NOIR - Ausgabe 19: Nebenan

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Ausgabe 19 (März 2011) www.noir-online.de

Nebenan

Kennst du deine Nachbarn?

Thema

Reportage

Querbeet

Vom HĂśrsaal zum Filmdreh nach Israel

Bosnien: 15 Jahre nach dem Krieg

Wohngemeinschaft mit Oma und Opa


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~ Editorial ~

HERZ AN HERZ Lukas der Lachs und Co. Nachbarn, die man in jedem Haus findet auf Seite 2

Inhalt – NOIR 19

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in Nachbar kommt selten allein. Immer ist nach städtebaulichem Plan zur Rechten und Linken etwas, das tratschen will, sein Getier nicht im Griff hat oder frühmorgens die Kinder durch Hupen zum Aufbruch bewegt. Das kann so sehr nerven, dass man sich in die Wüste wünscht. Aber andererseits sind in der Wüste ja die Sandkörner und die haben so viele Nachbarn, dass sich einem die Nackenhaare aufstellen. Eins neben dem anderen neben dem anderen neben dem anderen. Brrrr, welch eschatologische Vorstellung! Diese Sorgen kannten die glücklichen sieben Zwerge nicht, bei denen gab‘s nur Wald und Bäume und ganz weit weg ein Schloss. Aber diese Einöde wiederum mag auch ihre Wachstumsstörungen bedingt haben. Nachbarn sind nämlich Herausforderungen, an denen wir nach allen Regeln der Kunst wachsen. Oder scheitern. Zum Beispiel täglich auf dem Nachhauseweg, wenn unsere Gelassenheit bagatelldeliktischen Verlockungen weicht. Ach könnte ich doch nur … ein Rosenblatt auszupfen! Zeitungen stibitzen! Ein Fensterchen einwerfen! Gerade als ich mir Schlimmeres ausdenke, klingelt es an der Tür. Die Nachbarsfrau mit einem fetten Grinsen und einem Korb runzliger Äpfel. Ich nehme mir den einzigen heilen Apfel, werfe die restlichen auf die Straße – in der Hoffnung sie möge stolpern – und knalle die Tür vor ihrer dreisten Nase zu. Wenn ihr bessere Menschen seid, dann schenkt euren Nachbarn doch diese NOIR. Es könnte der Beginn einer wundervollen Freundschaft sein!

Fotos: Martin Heinz / jugendfotos.de; Ben. / photocase.com (o.r.)

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Lifestyle. Nachbartypen

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Wissen. Wenn Nachbarn streiten

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Thema. Kehrwoche und Fiesta

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Thema. Postbote auf Zeit

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Thema. Streit in Spanien Thema. Wer braucht Nachbarn?

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Interview. Freiwilliger im Einsatz

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Reportage. Filmdreh in Israel

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Reportage. Mostar heute

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Intern. Noir wird erwachsen

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Querbeet. WG mit Opa Querbeet. Eine Ode Querbeet. Auf nach Stuttgart

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Editorial Impressum

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VON SIGGI UND SANDRA Sie leben nebenan, drei Türen weiter oder im Stockwerk über uns: Die lieben Nachbarn. Sie machen Krach, haben ein offenes Ohr oder Beziehungsprobleme. Silke Brüggemann über verschiedene Nachbartypen.

Uli der Unverdächtige Uli hat die Ersatzschlüssel aller Nachbarn. Und wenn bei uns die Heizung ausfällt, dürfen wir Wohnungen tauschen. Wenn ich wieder in meine Wohnung darf, sind aber alle Wertsachen weg, einschließlich Hund. Als ich versuche, ihn bei der Polizei als vermisst zu melden, sehe ich seinen Steckbrief an allen Wänden hängen. Lonny der Laute Ich weiß, wann er wütend ist, wann er sich freut, und auch, wann seine Lider zufallen. Er kann nicht anders als laut. Deswegen weiß jeder alles über ihn. Logisch, dass Theresa, die liebe Seele, das nicht gut findet – eine Person weniger, die sie ausquetschen kann. Ich wünschte, Nadja würde an meiner Stelle neben ihm wohnen, denn sie braucht keine Nachtruhe.

Philipp das Phantom der Wohnanlage Dass es Philipp gibt, erfährt man erst, wenn die Polizei ihn tot in seiner Wohnung findet. Wie er aussieht? Keine Ahnung. Er ist sogar auf Walters Radarschirm unsichtbar. Wenn mir das Salz ausgeht, dann gibt er gerne etwas ab. Aber selten denk ich daran, dass es ihn gibt.

Lisa und Paul das Pärchen Sie sind frisch verliebt und neu eingezogen. Als Umzugshelfer taugen sie wenig, weil sie eine Hand brauchen, um Händchen zu halten. Sie sehen alles durch eine rosarote Brille. Solange sie einander haben, brauchen sie keine materiellen Dinge – deshalb leihen sie gerne großzügig aus.

Willi der Wachtmeister Viele vermuten, dass er ein Topspion ist. Stundenlanges Ohr-an-die-Wände-legen gehört zu seinen einfachsten Übungen. Keiner weiß, wie alt er ist: Seine Falten werden durch stundenlanges Fensterstarren gebügelt. Willi führt Buch über Einkäufe, Abfahrts- und Ankunftszeiten sämtlicher Nachbarn. Wenn ich nicht mehr weiß, was ich gestern getan habe, frage ich ihn.

Lukas der Lachs Wenn es komisch riecht, dann liegt das an seinen Räucherstäbchen „Tibetische Käsefüße“. Der Lachs schwimmt immer gegen den Strom. Esoterikfans merken das, wenn er nach der Mieterversammlung doch die Markisen mit Donald-Duck-Motiv bestellt. Von ihm würde ich mir kein Salz ausleihen, es sei denn, ich will Zucker.

Theresa die liebe Seele Sie behütet die gesamte Nachbarschaft und versorgt alle mit Hühnersuppe und Pudding. Wer Probleme hat, muss mindestens drei Wochen mit ihr darüber reden. Wenn ich Salz brauche, gibt sie mir noch drei Packungen Taschentücher und ein Regalbrett voller Aufmunterungsbücher mit.

Sie behütet die gesamte Nachbarschaft

Nadja die Übermutter Ihr Organisationstalent und ihre Strenge hat sie beim Militär gelernt. Jetzt heißt ihre Mission: Hausarbeit, Hausaufgaben und anderen Nachbarinnen zu Komplexen verhelfen. Dank eingepflanztem GPS-Chip weiß sie immer, wo sich ihre Kinder aufhalten.

Steffen der Spießer Durch seine Superkräfte kann er mit bloßem Auge messen, ob einer einen Millimeter zu weit auf der Straße parkt. Er spürt es, wenn jemand drei Häuserblöcke weiter die Füße auf den Tisch legt. Steffen hat eine stehende Leitung zur Polizei, dem Bürgermeister und dem Papst. Krimiautoren lieben ihn, weil er eine gute Vorlage für die Figur des Opfers ist.

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Siggi und Sandra das Horror-Ehepaar Ob es um die offene Zahncreme geht oder um die Form der Wolken am Himmel: Immer ist der andere dran schuld! Siggi zieht dreimal am Tag aus. Sandra denkt sich immer neue Racheaktionen aus. Am Ende zieht Siggi aber immer wieder ein. Wenn auch nur für fünf Minuten.

Foto: Katharina Levy / photocase.com


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NACHBARN IM CLINCH Behalte deine Ponderabilien hinter der toten Einfriedigung, lieber Nachbar, sonst esse ich deinen Überfall. Dieser Satz grenzverwirrt euch? Willkommen im Nachbarschaftsrecht!

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ein Mucks, kein Ziepen, kein Nichts. Nur eine Kirsche kullert sanft in den Garten des Nachbarn. „Überfall!“, tönt es da plötzlich von nebenan. Ein Nachbar frohlockt und reißt die Kirsche in die Höhe. Die gehört jetzt ihm. Wir sind nicht Zeuge eines Verbrechens geworden. Wir befinden uns mitten im Nachbarschaftsrecht. Und das regelt mit der Vorschrift „Überfall“, welchem Nachbarn das Obst gehört, das im falschen Grundstück landet. Das Nachbarschaftsrecht widmet sich auch schwerwiegenderen Fragen. Nachbarn leben nämlich nicht in einem Vakuum. Wer einen Baum anpflanzt, züchtet potenzielles Laub, das dem Nachbarn im Herbst vor die Füße fallen kann. Freunde im Garten spielen selten Flüsterpost, oft wird es lauter, Grundstücke sind mächtig globalisiert. Auch das Nachbarschaftsrecht steht nicht isoliert, sondern ist in unterschiedlichen Rechtsgebieten verankert. Das Baurecht spielt genauso mit hinein wie das Immissionsschutzgesetz, weiß Rechtsanwältin Marietta Will: „Dazu kommt, dass die Länder in Nachbarschaftsfragen eigene Kompetenzen haben. So dürfen zum Beispiel Grenzzäune in unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche Höhen haben.“

Illustration: Carolina Schmetzer

Zu welchen Übeln bin ich als Nachbar verdammt? Muss ich die Operngesänge von nebenan ertragen, die Rauchschwaden vom Grill, die Partyorgien auf der Terrasse? Gefragt wird, wie wesentlich ein Nachbar den anderen beeinträchtigt. Herüber gewehtes Laub etwa oder die Müllreste vom jährlichen Silvesterfeuerwerk muss man schon mal aushalten. Anders sieht es aus, wenn die Nachbarskatze tagein, tagaus hofiert oder der Nachbar in seinem Gartenteich Frösche hält, die einem durch ihr nächtliches Quaken den Schlaf rauben. Außerdem spielt eine Rolle, ob die Beeinträchtigung für die Region typisch ist. Wer im Ruhrgebiet wohnt, muss die dort traditionelle Taubenhaltung seines Nachbarn hinnehmen, während gegen das Gurren in Großstädten rechtliche Waffen helfen. „Oft kommen auch Überbau-Fälle vor Gericht, in denen ein Nachbar über die Grundstücksgrenzen hinaus gebaut hat. In anderen Fällen haben Nachbarn von ihrem Grundstück keinen direkten Zugang zur Straße, sodass sie das Nachbarsgrundstück durchqueren müssen oder die Parteien streiten um einen Baum, der auf der

