Deutschland ist arm. Arm an Ideen, arm daran, einzusehen, dass am falschen Ende gespart wird: an guten Pädagogen. Lieber gesteht man sich ein, dass ein Bruttoinlandsprodukt in Höhe von rund drei Millarden Dollar nicht ausreicht. Zur Information: Deutschland hat das dritthöchste weltweit, nach den Vereinigten Staaten und Japan. Es ist eine Schande. Deutschland ist sozial. Kaum ein Staat verfügt über ein solches Maß an sozialer Absicherung. Trotzdem rutschen Jugendliche in die Arbeitslosigkeit ab, hoffen vergeblich auf einen Ausbildungsplatz. Vom Sozial-Paradies Deutschland für Lernschwache oder Unglücksraben keine Spur. Einzelprojekte helfen zwar punktuell. Gegenüber der Masse gleichen sie jedoch einem Tropfen auf dem heißen Stein. Im März 2007 zählt die Bundesagentur für Arbeit bei den unter 25-Jährigen 434 847 Arbeitslose. Knapp 27 Prozent weniger als im Vorjahresmonat, doch totzdem noch viel zu viele. Deutschland ist reich. Zehn Millionen junge Deutsche: das bedeutet so viel Potential. Sie mögen nicht die demographische Entwicklung aufhalten und der Weg für die meisten wird nicht einfach und geradlinig verlaufen, doch nur Feiglinge rennen davon. Aus dem Paradies, unserer Heimat. Denn man kann sich das Land, in dem man geboren wird, nun einmal nicht aussuchen. Und es hätte uns beileibe schlechter treffen können. Also heißt es für jeden: Ein Ende mit dem konservativen Getue. Wer ewig den Status Quo erhält, dem läuft die Zukunft davon. Deutschland beginnt, sich seinen Problemen zu stellen. Wenn Politiker auf beiden Augen blind sind, muss man ihnen die Augen öffnen. 1989 wollte Deutschland ein Staat werden. Und hat es geschafft. Weil Deutsche nicht still waren, sondern ihre Vision verwirklicht haben. Jetzt gilt es, keinen Bösewicht mehr zu bezwingen, sondern den eigenen Schweinehund. Es muss ein neues Ziel her: eine ke Zukunft.

KOMMENTAR Noir-Redakteur Simon Staib gibt Deutschland nicht einfach sang- und klanglos auf. „Deutschland macht sich; Deutschland überzeugt wieder.“

Ein Auslandsaufenthalt gehört für viele Jugendliche schon zur Schulzeit. EĞƵĞ WĞƌƐƉĞŬƟǀĞŶ ďŝůĚĞŶ ƐŝĐŚ͕ ĚĞƌ eigene Horizont wird erweitert. Wer den Überblick hat, vergleicht. Deutschland Őŝďƚ ĚĞƌnjĞŝƚ ĞŝŶ ůĞŝĐŚƚ ŐĞƉůćƩĞƚĞƐ ŝůĚ Ăď͗ hŶƐĞƌĞ tŝƌƚƐĐŚĂŌ ƐĐŚůĞŝĐŚƚ ĚĂŚŝŶ͕ der Arbeitslosenpegel dümpelt um die vier Millionenmarke herum. Andere Länder locken mit gut bezahlten Jobs plus ƵĨƐƟĞŐƐŵƂŐůŝĐŚŬĞŝƚĞŶ͘ ƵĐŚ ĚŝĞ ƵƌŽpäische Union versucht mit Verträgen, ďƺƌŽŬƌĂƟƐĐŚĞ ^ƚŽůƉĞƌƐƚĞŝŶĞ njƵ ĞďŶĞŶ͗ Es gibt einen europäischen Sozialfond, EU-Mitglieder haben freie Hand bei der Arbeitsplatzwahl in Europa und die ŐĞŐĞŶƐĞŝƟŐĞ ŶĞƌŬĞŶŶƵŶŐ ǀŽŶ WƌƺĨƵŶŐƐzeugnissen ist gewährleistet. Warum also nicht gleich im Ausland arbeiten? Die Rentenjahre will man ja sowieso im warmen Süden verbringen. Die Antwort ist einfach: Deutschland macht sich; Deutschland will wieder ƺďĞƌnjĞƵŐĞŶ͘ dƌŽƚnj ŵĂƐƐŝǀĞŶ ǁŝƌƚƐĐŚĂŌͲ lichen und sozialen Problemen wächst in ĞƵƚƐĐŚůĂŶĚ ĞŝŶĞ ŶĞƵĞ 'ĞŶĞƌĂƟŽŶ ŵŝƚ eigenen Vorstellungen und Ideen heran. In Deutschland verschmelzen Kulturen, wenn auch nicht immer spannungsfrei. Doch gerade in Ballungsräumen rund um die deutschen Metropolen sprießen neue Subkulturen. Jugendliche und ũƵŶŐĞ ƌǁĂĐŚƐĞŶĞŶ ŬƌĞŝĞƌĞŶ ŶĞƵĞ ^ƟůĞ͕ ĮŶĚĞŶ ŶĞƵĞ dƌĞŶĚƐ Ͳ ŵĂĚĞ ŝŶ 'ĞƌŵĂŶLJ͘ ƵĐŚ ŝŶ ĂŶĚĞƌĞŶ tŝƌƚƐĐŚĂŌƐnjǁĞŝŐĞŶ ŝƐƚ Deutschland immer noch Vorreiter: Die deutsche Industrie steht für Qualität und /ŶŶŽǀĂƟŽŶ ƵŶĚ Őŝďƚ ũƵŶŐĞŶ DĞŶƐĐŚĞŶ die Chance, ihre Ideen umzusetzen. Die Liste ist noch länger, das Ergebnis prägnant: Es ist zwar langweilig, sich immer wieder auf die Fußball WM zu berufen, aber diese Wochen haben gezeigt, dass es nicht schwer sein muss, seinem eigenen Land mal wieder zuzujubeln.

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MEIN LAND, MEINE STADT, MEIN LEBEN Wohin, wenns an die Ausbildung oder das Studium geht? Wer der Heimat treu bleiben will, hat die Qual der Wahl: Baden, Schwaben oder Württemberg

Freiburg, Heidelberg, Stuttgart. Noir-Redakteure berichten über drei Städte, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Und versuchen den Flair der jeweiligen Stadt einzufangen. Eine jede hat ihre Schokoladen-, aber auch ihre Schattenseiten. Zu viel Ruhe, zu wenig. Zu sehr Kleinstadt, zu sehr Großstadt. Zuletzt entscheidet ja doch das Herz, für welche Zweitheimat es schlägt. Ob für das Tor zum Schwarzwald, die Schwabenmetropole oder den Touri-Magnet am Neckar. Unser Rat: Erst lesen, dann selbst testen. ke

PRO

F r eibu r g

Freiburg im Breisgau, das „Tor zum Schwarzwald“ lockt nicht nur mit einer renommierten Universität, gutem Wein aus der Region und den wärmsten Durchschnittstemperaturen Deutschlands. Die Stadt an der Dreisam hat noch viel mehr zu bieten: Eine wunderschöne Altstadt mit Fachwerkhäusern, die Jahr für Jahr Besucher in Scharen anlockt. Denn Freiburg ist das beliebteste Reiseziel in Süddeutschland. Wer nicht bei einem Milchkaffee in einem der zahlreichen Cafés und Kneipen die Atmosphäre der Altstadt genießt, kann mit der ersten GroßkabinenUmlaufbahn der Welt auf den 1284 Meter hohen Schauinsland-Berg fahren. Und im wahrsten Sinne des Wortes „ins Land runter schauen“. Und wer auf Freiburg schaut, sieht nicht nur graue Hochhäuser und Verkehrschaos, sondern Weinberge und ganz viel Grün: Freiburg zählt zu den größten kommunalen Waldbesitzern und ist eine der größten Weinbaugemeinden. Es lässt sich also gut leben, im „symbadischen“ Land! Die Albert-Ludwigs-Universität zählt zu den ältesten und renommiertesten Hochschulen in Deutschland, was den Standort für Studenten sehr attraktiv macht. Marktstände gibt es in Freiburg mk übrigens von Montag bis Samstag auf dem Münstermarkt.

