NOIR - Ausgabe 28: Außenseiter

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Ausgabe 28 (November 2012) www.noirmag.de

Außenseiter Auf der Flucht oder voll im Trend? Reportage

Lifestyle

Thema

Angst vorm Arzt: Illegale im Gesundheitssystem

Bahnhofs-Orakel: Was der Koffer über uns verrät

So ticken die Außenseiter von heute


Foto: Martin Knorr


Editorial

Apopudobalia

Soll eine Entscheidung gefällt werden, kann eine große Gruppe Gift sein. Sie droht, die Meinungen zu verzerren. Ein Vorredner gibt den Ton an und im Sitzkreis hagelt es die Ditos und Amen. Nach dem Motto: Wenn der das sagt und keiner widerspricht, muss es ja stimmen. Die »peinlichen« Einwände im Hinterkopf verpuffen unisono. Manchmal wäre es besser, sie blieben. Mischa Meier, Professor für Alte Geschichte, hat in dem Lexikon »Der Neue Pauly« einen Fantasieartikel über Fußball in der Antike verfasst: das sogenannte Apopudobalia. Die frühe Vorform des neuzeitlichen Fußballspiels habe es bis nach Rom geschafft. Im vierten Jahrhundert verbannte das frühe Christentum die Sportart schließlich trotz ihrer großen Beliebtheit. Jedes Wort hat Meier sich feierlich an den Haaren herbeigezogen und hat wie Rumpelstilzchen triumphiert. Andere Wissenschaftler haben den Eintrag kommentiert, alles Mögliche kritisiert und angezweifelt, nur nicht Apopudobalia selbst. In Parlamenten, im Radio, in der Wissenschaft, in der Mode, ja selbst im Journalismus gibt es genau ein Rezept: Kopf an – und zwar den eigenen. Anika Pfisterer, Chefredakteurin

aUS DEM rEDAKTIONSLEBEN …

Corinna Vetter lernte den syrischen Aktivisten Ibrahim auf einem Workshop für europäische und arabische Journalisten kennen. Nach ihrem Interview mit ihm gab es für alle Teilnehmer eine riesige Party. Der Ernst des Lebens und die nächste Feier sind manchmal nur eine Haaresbreite entfernt. Interview ab Seite 12.

Markus Erdlenbruch macht seit September sein FSJ Kultur bei der Jugendpresse BW. Wäre er Arzt, würde er auch Menschen behandeln, die den »falschen« Pass in der Hosentasche haben. Auch ohne weißen Kittel und Stethoskop macht er auf die Missstände im Gesundheitssystem aufmerksam: ab Seite 7.

Wenn Lisa Kreuzmann ihre Brille aufsetzt, hat sie damit nicht nur den Durchblick gewonnen – auch ein Stempel ziert nun ihre Stirn  … äh Nase: Nerd! Ist Lisa ein Nerd? Welchen Durchmesser brauchen Brillengläser, um seinen Träger auszugrenzen? Was macht ihn aus, den Außenseiter 2012? Thema ab Seite 4. NOIR Nr. 28 (November 2 012)

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Inhalt

Inhaltsübersicht

03 Titelthema

16 Querbee t

14 Lifest yle

0 8 Reportage

01 03 04 07

Editorial. RedaktionsGeschichten Titelthema. Die hilflosen MOBBINGOPFER Titelthema. OUTSIDER SIND DIE NEUEN INSIDER

Kommentar. ANDERS SEIN ALS DIE ANDEREN

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Reportage. Illegale im GESUNDHEITSSYSTEM

Reportage. WAS DAS GEPÄCK ÜBER EINEN VERRÄT Interview. Die Angst ist verschwunden

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lifestyle. To-Do-Liste für den Winter querbeet. Aschenbecher küssen Impressum. Wer steckt hinter NOIR


Titelthema

Jung, dynamisch und gemobbt Der Streber, der von seinen Klassenkameraden fertig gemacht wird – das typische Mobbingopfer? Falsch gedacht! Gemobbt werden besonders Berufsanfänger und Fast-Rentner. Silke Brüggemann berichtet über die kaum erkannten Mobbingopfer. Text: Silke Brüggemann | Layout: Jan Zaiser

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er Einstieg in die Arbeitswelt ist eigentlich schon schwer genug: eine neue Umgebung, unbekannte Kollegen und neue Aufgaben. Und genau dann ist man ein besonders gefährdetes Mobbingopfer. Das zumindest ist das Ergebnis des Mobbing-Reports der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Das typische Mobbing-Opfer steht kurz vor der Rente oder ist gerade in der Ausbildung beziehungsweise beim Einstieg ins Berufsleben. Berufsanfänger sind deshalb so gefährdet, weil sie nach den neusten Standards ausgebildet sind und sehr engagiert zeigen wollen, was sie können – das macht sie zur Gefahr für ihre routinegeschädigten Kollegen. Offiziell wird Mobbing als ein hoch eskalierter Konflikt definiert, bei dem es regelmäßig Angriffe auf eine Person gibt. Diese Person wird in eine unterlegene Position gebracht, mit dem Ziel, sie auszugrenzen. »Umgangssprachlich wird der Begriff › Mobbing ‹ zu oft verwendet, da muss man unterscheiden«, sagt Martin Zahner, der für die Katholische Betriebsseelsorge an der Mobbinghotline Baden Württemberg verantwortlich mitarbeitet. »Einmalige Hänseleien sind noch kein Mobbing.« Wer mobbt, hat immer ein Motiv: Neid, Machtsicherung oder Rache. Der Mobber versucht, das Opfer un-