Grundstücksgrenze steht“, so Will. Ihr fürchtet um euer Leben, weil ihr glaubt, das modrige Haus neben euch sei einsturzgefährdet oder euer Nachbar gräbt und gräbt und mit jeder Schaufel Erde bangt ihr um den Halt eures Hauses? Auch diese exotischen Konstellationen sind vom Gesetz bedacht. Wer hier jedoch fadenscheinige Vorwände findet, seinen Nachbarn zu schikanieren, wird enttäuscht. „Nachbarn haben ein vertragsähnliches Verhältnis, das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis. Es verpflichtet beide Nachbarn zur besonderen Rücksichtnahme.“ Nicht jeder Nachbarstreit landet vor Gericht. Bei Nachbarschaftskonflikten muss man sich in Baden-Württemberg zuerst um eine außergerichtliche Lösung bemühen. Erst wenn auch die Schlichtungsstelle die Nachbarn nicht zum Einlenken bringt, schreiten die Amtsgerichte ein. Anika P fisterer

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Tote Einfriedigungen sind keine begrabenen Tierkadaver. Die Rede ist von einer Mauer oder einem Zaun, der ein Grundstück eingrenzt. Eine nicht tote Einfriedigung ist eine Grenze aus Hecken oder Sträuchern. Ponderabilien bezeichnen im Juristischen feste Körper nicht unerheblicher Größe. Dazu zählen beispielsweise Steinbrocken, Fußbälle und größere Tiere wie Katzen und Hunde. Als Grenzverwirrung wird die Unsicherheit über den Verlauf der Grenze zwischen zwei Grundstücken bezeichnet.

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NACHBARSCHAFTS-FIESTA In Andalusien gibt es keine Eigenbrötler. In Andalusien gibt es nur Nachbarn. Und wenn die feiern, bleibt keiner zu Hause. Fabian Vögtle war mit dabei.

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ue calor – „Es ist so heiß“, stöhnen die Spanierinnen und wedeln dabei mit ihren eleganten Fächern durch die Luft. Wir sind an der Costa del Sol im südspanischen Andalusien, die Sonne ist bereits untergegangen. Die Hitze aber bleibt und so denken die Frauen des kleinen Dorfes an der Küste bei Malaga erst gar nicht daran, ihr wertvollstes Accessoire wegzustecken, das beim nächtlichen Straßenfest genauso dabei ist wie im Gottesdienst und am Strand. Die bunten, großen Fächer machen die typische Andalusierin aus wie ihr luftig rotes Kleid. Im August sinken die Temperaturen auch nachts selten unter 30 Grad Celsius. So machen die Andalusier kurzerhand die Nacht zu ihrem Tag und genießen das Leben mit ihren Familien und Freunden

unter freiem Himmel. Die Nachbarschaft, oder sagen wir eher: das ganze Dorf, ist beim zweitägigen Straßenfest auf den Beinen. Die meisten haben bei der Vorbereitung geholfen und die Straße mit örtlichen Fähnchen geschmückt. Küsschen links, Küsschen rechts. In der einen Hand den offenen Fächer, in der anderen einen Wein. Mittags noch in der Siesta versunken, kommen abends alle aus ihren Löchern. Eine Garage dient als kleine Bar, es gibt selbstgemachte Tapas sowie Bier und sommerlich-süßen Tinto de verano. Laut und liebevoll wird getratscht, gesungen und getanzt. Die Kinder springen bis Mitternacht nassgeschwitzt in der Hüpfburg und der Opa schaut begeistert zu, wie seine Enkel auf den Plastiktieren reiten. Eine Band mit Sängerin spielt auf der kleinen

Bühne spanische Volksmusik und natürlich die WM-Rhythmen von Shakira und Co. Omas tanzen dazu mit ihren Enkeln, Schwiegersöhnen und Nachbarinnen Flamenco bis früh in die Morgenstunden. Die Stimmung ist fantastisch. Und das Tollste an der Fiesta im spanischen Sommer: Kein Anwohner beschwert sich. Warum auch? Zum Schlafen ist es sowieso zu heiß und selbst der Ventilator sorgt kaum für Abkühlung. Außerdem ist die ganze Nachbarschaft auf den Beinen und feiert kräftig mit. Wer früher müde wird, hat eben Pech gehabt.

ZWEI HÄLFTEN Sitznachbarn im Klassenzimmer teilen viel mehr als nur einen Tisch: Glück, Leid und dann wäre da noch allerlei Hab und Gut. Sanja Döttling macht Inventur.

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ie Zeiten, in denen wir sonntagnachmittags die Milch zum Kuchenbacken bei unserem Nachbarn holten, haben die meisten von uns nicht mehr erlebt. Wer keine Milch hat, dem gnade Gott. Im Mikrokosmos Schule ist aber immer noch einiges ein Stück heiler als in der weiten Welt außerhalb – auch die Nachbarschaften. Wasser und Brot, Spitzer, Schere, Papier, Hausaufgaben, Bücher, DVDs, USB-Sticks, Handys: Lebenswichtige Güter, die es morgens nicht mehr in die Schultasche geschafft haben, werden getauscht, geliehen und manchmal nie wieder gesehen. „Hast du mal ‘nen Bleistift?“, frage ich meine Nebensitzerin Christina jeden zweiten Tag. Sie hat immer welche – Im Gegensatz zu mir. Dafür habe ich Orangensaft und ein Auto, mit dem ich in der Mittagspause zum Chinesen fahren kann. Auch Christinas mathematische

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Fachkompetenz („Sanja, vier hoch zwei ist nicht zwölf!“) und die regen Diskussionen in Gemeinschaftskunde machen einen langen Schultag erst erträglich. Ein Hoch also auf die Doppeltische! Ein Hoch auf geteiltes Leid und verdoppeltes Glück! Ein Hoch auf die Nebensitzer, ohne die jeder schon so häufig aufgeschmissen gewesen wäre! In der Mathearbeit ohne Bleistift. In Deutsch ohne Buch. In der Pause ohne Gespräch. Alles was ich in der Schule je ausgeliehen habe – ohne es zurückzugeben – und alles, was ich verliehen habe – im Wissen, nichts zurückzubekommen – gleicht sich am Ende einer Schullaufbahn in einer langen und komplizierten Rechnung wieder aus, versöhnt die Nachbarn und die ganze Welt. Trotzdem sollte ich Christina auf dem Abiball eine 200 er Packung Bleistifte schenken. Sicher ist sicher!


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KEHRWOCHE UND ELEKTROBEATS Der Ausdruck Mehrparteienhaus kommt nicht von ungefähr. Doch was passiert, wenn sich Mieter wie Himmel und Hölle ein Dach teilen? Laura Ilg erzählt eine wahre Begebenheit.

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s ist 22.00 Uhr an einem gemütlichen Sommerabend. Ein Abend von der Sorte, an denen Familien zusammen grillen und Freunde sich im Biergarten auf einen entspannten Abend zuprosten. Während für Sara und Ben der beste Teil des Tages beginnt, ist der Tag für Iris schon vorbei. Sara und Ben, ein junges Paar Mitte 20 und Iris wohnen direkt untereinander, getrennt nur von etwas Beton. Und außer dem gleichen Dach über dem Kopf verbindet die beiden Partein nicht viel. Iris ist Rentnerin und Besitzerin des Mehrfamilienhauses. Seit ihr Mann verstorben ist und die Kinder weit weg wohnen, führt sie als Vermieterin ein strenges Regiment. Die Kehrwoche und die ordnungsgemäße Stellung der Mülltonnen

avancieren zur Herzensangelegenheit. Ganz anders Sara und Ben. Sie hauen am Wochenende gerne auf den Putz. Davon zeugt jeden Sonntag eine Armada von leeren Bierflaschen und Zigarettenstummeln auf ihrem Balkon und im Treppenhaus. Dem Treppenhaus, über dessen Blankheitsgrad Iris Tabelle führt. Aber das ist nicht der einzige Grund für Iris‘ schlaflose Nächte: Wenn sie abends die Volksmusikparade ausschaltet, werden ein Stockwerk weiter oben hämmernde Elektrobeats erst eingeschaltet. Die wilden Partys am Wochenende werden neben der Kehrwoche bald zur festen Einrichtung. An jenem Sommerabend hat Iris genug. Sie ruft wegen Ruhestörung die Polizei und bereitet den durchtanzten Nächten

in ihrem Eigentum ein Ende – denkt sie. Aber das gilt nur für diese eine Nacht. Denn kündigt Iris auch den Mietvertrag, so pochen Sara und Ben auf ihre Rechte als Mieter und feiern munter weiter. „Als alte Frau im heutigen Bürokratiedschungel hat man es nicht einfach“, klagt sie anderen Mietern, die sie auf dem Gang trifft, ihr Leid und stimmt regelmäßig die „Früherwar-alles-besser“-Leier an. Mehrere Monate mit den inzwischen alltäglichen Querelen ziehen ins Land, bis Sara und Ben irgendwann wegziehen. Aber nicht ohne Iris ein letztes Abschiedsgeschenk zu hinterlassen: Bierflaschen und Zigarettenstummel von der gebührenden Auszugsfeier.

DIE HAMSTER Nachbarn helfen sich gegenseitig. Aber manchen Nachbarn ist einfach nicht mehr zu helfen. Miriam Kumpf über den Versuch, ihrer Nachbarin den Unterschied zwischen Meerschweinchen und Hamstern beizubringen.