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CONTRA

Freiburg im Breisgau. Der Name klingt idyllisch und das ist im Dreiländereck zwischen Schwarzwald und Rheinebene auch Programm. Freiburg hat das beste Freizeitangebot im Land. Aber wann bitteschön, will man da noch studieren, wenn Schluchsee und Feldberg den Professoren Konkurrenz machen und die wärmsten Durchschnittstemperaturen Deutschlands die Studenten raus auf die grüne Wiese ziehen anstatt an den Schreibtisch? Grün ist auch Freiburgs Oberbürgermeister — eine wahrhaft seltene Spezies im schwarzen Loch. Der grüne Einfluss ist deutlich an unzähligen Fahrrädern zu erkennen. Wer nicht vom Fahrrad überfahren wird, wird von einer Gruppe Touristen überrannt, die das Münster sucht. Aber wer mit Hans-guck-in-dieLuft-Blick durch Freiburg bummelt, wird bestraft: Gemeingefährliche Fallen in Form kleiner Wasser führender Bäche durchziehen die Stadt und wer nicht aufpasst, wird schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und steht mit mindestens einem Fuß im Wasser. Es könnte also eng werden mit trockenen Schuhen. Der Wohnungsmarkt in Freiburg ist bereits eng und die Mieten sind überdurchschnittlich hoch — das war es dann wohl mit der studentischen mk Idylle in der angeblich tolerantesten Stadt Deutschlands.

Foto: pixelio.de (User: RobinFo T tBackes) os: XYZ


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PRO

Heidel ber g

Heidelberg ist eine typische Studentenstadt. Und das bedeutet, dass einem überall drei Dinge begegnen: Uni, Fahrräder und die unausweichlichen Studenten-WGs. Alt werden will ich hier nicht, aber zum Studieren ist Heidelberg prima. Eine der traditionsreichsten und besten Unis in Deutschland mit weltweit gutem Ruf. Das gilt übrigens auch für die Stadt an sich: Kaum ein Ami, der Heidelberg nicht kennt — kein Japaner, der nicht davon gehört hat. Erstere wegen des Stützpunkts. Letztere wegen der historischen Altstadt, die sie in Scharen regelmäßig besuchen. Auch ausländische Studenten lieben Heidelberg – das sorgt für internationales Flair. Trotz allem findet man die nötige Ruhe zum Studieren. Gerade jetzt im Frühling laden die Neckarwiesen zum Sonnenbaden ein. Und nachts ist immer was los: Instituts-Parties, Konzerte, jede Menge Kneipen, Bars und Clubs. Dafür sorgen schon allein die vielen Studenten. Kurzum: Heidelberg ist nicht zu klein, nicht zu groß, weder zu belebt, noch zu abgeschieden. Eine Studentenstadt eben. Und sn solange ich Student bin, bleibe ich hier.

PRO

Fotos: pix e l i o .d e ( U s e r : E l s a ; perkinsalan-lee)

Heidelberg. Universitätsstadt seit 1386. Wenn es einen schon so lange gibt, kann einem das zu Kopf steigen. Deshalb nennt man sich hier neuerdings Elite. Doch während sich Juristen und Mediziner streiten, wer elitärer ist, nagt der Rest der Uni am Hungertuch. Zugegebenermaßen: Heidelberg ist eine der Städte mit der höchsten Studentendichte. Und das bringt Leben ins ansonsten beschauliche Städtchen. Doch viele Studenten bedeuten nicht nur, dass man für ein Zimmer doppelt so viel zahlt wie anderswo, sondern auch für Bier und Döner, denn elitär sind hier bislang allenfalls die Preise! Das Stadtbild entschädigt für Vieles. Nur nicht dafür, dass man vor lauter japanischen Touristen die Uni kaum mehr sieht und die Innenstadt so überlaufen ist wie Aldi kurz vor Ladenschluss. Kaum entfernt man sich hingegen mehr als ein paar Schritte von Schloss und weltkulturerbe-verdächtiger Innenstadt, wähnt man sich in Berlin-Moabit: Gebrauchtwagenhändler, spezialisiert auf getunte Dreier, lockern den sozialen Wohnungsbau auf. Oft werde ich gefragt, wieso ich dann in Heidelberg studiere. sn Ganz einfach: Weil Tübingen mich nicht genommen hat!

S tu ttgar t

Stuttgart — eine tolle Stadt voller Möglichkeiten. Oft wird sie als Schwabenmetropole geschmäht, doch eine liebenswert schwäbische Atmosphäre ist nicht alles, was Stuttgart zu bieten hat. Vom pulsierenden Nachtleben bis zum glanzvollen Kulturleben — Stuttgarts Facetten lassen sich nicht auflisten. Kulturell lässt Stuttgart keine Wünsche offen. Die Stadt besitzt die Staatsgalerie, das Planetarium, das Staatstheater, das Varieté, renommierte Museen sowie eine Theater- und Musiklandschaft. Dumm bleibt hier keiner. Wenn der Wissensdurst gestillt ist und sich der Hunger nach Unterhaltung zu Wort meldet, lockt Stuttgart mit vielseitigen Attraktionen. In der Bäderstadt bleibt niemand trocken. Auch Kinoliebhaber habens gut. Die Bandbreite reicht von modernen Multiplex-Kinos bis hin zu Lichtspielhäusern mit historischem Flair. Einkaufslust bereitet die berühmte Königsstraße. Und des Nachts beginnt in der Theodor-Heuss-Straße — liebevoll „Theo“ genannt — das Nachtleben. nt In den Clubs wird einfach jede Musikrichtung betanzt.

CONTRA

CONTRA

Es tut mir leid, aber: Stuttgart ist eine der hässlichsten Städte, die ich kenne. Und nicht nur das! Mir ist vollkommen schleierhaft, wie Stuttgarter auf die Idee gekommen sind, dieses Moloch für eine Großstadt, gar eine Metropole zu halten. Eine Großstadt hat eine UBahn, eine Metropole ein Wahrzeichen. Und eine Straßenbahn ersetzt keine U-Bahn. Und ein Fernsehturm als Wahrzeichen? Bitte! Stuttgart ist die Inkarnation schwäbischer Bürgerlichkeit. An sich nichts Schlechtes — aber alles andere als facettenreich. Stuttgart ist zu blass, um als Metropole durchzugehen: Wenn man durch Stuttgart fährt, fehlen Graffiti auf Gebäuden, es fehlen zerkratzte Scheiben in der „U-Bahn“ und echte Problemviertel. Selbst die Stuttgarter Gangsta schwäbeln. Sicher: Die Stadt hat Geld, ist Standort großer Unternehmen und eine der sichersten Städte Deutschlands. Doch Sicherheit ist nur ein anderes Wort für Langeweile. Stuttgart mag genug bieten, um sich „Schwabenmetropole“ zu nennen. Für mehr reicht sn es nicht. Stuttgart, wir sehen uns, wenn ich alt bin!