fähig erscheinen zu lassen, indem er seine Fachkompetenz angreift – und damit direkt die Person. Die »besten« Mobber sind erstaunlicherweise Frauen im sozialen Bereich. Sie haben ein hohes Maß an Sozialkompetenz und können das als Waffe einsetzen. Wer wirkungsvoll mobben will, sollte das Opfer genau einschätzen können. So kann man die Stellen treffen, an denen psychische Angriffe am meisten wehtun. Dabei sind Mobbing-Opfer oft nicht schwach, sondern starke Persönlichkeiten und fachlich gute Leute. »Ein Mauerblümchen geht beim ersten Angriff ein«, sagt Experte Zahner. Stärkere Leute werden zu Mobbing-Opfern, weil sie sich ihrer Konfliktfähigkeit zu sicher fühlen und den Konflikt unterschätzen. Außerdem nehmen sie die vermeintlichen fachlichen Fehler, die ihnen die Mobber unterstellen, oft sehr ernst. Schlafstörungen, psychosomatische Störungen, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen können Mobbing folgen. Außerdem wird das Arbeitsklima zerstört. »Wer betroffen ist, muss sich Hilfe von außen holen«, sagt Martin Zahner. »Starke Persönlichkeiten, die zu Mobbing-Opfern werden, haben meistens auch den starken Part in Beziehungen.« Deswegen ist es für Partner, Familie und Freunde oft schwierig, ihnen zu helfen. Auch ein Tagebuch hilft, die Erfahrungen zu bewältigen. Außerdem ist es vor Gericht ein Beweismittel, wenn es gebunden ist und an jedem Tag geführt wurde. Damit es nicht so weit kommt, müssen Führungskräfte in einem Betrieb früh eingreifen, sagt Martin Zahner. Konflikte sollte man im Team ansprechen und direkt aus der Welt schaffen.

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titelthema

Warum der Insider Out ist An alle, die anders denken: Die Rebellen, die Idealisten, die Visionäre, die Querdenker. Jene Zielgruppe kreierte Apple in einer Werbekampagne aus dem Jahr 1997 für iPhone und Co. Text: Lisa Kreuzmann | Fotos: Markus Erdlenbruch | Layout: Tobias Fischer

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titelthema

»H

ier geht es um die Verrückten. Die Außenseiter«, erklärte Firmengründer Steve Jobs seinen Spot. Unter dem Leitsatz »Think different« zeigte die Kampagne Bilder von Andersdenkenden wie dem Physiker Albert Einstein, dem Folkmusiker Bob Dylan oder der Bürgerrechtlerin Joan Baez. Eben jene, die verrückt genug sind, zu denken, sie könnten die Welt verändern, heißt es weiter im Spot. Ein Apple an das Anderssein. »Und während einige sie als verrückt betrachten mögen«, so Jobs, »sehen wir hier das Genie.« Apple – das Label der Genies und Rebellen. Der Außenseiter? In den USA müsste das Insider-Outsider-Verhältnis demnach ziemlich ausgewogen sein. Laut einer Umfrage des amerikanischen Nachrichtensenders CNBC besaßen im März 2012 über die Hälfte aller US-amerikanischen Haushalte mindestens ein Apple-Produkt. 51 Prozent amerikanische Außenseiter? Apple erklärt Erfolg durch Andersartigkeit. Das entspricht nicht der klassischen Vorstellung eines Außenseiters, der – oft erfolglos – am Rande der Gesellschaft schwimmt: der dicke Junge, das unsichere Mädchen, der Ausländer, der Obdachlose, die Homosexuelle, der Jude. Gemobbt, getreten, diskriminiert. Der Außenseiter in apfelgrün sitzt in Szenecafés, bestellt Matetee und komponiert ein politisches Lied mit dem Apple-Musikprogramm »GarageBand«. Verschwimmt das Bild vom Außenseiter? Ist es überhaupt wichtig, auf wessen Seite man steht? Was macht den Außenseiter von heute aus, wo fängt der Insider an, und will der Outsider überhaupt in den Führungszirkel? Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen. Die Gruppe bietet Schutz und sichert Überleben. Gleichzeitig aber grenzen Menschen Andere auf ebenso natürliche Weise aus. In der Tierwelt werden deformierte oder sonst wie andersartige Tiere von ihren Artgenossen deswegen verstoßen, da sie nicht mehr als Gleichgesinnte erkannt werden. Ebenso steckt es in der Natur des Menschen, diejenigen auszugrenzen, die nicht zu seiner Gruppe gehören. Sie sind ihm fremd und somit feind-

lich. Wer zu seiner Gruppe gehören darf, definiert sich stammesgeschichtlich über eine gemeinsame Abstammung. Damit ist es aber nicht getan, denn auch Kriterien für eine Verwandtschaft lassen sich manipulieren. So können wir uns schließlich auch Nicht-Verwandten nahe fühlen, wenn wir Gemeinsamkeiten entdecken, die uns ein verwandtschaftsähnliches Wirgefühl vermitteln. Ob blutsverwandt oder nicht – auch wer uns ähnlich ist, darf unserer Gruppe also zugehören. Wer es nicht ist, kann unseren Empfindungen nur schwerlich eine gemeinsame Abstammung vorgaukeln. Der Andersartige muss deshalb leider draußen bleiben und wird zum Außenseiter. Doch nicht jeder Einzelgänger ist ein Außenseiter – viele entscheiden sich bewusst dafür keiner Gruppe anzugehören. Schließlich bedeutet ein Leben ohne Anhang auch die Freiheit der Norm zu entgleisen. Und »Eigensinn macht Spaß«, proklamierte Hermann Hesse, den man ebenfalls am Rande der Kunst verortete. In der Volkswirtschaft bekommt der Außenseiter eine weniger unterhaltsame Rolle zugeschrieben: Der »Insider-OutsiderAnsatz« zur Erklärung von Arbeitslosigkeit macht klar, warum der Insider im Job den Outsider ohne Job als Konkurrenz nicht fürchten muss. Den Outsider einzustellen würde dem Unternehmer Mehrkosten verursachen, die er einsparen möchte. So bleibt der Insider »Inside Job« und der Outsider arbeitslos. Einen erfolglosen Außenseitertyp hatte die Apple-Kampagne Think different sicherlich nicht im Sinn. Wer arbeitslos ist, kann zwar rebellisch und anders denken, sich jedoch keinen iMac leisten. Auch Hermann Hesse sah mehr im Außenseiter. Sich selbst bezeichnete er als »Verfechter des Einzelnen«. Gesetze seien für die Vielen, nicht aber für den Einzelnen, so Hesse. Der Einzelne, der Außenseiter setze sich über sie hinweg. Sie beugen sich keinen Regeln, und sie haben keinen Respekt vor dem Status Quo, kultivierte der Apple-Werbespot jene, die anders sind. Und Hesse wusste: Sie haben es schwerer im Leben; den Schutz der ▶ Gruppe können sie nicht erwarten. Hesses NOIR Nr. 28 (November 2 012)