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eine Nachbarin reckt das Kinn neugierig in die Höhe und schaut mich durch die kleine Reihe Spalierobstbäume an, die die Grenze zwischen unseren Grundstücken markiert. „Sin des deine Hamschter?" Ich schaue auf die zwei Nagetiere, die quietschend in dem Gehege auf der Wiese herum hüpfen und sich zuallererst über die Gänseblümchen hermachen. Sie sind ein bisschen groß für Hamster, aber gut, das kann man schon mal verwechseln. „Nein, das sind nicht meine Hamster. Das sind Meerschweinchen, die gehören einer Freundin, ich passe nur auf sie auf.“ Abgesehen davon würden Hamster tagsüber schlafen. Aber diese Information erspare ich meiner Nachbarin. Ich ahne, dass sie schon Schwierigkeiten haben wird, sich die Tierart zu merken. Der nächste Tag. „Ha, denne Hamschter gfällts da drauße!“, kommentiert es vom Garten nebenan, als die Meerschweinchen von meinem Arm ins Freigehege

Foto: himberry / photocase.com; Illustration: Paul Volkwein

hüpfen und sich sichtlich darüber freuen. „Meer-schwein-chen“, sage ich extra langsam, ohne in den Nachbargarten rüber zu schauen. „Abba die hesch du no net lang, gä?“, redet meine Nachbarin ungefragt weiter. „Nein“, seufze ich, „die habe ich ganz neu. In Pflege, über die Ferien“, und wünsche mir, wir hätten zwischen unseren Grundstücken keine Spalierobstbäume gepflanzt, sondern einen meterhohen Zaun. Alle folgenden Tage verlaufen nach dem gleichen Schema. Sobald ich die Meerschweinchen raus ins Freigehege bringe, werden sie für Hamster gehalten. Und zwar für meine Hamster. Als sich die Zeit der Meerschweinchen in meiner Obhut dem Ende zuneigt, das Drama: Regen! Die Meerschweinchen können nicht raus ins Freigehege. Dafür steht eine kleine Schachtel mit Nagestangen vor unserer Haustüre. An der Schachtel hängt ein Zettel „Für die Hamster“. Auf der Verpackung grinsen mir zwei Meerschweinchen entgegen.

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FRAU POSTPAKET

Schnelle Schritte, die sich auf die Haustüre zubewegen. Ein leises Rascheln und schließlich das Klappern des Briefkastens, das ankündigt: Die Post war da. Nicole Beer über einen Ferienjob, der aus mehr besteht als nur Briefe einwerfen.

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u bist gar keine Postbotin! Postboten sind gelb!“, stellt das kleine Mädchen enttäuscht fest. Ich schlucke. Sie hat Recht. Ferienjobber sind bei der Post nicht uniformiert, sondern liefern Briefe und Pakete in zivil aus. Trotzdem ist mein Ferienjob knochenhart. Während vier Wochen habe ich viele alte Leute glücklich gemacht („Die Post! Wie schön!“), lustige Titel erhalten („Frau Postpaket“) – und es

Ein Bibi-Blocksberg-Paket für einen 20-Jährigen Angeblich für seine Schwester.

gab auch Kinder, die mich fasziniert und mit großen Augen angestaunt haben: „Sie sind von der Post?“ Neben Briefe zustellen gehört auch Pakete ausliefern zu meinen Aufgaben. Das hat eindeutig den größten Unterhaltungswert. Dass ich dabei oft ungewollt in die Privatsphäre der Kunden eindringe, ist Teil des Jobs. Eine Frau öffnet die Tür mit fünf verschiedenen in die Haare gedrehten Bürsten und flüstert beschwörend: „Sie

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sehen mich gar nicht!“ Die nächste Kundin begrüßt mich hysterisch winkend bereits aus 500 Metern Entfernung und schreit „Haben Sie mein Paket dabei? Haben Sie es? Das von der Kosmetikfirma?“ Es war nicht dabei. Ich wollte sie gerade bedauern, aber komischerweise freute sich die Frau: „Oh, sehr gut, ich bin nämlich gerade nicht zu Hause.“ Ein Mann bekommt sein Paket per Nachnahme, muss dafür also noch bezahlen. Er hat das Geld nicht passend. „Warten Sie kurz“, bittet er mich und legt einen beeindruckenden Sprint zum nächsten Lotto-Kiosk hin. Völlig außer Atem, dafür sehr stolz, meint er dann: „Sehen Sie, das hat doch alles problemlos geklappt!“ Einem etwa 20-jährigen jungen Mann liefere ich ein schickes Paket im Bibi-Blocksberg-Design aus. Er läuft knallrot an und stammelt „Ähm, ähm – das ist für meine kleine Schwester!“ Dummerweise ist es an ihn adressiert. Der Postbotin nackt oder zumindest halbnackt die Tür zu öffnen, scheint einigen Leuten gar nicht peinlich zu sein. Das härtet einen als Postboten wirklich ab. Die merkwürdigste Begegnung spielt sich unterwegs auf der Straße ab. Ein junger Mann, Mitte zwanzig, hält an, steigt von seinem Fahrrad, zwinkert mir zu und meint: „Hello! I’m Mike. Do you speak English? Do you want to go on a date with me?

After work? I’d like to be your boyfriend.” Dankend lehne ich ab, aber so schnell lässt er sich nicht abwimmeln. Fröhlich pfeifend folgt er mir auf seinem Fahrrad und wiederholt sein Angebot immer wieder. Verzweifelte Hinweise meinerseits auf den bereits vorhandenen „boyfriend, who wouldn’t be amused!“, beeindrucken ihn nicht. Am nächsten Tag ist er wieder da. Selten trifft man so viele unterschied-

Er folgt mir fröhlich pfeifend auf seinem Fahrrad Am nächsten Tag ist er wieder da.

liche, teilweise sehr merkwürdige Menschen, wie als Postbote. Gleichzeitig ist es ein sehr harter Job. Um 5.45 Uhr geht es los mit Pakete sortieren und schleppen. Anspruch auf gutes Wetter und feste Arbeitszeiten haben Postboten nicht. Feierabend ist dann, wenn alle Briefe und Pakete ausgeliefert sind. Und das ist oft erst um 16 oder 17 Uhr. Wen das nicht abschreckt: Wir sehen uns in den nächsten Ferien. Denn ich bin wieder dabei.

Foto: greyhound / photocase.com


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GEFANGEN IM ZWIESPALT Es ist nicht leicht, mit vielen Nachbarn unter einem Dach zu leben – das hat man auch in Spanien erkannt. Ein Porträt eines Landes, das vielfältiger nicht sein könnte.

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ie spanische Verfassung garantiert das „Recht auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen, die Bestandteil der Nation sind“. Ursprünglich sollte dieser Artikel die Einheit und Freiheit manifestieren, die Spanien nach der Franco-Diktatur benötigte. Nach dem Tod Francisco Francos wurde der ehemalige Zentralstaat aufgelockert. Es entstanden 17 autonome Gemeinschaften, vier wurde ein besonderes Maß an Rechten eingeräumt: Katalonien, dem Baskenland, Galizien und Navarra. Dies geht auf Eigenständigkeitsrechte aus dem Mittelalter zurück. Bis heute haben sich eigene Sprachen und Traditionen in den Regionen erhalten. Ein Wunder, denn bis zum Tod Francos 1975 wurde versucht, das Hochspanisch, castellano, in ganz Spanien durchzusetzen. Während der Diktatur waren die Regionalsprachen und lokale Traditonen verboten. Ein Schlag ins Gesicht für alle stolzen Nicht-Kastilier. Ihr bis heute hohes Nationalitätsgefühl wurde von Madrid aus untergraben, der Groll gegen die Hauptstädter wuchs. So hat sich aus der riesigen kulturellen Vielfalt Spaniens eine innere Zerstrittenheit entwickelt. Das zeichnet sich nicht

nur im Alltag der Menschen, sondern auch auf politischer Ebene ab. Regelmäßig tönen Unabhängigkeitsforderungen aus verschiedenen Ecken Spaniens. Vor allem aus Katalonien und dem Baskenland hört man diesen Wunsch. Während die Katalanen nur auf politischer Ebene Druck entfalten, hat das Baskenland seit Jahrzehnten mit einer politischen Terrororganisation zu kämpfen. Die Gruppe Euskadi Ta Askatasuna, kurz ETA, heißt „Baskenland und Freiheit“. Sie wurde in den Jahren der Diktatur gegründet. Ihr ursprüngliches Ziel war der Sturz Francos. Nach dessen Tod spaltete sich der politische Flügel vom radikalen militärischen ab. Dieser versucht bis heute, die absolute Unabhängigkeit der Basken zu erreichen. Bisher tötete die Organisation 800 Politiker und Zivilisten, um die Unabhängigkeit des Baskenlandes durchzusetzen. Spaniens Konflikt ist historisch so verwurzelt, dass man ihn wohl als „Never-Ending Story“ bezeichnen kann. Das Land ist gefangen im ZwieFa b i o C a r d i n a l e spalt.

Der Groll wurde immer größer

Fotos: bisgleich / photocase.com (groß); Privat (o.r.)

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Wer braucht noch Nachbarn? Nachbarn nerven ganz schön, findet Susan Djahangard. Aber ohne will sie auch nicht leben.