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REDET FREI, UNTERSTREICHT SEINE

AUSSAGEN OFT BEKOMMT ER ZWISCHENAPPLAUS, FÜR AUSSAGEN WIE „INTEGRIEREN KANN ICH NUR, WAS ICH VORHER AUSGEGRENZT HABE.“ UND BLICKT SEIN

PUBLIKUM

OFFEN AN.

Nach der Veranstaltung nahm er sich Zeit für ein Interview mit Noir-Redakteurin Miriam Kumpf.

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BILDUNG IST LIEBE ZUR MENSCHHEIT! Noir-Experte Otto Herz steht Rede und Antwort zur deutschen Bildung

„KINDER DES 21. JAHRHUNDERTS WERDEN VON LEHRERN AUS DEM 20. JAHRHUNDERT UNTERRICHTET IN EINEM BILDUNGSSYSTEM DAS AUS DEM 19. JAHRHUNDERT STAMMT — DAS IST UNSERE AUSGANGSLAGE!“, BRACHTE ES DER REFORMPÄDAGOGE OTTO HERZ KÜRZLICH BEI EINER BILDUNGSVERANSTALTUNG IM STUTTGARTER LANDTAG AUF DEN PUNKT. EIN KLEINER MANN MIT GRAU-WEISSEM HAAR, ADRETT GEKLEIDET, DEM MAN DIE ZWEI STUNDEN SCHLAF DIE ER IN DER NACHT ZUVOR HATTE, KEINESFALLS ANMERKT. ER GESTIKULIERT WILD MIT DEN HÄNDEN IN ALLE RICHTUNGEN,

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Otto Herz, ist Bildung in Deutschland für junge Menschen attraktiv? Nein, denn in Deutschland verbinden Jugendliche mit Bildungseinrichtungen mehr negative Erfahrungen als zum Beispiel Jugendliche in skandinavischen Ländern dies tun. Bei uns werden Bildungseinrichtungen als belastende Einrichtungen angesehen, anderswo als helfende. Was muss denn geschehen, damit auch wir Bildungseinrichtungen als etwas Helfendes ansehen können? Dafür brauchen wir eine andere Schulkultur in einer anderen Schulstruktur. Das sieht so aus: Ich würdige die Besonderheit jeder einzelnen Person und verhelfe ihr zum Erfolg in einer Schule für alle. Was muss sich in der Lehrerausbildung ändern, wenn wir dieses Ziel erreichen wollen? Als ich früher Lehrer eingestellt habe, habe ich den Bewerbern immer vier Fragen gestellt: Magst du Kinder und Jugendliche? Begeisterst du dich für eine Sache? Willst du selbst weiterlernen? Gibt es etwas wofür du dich interessierst und engagierst? Um zu begreifen, dass Bildung etwas Positives ist, müssen Lehrer Freunde sein. Lehrer müssen Modelle des eigenen Lernens sein und keine Besserwisser. Ist die Verbeamtung von Lehrern überhaupt noch zeitgemäß? Ich gehöre nicht zu den Leuten die sagen: Das Problem löst sich, wenn wir den Beamtenstatus kippen. Lehrer müssen vielmehr eine Ausstiegsmöglichkeit haben, wenn sie merken, dass sie es nicht mehr schaffen. Lehramtsanwärter sollten sich außerdem aus pädagogischer Begeisterung für diesen Beruf entscheiden und nicht aus Sekundärgründen. Ich empfehle allen Kollegen: Macht zwischendurch etwas anderes und entscheidet dann, ob ihr in den Lehrerberuf zurückkehren wollt. Entscheidend in

der Schule ist, dass die Persönlichkeit und das Zusammenleben gestärkt werden und Schüler ihre Unzufriedenheit artikulieren können. Was ist Ihre Meinung zur Schulzeitverkürzung auf zwölf Jahre — sinnvoll oder unsinnig? Ich habe heftig gegen die Schulzeitverkürzung gekämpft. Diese Hysterie geht auf Helmut Kohl zurück, aber so ist das in der Poltik: Man erzeugt eine Stimmung und hat ein Angebot. Ein Jahr früher mit der Schule fertig — aber was heißt das? Das heißt: Ein Jahr früher sauer aufs Lernen zu sein. Das ist der verherrende Effekt! In Ihrem Vortrag sagten Sie: „Bildung ist keine Phase in der man Vorräte ansammelt, die für den Rest des Lebens halten sollen“ Sie sprechen sich also für lebenslanges Lernen aus. Warum funktioniert das in Deutschland nicht so richtig? Der entscheidende Punkt ist, dass wir begreifen müssen, dass Bildung etwas Positives ist. Außerdem ist es eine Katastrophe, wenn diejenigen, die gerne etwas tun, als Streber beschimpft werden. Für das lebenslange Lernen gilt: Je erfolgreicher die schulische und die hochschulische Ausbildung ist, desto eher nehmen die Menschen am Weiterbildungsprozess teil. Während des Interviews redet Otto Herz langsam und mit vielen Pausen. Er warte geduldigt, bis ich alles aufgeschrieben habe und überlegt zuerst kurz, bevor er eine Antwort gibt. Ich entdecke ein Festivalbändchen an seinem Armgelenkt. „Berlin 05“ steht in großen weißen Lettern darauf. „Berlin 05“ ist ein Festival für junge Politik, das im Sommer 2005 in der Berliner Wuhlheide stattfand. Sie waren also dort und tragen immer noch das Bändchen an Ihrem Handgelenk? Ja, das Bändchen wird unter der Dusche immer mitgewaschen und hat sich dadurch ganz gut gehalten! Wie hat Ihnen das Festival gefallen? Berlin 05 war wunderbar: tolle Stimmung und interessante Menschen! Eine letzte Frage: Was ist Bildung? Bildung ist der Schlüssel, der dir die Welt aufschließt. Bildung ist die Fähigkeit, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen. Und Bildung ist Liebe zur mk Menschheit.

Foto: Miriam Kumpf


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VON BERUFS WEGEN VERRÜCKT Alfons, der rasende Reporter mit dem Puschelmikro im Porträt: Er provoziert, polarisiert. Wer aber steckt hinter dem Trottel mit französischem Akzent?