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Titelthema

Außenseiter-Dialektik: Er habe es zwar schwerer im Leben, jedoch auch schöner, da er die »Freuden der eigenen Phantasie« genießen könne. Und so trage er – insofern er die harten »Jugendjahre« überstehe – eine »sehr große Verantwortung«, formulierte Hesse in einem Brief. Die Jugendjahre, die Schuljahre – schlechte Jahre für den Außenseiter. Für den dicken Jungen, der Jahre später für seinen Humor geschätzt wird oder den Juden, der überlebt und heute mit dem Literaturnobelpreis geehrt wird. Einst für Andersartigkeit ausgegrenzt, wird der Außenseiter im Hesseschen Sinne später genau ihretwegen gefeiert. Eine romantische Sicht, die das Außenseitertum attraktiv erscheinen lässt und vielleicht Grund dafür ist, warum es Künstler wie Nina Hagen oder Udo Lindenberg zum Beruf gemacht haben. Und vor allem, warum das Außenseiterdasein zum Lebensstil konstruiert wird. Warum es jetzt in ist, out zu sein. Warum man sich Nerd-Brillen auf die Nase setzt und Hermann Hesse liest. Warum Second Hand Läden zum Großhandel mutieren und H&M nicht mehr salonfähig ist. Der neue, hippe Außenseiter strebt nach Individualität, strebt nach Einzigartigkeit und Eigensinn. Denn »Eigensinn macht Spaß«, Grenzen zu überschreiten auch. Drogenund Alkoholexzesse gehören zu seinem Leben wie fieberhafte Gespräche über Politik und Literatur. Er ist sozial engagiert und doch egoistisch, emsig wie aufmüpfig, verantwortungsvoll und selbstzerstörerisch. Zwei Seelen wohnen in seiner Brust. Er will sie beide: den Innen- und den Außenseiter. Schließlich sind ehemalige Außenseiter auch diejenigen, die schon mit zehn ihr erstes Computer-

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spiel programmierten oder bei dem Musikwettbewerb »Jugend musiziert« gewannen. Und das will er auch: Inmitten des Geschehens sein und doch nicht in, zur Bildungsspitze gehören doch nicht Elite sein, schicke Altbauten bewohnen und sich gleichzeitig in Bescheidenheit kleiden. Er ist wie Goethes Faust oder Hesses Harry Haller in Der Steppenwolf: »Die eine Hälfte will fressen, saufen, morden und dergleichen einfache Dinge, die andere will denken, Mozart hören ( …)«, erklärte Hesse seine Hauptfigur, für dessen Lage er nur zwei Auswege sieht: »entweder sich aufzuhängen oder aber, sich zum Humor zu bekehren«. Und da steht er nun, der neue, moderne Außenseiter 2012. Mittendrin am Rande der Gesellschaft, mit seinem iPhone in der Hand, Visionen im Kopf und Hermann Hesse unterm Arm. Seine Dialektik: Einzigartig oder nicht, auch dieser Wunsch kann zur Massenbewegung werden. 51 Prozent amerikanische Außenseiter. Ansteckungsgefahr garantiert. Und dann? Diejenigen, die die Masse um jeden Preis hinter sich lassen müssen, ziehen wohl weiter. Andere lehnen sich vielleicht entspannt zurück, bekehren sich zum Humor und bleiben dennoch – nicht als Innen- oder Außenseiter, Individualisten oder Idealisten – verrückt genug zu denken, sie könnten die Welt verändern. Denn diejenigen sind es, die es wirklich tun, vertraut man Steve Jobs und seiner Werbekampagne.


Kommentar

Revoluzzer Oder masse ? Der schmale Grat zwischen Anpassung und Individualität

Pro: Unterschiede bringen voran!

Contra: Richtige Anpassung braucht jeder!

Text: Susanne Nicolai

Text: Elena Lasko

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enschen sind einzigartig: Schon allein durch unseren Fingerabdruck unterscheiden wir uns voneinander. Und das ist auch gut so! Was wäre aus der französischen Revolution geworden, hätte Jean-Jaques Rousseau nicht seinen aufklärerischen Gesellschaftsvertrag ausformuliert? Eine Gesellschaft braucht Andersdenkende, um voranzukommen. Ohne Querdenker keine neuen, innovativen Ideen, keine weiteren Forschungen, keine mutigen Helden und Revoluzzer. Würden sich alle dem kollektiven Mainstream unterwerfen, so wäre die Welt öde und monoton. Alles würde gleichgemacht werden, jeder hätte den gleichen Geschmack. Klar, die Marx‘sche Idee, jedem Menschen gleiche Chancen zu ermöglichen, indem alle die gleichen Voraussetzungen bekämen, klingt vorerst ganz verlockend. Immerhin könnte man dadurch soziale Unterschiede beheben. Doch der Mensch ist glücklicherweise intelligent genug geschaffen, sich eine individuelle Meinung zu bilden, kreativ zu werden und eigene Lösungsansätze für Probleme zu entwickeln. Die Art und Weise, wie er das tut, macht schließlich seinen Charakter aus. »Du bist so seltsam selten und das ist es, was ich an dir mag!«, singt die Mannheimer Band Bakku­ shan. Das Besondere an einem Menschen ist seine Einzigartigkeit: Je weiter man sich von der Allgemeinheit entfernt, desto besonderer ist man. Anderssein benötigt zwar Mut und Selbstvertrauen, doch dadurch gewinnt man auch die Gewissheit, nicht einfach austauschbar zu sein.