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achbarn nerven. Die alte Dame, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun hat, als vor dem Fenster zu sitzen und Protokoll zu führen, wer das Haus betritt und verlässt. Die quäkenden Kinder nebenan, die regelmäßig das große Gezeter mit ihren Eltern anfangen. Die Nachbarn, die meine Gitarrenklänge nicht mögen und nach fünf Minuten Üben sturmläuten. Sämtliche Bewohner, die nicht verstehen, dass man am Wochenende als Student nicht um zehn schlafen geht, sondern gerne mal etwas länger zusammen sitzt und bei Zimmerlautstärke Musik hört. Aber Nachbarn sind auch praktisch. Wenn der Backofen schon vorgewärmt ist, meine Hände voll Kuchenteig sind und mir dann auffällt, dass zwei Eier fehlen, damit aus dem Kuchen noch etwas wird, heute aber ausgerechnet Sonntag ist. Wenn ich ein wichtiges Paket erwarte, dummerweise aber den ganzen Tag in der Uni hänge und den Postboten nicht persönlich empfangen kann. Wenn ich meine Wäsche mal wieder in der Waschküche vergessen habe und höflich daran erinnert werde, dass da bereits „mindestens seit drei Wochen“ meine T-Shirts hängen. Natürlich wenn Semesterferien anstehen, ich im Urlaub oder bei meinen Eltern bin. Nach sechs Wochen würde mein Briefkasten heillos überquellen. Meine Blumen wären vertrocknet, meine Wohnung wäre hoffnungslos verschimmelt, würde niemand regelmäßig gießen und lüften. Eigentlich schade, dass wir immer weniger von unseren Nachbarn wissen, oft gar keine Ahnung haben, wer da hinter der Tür gegenüber wohnt. Wenn wir uns im Treppenhaus treffen, kurz grüßen und schnellstmöglich in unseren vier Wänden verschwinden. Denn trotz allen Ärgernissen: Eigentlich bin ich ganz froh, neben, über und unter mir noch andere Leute zu haben, bei denen ich mal klingeln kann. Nachbarn sind nicht nur hilfreich in verschiedenen Lebenslagen, sie stärken unsere soziale Kompetenz. Aufeinander Rücksicht zu nehmen lernt man selten besser, als wenn man mit vielen anderen in einem Haus wohnt. Ohne Nachbarn wären wir alle Egoisten.

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» ICH WAR SCHON IMMER EIN OPTIMIST « Martin Lempp (57) engagierte sich mehrere Jahre für die Organisation „Aktion Sühnezeichen“ in Israel. Als Freiwilliger und Länderbeauftragter konnte er die kritische Situation vor Ort selbst erleben. NOIR-Autorin Ronja Most traf sich mit dem heutigen Schulsozialarbeiter.

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err Lempp, wie stellen Sie sich Ihren idealen Nachbarn vor? Ich glaube, das Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz spielt dabei eine große Rolle: So viel Nähe, dass man jederzeit vom Nachbarn Eier ausleihen kann, aber auch so viel Distanz, dass die Privatsphäre des Nachbars respektiert wird. Zu einer guten Nachbarschaft gehört aber auch, gemeinsam Projekte aufzubauen, gemeinsam zu essen und gemeinsam Feste feiern zu können. Aber das Wichtigste ist, dass Nachbarn in der Lage sind, zusammenzuarbeiten und gemeinsam Probleme bekämpfen zu können. Dieses Idealbild kann man auf Länder und Völkerebene übertragen. Heutzutage gibt es Konflikte, die alle Länder betreffen. Ein Beispiel dafür ist die fortschreitende Umweltverschmutzung. Nur gemeinsam kann man solchen Problemen Einhalt gebieten.

80 Prozent des israelischen Bodens. Die Palästinenser wurden im Gegenzug immer weiter zusammengedrängt. Von Nachbarn kann man hier nur reden, weil beide Völker nebeneinander leben. Ein Miteinander gibt es fast nicht mehr.

Palästinenser und Juden sind direkte Nachbarn. Aber die Nachbarschaft ist seit mehr als 90 Jahren sehr angespannt. Wie hat sich dieser Konflikt im Nahen Osten entwickelt? Das ist eine sehr lange Geschichte. In Israel gab es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den beiden Völkern. Der tiefere Grund des Konflikts besteht darin, dass das jüdische Volk in den Lebensraum der Palästinenser einwanderte und immer mehr Land für sich beanspruchte. Die jüdische Bevölkerung besitzt heute ungefähr

Aktion Sühnezeichen engagiert sich in vielen Ländern. Warum haben Sie sich gerade für Israel entschieden? Die deutsche Geschichte hat mich schon immer interessiert und nicht mehr losgelassen. Schon im frühen Alter hat uns mein Vater, der Soldat war, seine Kriegstagebücher vorgelesen. Dabei spielte das Thema des Holocaust natürlich eine große Rolle. Ein Freiwilliger von Aktion Sühnezeichen hat in unserer Kirchengemeinde über seine Erlebnisse in Israel berichtet. Von diesem Zeitpunkt an war mir klar,

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Wie stehen Sie selbst zu Israel? Durch die Arbeit bei Aktion Sühnezeichen habe ich fast sechs Jahre in Israel verbracht. 1974 bis 1975 war ich als Freiwilliger und 1999 bis 2002 als Länderbeauftragter von Aktion Sühnezeichen vor Ort. In meiner Freizeit habe ich mich zusätzlich für die Friedensbewegung zwischen Juden und Palästinensern eingesetzt. Aber auch nach meiner Zeit bei Aktion Sühnezeichen war ich immer wieder privat in Israel. Während dieser Zeit habe ich sowohl jüdische als auch palästinensische Freunde für mich gewinnen können.

dass ich mich auch für dieses Thema engagieren möchte. Was genau macht und bewegt Aktion Sühnezeichen vor Ort? Aktion Sühnezeichen arbeitet in 13 Ländern, die unter dem Naziterror leiden mussten. Dazu gehört vor allem auch Israel. Das vorrangige Ziel dieser Organisation ist es, mit den Juden in Israel wieder in Kontakt zu kommen. Das heißt aber auch, dass sich Freiwillige mit allen möglichen Themen beschäftigen müssen, die in Israel eine große Rolle spielen. Dazu gehören die politische und soziale Situation, aber auch verschiedene Religionen und Kulturen Israels. Außerdem arbeitet Aktion Sühnezeichen in Gedenkstätten, die die Geschichte vor dem Holocaust aufarbeiten. Ein weiterer Arbeitsbereich umfasst eine Vielzahl von Sozialprojekten unter anderem mit Geistig- oder Körperbehinderten und psychisch Kranken. Aber auch Verständigungsprojekte zwischen Juden und Palästinensern werden durch Aktion Sühnezeichen ermöglicht. Was gehörte zu Ihren Aufgaben als Freiwilliger? Mein Freiwilligendienst umfasste 18 Monate. Das erste Jahr habe ich mit geistig Behinderten zusammengearbeitet. Ein weiteres Jahr habe ich in einem Kibbuz verbracht. In dieser Zeit habe ich auch Hebräisch gelernt.

Foto: Rahel Künkele


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Wie haben Sie die jüdischen Menschen vor Ort erlebt? Zum Glück habe ich sehr wenige Juden in Israel getroffen, die mit mir als Deutschem Schwierigkeiten hatten. Ich kann mich zum Beispiel gut an die Worte eines Juden erinnern: „Meine ganze Familie ging in Auschwitz durch den Schlot. Das heißt aber nicht, dass ich etwas gegen dich als Deutschen habe. Du bist ein Individuum, ein eigenständiger Mensch. Ich habe erst dann etwas gegen dich, wenn du die gleichen Ansichten wie ein Nazi hast. Man darf nicht nur wegen der Fehler der Vorfahren über Nachkommen voreilig urteilen.“ Mussten Sie auch schwierige Erfahrungen machen? Natürlich. Einmal wollten wir einer ursprünglich deutschen Jüdin Hilfe anbieten. Sie lehnte jedoch ab. Ihre Begründung war, dass sie einmal erleben musste, wie Deutsche zur NS-Zeit ihr einjähriges Kind an den Füßen gepackt haben und den Kopf so lange an die Mauer schlugen, bis es tot war. Der Hass war zu unbegreiflich. Genau aus diesem Grund wollte und konnte sie die Hilfe eines Deutschen nicht annehmen. Solche Erfahrungen waren traurig aber hilfreich, um die Menschen vor Ort besser verstehen zu können. Wie ist Ihnen die palästinensische Bevölkerung begegnet? Die meisten Palästinenser habe ich über die Friedensbewegung kennengelernt. Ich habe sie immer sehr freundlich in Erinnerung gehabt. Trotzdem traf man ab und zu Palästinenser, die seltsame Ansichten über Deutsche hatten. Zum Beispiel ist mir folgende Meinung begegnet: „Schade eigentlich, dass Hitler den Krieg verloren und ihn nicht zu Ende geführt hat. Er hätte alle Juden umbringen müssen.“ Manche konnten es gar nicht verstehen, dass ich

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als Deutscher andere Ansichten über den Zweiten Weltkrieg habe. Der andauernde Konflikt zwischen Palästinensern und Juden macht das Vorhaben von Aktion Sühnezeichen bestimmt nicht einfacher, oder? Wer die Geschichte Israels kennt, weiß, dass das Land geprägt ist von Streit, Hass und brutaler Vernichtung zwischen zwei Völkern. Terroranschläge und das permanente Wegnehmen von Grund und Boden gehören hier zur Tagesordnung. Sowohl die jüdische als auch die palästinensische Bevölkerung arbeiten täglich darauf hin, sich die Lebensbedingungen unnötig zu erschweren. Warum setzt sich Aktion Sühnezeichen für ein besseres Miteinander ein? Ganz einfach: Es betrifft die Menschen in Israel. Aktion Sühnezeichen möchte Kontakt zu diesen Menschen aufbauen. Deswegen muss man sich auch mit herrschenden Konflikten auseinandersetzen, um den Menschen näher zu kommen. Aber Aktion Sühnezeichen versteht sich nicht als politische Friedensgruppe. Sie versteht sich als Gruppe, die aus der deutsch-jüdischen Geschichte gewisse Konsequenzen für die Zukunft zieht. Aktion Sühnezeichen kämpft also gegen Rassismus und Terror. Das darf es einfach nicht mehr geben! Ist ein Projekt dieser Art nicht auch gefährlich? Es gibt bestimmt auch Menschen, die solche Projekte nicht gutheißen. Ich habe dabei wenig Bedenken. Sicherlich gibt es verbohrte Leute, die solche Projekte nicht gut finden. Aber dafür ist die Bewegung wahrscheinlich noch zu klein, um für Andersdenkende eine Gefahr darzustellen. Aber es ist ein Anfang in Richtung Frieden.