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nkonventionelle Fragen und der Anblick des tollpatschigen Reporter-Franzosen locken die tiefsten Vorurteile und Abneigungen zufällig Interviewter auf der Straße hervor. Ganz ungeniert wird vor laufender Kamera über die „Neger“ geschimpft und besonders gerne der homosexuelle Teil der Bevölkerung diffamiert. Emmanuel Peterfalvi in der Maske des „Alfons“ rührt kräftig im Topf der Emotionen und Kleinbürgerlichkeit. Und der Zuschauer lacht mit breitem Grinsen über das, was sonst an den Deutschen kritisiert wird. Der geborene Pariser Emmanuel Peterfalvi entdeckt bereits in den Kinderschuhen den Drang des Ausfragens. Schon mit drei Jahren bekommt er das erste Mikrofon geschenkt und noch am gleichen Tag muss seine Familie unter dem Tannenbaum Rede und Antwort stehen. Doch ohne bodenständige Ausbildung ist für Peterfalvi das Leben nicht denkbar. Nach dem Abitur zieht es ihn in das Studium, das er als Diplomingenieur erfolgreich beendet. Den Medien kann sich der frischgebackene Akademiker jedoch nicht lange entziehen: So arbeitet er als seriöser Journalist und Redakteur beim Pay-TV-Sender Premiere in Hamburg. Erst nach seinem Wechsel zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen beginnt hinter den Mauern des NDR die Geburt eines ganz neuen, unverwechselbaren Reporters. Ganz genau: Im Kostümfundus zwischen Federboa und Gladiatorenhelm entsteht die Grundfigur des heutigen Alfons. Oft wird Peterfalvi klar, dass Menschen bei einem sauberen Fernsehreporter die authentischen Gedanken nie, auch wirklich nie in die Kamera sagen würden. Mit trotteligem französischem Akzent, ungepflegtem Aussehen und einem schlampigen Notizblock in der Hand sollen die Passanten ganz gezielt nicht mir einem Fernsehmenschen sprechen. Sondern mit einem augenscheinlich vollkommen unfähigen Menschen ins Plaudern verfallen. Schon die ersten Geh-

Fotos: NDR/C. Isenberg

<ƂŶŶĞŶ ĚŝĞƐĞ ƵŐĞŶ ůƺŐĞŶ͍ ůĨŽŶƐ ŝƐƚ ƐŽ ĞƌĨŽůŐƌĞŝĐŚ͕ ǁĞŝů Ğƌ ďĞĚŝŶŐƵŶŐƐůŽƐ ĂƵƚŚĞŶƟƐĐŚ ǁŝƌŬƚ

versuche mit Co-Autor Ralf Schulze lassen erstaunliche Einblicke in die PassantenPsyche erahnen. Mit raffinierten Fragen wie „Sollen Heterosexuelle heiraten dürfen?“ oder „Wer ist fauler — ein Arbeitsloser oder ein Ausländer?“ greift das Duo aktuelle und eingesessene Themen auf. Fast wie im Stammtischgespräch zetern die Menschen gegen jede Ethik und Gesetzte drauf los; verkneift sich Alfons in einem Moment noch das Lachen, denkt er im anderen geschockt über die Aussagen nach. Heute ist der glattgegelte Alfons nicht nur im Fernsehen zu Hause: In stetig ausverkauften Veranstaltungen plaudert

die Kultfigur über unzählige Interviews und Ereignisse. Und nach den ganzen Jahren des Alfons gesteht sich Peterfalvi ein: „Alfons ist nicht nur gespielt, sondern eine ganz eigene Persönlichkeit in meinem ab Leben.“

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Alfons im Fernsehen ~ Jeden Donnerstag um 23 Uhr bei „Extra3“ im NDR ~ In der ARD bei „Verstehen Sie Spaß?“ mit Frank Elstner

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SCHNELLER IN PARIS ALS IN BERLIN Der neue Streckenabschnitt des TGV zwischen Paris und Straßburg machts möglich: Von nun an ist man schneller in Paris als in der eigenen Hauptstadt

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ur Eröffnung am 16. März ließen es die Franzosen gehörig krachen: Binnen weniger Minuten zündeten entlang der 300 Kilometer langen Strecke tausende Feuerwerkskörper. Ein Lichtband breitete sich mit 5400 Stundenkilometern aus. Anfang April stellte der von Alstom gefertigte TGV V150 mit 575 Stundenkilometern den neuen Weltrekord auf. Ebenfalls rekordverdächtig: Diese Fahrt kostete 30 Millionen Euro. Der deutsche, von Siemens gebaute ICE darf künftig das französische Schienennetz befahren. Die deutsch-französische Betreibergesellschaft, die gemeinsam von SNCF und der Deutschen Bahn gegründet wurde, wird den ICE auf der Strecke Frankfurt-Paris und gleichzeitig den TGV auf der Strecke Stuttgart-Paris einsetzen. Mit der Ausstattung der Züge setzt man hohe Maßstäbe: Der französische Designer Christian Lacroix gestaltete das Interieur. SNCF-Präsidentin Anne-Marie Idrac liegt vor allem die Bedeutung des Projekts am Herzen. Sie ist sich sicher: „Der TGV Est-Européen wird über 37 Millionen Europäer verbinden und den Reiseverkehr revolutionieren.“ Die Investitionen für das Mega-Projekt belaufen sich inklusive Baukosten auf über fünf Milliarden Euro. Die SNCF steuert rund eine Milliarde bei. Ab dem 10. Juni nimmt der TGV auf der Strecke den Fahrgastbetrieb auf. Drei Monate lang locken die Betreiber mit günstigen Angeboten: 29 Euro kostet die

einfache Fahrt von Stuttgart nach Paris. Oder 19 Euro von Karlsruhe aus. Stuttgart und Frankfurt sind auf der regulär mit bis zu 320 Stundenkilometern befahrenen Strecke nun auf unter vier Stunden Fahrt an Paris herangerückt. Weitere Planungen sehen sogar eine direkte Verbindung nach München und später gar bis Wien und Budapest vor. Die Europahauptstädte Brüssel und Straßburg trennen künftig nur noch drei Stunden Fahrzeit. Besondere Erwartungen an die neue Anbindung hegt Straßburg. Die logistische Neuerung soll Investoren anziehen. Neben dem futuristisch

verglasten Bahnhof schafft die Stadt hierfür 10 000 Quadratmeter Büroflächen. Doch das Großprojekt steht in der Kritik: Der Flughafen Straßburg befürchtet, mehr als eine halbe Million Passagiere zu verlieren. Eine ernste Bedrohung aus Sicht der Betreiber. Allerdings sind sowohl der Flugplatz, als auch das französische Schienennetz in alleiniger staatlicher Hand. Auch litten viele Franzosen unter dem Ausbau. „Die wollten uns für dumm verkaufen“, so Daniel L’Huiller. Die Nutznießer seien allein Großgrundbesitzer. Ihm boten die Bauherren knapp 2000 Euro für fk 210 Quadratmeter Gartenfläche.

~ Wohin

~ Organische

~ Unnützer

des Wegs?

Iter, lateinisch „der Weg“, ist die Bezeichnung eines zehn Milliarden Euro schweren, internationalen Forschungsprojekts. Dessen Ziel: die Kernfusion kommerziell nutzbar zu machen. Bis 2018 wird der erste Forschungsreaktor im französischen Cadarache gebaut. In 20 Jahren soll das Wissen, das aus dem Projekt gewonnen wurde, der Schlüssel zu einer künftigen Energieversorgung sein. Kritiker warnen jedoch vor der Möglichkeit des milifk tärischen Missbrauchs der Technik.

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Französischer Hochgeschwindigkeitszug TGV auf der neuen Ausbaustrecke Paris - Straßburg

Solarzellen

Forschern der Wake Forest Universität in Winston, USA, ist es erstmals gelungen, Solarzellen auf organische Folien aufzutragen. Diese neuartigen, geometrisch optimierten Molekülketten verbessern den Wirkungsgrad der Zellen auf sechs Prozent. David Carroll, ein Physiker der Universität erklärt: „Die Herstellungskosten der 120 Nanometer dicken Folie ist preiswerter, als alle bisher auf dem Markt verfügbaren Folien-Beschichtungen. Bisher konnte eine Haltbarkeit von einem Jahr nachgewiesen werden.“ f k

Nobelpreis

Die Harvard-Universität, USA, ehrt mit dem Ig-Nobelpreis Wissenschaftler für unnütze, skurrile, englisch „ignobel“, Forschung. Die Veranstaltung ist seit 1991 unter Studenten der Uni Kult. Ihr größtes Vergnügen: Sie verhöhnen lautstark Forscher, die beispielsweise die Reaktionen von Heuschrecken auf Star-Wars-Filme untersuchen. Auch die Jury lebt gefährlich. Denn die Zuschauer nehmen die meist echten Nobelpreisträger mit unzählifk gen Papierfliegern aufs Korn.