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usammen mit dem Schuldirektor steige ich die marmorne Schultreppe hinauf. Ein paar Augenblicke und er wird mich der Klasse vorgestellenwas erwartet mich? Werde ich mich mit ihnen verstehen? Die Klasse – eine brüllende Masse. Zusammenhaltender Kollektiv, wie ich später erfahren sollte. Der Direktor stellt mir eine Frage, ich verstehe sie nicht und antworte verlegen mit »ja«. Lautes Lachen. Ich bin Außenseiterin hier – ich verstehe weniger als 20 Prozent und bin hier gegen meinen Willen. Aber ich muss weitermachen, muss mich integrieren. Ich kann es nicht. Ich frage mich, ob man für immer ein Außenseiter bleiben kann. Es gibt Leute, die ihr Outsider-Dasein geradezu genießen und feiern. Es ist modisch, wunderlicher Außeinseiter zu sein, à la Amélie von Montmartre oder etwa wie »Einstein von morgen« – ein einsames Genie, das abseits der Außenwelt sein großes Werk vollbringt. Es ist nicht modisch, zu einer Gruppe zu gehören. Der Individualismus ist Mode, das demonstrative Außenseitertum. Aber dieses Außenseitertum ist ein schönes Bild, das eine unschöne Realität verschleiert. Das ist kein Argument für die ständige Anpassung und den Konformismus, welcher ein Extrem ist. Doch man will ein Teil einer Gesellschaft sein und Gemeinsames mit anderen haben. Dies bedeutet nicht etwa, eigene Besonderheiten zu verlieren. Es bedeutet die Akzeptanz gewisser Regeln der umgebenden Gesellschaft für den eigenen Komfort.

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Reportage

Ohne Status, ohne Arzt Wer krank ist, geht zum Arzt – das steht für die meisten hier fest. Eine Ausnahme bilden die 100.000 bis zu einer Million illegal in Deutschland lebenden Menschen, die aufgrund politischer Verfolgung, Kriegen oder Hungerkatastrophen aus ihrer Heimat geflohen sind. Ein Arztbesuch könnte für sie drastische Folgen haben … Text: Markus Erdlenbruch | Layout: Jan Zaiser

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ach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben Asylbewerber neben Unterkunft, Ernährung und Kleidung auch ein Recht auf medizinische Versorgung – insbesondere bei akuten Krankheiten, Schwangerschaft oder der Geburt eines Kindes. Trotzdem machen Flüchtlinge einen weiten Bogen um Arztpraxen. Aber woran liegt das? Hauptgrund ist die Meldepflicht für alle Asylbewerber, der öffentliche Stellen unterliegen: Sie haben nach dem Ausländergesetz unverzüglich die zuständige Ausländerbehörde zu unterrichten, wenn sie Kenntnis von dem Aufenthalt eines »Ausländers ohne eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung« bekommen. Das gilt auch für das Sozialamt, das die Gesundheitsleistungen genehmigen muss. Was daraus folgt, ist klar: Aus Angst vor einer Abschiebung holen sich illegale Einwanderer keine medizinische Hilfe, was auch eine Studie der Stadt München besagt. Es sind Fälle bekannt, in denen Menschen direkt im Krankenhaus festgenommen wurden: Der bayerische Flüchtlingsrat berichtet von einer psychisch kranken Frau, die von Polizeibeamten in Handschellen direkt in ihr Heimatland Aserbaidschan abgeschoben wurde – ihr Mann und ihre drei kleinen Kinder blieben zurück. Seit das Grundrecht auf Asyl 1993 hierzulande stark eingeschränkt wurde, ist die Chance für Flüchtlinge auf ein Leben in Legalität noch geringer. Das Gesundheitssystem bleibt für

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sie in weiter Ferne. Auch wenn kirchliche und private Krankenhausverwaltungen nach Einschätzungen des Juristen Ralf Fodor im Gegensatz zu Arztpraxen nicht als öffentliche Stellen gelten und somit auch nicht meldepflichtig sind, ist der rechtliche Rahmen nicht vollständig geklärt. Viele Krankenhausärzte und Verwaltungsangestellte seien sich laut Fodor im Unklaren darüber, dass sie nicht der Meldepflicht unterliegen und dass solche Fälle außerdem unter die ärztliche Schweigepflicht fallen. Zudem würden sie fürchten, auf den Kosten sitzen zu bleiben. Ein Betroffener kann eine Behandlung ohne Krankenversicherung in den seltensten Fällen aus dem eigenen Geldbeutel zahlen. Für die circa eine Million Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus gibt es in Deutschland also enorme Hürden, gesund zu bleiben oder zu werden. Dabei sind besonders sie auf medizinische Versorgung angewiesen. Menschen ohne Aufenthaltsstatus können nur schwarzarbeiten: Jenseits von Arbeitsbestimmungen und Rechten leben sie in körperlicher und psychischer Überlastung. Dazu kommen oft nicht überwundene Traumata aus der Vergangenheit. In vielen Großstädten haben sich Vereine gegründet, die Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung an Ärzte vermitteln, die in diesen Fällen kostenlos behandeln. Diese MediNetzInitiativen müssen die Ärzte durch persönlichen Kontakt für ihr Projekt gewinnen. Die medizinische Versor-