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Terror und Gewalt sucht Israel Tag für Tag heim. Das ist bestimmt auch belastend für freiwillige Helfer. Gab es eine Situation, in der Sie einmal richtig Angst hatten? Ich hatte öfters richtige Angst. Einmal erfuhr ich durch das Radio, dass auf dem Obst- und Gemüsemarkt ein Bombenanschlag stattgefunden hatte. Meine Frau wollte gerade zu diesem Zeitpunkt dort einkaufen. Zum Glück war sie schon eine halbe Stunde früher mit ihren Einkäufen fertig gewesen. Aber die Minuten der Ungewissheit werde ich wohl nie vergessen. Was halten Sie von der Art, wie in Israel Konflikte gelöst werden? In meinen Augen ist es gleich schlimm, ob Menschen bei einem Selbstmordattentat oder beim Angriff eines F16 Bombers umkommen. Das ist für die Hinterbliebenen so oder so schlimm. Es muss einen anderen Weg geben. Glauben Sie, dass ein friedliches Zusammenleben zwischen allen Völkern realistisch ist? Ja, davon bin ich überzeugt. Aber ich war schon immer ein Optimist. Meiner Meinung nach wurde die Welt geschaffen, damit sie einmal friedlich sein wird. In meinen Augen ist es die Aufgabe der Menschen, den Frieden zu ermöglichen. Dabei denke ich, dass die Hoffnung der Menschen auf ein friedliches Miteinander nie unterdrückt werden kann. Aber die Konfliktlösung darf nicht über das Vergessen geschehen. Man muss aus Fehlern lernen, die Vorfahren gemacht haben und die Vergangenheit aufarbeiten, um Konflikte in Zukunft friedlich lösen zu können.

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Angesteckt vom Fernweh? Aktion Sühnezeichen Friedensdienste schickt jedes Jahr 180 Freiwillige in die Welt. Infos unter www.asf-ev.de

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NACH DER STILLE Jule Ott und Stephanie Bürger haben keine Ahnung vom Filmemachen. Auch in der arabischen Kultur kennen sie sich nicht aus. Zwei Wochen nach dem Abschluss ihres Studiums fliegen sie ins Westjordanland und drehen einen Dokumentarfilm über die Begegnung einer Israelin mit der palästinensischen Familie des Attentäters, der ihren Mann getötet hat. Im Frühjahr läuft der Film im Kino. Eine Reportage von Julia Klebitz.

Jule Ott und Stephanie Bürger drehten im Westjordanland ihren ersten Film

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s ist nicht die Angst, dass auch sie eine Bombe treffen könnte. Es ist eine unbestimmte Angst, die Jule Ott und Stephanie Bürger an den Flughafen begleitet. Nicht die Angst vor dem Terror, sondern vor dem Fremden. Sie wissen nicht viel über das Westjordanland, Israel und den Nahostkonflikt. Eben das, was man in den deutschen Nachrichten hört: Anschläge, Vorwürfe, Tote, unfassbares Leid – auf palästinensischer und auf israelischer Seite. Dass es kein Abenteuerurlaub wird, wissen beide. Während sie ihre großen Wanderrucksäcke bei der Gepäckaufgabe abgeben, gehen den beiden 27-Jährigen die Fernsehbilder und Erzählungen ihres ehemaligen Dozenten Marcus Vetter durch den Kopf. Der Dokumentarfilm-Regisseur hat sie

nach einem Uniseminar spontan gefragt, ob sie Interesse hätten, für ihn einen Film im Westjordanland zu drehen. Er selbst arbeitet zu diesem Zeitpunkt an einem Filmprojekt und dem Aufbau eines alten Kinos in Palästina, dem „Cinema Jenin“. Pläne für die Zukunft haben die Studentinnen damals nicht. Ohne zu überlegen sagen sie zu. Der Gedanke, dass sie bald bei einem Film in Kinolänge Regie führen würden, war dennoch kaum vorstellbar. Nur zwei Wochen nach ihrem Uniabschluss sitzen sie mit einem kompletten Filmteam im Flugzeug. Knapp fünf Stunden haben sie Zeit, noch einmal darüber zu sprechen, wie die nächsten Wochen ablaufen könnten. Was genau das Team und die beiden Nachwuchsregisseurinnen erwartet, ist ungewiss. Ihr

Fünf Stunden im Flugzeug zum Besprechen

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Film soll die Geschichte der Israelin Yael Chernobroda erzählen, deren Mann bei einem Selbstmordattentat starb und die der palästinensischen Familie Tobassi, aus der der Attentäter kam. Eine Geschichte über Ohnmacht und Schmerz. Und über Begegnung in einem Gebiet, in dem keine Begegnung stattfinden darf. Jahrelang hatte sich Yaels Mann Dov für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Arabern eingesetzt. Als er an einem Märztag 2002 in einem arabischen Restaurant in Haifa zu Mittag isst, explodiert eine Bombe. Sie trifft ihn am Hinterkopf. Der 68-Jährige ist sofort tot. Auch die Familie Tobassi verliert an diesem Tag einen geliebten Menschen: Shadi Tobassi stirbt mit nur 24 Jahren. Er hatte die Bombe gezündet, die 15 Menschen in den Tod riss. Yael Chernobroda will nach dem Tod ihres Mannes dessen Arbeit fortsetzen, sich für Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern einsetzen. Ihr

Foto: cinema jenin


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Mann hatte sich unter anderem mit Yassir Arafat und ebenso mit wichtigen Rabbinern getroffen, um zum Dialog beider Seiten anzuregen. Die Israelin möchte jetzt Kontakt zur Familie des Attentäters aufnehmen, der ihren Mann und sich selbst getötet hat. Jule und Stephanie kennen Yael nicht persönlich. Die Briefe und E-Mails, die sie ihnen geschickt hat, haben die jungen Frauen im Handgepäck. Ob die Begegnung zwischen der Witwe des Israelis und der Familie des palästinensischen Attentäters jemals zustande kommen wird, wissen sie nicht. Sie wünschen es sich. Gerne würden sie einen Beitrag leisten zur Verständigung der beiden Seiten – wenn auch nur einen ganz kleinen. Die Aufgabe, die ihnen bevorsteht, ist anspruchsvoll. Jetzt wird konkret, was an der Universität nur Übung war. Vor ihrer Abreise hatten sie zwei kurze Seminare zu Videoschnitt und Filmdramaturgie. Jetzt haben sie zwar die professionelle Unterstützung einer Kamerafrau und eines Tonmanns, ob das aber ausreicht, um einen Film in Kinolänge zu drehen? Als das Team von Tel Aviv aus quer durch das fremde Land fährt, spielen die

„Wir wollen nicht erklären müssen warum …“ Es geht um die Familien der Hinterbliebenen

Bedenken keine Rolle mehr. Nachdenklich schaut Jule durch das Seitenfenster in die karge, bergige Landschaft und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. In den nächsten Stunden sprechen sie wenig. Jenin, das Ziel ihrer Reise, liegt wenige Meter vor ihnen. Sie erkennen es sofort. Marcus Vetter hatte ihnen vor dem Abflug viele Fotos gezeigt. Unsicherheit bleibt dennoch. Jenin ist eine palästinensische Stadt im israelisch besetzten Westjordanland; nur zehn Kilometer von den Mauern entfernt, die das palästinensische Autonomiegebiet von Israel trennen. Sie gilt als Stadt der Selbstmordattentäter. 60 000 Menschen leben hier, 20 000 davon in Flüchtlingslagern. Fast einen Monat brauchen Jule und Stephanie, um in Jenin ein palästinensisches Mädchen zu finden, das den Mut hat, für sie zu übersetzen. Während der ersten

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Tage laufen die beiden durch die Stadt, schauen sich an, wie die Menschen leben. Die beiden Filmemacherinnen sind positiv überrascht von der Situation vor Ort. Rund um die Stadt sehen sie nie Bewaffnete. Gleich am ersten Tag werden sie von einem Palästinenser zum Kaffee eingeladen. Ob es dem Filmteam gut gehe, fragt er die deutschen Frauen, die als einzige kein Kopftuch tragen. Er freut sich über das Interesse der beiden Deutschen an seinem Land. „Den Menschen dort bedeutet es viel, wenn man Jenin besucht und sich ein eigenes Bild macht von der Stadt und ihren Bewohnern. Die Medien zeigen Jenin nur als Hochburg des Terrorismus“, sagt Stephanie. Immer wieder besuchen die beiden auch die Familie Tobassi, erzählen von ihren eigenen Familien und von Deutschland, schauen gemeinsam alte Videoaufnahmen des Sohns, der zum Attentäter wurde. Oft sitzen die beiden auch einfach neben ihnen und nehmen an ihrem Leben teil. Ganz ohne Kamera und Dolmetscherin. Es dauert, bis die Europäerinnen das Vertrauen der Familie gewonnen haben. Die Tobassis können selbst nur Vermutungen anstellen, warum ihr Sohn sich in die Luft gesprengt hat. Gesagt hat er niemandem etwas. Würde an die Öffentlichkeit kommen, dass die Familie etwas geahnt hätte, würden sie Gefahr laufen, bestraft zu werden. Die Angst, Jule und Stephanie könnten Spioninnen sein, ist deshalb groß. Die israelische Armee hatte nach dem Attentat das Erdgeschoss des Familienhauses zerbombt. Jule und Stephanie glauben dem Vater des Selbstmordattentäters: Er ist selbst streng religiös und beteuert immer wieder, er habe nichts geahnt von den Plänen seines Sohnes. Der Schmerz über den Verlust und der Wunsch nach Versöhnung und Frieden sind es, die Zakaria Tobassi, den Vater des Attentäters, und Yael Chernobroda, die Witwe des Opfers, verbinden. So schlägt der Vater vor, dass Yael ihn anrufen oder treffen könne. Je mehr Zeit die jungen Regisseurinnen mit ihren Protagonisten verbringen, desto mehr glauben sie an ihren Film und seine Aussage. „Wir wollen nicht erklären müssen, warum Shadi Tobassi sich und 15 weitere Menschen umgebracht hat. Es soll ein Film werden, der Einblick in die