Foto: CAV-SNCF, J.M. Fabbro


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VILLE D‘AMOUR Geheimtipps in und rund um die Hauptstadt der Franzosen — zum Erleben, Anfassen und Träumen

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ie Schlange ragt 300 Meter hoch in den Himmel. Im Sekundentakt geht es eine Stufe weiter. Die Füße sind platt, der Rücken schlägt Alarm. Eine endlose Ewigkeit auf der populärsten Sehenswürdigkeit Frankreichs: dem Eiffelturm. So hat man sich den Kurztrip in die Stadt der Liebe, des übermäßigen Rotweinkonsums und des Stangenweißbrots nicht vorgestellt. Wo bleibt der Charme, der Zauber, das Besondere? Im Touristenpulk findet man ihn nicht. Hier also ein paar Tipps, Paris ein wenig anders kennen und lieben zu lernen. Mit der Metro geht es zum Porte de Clignancourt: Meist laut, voll, stickig, an mancher Ecke stinkend und in typischer weiß-blauer oder brauner Kacheloptik präsentieren sich die unterirdischen Lebensadern der Hauptstadt. Frühmorgens duftet die Luft nach frischem Baguette und Kaffee. Franzosen torkeln verschlafen zum nächsten Markt oder zur Arbeit. Leben pur, ohne Touri-Schnickschnack. Vom Flair vergangener Zeiten zeugt der Antiquitätenmarkt am Porte. Vom Knopf bis zur Postkartensammlung, von der Gipsbüste des Duc de Sonstewo bis zum original 20er-Jahre-Outfit — die perfekte Symbiose von Gruscht und Kunst. Wer weiter in die Vergangenheit eintauchen möchte, sollte durch das verschwenderische Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts schlendern. Die so genannten Passagen locken in und um das zweite Arrondissement mit heimeligen Pariser Cafés, kleinen Geschäften und dem Wachspuppenmuseum „Grévin“. Fotos mit berühmten Stars – kein Problem. Doch genug des Alten; im zwölften Arrondissement gehts mit Vollgas in die Zukunft.

Fotos: Felix Küster

Die Treppe vor der Bastille, der futuristischen Pariser Oper, avanciert gen Abend zum Szenetreff. Straßenkünstler faszinieren mit ihren Vorstellungen. Kneipen, Bars und Restaurants bieten für jeden das Richtige. Rund um die Bastille herrscht reges Nachtleben in kleinen, verschlungenen Gässchen. Absolut entspannend wirkt ein Besuch in einem der Stadtparks. Verwunschen sind die Parks Buttes Chaumont im Nordosten und Monceau im Nordwesten. Hier bietet sich ein kleines Picnic an. Bei einem Gläschen Rotwein und Baguette genießt man eine Delikatesse, die auch in Deutschland immer mehr im Kommen ist: würzigaromatischer Ziegenkäse. Dazu ein gutes Buch oder Musik — perfekt. Selbst ein verregneter Tag geht in Paris nicht verloren. Statt sich treu-doof zwischen Touristenführungen eingequetscht durch den Louvre zu schieben, herrscht im Modemuseum „Les Arts Décorativ“ im ersten Arrondissement nebenan Großzügigkeit. Von Sonderausstellungen namhafter Modeschöpfer wie Jean Paul Gaultier bis zum futuristischen Neon-Kleid bietet das Museum eine kleine einmalige Schmucksammlung. Doch vor allem besticht dort die ungewöhnliche Art und Weise, wie die Expona te ausgestellt werden. Im Juli und August wartet Paris mit einer besonderen Attraktion auf. Bei Sonnenschein wie Sternenhimmel lockt der Stadtstrand „Paris Plage“. Vorm Rathaus wird Beach-Volleyball, Feder-

und Fußball gespielt; am Seine-Ufer versprühen Wasserspiele, auf dem Fluss treibende Schwimmbäder und ein Sandstrand Sommerlaune. Hunderte bunte Lampions und Fähnchen spiegeln sich im glitzernden Fluss. Auf einer großen Open-Air-Bühne spielen junge Nachwuchsbands jeglicher Stilrichtung noch zu später Stunde. Alternativ veranstaltet Paris im nordöstlich gelegenen Parc de la Villette im 19. Arrondissement Kultur: Open-Air-Kino, Konzerte und Kunstausstellungen. Der Park selbst entstand auf dem fürheren Gelände des Pariser Großschlachthofs. Heute ziehen sich durch üppige Grünflächen kleine gewundene Wege und der Kanal Ourq. Der Himmel von Paris — ein fulminanter Abschluss für die Kurz-Reise: Vom Tour Montparnasse im 15. Arrondissement aus bietet sich bei Sonnenuntergang ein atemberaubender Ausblick. Doch anstatt sich für teures Geld auf der Aussichtsplattform an den Glasscheiben die Nase platt zu drücken, lohnt sich ein Abstecher ins Nobelrestaurant und Bar „Le ciel de Paris“. Die Preise haben es zwar in sich. Doch man sitzt bequem, im stilvollen Ambiente und genießt einen Cocktail, ein Bier oder die besonders zu empfehlenden Nachtischvariationen. Aber: Gute Kleidung ist hier ein Muss. Den Anzug muss man jedoch nicht automatisch hervor kramen. Wer hingegen Lässigkeit bevorzugt, sucht gegen Abend die Fußgängerbrücke am Louvre, westlich der Ile de la Cité auf. Hier treffen sich junge Franzosen, essen gemeinsam, trinken ein Gläschen oder auch zwei. Und wenn man Glück hat, spielt jemand Gitarre, ein anderer singt. Alle rücken ein Stückchen näher zusammen ke — egal ob Franzose oder Deutscher.

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GEATMET WIRD SPÄTER Unter Wasser zählt jede Sekunde. Wer hat den längeren Atem: Du oder dein Gegner? Unterwasser-Rugby — der neue Trendsport im Blick