gung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus beruht so auf dem Engagement Weniger. Christopher Lobin vom MediNetz Rhein-Neckar spricht von einer »Parallelstruktur«, die die »medizinische Regelversorgung nicht ersetzen kann und auch nicht sollte«. Gesundheitspräventive Maßnahmen, stationäre Behandlungen und teure Eingriffe sind in der Parallelversorgung nämlich nahezu ausgeschlossen. Lobin plädiert für eine gesetzlich geregelte Basisversorgung. »Am Ende unseres Strebens steht ironischerweise unsere Selbstabschaffung«, kommentiert er. Politische Lösungsansätze gibt es, sie warten nur auf ihre Umsetzung. Eine Idee ist ein »anonymer Krankenschein«. Den könnten Ärzte ohne Personendaten an die Sozialämter weiterleiten, um Behandlungen ohne Registrierung bei den Behörden möglich zu machen. Eine andere Möglichkeit wären laut dem MediNetz sogenannte Fonds, aus denen behandelnde Ärzte die Kosten ohne Umwege beantragen könnten. Sie könnten von staatlicher Seite und zivilgesellschaftlichen Spenden finanziert werden. Einige von Deutschlands Nachbarländern haben ähnliche Modelle bereits in die Realität umgesetzt: In den Niederlanden wird das Fonds-Modell praktiziert. In Spanien reicht bereits eine Anmeldung bei einer kommunalen Behörde, um Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung zu erhalten. In Italien besteht für Menschen ohne Papiere die Möglichkeit, über anonyme Registrierkarten Zugang zur staatlich finanzierten Versorgung zu erhalten. Die Daten dieser Registrierkarten an die Ausländerbehörde weiterzugeben, ist gesetzlich verboten. Es sollte klargestellt werden, »dass es sich bei illegalisierten Migranten nicht um gefährliche Kriminelle, sondern um Menschen in Notlagen handelt«, fordert Lobin. Die Gesellschaft dürfe nicht wegschauen, sonst entstünden zukünftige Probleme: »In Deutschland wächst eine ganze Generation undokumentierter Kinder auf, die kaum Möglichkeiten auf eine richtige Zukunft hat.« Auch nicht auf Gesundheit.


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REPORTAGE

Gepäck-Geflüster: Was der Koffer verrät Wie gehören der merkwürdige Tattoo-Typ und die alte Frau zusammen? Und warum schleppt der Anzugstyp einen pinken Koffer mit sich herum? An Bahnhöfen drängen sich einem viele Fragen auf, die einen eigentlich nichts angehen – und genau deshalb spannend sind. NOIR-Autor Lukas Ramsaier hat am Stuttgarter Hauptbahnhof unverblümt gefragt. Was war dran an seinen ersten Eindrücken und was steckte wirklich im Gepäck der Passanten? Text & Fotos: Lukas Ramsaier | Layout & Illustration: Tobias Fischer

s G ep äc ks : #  B es ch re ib un g de F ü ße n, im Lo ng bo ar d vo r de n ch ei ni ge G ep äc k be fi nd en sin gr oß er K la m ot te n un d ei Ted dy bä r. g: #  M ei ne V er m ut unzu m F re un d. # Besch W oc he ne nd -Tri p si e m it ih m r ht ge ch li ut m er G V epäcks: eibung des n: he ac m er ch si Großer di e S tr aß en un d, de m Lisa (17), Sigmaringen r u c k s a c k Tr e k k i n g ­ M it de m Lo ng bo ar re un d zu m Zeltsta , aus dem Ted dy un d de m F n. ne v o r s c h a un g e n h e r kn ic k im G rü ro m an ti sc he n P ic linken H en. In der Dominic (29), Pforzheim and ein ü e: b ht ic C e ch r o es G q laue di e O st #  D ie w ah re stangen. llende Plastikt Kasten, in de ih re r F am il ie an e F ah rt zu s eg rw te un t r ander üte mit Li sa is it , da m it si e di di e m s us C m h dy i ed p T s und S en eine in e le al se e. D er ht ac m d # un alzre   Meine V er F e he il ü be rs te ht . D r m A u uf dem tung: S tr aß en un si ch er . mit Fre Rückweg von wohl so unden an eine einem Camp ü b r i g b l v i e l B i e r , d a s m B a g g e r s e e . Di n g - U r l a u b ieben. s nur al k o h o l f r eo r t g a b e s ie Geträ #  D i e w nke a h r e Gesch Domini i ch türkhei c kommt gerad te: m Abi gefe , wo seine e e von Stuttga keinen S iert hat. Weilhemalige Stufe rt-Untermitgeno chlafplatz zu er befürchtet zehn Jahre gen sind mmen. Die Ge finden, hat er hatte, dort tr da beim Fe s t ü b r i gä n k e , C h i p s u n s Z e l t d Salzst gebliebe ann. 10

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Reportage

s G ep äc ks : #  B es ch re ib un g de un d ei ne K le in er R ol lk of fe r Le be ns m it te l. S to ff ta sc he vo ll er g: #  M ei ne V er m ut unF re un d. K ur zu rl au b be im ei ne r hi pp en D ie se r w oh nt in ne­­k ne ip en Annie (2 1), Birm G ro ßs ta dt m it S ze D er ingham s. (UK) ko is D edi In d un s al s, au so R ol lk of fe r si eh t sc hi ck e K la m hä tt e A nn ie vi el e un d no ch ge nu g P la tz , um ot te n im G ep äc k w ie de r he im zu br in ge n. no ch m eh r K le id er ic ht e: #  D ie w ah re G es cht ta ts äc hl ic h un te rw eg s na ch R ic ht ig ! A nn ie is do rt ih re n F re un d un d ih re n A m st er da m , um en . F ü r ex ze ss iv es E in ka uf en B ru de r zu be su ch er da s G el d. D as gi ng fü r da s fe hl t ih r ab er le id Z ug ti ck et dr au f.

# Besch Gepäcks reibung des Großer : und ein Rollkoffer B a d e u t e e Ta s c h e m i t nsilien. # Mein Lilly (15), Heilbronn Nachrei e Vermutung: sie sich se zum Ferien Motorbo vermutlich er haus der Elter st n. ot über den Bad einmal von P Dort will api mit esee kut #  D i e w s c h i e a r en lasse dem Richtig! hre Geschich n. gen Spr Lilly kommt te: zum Fe achreise aus E gerade von ein Nähe de rienhaus der E ngland und ist er zweiwöchiLuftmat s Bodensees. S ltern in Stein unterwegs b ratze V i orlieb n e muss dort a eis in der ber mit ehmen. einer

# Be sch rei bu ng de s Ge pä cks Gr oß er Tr ek kin gru cks ack , in: un d ein e Pl an e be fin de n un de m sic h ein Ze lt am Ba uc h mi t vie l Pr ov ian d ein kle ine r Ru cks ack t. #  M ein e Ve rm ut un g: Un te rw egs zu ein em po lit alt ern ati ve r M en sch en un disc he n Ca mp vo lle r ren un te rm alu ng . Ev en tu ell La ger feu er mi t Gi tar au ch ein M us ik- od er St raß en ku ns tfe sti va l # Di e wa hr e Ge sch ich te : Fa lsc h! Ro be rt ist au f de m W eg zu ein er „V isi on ssu ch e“ die Sc hw eiz , be i de r er zw in Ta ge all ein in de r „W ild nisölf “ un te rw egs sei n wi rd .