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Gefühlswelt der Hinterbliebenen gibt“, sagen sie. Auch für Gespräche und Dreharbeiten mit Yael nehmen sie sich viel Zeit: Drei Monate verbringen sie bei ihr in Haifa. Solange, bis sie endgültig den Mut aufbringen kann, die palästinensische Familie zu treffen. Die Familie des jungen Mannes, der ihren Dov getötet hat. Nach über einem halben Jahr kommt das Treffen zustande. Es verläuft gut. Sie reden über die Kinder, über Shadi und Dov, über ihre Gefühle und die Zukunft. Nicht über Gründe und Rechtfertigungen für das Geschehene. Die Tobassis haben sogar die riesige Fotografie des Sohnes im Wohnzimmer abgehängt. Es hat sie Überwindung gekostet, das Bild durch einen Auszug aus dem Koran zu ersetzen. Ihren Sohn wollen sie nicht verleugnen. Der Israelin Yael aber auch nicht zumuten, in das Gesicht des Mörders ihres Mannes schauen zu müssen. Die Regisseurinnen halten sich während des Treffens im Hintergrund. Sie fühlen, wann sie sich in die Gespräche einklinken können und wann sie den Dingen ihren Lauf lassen müssen. Mit 160 Stunden Filmmaterial fliegen Jule und Stephanie ein halbes Jahr nach ihrer Ankunft zurück nach Deutschland. Mit dem Wissen, dass ihnen eine große Chance gegeben wurde: „Uns wurde zugetraut, einen 90-minütigen Dokumentarfilm zu drehen. Wir hatten den Luxus, mit einem in der Filmbranche seltenen Gut zu arbeiten: Zeit. Und wir hatten die Rückendeckung eines erfahrenen Regisseurs. Wir konnten unserer Idee vertrauen.“ Noch im Flugzeug beschließen die Filmemacherinnen Jule Ott und Stephanie Bürger, wieder nach Jenin zu kommen. Wegen der Freundschaften, die sie geschlossen haben, aber auch, um die behutsame Annäherung von Palästinensern und Israelis weiter zu unterstützen.

Sie könnten Spioninnen sein

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Filmtipp Die Cinema Jenin Produktion „After the Silence“ kommt im Frühjahr in die Kinos. Regie: Stephanie Bürger, Jule Ott; Produzent: Marcus Vetter, Fakhri Hamad

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DAS LAND

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Über den Krieg zu sprechen, ist schwierig in Bosnien-Herzegowina. Die Menschen wollen vergessen und ihr Leben in Frieden genießen. Doch die Wunden der Vergangenheit sind noch längst nicht verheilt.

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äuserruinen, zerfetzte Betonfratzen und Fassaden, die übersät sind mit Einschusslöchern. Die Kämpfe um die Grenzlinie, die Schüsse, Schreie und Toten sind verschwunden, seit 15 Jahren. Aber die Häuser tragen noch die Narben dieser Zeit hier in Mostar, einer der größten Städte Bosnien-Herzegowinas. Seit dem Bosnienkrieg war die Stadt geteilt. Heute ist die Teilung offiziell aufgehoben, doch die Vergangenheit ist noch immer sichtbar: Westlich des Flusses Neretva leben vor allem Kroaten, östlich vor allem Bosnier. Heute finden die Einwohner in der Stadt alles doppelt. Auf beiden Seiten die selben Supermärkte und Kleidungsläden, eine kroatische und eine bosnische Post, je eine Universität und ein Elektrizitätswerk. Die Bewohner bleiben meist auf ihrer Seite, bewegen sich nur in ihrer Hälfte der Stadt. Von Schlägertrupps ist die Rede, die nachts an dieser Grenzlinie entlang gehen. Sie halten Menschen an, die die Straße überqueren und fragen, zu welcher Ethnie man gehöre. Ist es die falsche, komme man nicht unbeschadet zurück. Nach dem Krieg wurden aus der Djemal Bijedic Universität zwei Institute gemacht. Die Universität mit den bosnischen

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Professoren wurde auf die andere Seite des Ufers verlegt. Hier treffe ich Dorothee Baumann, die Lektorin der Robert-BoschStiftung. Mit ihr unterhalte ich mich über die Stadt. Ein Wort benutzt sie oft: „pragmatisch“. Es gäbe zwar eine Teilung der Bevölkerung, aber nicht nach Ethnien, sondern in Menschen, die Beziehungen haben und so leichter an Jobs und Geld kom-

Dorothee Baumann ist Lektorin in Mostar

men und andere, die arm sind und diese Beziehungen nicht haben. Pragmatisch sei das Verhalten der Menschen, nicht auf die andere Seite der Stadt zu gehen. Das sei eher unbewusst: „Wenn in einer Stadt alles doppelt vorhanden ist, dann geht man

für eine Dienstleistung nicht ans andere Ende der Stadt. Das hat sich so eingespielt, aber nicht weil man Angst haben müsste.“ Etwas ändern würde sich nur, wenn die Stadtentwicklung anders geplant würde. „Aber daran besteht kein Interesse, viele Menschen verdienen an der Teilung. Wie sonst könnte man sich in einer Stadt zwei Elektrizitätswerke leisten?“, meint sie und nimmt einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. Die Berichte von Überfällen auf Menschen anderer Ethnien müsse man pragmatisch sehen. „Von solchen Vorfällen wird viel mehr erzählt, als dass sie wirklich passieren.“ Die Thematisierung der Trennung erfolge vor allem bei der Bewerbung um Arbeitsplätze. „Dann hört man schon mal: Ach, da brauch ich mich gar nicht zu bewerben! Der Chef der Firma ist Kroate, der nimmt mich sowieso nicht.“ Vom Campus der Universität gehe ich durch die Altstadt. Die kleinen Häuschen aus weißen, glatt geschliffenen Steinen bieten einen starken Kontrast zu dem türkisblauen Fluss, darüber die Brücke Mostars. Erbaut wurde sie im 16. Jahrhundert, um den damals überwiegend christlich dominierten Westen der Stadt mit dem größtenteils muslimischen Osten zu verbinden.

Fotos: Sophie Rebmann


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1993 wurde sie jedoch durch Kroaten im Krieg zerstört und erst 2004 rekonstruiert. Ein paar Steinquader der alten Brücke blieben in Flussnähe liegen. Die Brücke zeugt davon, dass das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Nationen in diesem Land einst möglich war. Die Anzahl der Mischehen vor dem Krieg lag bei 20 Prozent. Nun hört man von Fällen, in denen Jugendliche mit ihren Eltern Probleme bekamen, weil sie eine Mischbeziehung eingingen. Trotzdem sieht man in keinem anderen Land Europas so viele verschiedene Gotteshäuser wie in Bosnien: In der Hauptstadt Sarajevo stehen christliche Kirchen neben orthodoxen, von denen man auf die Kuppel einer jüdischen Synagoge blicken kann, während nicht weit entfernt der Muezzin vom Minarett ruft. In Mostar stehen auf der einen Seite die Moscheen, auf der anderen die katholischen Kirchen, dazwischen die Frontlinie. Wie eine unsichtbare Wand türmt sie sich auf, durchläuft Mostar und geht weiter; durchzieht den Alltag und die Gedanken der Menschen im Land. Eine rote Linie zieht sich über die Landkarte, entlang der nördlichen Grenze Bosiens und fällt dann ab Richtung Südosten. Sie teilt das Land auf den ersten Blick in zwei Teile, und hat es doch bis ins Landesinnere geschafft. Religion, Sprache, Schulen, Universitäten, Politik und Geschichtsauffassung teilt sie. Seit 1995 besteht Bosnien-Herzegowina aus zwei Teilstaaten (Entitäten). Beide stellen jeweils eine eigene Regierung und eine eigene Verfassung, jede der Volksgruppen hat zudem einen eigenen Präsidenten, die rotierend alle sechs Monate wechseln. „Entitäten, was ist das schon?“, erbost sich der katholische Bischofsvikar Anton

Der katholische Bischofsvikar Anton Orlovac

Orlovac in Banja Luka, der Hauptstadt der Serbischen Republik. „Das ist kein Name! Wenn es keinen Namen für etwas gibt, und man ihn erst erfinden muss, muss doch klar sein, dass etwas nicht stimmt!“ Sein Gesicht nimmt nach der kurzen

Fotos: Sophie Rebmann

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Aufregung wieder ruhige Züge an. Wir sitzen im Bischofssitz, keine 500 Meter entfernt vom Regierungsgebäude, wichtigen NGOs und dem ehemaligen Gebäude des deutschen und französischen Konsulats. Am Tor vor dem Haupteingang zur katholischen Kirche eine Jesusfigur mit ausgebreiteten Armen. „Mir Vama“, Friede euch, steht darunter. Aber sie steht alleine, das Haupttor bleibt verschlossen und trennt die Figur von den Besuchern. Die Grenzlinie steht hier hoch aufgerichtet in Form eines eisernen Gartenzaunes. Bemüht sich die katholische Kirche um ein gutes Miteinander der Religionen? „Für die Liebe braucht man zwei, wissen sie?“, antwortet der Bischofsvikar. Er gibt dem orthodoxen Bischof die Schuld für die mangelnde Mitarbeit und fügt hinzu: „Aber wissen Sie, der Krieg hat den Leuten viel angetan.“ Etwas später erzählt Orlovac von den Erlebnissen der Kriegsjahre. Davon, wie mehrere Kirchen in die Luft gesprengt wurden, wie der Bischof acht Monate lang unter Hausarrest stand und wie er die Explosion seines Pfarrhauses nur über-