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er Ball ist rund. Ein Spiel dauert 30 Minuten. Die Spieler können ihre Fans weder hören noch sehen. „Foul!“. Die Teams sind entrüstet: riesige Bildschirme übertragen die wütenden Gesten der Spieler. Ein Freistoß folgt – aber unter Wasser. Unterwasserrugby ist die einzige Ballsportart, in der sich die Spieler in allen drei Dimensionen bewegen. Wen es eines Sonntags ins Sonnenberger Schwimmbad verschlägt, wundert sich bestimmt: Menschen stehen am Beckenrand und starren gebannt ins Wasser. In dem markierten Bereich der Schwimmhalle tut sich was. Auf 12 bis 18 Meter Länge und acht bis zwölf Meter Breite tobt die WasserSchlacht ums nächste Tor. Zum Glück gibt es Nachwuchstalente wie Bea und Maxi. Beide erklären, was da im Wasser los ist. Nach einem informativen Crashkurs in Sachen Regeln und Ausrüstung, fällt das Zuschauen auf den Bildschirmen leicht. Auf diesen wird das Geschehen unter Wasser übertragen. Plötzlich ertönt mehrmals ein kurzes Hupen. „Das Spiel wird unterbrochen“, sagt Christian Staubach, aktiver Spieler vom TauchClub Stuttgart. Nun folgt der Strafwurf: ein Spieler

der gefoulten Mannschaft hat 45 Sekunden Zeit, im Duell einer gegen einen das Tor zu erzielen. Zwischen ihm und dem Tor, dem entscheidenden Punkt zum Sieg steht nur noch der gegnerische Torwart. Die Hupe entspricht der Trillerpfeife eines Schiedsrichters an Land. Schließlich würde ihm eine Pfeife unter Wasser keine guten Dienste erweisen. Einmal kurz hupen bedeutet, dass das Spiel beginnt. War eine Mannschaft erfolgreich und erzielt einen Treffer, hupt der Schiedsrichter unter Wasser zwei Mal lang. Viele lange Töne: Das Spiel ist aus. Ein Schiedsrichter ist direkt am Spielgeschehen dran. Kein Foul entgeht ihm: Hält sich ein Spieler an der Ausrüstung seines Gegners fest, hält er den Ball an sich gedrückt oder balanciert ihn über Wasser, schreitet der Schiri ein. Denn auch unter Wasser ist Fairness zwar Ehrensache, aber nicht immer an der Tagesordnung. Damit beim Ein- und Auswechseln alles glatt läuft, gibt es zusätzlich einen Schiedsrichter am Beckenrand. Zwei Halbzeiten kämpfen die Spieler um ihren nassen Sieg. Fünf Minuten Pause dazwischen reichen gerade mal zum Durchatmen. Auch die Taktik wird über Wasser ausgetüftelt. Ziel

des Spiels ist es, wie bei vielen anderen Ballsportarten den Ball im gegnerischen Tor zu versenken. Fünf Feldspieler pro Mannschaft wirbeln um den Ball. Geht doch mal einer durch die eigene Abwehr, muss es der Torhüter richten. Doch wie bleibt der Ball unter Wasser? Schließlich kennt man das ja: Ein normaler Fußball dümpelt an der Wasseroberfläche. Ganz einfach: Der Ball ist mit Salzwasser gefüllt.Das Trainingsgerät ist also günstig zu haben. Wie steht es mit der Ausrüstung? Flossen, Taucherbrille, Schnorchel, Schutzkappe und Badebekleidung. Beinahe Standardprogramm des vergangenen Badeurlaubs. Christian Staubach: „Jeder kann Unterwasserrugby spielen. Am besten erkundigt man sich beim örtlichen Schwimmverein, ob er Unterwasserrugby anbietet. Oder man kommt beim Tauch-Club Stuttgart vorbei.“ Bei Turnieren wie in Stuttgart kann man dann mit seinem eigenen Team gegen Mannschaften wie Malsch bei Rastatt antreten. Die Malscher sind deutscher Meister. Wer höher hinaus will, den locken Europa- und Weltmeisterschaft. Bei internationalen Spielen haben die deutschen Damen die Nase vorn: Deutschland ist nicht nur Europameister, sondern errang auch den Weltmeistertitel. Die deutschen Herren hinken dem Europameister Finnland und dem Weltmeister Schweden bisher noch hinterher.

Was s e r s c hl ac ht de r S up e r l at i v e

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Foto: Tobias Fischer


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AUF DEN SPUREN DER MOBILEN AKADEMIE Wie gründe ich eine Schülerzeitung? Was versteht man unter Medienkompetenz? Engagierte Jungjournalisten machen aus Schülern Medienprofis

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at sich dein Freund schon mal mit deinen Mitbewohnern geprügelt?“ Leicht geschockt starre ich in die Gesichter von 15 erwartungsvollen Fünftklässlern. Okay. Vielleicht war es ein Fehler, mich der neugierigen Gruppe als Interviewpartner zur Verfügung zu stellen. Nun muss ich mit den Konsequenzen wohl oder übel leben. Wenn Schülerzeitungsmacher fragen und Jungjournalisten antworten, nennt sich das Mobile Akademie, in Jugendpresse-Fachkreisen auch kurz „Mobak“ genannt. Das Konzept ist so einfach wie genial: Zwei Teamer kommen für einen Tag an die Schule und besprechen mit den Schülern alles, was ihnen unter den Nägeln brennt. Zwei Module stehen zur Auswahl: Eine Schülerzeitung gründen oder Medienkompetenz erfahren. Die Schüler lernen auf Augenhöhe, denn die Teamer sind jung und haben selbst vor einigen Jahren noch Schülerzeitung gemacht. Der ein oder andere Geheimtipp springt ebenfalls dabei raus. Frontalunterricht ist tabu — stattdessen gibt es viele praktische Arbeiten, Gruppenarbeit und Diskussionen. Dabei helfen Karten aus dem Moderationskoffer,

Pinnadeln, die Tafel, das Flipchart und der klassische Overheadprojektor. Damit die Schüler einen solch abwechslungs- und lehrreichen Tag verbringen können, müssen die Teamer viel Einsatz zeigen: Schon mehrere Male habe ich mich

Junge Medienmacher bei der Arbeit

zu unmenschlich frühen Zeiten aus dem Bett gequält, um über zwei Stunden mit der Bummelbahn in den Bodenseekreis oder das Saarland zu gondeln. Oder bin am Sonntag Nachmittag nach NordrheinWestfalen gereist, um am nächsten Tag bei einem Workshop nahe der holländischen Grenze zu sein.

Aber was tut man nicht alles, um Schülern einen interessanten Vormittag zu gestalten, die Schülerzeitung zu retten, aus schüchternen Fragern knallharte Reporter zu machen oder gemeinsam mit künftigen Medienprofis eine „Bravo“ und „Explosiv“ zu analysieren. Das Beste daran: Es macht immer wieder Spaß und setzt unendlich viele Glückshormone und Energie frei. Denn auch als Teamer lerne ich von Mal zu Mal etwas dazu: Ich werde mich in Zukunft nicht mehr neugierigen Fünftklässlern als Interviewpartner zur Verfügung stellen. Zumindest nicht, wenn ich Fragen zu meiner Person beantworten muss. Oder meinen Freunden. Um die Gemüter zu beruhigen, sei zum Abschluss aber so viel gesagt: Bisher gab es in meiner Wohngemeinschaft noch keine mk Schlägerei.

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Impressum

DĞŚƌ /ŶĨŽƌŵĂƟŽŶĞŶ zur Mobilen Akademie erhaltet ihr direkt bei der Jugendpresse BW buero@jpbw.de | www.jpbw.de

Ausgabe Nr. 1, Mai 2007

NOIR ist das Magazin der Jugendpresse BadenWürttemberg e.V.