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Interview

» Die Angst ist verschwunden « Ibrahim Fayad, 1988 in Syrien geboren, setzt sich als Aktivist gegen das AssadRegime ein. Nach einer Reihe von Verhören floh er 2011 aus Syrien und hält sich seitdem in Europa auf. Er arbeitet zurzeit als Projektmanager bei der Organisation »Association de Soutien aux Médias Libres« in Paris. Zudem engagiert er sich im größten syrischen revolutionären Nachrichtennetzwerk »Shaam News Network«. Interview & Foto: Corinna Vetter | Layout: Tobias Fischer

W

ie hast du das Leben unter dem Assad-Regime erlebt? Es gibt einen Artikel über Syrien, der den Titel »Das Königreich der Angst« trägt. Das beschreibt das Leben unter Assads Regime am besten: das Wort Angst. Man lebte in totaler Unsicherheit. Tag und Nacht. Nicht wegen der Kriminalität, sondern wegen des Polizeistaats. Alles wurde kontrolliert und bewacht. Wir fühlten uns würdelos, auf viele Arten gedemütigt und sehr unfrei. Ich hatte definitiv Angst vor dem Regime. Bevor ich Syrien verließ, wurde ich in drei verschiedenen Städten verhört. Es hat in Aleppo angefangen. Das schlimmste Verhör war in Damaskus. Wieso wurdest du verhaftet? Um ehrlich zu sein, ich kenne nicht den genauen Grund. Aber ich habe in meiner Freizeit oft etwas mit Ausländern gemacht. Das Regime hat Ausländer immer für verdächtig gehalten – und somit auch die Menschen, die mit ihnen Zeit verbrachten. Ich war auch aktiv dabei, Freiheit zu propagieren. Ich habe immer versucht, junge Menschen dazu zu bringen, für sich selbst einzustehen. Ich war kein Mitglied irgendeiner Organisation oder Bewegung – weil es keine gab. Es war mir immer ein persönlicher Drang, mich gegen die Gräueltaten des Regimes auszusprechen. Ich habe mich nur mit meinen Freunden und in kleinen Kreisen

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darüber unterhalten. Aber alles kann leicht aufgedeckt werden. Ich konnte legal ausreisen und musste nicht fliehen. Am Flughafen war ich mir nicht zu 100 Prozent sicher, ob es klappen würde. Das Regime hätte mich abhalten können, aber es hat geklappt. Wie hast du die syrische Revolution von außerhalb erlebt? Ich war sehr traurig, nicht dabei sein zu können. Ich konnte an den ersten Protesten nicht teilnehmen, die sehr farbig und divers waren. Die Menschen fühlten sich frei. Meine Freunde haben mir erzählt, dass Protestieren süchtig macht. Man könne dabei die Freiheit fühlen. Danach war ich wegen der Gewalt sehr traurig. Wir dachten, dass wir die Revolution nach ein oder zwei Monaten beenden könnten, so wie in Ägypten oder in Tunesien. Aber es dauerte länger. Momentan geschieht eine systematische Zerstörung Syriens, das Regime lässt nichts heil. Das alles macht mich sehr traurig und wütend. Aber ich bin auch glücklich, weil wir unsere Zukunft selbst verändern, ohne eine Intervention, ohne Unterstützung. Viele Staaten stehen gegen uns, aber wir machen weiter. Was denkst du über die Berichterstattung über Syrien in den westlichen Medien? In den Medien gab es einen sehr erbitterten


Interview

Kampf zwischen dem Regime und den Revolutionären. Das Regime hat seine Arbeit tatsächlich gut gemacht. Sie konnten irgendwie ein vages Bild der Geschehnisse in Syrien zeichnen, sodass die Menschen nie richtig wussten, was los war. Auch haben sie im Land die internationalen Medien ausgegrenzt. Ich denke, das Syrienbild in den westlichen Medien ist falsch – in Wirklichkeit ist es in Syrien tragischer und trauriger als viele glauben. Was hat dir deine Familie über die Situation in Syrien erzählt? Es ist sehr schwer, mit meiner Familie in Kontakt zu bleiben, weil das Internet und die Handynetze ausgeschaltet wurden. Ich benutze das Festnetz, um meine Familie anzurufen – aber das ist auch nicht immer möglich. Meine Familie meinte, die Situation sei sehr schlecht und würde leider immer schlimmer. Es gibt kollektive Bestrafungen der Bürger in ganz Syrien. Obwohl die freie syrische Armee immer mehr Macht gewinnt, ist die syrische Armee noch in Besitz des Luftraums und kann alles bombardieren. Die syrische Armee tut das leichtfertig, weil sie weiß, dass sie später nicht wieder aufbauen muss. Die Zerstörung ist systematisch und allumfassend – auch in meiner Stadt. Aber das ist ein Preis, den wir zu zahlen bereit sind.

nungen für die Zukunft Syriens. Wir haben viele tolle junge Leute. Wir können das alles schaffen.

Wie bekommst du die Informationen und Videos von den Revolutionären ins Ausland? Von Anfang an haben wir den Aktivisten in Syrien Satellitentelefone geschickt, damit wir fast immer mit ihnen verbunden sind. Das ist übrigens Teil meiner Arbeit. Wir vom Shaam News Network versuchen, die Aktivisten untereinander durch Satellitentelefone zu verbinden. Das ist auch etwas, wofür wir bezahlt haben. Hier könnte die internationale Gemeinschaft uns helfen – für sie ist das weder teuer noch unsicher.