Kinder lernen meist nur mit Kindern ihrer eigenen Ethnie lebte, weil er zuvor schon lange bei einem Freund übernachtet hatte. Er berichtet, dass acht Pfarrer und eine Schwester einfach so umgebracht wurden und betont, dass trotz alledem kein katholischer Priester vor 1992 das Land verlassen habe: „Wir blieben bei den Gläubigen, flohen nicht, bevor sie flohen.“ 1995, nach der Sprengung seines Wohnhauses, floh auch er aus dem Land nach Kroatien, wo er Gemeinden katholischer Flüchtlinge aus Bosnien betreute. Orlovac ist einer von zwei Millionen Menschen, die in Bosnien entweder innerhalb des Landes, in einen anderen Teil oder direkt nach Kroatien, Deutschland, Schweden oder Frankreich flohen sind. Irgendwann wechselt er das Thema, und es legt sich wieder eine Decke aus Stille über die Kriegsereignisse. Sie wird nur sehr selten angehoben, weil die Wunden der Menschen zu groß sind,

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und das Schweigen es leichter macht, mit ihnen zu leben. Selbst in den Schulen wird die Vergangenheit so erzählt, dass sie weniger schmerzhaft wirkt: Dort lernen die Kinder meist nur mit Kindern ihrer eigenen Ethnie. Möglich machen dies die Unterschiede in der Sprache. Doch selbst die eigene Geschichte lernen sie, gefärbt und geschönt nach Belieben der politischen Elite ihrer Ethnie, so dass sie ihre Nation am besten dastehen lässt.

Professor Mile Lasic lebte lange in Deutschland

Aus demselben Grund seien auch die Universitäten getrennt, glaubt Professor Mile Lasic. „Die Politiker jeder Nationalität wollen Intellektuelle für sich ausbilden, die ihre eigene Sichtweise darstellen.“ Es wird lange dauern, die Universitäten wiederzuvereinigen, schätzt er. Als junger Diplomat kam er 1991 nach Bonn und legte kurz darauf, bei Kriegseinbruch in der Jugoslawischen Republik, sein Amt nieder. „Ich wollte kein Diplomat eines Landes sein, das Kriegsverbrechen begeht.“ Etwas später wurde er für zwei Jahre Diplomat der Botschaft Bosnien- Herzegowinas und holte seine Familie nach. Auch dort musste er weg, da er zu keiner Partei gehörte. „Es ist sehr schwer, parteilos zu sein und zu niemandem zu gehören, in einem Land, in dem alles verteilt ist und alle irgendwem angehören.“ So begann er, als Lagerarbeiter in Deutschland für den Familienunterhalt zu sorgen und schrieb nebenher Berichte und Essays, die er an deutsche Zeitungen weitergab sowie nach Sarajevo und Belgrad schickte. 18 Jahre lang blieb er in Deutschland, erst nach zwei Herzinfarkten wurde ihm klar: „Deutschland ist ein wunderschönes Land. Aber als ich nach Deutschland kam, war ich schon zu alt, um es mein Land werden zu lassen.“ Mile Lasic beschließt, ins Familienhaus bei Mostar zurückzukehren. Er wird Professor an der kroatischen Universität in Mostar. Dort löst er einige aus Not

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angestellten Lehrkräfte ab, die Politik auslegen, ohne es studiert zu haben. An beiden Universitäten bestehe ein Mangel an gut ausgebildeten Professoren. Sie würde sich bei einer Zusammenlegung keine Konkurrenz machen. Aber die Politiker wollen lieber ihre eigenen Vorteile sichern. Dies sei das generelle Problem der Politik: Statt Kompromisse wie einen multiethnischen Staat anzustreben, versuchen die Politiker das Interesse ihrer eigenen Ethnie durchzusetzen. „Wir verstehen das Konzept des Kompromisses und der Zusammenarbeit nicht in Bosnien“, beklagt er sich. Ana Maria Zadro, Schülerin der Abschlussklasse des United World College Mostar (UWC) hat es gelernt. Sie ist eine von 100 Schülern, die gemeinsam lernen und leben. Mit ihr sind neben Schülern aus der ganzen Welt auch zehn bosnische und zehn kroatische Schüler im Projekt. Sie scheint ein wenig schüchtern zu sein, spricht leiser und mit schwächerem Englisch als die anderen. „Mit der Grenze im Land und in den Köpfen wachsen die Menschen hier auf“, sagt sie. „Es kommt wie das Sprechen, ich habe das nie direkt gelernt. Es ist einfach da und ganz natürlich!“ Erst wenn Ausländer im Land sind, würden die Menschen bemerken, dass die Teilung nicht selbstverständlich sein kann. Bis vor kurzem war sie in ihrem Leben nur ein paar Mal auf der bosnischen Seite. Sie kannte die Menschen dort nicht, hatte Angst, dass ihr etwas passieren könnte. Über das UWC-Programm wohnt sie nun auf dieser Seite, lebt, isst und lernt mit bosnischen Mitschülern und hat auf dieser Seite der Stadt mehr Freunde. Seit

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dieser Zeit sei diese Grenze in den Köpfen für sie eingestürzt. Nun bringt sie Freunde und Familie auf die andere Seite, um sie davon zu überzeugen, dass die Menschen hier nicht schlimm sind. Später möchte sie Diplomatin werden oder in der Wirtschaft arbeiten, um den Menschen in ihrem Land zu helfen und zu zeigen, dass es auch andere Länder gibt, in denen die Menschen unter Krieg litten, sich aber später aufrappelten und lernten, weiterzuleben. Um wieder in Frieden zu leben, brauche es vor allem „sehr, sehr viel Zeit“ sagt sie. Auch Professor Lasic will seinen Landsleuten weitergeben, was er im Ausland gelernt hat. Die deutsche Geschichte sei wichtig für Bosnien. „Für uns gibt es keine wichtigere Nation, keine wichtigere Kultur als die deutsche, weil kein anderes Land es geschafft hat, so schnell so viel besser zu werden und sich friedlich zu vereinen.“ Er versucht, bei seinen Studenten anzusetzen und benutzt die Medien gleichzeitig als Sprachrohr für seine Sichtweise. „In den vergangenen Monaten habe ich hunderte Interviews gegeben“, sagt er von sich, „das ist anstrengend, aber ich kenne das Spiel: Um dabei zu bleiben, darf ich nicht aufgeben, auch wenn es anstrengend ist, denn das ist die einzige Möglichkeit, im Spiel und an der Öffentlichkeit zu bleiben.“ Er wirkt geübt im Umgang mit der Presse, hat am Tag zuvor ein Interview für einen großen Fernsehsender gegeben, macht während unseres Gesprächs per Handy ein weiteres Treffen aus und redet oftmals in zurechtgelegten, großen Metaphern. Auf den ersten Blick ist das ein Traum für jeden Journalisten, auf den zweiten etwas

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ernüchternd, weil klar wird, dass er diese Worte an viele richtet und sie schon im Kopf bereitgelegt zu haben scheint. Doch wie könnte die Zukunft des Landes aussehen? Lasic stöhnt kurz auf. Die einzige Überlebenschance für sein Land sei der EU-Beitritt und eine ständige Präsenz der internationalen Organisationen in Bosnien. Nur sie könnten die Politiker durch Druck zu nötigen Reformen zwingen. „Wenn der Druck wegfallen sollte, ist nicht auszuschließen, dass die politische Elite das Land in drei Teile teilt. Dann kommt es zu einer Katastrophe wie der vor 20 Jahren.“ Die Familie fehlt ihm, doch er sei „froh zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Momentan befinden wir uns aus politischer Sicht in einer gefährlichen Situation. Wir stehen still und es ist unklar, wohin wir gehen werden, aber ich will diesen Prozess mitformen.“ Er hofft darauf, dass die Politiker und ausländische Institutionen neue, noch unbekannte Impulse geben, die das Land aus dem politischen Stillstand weiterbewegen. Der Fluss der Zeit fließt türkisfarben weiter, überquert die Grenze mitten in der Stadt mit unbeschwerter Leichtigkeit. Ich sitze in einem Café neben der Brücke, schaue auf ihn herab und genieße die Sonnenstrahlen, denen der morgendliche Nebel weicht. Erst wenn ich aufstehe, werde ich bemerken, dass meine Tasche neben dem Mülleimer auf einem der alten Brückensteine stand. „Don‘t forget 1993“, steht da. Wann wird es dazu kommen? Sophie Rebmann

Foto: Sophie Rebmann


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Impressum

NOIR Intern

NOIR ist das junge Magazin der Jugendpresse BadenWürttemberg e.V.

nsleben Meldungen aus dem Redaktio

Ausgabe 19 – März 2011

Herausgeber

Die NOIR ist schon eine richtig alte Dame: Mit diesem Exemplar haltet ihr die letzte Ausgabe der NOIR als Teen in den Händen. Ab der nächsten Ausgabe wird die NOIR erwachsen - seid gespannt, wie es mit der NOIR als Twen weitergeht. Weil es schwierig genug ist, die 2 in der Altersangabe zu akzeptieren, lassen wir der NOIR eine Ausgabe Zeit, sich daran zu gewöhnen. Mit Ausgabe 21 bekommt die NOIR ihr Geburtstagsgeschenk – seid gespannt! Nur so viel wird verraten: Das Team arbeitet gerade mit Hochdruck daran, die NOIR als Twen nicht alt aussehen zu lassen. Eure Geburtstagswünsche nimmt die Redaktion gerne unter redaktion@noirmag.de entgegen.