Chefredaktion (ViSdP) Katrin Ehmke (ke) (Anschrift wie Herausgeber) katrin.ehmke@noir-mag.de

Anzeigen Felix Küster anzeigen@noir-mag.de

Art-Director & Tobias Fischer layout@noir-mag.de

Finanzen & Koordination Sebastian Nikoloff sebastian.nikoloff@jpbw.de

Druck Horn Druck & Verlag GmbH & Co. KG, Bruchsal www.horn-druck.de

Ausgabe Nr. 1, Mai 2007

Herausgeber Jugendpresse Baden-Württemberg e.V. Schlossstr. 23 74372 Sersheim Tel.: 07042 831718 Fax: 07042 831740 www.jpbw.de

buero@jpbw.de

Gefördert von der Youth Bank Mannheim

Foto: Peter Gloede

Layout-Team Felix Küster Simon Staib

Redaktion Adrian Bechtold (ab), Irina Bernhardt (ib), Tobias Fischer (tf), Stefanie Gengenbach (sg), Miriam Kumpf (mk), Felix Küster (fk), Sebastian Nikoloff (sn), Simon Staib (sst), Nike Tewald (nt), Fabian Weidner (fw), Jana Wüst (jw)

Redaktionskontakt Jugendpresse BW Redaktion NOIR Schlossstr. 23 74372 Sersheim redaktion@noir-mag.de

NOIR kostet als Einzelheft 2,00 Euro, im Abonnement 1,40 Euro pro Ausgabe (8,40 im Jahr, Vorauszahlung, Abo jederzeit kündbar). Bestellung unter der Telefonnummer 07042/831718 oder per Mail an abo@noir-mag.de. Für Mitglieder und Interessenten der Jugendpresse BW ist das Abonnement im Mitgliedsbeitrag enthalten.

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DER KÖNIG IST TOT, ES LEBE DER KÖNIG Was passiert, wenn die Spitze einer Partei wankt oder in Rente geht? Hier sind die Thronfolger, die das Geschick von Deutschland in die Hände nehmen

Jeder kennt Namen wie Merkel, Beck, Gysi, Westerwelle, Roth. Doch die Vergangenheit hat uns gelehrt: Keiner kann sich seines ParteiThrons sicher sein. Spätestens mit der Rente winkt die Senioren-Vereinigung. Wer steht also für die Zukunft der Parteien? Mit wem können, wem müssen wir in den nächsten Jahren rechnen? Noir fahndet nach den großen Hoffnungen unter den Jungen. Und nimmt im ersten Teil der Thronfolger-Serie ihr Leben, ihre Ansichten und ihre parteipolitischen Ziele unter die Lupe. ke

hilipp Mißfelder macht 1999 in Bochum sein Abitur und beginnt nach seinem Wehrdienst ein Geschichtsstudium. 1998 wird er bereits sieben Jahre nach seinem Eintritt in die Junge Union in den Bundesvorsitz gewählt. Seit 2005 sitzt Philipp Mißfelder im Bundestag für seinen Wahlkreis Recklinghausen, Castrop-Rauxel, Waltrop.

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Was machst Du speziell für junge Menschen in Deutschland? Als Bundesvorsitzender der Jungen Union engagiere ich mich im Deutschen Bundestag dafür, dass die Interessen der jungen Generation in der Politik Beachtung finden. Das bedeutet für mich ganz konkret: Nachhaltigkeit in der Finanz- und Haushaltspolitik sowie generationengerechte Reformen der Sozialsysteme. Das Prinzip der Generationengerechtigkeit heißt für mich, dass heute keine politischen Entscheidungen getroffen werden, die die zukünftigen Generationen über Gebühr belasten. Zudem nehmen die Themen Familie, Chancen für junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt und nicht zuletzt der Umweltschutz — ich bin Mitglied im Umweltausschuss des Bundestages — eine wichtige Rolle in meiner Arbeit ein.

Was tust Du speziell für junge Menschen in Deutschland? Als Jugendverband versuchen wir immer eine junge Perspektive in die Politik der Grünen zu bringen. Ganz speziell mache ich mich in verschiedenen Parteigremien für Belange junger Menschen stark: Egal ob sie deutsch oder nicht deutsch sind. Ansonsten versuche ich, junge Menschen davon zu überzeugen, dass sie ihre Rechte wahrnehmen und sich politisch engagieren. Ob in einer Partei, einer nicht staatlichen Organisation, einer Schülerzeitung oder einer sozialen Einrichtung. Es ist wichtig, dass junge Menschen verstärkt an unserer Gesellschaft teilnehmen. Sagen, was sie stört und Dinge verändern. Privat versuche ich immer Zeit für den Verein Berliner Austauschschüler zu finden.

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aula Riester, 22, ist seit zwei Jahren Beisitzerin und seit einem Jahr Sprecherin des Bundesvorstands der Grünen Jugend. Die gebürtige Berlinerin studiert seit 2004 Jura an der Freien Universität Berlin. In ihrer Freizeit spielt sie Fußball und demonstriert gegen Castor-Transporte. Riester: „Ruhe im Karton herrscht erst, wenn der letzte Reaktor abgestellt ist.“

F otos: P hi l i pp M i ß f e l d e r; Pri v a t


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Was ist Dein parteiliches Ziel: Möchtest du Kanzler werden? Als Bundestagsabgeordneter und Chef der Jungen Union habe ich genug Aufgaben. Beides werde ich noch längere Zeit ausüben. Vorausgesetzt, ich werde wieder gewählt. Wer ist Dein persönliches Vorbild? Ein konkretes Vorbild in diesem Sinne habe ich nicht. Obwohl in Porträts über mich häufig steht, es sei unserer früherer Bundeskanzler Helmut Kohl. Ich bewundere Helmut Kohl für seine großen Leistungen und Politiker wie Wolfgang Schäuble und Norbert Lammert faszinieren mich wegen ihrer intellektuellen fw Brillanz.

Was ist Dein parteiliches Ziel: Möchtest du Kanzlerin werden? Ein konkretes parteiliches Ziel habe ich nicht. Ich mache Politik, weil sie mir Spaß macht. So lange dies der Fall ist, werde ich auch weiterhin dabei sein. Vielleicht ergibt sich daraus eine berufliche Zukunft. Ansonsten konzentriere ich mich auf meinen Uniabschluss. Denn trotz Politik ist ein weiteres Standbein sehr wichtig. Wer ist Dein persönliches Vorbild? Ich habe kein konkretes Vorbild. Aber alle Frauen geben mir Kraft, die sich trotz vieler Barrieren in der Gesellschaft durchbeisg ßen und ihren Weg gehen.

KLIMAWANDEL TRIFFT BIRKENSTOCK Andreas Zumach referiert über Energie, Klima und Politik: „Das soll keine Angstmache sein, sondern die Problematik dieses Themas verdeutlichen.“

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ndreas Zumach hält manche Vorträge am liebsten in seinen Birkenstock Sandalen Modell „Boston“. Das unkonventionelle Auftreten des „Taz“-Korrespondenten bei der UNO

In der Tat kommt die Zukunft nicht sehr rosig daher: Im Jahr 2040 könnten die Ölreserven fast ausgeschöpft sein. Schon heute reißen sich führende Nationen um noch verbleibende Ener-