Denkst du, dass Religion künftig eine größere Rolle spielen wird? Ja, das wird sie. Die meisten Westler waren überrascht, als die Staaten des arabischen Frühlings religiöser wurden. Die Realität ist aber, dass alle Regime zu säkular für ihre Länder waren. Die Bevölkerung ist muslimisch und ihnen wurde nicht genug Raum gegeben, um ihre Religion zu praktizieren. Deswegen wurden viele Länder religiöser, zumindest aus westlicher Sichtweise. Unabhängig von der Religion radikalisiert eine Krise die Menschen. Es wird auch Extremismus geben, aber ich denke, er wird beherrschbar sein.

Was denkst du über die Zukunft Syriens? Ich denke, dass das Regime früher oder später zusammenbrechen wird. Der Countdown zum Kollaps hat begonnen. Die freie syrische Armee ist leider nicht stark genug, das Regime komplett zu besiegen. Aber wir haben Rückhalt in der Bevölkerung. Deswegen denke ich, dass wir gewinnen werden. Nach dem Ende des Assad-Regimes wird es erst mal ein Vakuum ohne staatliche Institutionen geben – aber das ist immer so nach einer Revolution. Wenn die revolutionären Kräfte sich neu organisiert haben, werden sie hoffentlich bald die Sicherheit wiederherstellen. Ich habe große Hoff-

Was sind deine Pläne für die Zukunft? Ich bin in einigen Projekten involviert, die sich mit Syrien und der Jugend in den arabischen Staaten beschäftigen. Danach will ich zurück nach Syrien. Ich hoffe, dass ich nach dem Ende der Revolution helfen kann, die Gesellschaft wieder mit aufzubauen. Wir haben viel zu tun. Ich habe keine Angst zurückzugehen. Vor zwei Tagen habe ich mit meiner Familie geredet und sie wollen nicht, dass ich zurückkomme. Aber nach eineinhalb Jahren im Ausland, nachdem ich eineinhalb Jahre darüber nachgedacht habe, ist die Angst verschwunden.

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Lifest yle

Engel im Schnee, Zimt im Tee … … und andere Dinge, die ihr im Winter unbedingt tun solltet! Zu kalt, zu glatt, zu dunkel – über keine Jahreszeit wird so viel gemeckert wie über den Winter! Dabei macht er so viele schöne Dinge erst möglich. Damit ihr euch also während der kurzen Tage und der kalten Nächte nicht langweilt, haben wir mit und für euch eine To-Do-Liste für den Winter erstellt. Text: Bettina Schneider | Layout: Jan Zaiser

In der Weihnachtszeit nachts auf den höchs­ ten Aussichtspunkt steigen und die Lichter der Stadt genießen

Plätzchen back en mit einer Omaschür ze um

»Ein Wochenende in die Berge zum Snowboarden fahren.« Meike, 20

Mit einer Freundin, mit der du schon ewig wied er was unternehm en wolltest ins Kino gehen.

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NOIR Nr. 28 (November 2 012)

Eine echte heiße Schokolade trinken (50g Schokolade klein hacken oder raspeln und in 250 ml Milch schmelzen. Gut umrühren, damit nichts anbrennt. Je nach Geschmack noch (Vanille) Zucker und / oder Zimt reinrieseln lassen)

maEin Lagerfeuer rot kb oc St d un chen s ne essen (trocke BauHolz gibt’s im markt)

Urlaubsfotos des letzten Sommers sortieren, entwickeln lassen und an Freunde schicken

»Wärmelampe an, Liegestuhl raus, Sonnenbrille raus und Cocktails trinken!« Christoph, 24

Bratäpfel backen : Äpfel wasche n, einen »Deckel« abschn eiden und das Kerngehäuse entfernen. Vani llepudding anrü hren und circa 30g Haselnussk rokant darunter heben. Das ganze in die Äp fel füllen und da nn ab in den Ofen! 30-40 Min uten bei 175° Um luft backen. Wichtig: Apfeld eckel erst nach der Hälfte der Backzeit da zugeben. Die Fü llung kann natürlich nach eurem Geschm ac k variieren: zerbröselter Sp ekulatius, Pflaum enkompott, Knuspermüsli, Vanillesoße …

r »Eine Schneeba eis d un n ue ba kalte Getränke genießen.« Kadda, 21

»Ich möchte wi eder in die Sauna gehe n und danach in den Schnee liegen und Schn eeengel machen, aber halt nackig zur Abkühlung! « Simone, 21

se nach Mit deiner Klas nächste s der Schule in en und hr fa Eisstadion ufen la h hu sc Schlitt

Schneepicknick, mit Glühwein, Lebkuchen und anderen winterlichen Dingen

mit euren Einen ganzen Tag auen: sch Ds Freunden DV us, Der Ha zu ein All Kevin – Einhorn, Grinch, Das letzte , und für be Tatsächlich … Lie lich die tür na rf Kitschfans da ! len feh ht nic ihe Sissi-Re

»Eine Sache wäre, nur mit Handtuch bekleidet einkaufen zu gehen, eine andere, mit dem Hund Schlittschuh laufen zu gehen …« Carlo, 24


Lifest yle ene »Auf beschlag .« en al m r te Fens 24 a, nj So

Etwas stricken oder häkeln (wer’s noch nicht kann, kann es mit YouTube-Videos lernen!)

Ganz früh aufs tehen und die gefrore nen Fenster der Au tos in deiner Straße freikratzen

Einen Spie labend mit Freunden or ganisieren : Tabu, Activ ity oder Risiko, dazu Punsch un d Plätzchen gegen die Winterdepre ssion!