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Jugendpresse Baden-Württemberg e.V. Fuchseckstraße 7 70188 Stuttgart Tel.: 0711 912570-50 Fax: 0711 912570-51

www.jpbw.de buero@jpbw.de

Chefredaktion Anika Pfisterer anika.pfisterer@noirmag.de (V.i.S.d.P., Anschrift wie Herausgeber) Miriam Kumpf miriam.kumpf@noirmag.de Andreas Spengler andreas.spengler@noirmag.de Susan Djahangard susan.djahangard@noirmag.de

Chef vom Dienst Alexander Schmitz alexander.schmitz@noirmag.de

Lektorat Dominik Einsele

dominik.einsele@noirmag.de

Redaktion

Ältere NOIR, , jüngeres Team neuer Posten

Andreas Hensler (ah), Anika Pfisterer (apf), Fabian Vögtle (fv), Fabienne Kinzelmann (fk), Fabio Cardinale (fca), Julia Klebitz (jk), Laura Ilg (li), Miriam Kumpf (mk), Nicole Beer (nb), Ronja Most (rm), Sanja Döttling (sdl), Silke Brüggemann (sbr), Sophie Rebmann (srm), Susan Djahangard (sd) redaktion@noirmag.de

Anzeigen, Finanzen, Koordination Sebastian Nikoloff sebastian.nikoloff@noirmag.de

Layout & Art Director Tobias Fischer

Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Die NOIR wird älter, das Team verjüngt sich: Anika unterstützt ab sofort die Chefredaktion. Gemeinsam mit Andreas und Susan plant sie Redaktionssitzungen, erstellt Themenpläne, verschickt Mails und feedbackt Texte. Damit die Frauen in der Chefredaktion nicht Überhand nehmen (sonst brauchen wir für Andreas wirklich noch einen Männerbeauftragten!), zieht sich Miriam aus der Chefredaktion zurück. Aber weil es ganz ohne NOIR nicht geht, betreut sie die NOIR ab jetzt als Vorstand. Damit organisatorisch in Zukunft alles rund läuft, ist außerdem Alexander als Chef vom Dienst (CvD) eingestiegen. Als Schnittstelle zwischen Chefredaktion, Layoutern, Autoren und Druckerei kümmert er sich um alle organisatorischen Belange. Sein Schreibtisch in unserem Büro in Stuttgart steht dafür genau an der richtigen Stelle. Herzlich willkommen an die beiden Neuen im Team!

Illustration: Simon Staib

tobias.fischer@noirmag.de

Layout-Team Luca Leicht, Carolina Schmetzer, Simon Staib, Paul Volkwein layout@noirmag.de

Titelbilder claudiarndt / photocase.com (Titel) Julia Vogt, jugendfotos.de (links) Sophie Rebmann (mitte) Linh Vu Phuong, jugendfotos.de (rechts)

Druck Horn Druck & Verlag GmbH & Co. KG, Bruchsal www.horn-druck.de NOIR kostet als Einzelheft 2,00 Euro, im Abonnement 1,70 Euro pro Ausgabe (8,50 Euro im Jahr, Vorauszahlung, Abo jederzeit kündbar). Bestellung unter der Telefonnummer 0711 912570-50 oder per Mail an abo@noirmag.de. Für Mitglieder der Jugendpresse BW ist das Abonnement im Mitgliedsbeitrag enthalten.

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MEIN OPA, DER STREBER Hoch lebe Frau Schmitzke! Drei Stunden wohnte ich in meiner neuen Wohnung, als es klingelte. Vor mir stand eine ältere Dame und schleuderte mir entgegen: „Sie haben den Müll falsch entsorgt!“ So herzlich hatte ich mir eine Begrüßung vorgestellt. Aber das war erst der Anfang. Die Beziehung zu meiner Nachbarin Frau Schmitzke ging genauso weiter: Ich ließ zu Unrecht meine Schuhe im Hausflur stehen, hörte fälschlicherweise Musik, schloss die Haustüre nicht korrekt ab. Nach kürzester Zeit waren mir meine restlichen Nachbarn, unsichtbar und unbekannt, lieber. Frau Schmitzke mit ihrem Rauhaardackel, ihrem Ordnungsfimmel und Überwachungsdrang ging ich aus dem Weg. Bis ich nachts nach Hause kam und vor unserem Haus ein Polizeiauto stand. Am offenen Fenster lehnte Frau Schmitzke. „Kind, warst du nicht da?“, rief sie. „Die ganze Familie, abgeführt.“ Meine Nachbarn, die ich noch nie gesehen hatte? Wie gruselig. Ich verschanzte mich hinter dem Türspion, zu sehen gab es nichts. Frustiert ging ich ins Bett und hatte keine Ahnung, was passiert war. Hatte ich mit bösartigen Mördern zusammengewohnt? Plötzlich freute ich mich, dass Frau Schmitzke im Haus war. Ich wusste, das sie hier den Überblick behielt. Ich drehte abends die Musik runter und lernte, den Müll zu trennen. Plötzlich höre ich sogar „einen schönen guten Morgen“, wenn ich das Treppenhaus betrete und meine Lieblingsnachbarin mir entgegenkommt. Susan Djahangard

Mein erstes Mal …

... im ICE aus München

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Vor einem halben Jahr hat Noir-Autorin Fabienne Kinzelmann die Umzugskartons zu ihrem Opa nach Stuttgart geschleppt. Nun wird sie nicht nur liebevoll umsorgt, sondern muss sich auch an die vielen Eigenarten ihrer Großeltern gewöhnen.

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o, und wann schreiben wir nochmal Abitur?“ Ich verschlucke mich fast an meinem Kräutertee, als Opa am Frühstückstisch mit ernster Miene seinen Terminkalender zückt und akribisch die schriftlichen Prüfungen einträgt. Er ist entsetzt, dass ich die selbst gar nicht so genau weiß. Opa hingegen kennt meine Schultage besser als ich: ER weiß, welche Lehrer öfters mal krank sind, hat mit meiner Literatur-Lehrerin Kaffee getrunken und erinnert mich an wichtige Termine wie mein Abitur – pardon, unser Abitur. Denn wie in jeder richtigen WG teilt man Dinge und ich so mit meinen Großeltern meinen Schulalltag. Dadurch bekomme ich nicht nur zwei sehr verständnisvolle (wenn auch knapp 70 Jahre ältere) Klassenkameraden dazu, sondern auch den Klassenstreber in Person: meinen Opa. Für das Kunstprojekt leiht er mir Schere und Klebstoff, für die Matheklausur ein Geodreieck. Dass ich keinen Ordner führe, löst bei ihm ein regelmäßiges Augenrollen aus – mein schlechtes Zeitmanagement am Morgen dagegen eine heimliche Zufriedenheit über seine eigene Pünktlichkeit.

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ein erstes Mal im ICE von München nach Stuttgart. Der Zug ist pünktlich, dafür funktioniert keine einzige Toilette mehr. Gut, dass die Fahrt nur zweieinhalb Stunden dauert. Ich ergattere mir einen Platz an einem Vierertisch und mache es mir gemütlich. In Augsburg setzt sich ein älterer Herr mir gegenüber. Aus seiner Aktentasche zieht er eine Klarsichtfolie mit sorgsam ausgeschnittenen Zeitungsarti-

Außerdem haben meine sonst so reiselustigen älteren Herrschaften doch tatsächlich ihren nächsten Urlaub erst auf die Zeit nach dem Schriftlichen gelegt. Sie wollen sichergehen, dass ich gerade in „diesen wichtigen Tagen“ ja nicht ohne Frühstück aus dem Haus gehe. Und Opa hat wohl einfach Angst, irgendetwas zu verpassen. Nur was? Falls er sich selbst unbedingt mal mit Formelsammlung und GTR herumschlagen will: Bitte, immer gerne. Ich kann getrost darauf verzichten, während er jeden Tag eifrig fragt, was wir denn gerade durchnehmen. Wenn er will, darf Opa mir auch gerne die nervige Abivorbereitung abnehmen, gar kein Problem. Vielleicht sollte ich ihm anbieten, während meines Mathe-Abis Händchen zu halten. Bin gespannt, ob das vom Kultusministerium als Betrugsversuch sanktioniert wird. Mein schlechtes Gewissen, weil meine Großeltern meinetwegen jeden Tag früher aufstehen, habe ich begraben. Hörte ich doch Opa neulich sichtlich stolz verkünden: „Ich lebe ja mittlerweile nach Stundenplan.“

keln. Vorsichtig nimmt er den ersten Artikel aus der Hülle, legt ihn auf den Tisch und beginnt zu lesen. Hin und wieder hält er inne und macht sich mit einem Bleistift Notizen, unterstreicht Wörter und Satzteile. Wenn ich Zeitung lese, dann ist die Zeitung hinterher nicht mehr als solche zu erkennen. Kurz vor Stuttgart frage ich ihn, warum er die Zeitung so aufwändig liest. Er schaut auf und antwortet: „So kann ich mir das besser merken.“ Ich wünsche noch einen schönen Tag, packe mein Gepäck zusammen und denke, dass es manchmal besser ist, nicht nachzufragen: Viele Ereignisse wirken ohne Erklärung spannender. Sanja Döttling

Fotos: christian / jugendfotos.de (oben), krockenmitte / photocase.com (unten)


Endlich ein neues Abenteuer mit dem Meisterdieb

Was ist los mit Artemis?

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ie Elfe Holly erkennt den legendären Meisterdieb nicht wieder. Der sonst so smarte Artemis leidet an einer seltsamen Krankheit. Er ist plötzlich abergläubisch und zwanghaft auf die Zahl Fünf fixiert. Außerdem hat er sich unsterblich in Holly verliebt und treibt sie damit in den Wahnsinn. Doch es kommt noch schlimmer …

O n l in e

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© Nikolaus Heidelbach

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