Frage von Technologie, sondern einzig des politischen Willens“, so Zumach. Wichtig ist dieser Schritt auch aus einem anderen Aspekt: Der drohende Klimawandel ist in aller Munde und schreitet voran. Der ständig wachsende Energiebedarf der Industrienationen und die damit zunehmende Umweltbelastung sind Probleme, denen wir uns stellen müssen. Ein Umstieg auf Solarzellen oder Strom aus Wasserkraft würde helfen, Emissionen zu senken. Andreas Zumach appelliert in seinen Vorträgen an seine meist jungen Zuhörer, den persönlichen Energieverbrauch zu reduzieren. Dafür müssen dann auch schon mal seine Birkenstock ^ƚƌŽŵ ĂƵƐ tŝŶĚŬƌĂŌ Ͷ ĞŝŶĞ ŚĂŶĐĞ ŝŵ <ĂŵƉĨ ŐĞŐĞŶ ĚĞŶ <ůŝŵĂǁĂŶĚĞů Gestenreich: Andreas Zumach herhalten, wenn er versucht, den biologischen Fußabin Genf, tut seinen Schilderungen aber giemonopole. Kriege um fossile Brennstof- druck zu erklären. Der Korrespondent keineswegs Abbruch. Im Gegenteil: Der fe sind keine Vision mehr. Die Weltpolitik weiß, dass die Zeit für den Umstieg in Nah-Ost-Kenner weiß seine Zuhörer von dreht sich mehr und mehr um die Siche- der Umweltpolitik noch nicht vorüber ist. der ersten Minute an zu fesseln. „Mir ist rung von Förderungsgebieten. Ob dieser Trotzdem hätte diese Kursänderung schon es wichtig, jungen Menschen die heutige politische Kurs der Richtige ist, wird sich längst stattfinden müssen. politische Situation zu schildern“, so noch erweisen müssen. „Umweltpolitik sollte niemand auf die Andreas Zumach: „Das soll keine AngstFakt ist: Schon heute wäre es möglich, leichte Schulter nehmen“, so Andreas mache sein, aber auf jeden Fall die Proble- die Energieversorgung auf nachhaltige Zumach: „Jeder kann dazu beitragen, den sst matik dieses Themas verdeutlichen“. Energieträger umzustellen: „Das ist keine Druck auf die Politik zu erhöhen“.

Fotos: pix e l i o .d e ( U s e r : p g m) ; F abian S ommer (w w w .crashpress.de)

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Geschichten

Der USB-Raketenwerfer

aus dem Leben

Die neue Waffe für den Kampf im Büro

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ie alte Dame sitzt im Rollstuhl am Fenster und kräht: „Miquele, Roswitha!“ Ich trete ins Zimmer zu ihr, sie streichelt meine Hand. „Schön warm“, lächelnd sieht mich die 93-Jährige an. „Wo sind denn Roswitha und Miquele?“ Beide schon seit Jahren tot. Doch sagen kann ich ihr das nicht, glauben würde sie es mir auch nicht. „Die sind gerade bummeln. Bei dem schönen Wetter.“ Sie glaubt mir, freut sich, dass ich für sie ein paar Minuten Zeit habe. Wir haben uns angefreundet. Vor dem Fenster herrscht hektisches Treiben: Bauarbeiter hasten mit Leitern, Farbeimern und anderem Gerät den kleinen Pfad vor ihrem Fenster entlang. Daneben blühen auf dem Rasen hunderte Gänseblümchen. „Da ist heute bestimmt ein Fußballspiel. Die wollen das alle sehen. Die bauen eine Tribüne. Ich mag ja lieber Tennis.“ Viele Male fragt sie mich heute noch: „Wo bleiben die Mannschaften?“ Es gibt kein Spiel. Sie ist traurig, enttäuscht. Draußen auf dem Flur treffe ich den Zivi. Erzähle ihm vom Fußballspiel. Dann meine ungewöhnliche Bitte: „Ob er wohl was organisieren könne?“ Zehn Minuten später laufen sechs Zivis auf den Rasen. Einen kleinen Ball haben sie auch aufgetrieben. Drei in OP-Grün, die anderen in Krankenhaus-Weiß. Eine Viertelstunde kicken sie vor dem Fenster. Die alte Dame gluckst begeistert und jubelt aus dem Fenster. „Und du hast das nicht geglaubt, Schwester Katrin!“ Nein, ich habe es nicht geglaubt: Dass sechs junge Kerle die Hälfte ihrer Mittagspause opfern. Um einer 93-Jährigen eine Freude zu bereike ten.

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Noir - Ausgabe 1/07

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en Dienst an der Waffe habe ich verweigert. Aus Gewissensgründen. Dennoch hat es mir der USB-Raketenwerfer angetan: Er ist nicht gerade klein, jedoch gut zu transportieren, funktioniert problemlos an jedem PC, macht einen sehr robusten Eindruck und eignet sich vorzüglich zum Angriff auf ungeliebte Kollegen. Zunächst zu den technischen Details: Auf einem stabilen Standfuß ruht die um 180 Grad drehbare Lafette. Die Abschussvorrichtung ist um 45 Grad höhenverstellbar und hält drei flügelstabilisierte Raketen aus Schaumstoff zum Abschuss bereit. Die Steuereinheit wird mittels beigelegter CD-ROM auf dem PC installiert und ermöglicht nach problemloser Installation das Operieren aus sicherer Deckung. Per Software sind beide Achsen innerhalb der konstruktionsbedingten Limits direkt per Cursortasten ansprechbar. Per Mausklick feuert der Schütze jeweils eine Rakete ab, die, angetrieben vom Druck einer Feder, mehrere Meter quer durch den Raum auf das anvisierte Ziel zu-

schießt. Die Flugbahn ist grundsätzlich stabil, jedoch sind die Geschosse überaus seitenwindanfällig, was bei einem Einsatz außerhalb windstiller Innenräume die Trefferquote drastisch absenkt. Trotz dieser Schwachstelle ist der USB-Raketenwerfer eine prima Waffe im täglichen Kampf im Büro. Da er mit einem langen Kabel angeschlossen wird und gut aus der Deckung heraus operieren kann, eignet er sich zur blitzschnellen, unerkannten Attacke auf Kollegen wie Vorgesetzte. Er ist ideal geeignet für den mobilen Einsatz, um Leben in trockene Meetings zu bringen. Also ein überaus empfehlenswertes Gerät. Eines sei noch gesagt: Durch die oben erwähnte Windanfälligkeit der Geschosse bietet sich ein haushaltsübliches Gerät prima als Waffe zur Raketenabwehr an: In unseren Tests konnte ein handelsüblicher Tischventilator auf höchster Stufe die Geschosse problemlos ablenken. Aber das muss der Kollege ja nicht sn wissen. Gewinnspiel im Internet u n t e r w w w. n o i r m a g . d e

Alltäglicher WG-Wahnsinn Vom Einzelzimmer mit Vollverpflegung

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otel Mama — 20 Jahre oder mehr. Die Wäsche ist stets gebügelt, das Essen steht warm auf dem Tisch, Staub hat keine Chance. Kümmern müssen sich andere. Klappt doch was nicht, Muttern ist schuld. Verlässt man das behütete Zuhause, wird alles anders. Ab in die Freiheit: vom Einzelzimmer in den ganz normalen Wahnsinn. Das erste eigene Heim: WG oder Studentenbude. Billig, praktisch. Gut? Endlich kann man tun und lassen, was man will. Das denken sich jedoch auch die lieben Mitbewohner.

Tatort Küche: Die Geschirrberge reichen bis zur Decke, die Arbeitsplatte ist kaum auszumachen. Im Kühlschrank gedeiht die nächste Generation Biowaffe. Tatort Nasszelle: Verfärbungen jeglicher Art, Haare, die vergeblich auf ihren früheren Besitzer warten. Hast du es satt von sauberen Tellern zu essen? Dann teil dir eine Küche. Möchtest du dein Immunsystem auf Vordermann bringen? Lass alle Bakterienkulturen deiner Mitbewohner wachsen. Fühlst du dich einsam? In einer WG wirst du nie wieder deine Ruhe haben. Spaß oder Realität? Teste selbst! j w

F otos: pi x el i o. de (U ser : Ti ne_B . ) / T o b i a s Fi s c h e r




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