Mit einer Tüte heißer Maronen über den kt Weihnachtsmar schlendern

Einen Zaubertrick lernen und bei den Großeltern Eindruck schinden

hen »Für jeden ordentlic te ers r de Mann heißt h Schnee im Jahr, sic zu to Au ins nd he ge um ernt begeben. Ein Wi llte grillen pro Jahr so n.« sei n dri ch auch no 19 , on Sim

und das Den Kleiderschrank bern stö rch du al Bücherreg le ans Tei te gu ar pa ein und e oder ch Kir Kinderheim, die htung ric Ein ge eine wohltäti spenden

Durch Stadt, Wald und über Felder spazieren und Schneelandschaften fotografieren

it: Falls es nicht schne n ufe ka tti nfe Ko s weiße , in die en ch ma r lbe se er od llen, es Einkaufsstraße ste und dan rfe we in die Luft kchen, löc eg ne ch »S t bei lau n. ge Weißröckchen« sin

llschlacht »Eine Schneeba ist toller, als ts ch Ni machen! schwister seine kleinen Ge zu ärgern, abmal so richtig im kalten d zuwerfen un sie zu lassen, Schnee zappeln ehr können.« bis sie nicht m Harriet, 16

Barfuß durch den Schnee laufen

»Ins Thermalbad fahren und im beheizten Außenbecken schwimmen.« Jasmin, 20

Euch mindestens einmal das Lied »Jetzt ist Sommer« von den Wise Guys anhören

»Bei McDonald‘s schön Bauch anfressen für die kalten Tage!« Rahul, 22

Mit euren Geschwistern einen Schneemann bauen … und eine Schneefrau … und Schneebabys!

»Eine rote Wur st am Lagerfeuer grill en. Im Sommer kann das jeder!« Arno, 26

Sich mit Wollsocke n und Wintertraumtee ins Bett kuscheln und ein gutes Buch lesen.

»In Badehose oder Bikini durch die Straßen laufen und eine Reportage über Reaktionen und Erlebnisse darüber schreiben.« Markus, 20

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Querbee t

Aschenbecher küssen Text: Sophie Rebmann | Layout: Tobias Fischer

D

ass Rauchen tödlich ist, bläut man jedem kleinen Kind schon im Kindergartenalter ein. Später versucht die Politik, die Menschen durch eine Tabaksteuer vom Rauchen abzuhalten und übersieht dabei, wie erfolglos dieses Unterfangen ist: Die Einkommensteuer hält auch keinen Menschen vom Arbeiten ab! Rauchen ist gesundheitsschädlich, teuer und der Gestank bleibt überall haften. Wieso greift

man trotzdem zur Zigarette? Viele rauchenden Frauen glauben, interessant zu wirken, wenn sie umwoben von grauen Nebelschwaden und lasziv mit rot gefärbten Lippen an einer Zigarette ziehen – vielleicht, weil das interessierte Gegenüber sich für nähere Betrachtungen erst durch den grauen Dunstvorhang kämpfen muss. Seit Raucher aufgrund des Rauchverbots in Kneipen nicht mehr toleriert werden, stehen sie davor. Aber statt sie als Außenseiter wahrzunehmen, werden sie um die Gemeinschaft, die sich vor dem Klub bildet, und um den leichten ersten Satz, der vielen sonst so schwer fällt (»Haste mal Feuer?«), beneidet. Der verstockte Nichtraucher hat nur einen Vorteil: Er kann andere küssen, ohne bei seinem Kusspartner Ekel zu erregen. Und in der Evolution ist das der entscheidende Vorteil.

Impressum NOIR ist das junge Magazin der Jugendpresse BadenWürttemberg e.V. Ausgabe 28 – November 2012 Herausgeber Jugendpresse Baden-Württemberg e.V. Fuchseckstraße 7 70188 Stuttgart Tel.: 0711 912570-50 Fax: 0711 912570-51

www.jpbw.de buero@jpbw.de

Chefredaktion Anika Pfisterer anika.pfisterer@noirmag.de (V.i.S.d.P., Anschrift wie Herausgeber) Susan Djahangard susan.djahangard@noirmag.de Sabine Kurz sabine.kurz@noirmag.de Bettina Schneider bettina.schneider@noirmag.de Chef vom Dienst Alexander Schmitz alexander.schmitz@noirmag.de

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NOIR Nr. 28 (November 2 012)

Redaktion Bettina Schneider (bs), Corinna Vetter (cv), Elena Lasko (ela), Lisa Kreuzmann (lkr), Lukas Ramsaier (lr), Markus Erdlenbruch (me), Silke Brüggemann (sbr), Sophie Rebmann (srm), Susanne Nicolai (sun) redaktion@noirmag.de Lektorat Dominik Einsele Layout & Art Director Tobias Fischer

dominik.einsele@noirmag.de

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Layout-Team Tobias Fischer, Jan Zaiser

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Druck Horn Druck & Verlag GmbH & Co. KG, Bruchsal www.horn-druck.de

Titelbilder Titel: rubysoho / fotolia.com; Teaser-Fotos (v.l.n.r): dusklog / photocase.com, a h / photocase.com; hketch / photocase.com Bildnachweise (sofern nicht auf der entspr. Seite vermerkt) S. 1 (oben): Juttaschnecke / photocase.com; S. 1 (unten): Privat (3 x); S. 2 »Schneeball«: Bettina Schneider; »Aschenbecher«: fraueva / photocase. com; »Kranker«: Jan Photographer / jugendfotos. de; »Stühle«: Samuel Bayer / jugendfotos.de; S. 7: Privat (2 x); S. 14 /15: Privat (5 x); S. 16: chriskuddl | ZWEISAM / photocase.com NOIR kostet als Einzelheft 2,00 Euro, im Abonnement 1,70 Euro pro Ausgabe (8,50 Euro im Jahr, Vorauszahlung, Abo jederzeit kündbar). Bestellung unter der Telefonnummer 0711 91257050 oder per Mail an abo@noirmag.de. Für Mitglieder der Jugendpresse BW ist das Abonnement im Mitgliedsbeitrag enthalten.


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  Kundenberatung 07251 / 9785-28 e.kammerer@horn-verlag.de

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