B A L ÁZS JU H ÁS Z
DIE SCHÄTZE DER BARANYA
2
DIE SCHÄTZE DER BARANYA
Fotos:
Balázs Juhász Autor: Borbála Kerekes
Eine laute Knarre stört den Traum der Donau: das Lächeln von mit Blut beschmierten Masken erweckt die Landschaft aus der Nacht. In Szársomlyó beginnen die Hähne mit Höllenlärm zu krähen, auf dem Bergrücken laufen schwarze, einen Pflug ziehende Katzen. Der Teufel eilt ihnen hinterher. Jetzt schläft auch die Sonne nicht mehr, sie drängt in Stein erstarrte Gestalten loszugehen. Keine von ihnen bewegt sich, gefroren starren sie stumm vom Jakobsberg. Wo die Drau fließt, wachsen die Gipfel wie Pilze. Auf ihren Hüten sind die Tupfen kleine Fachwerkhäuser. Und sie schwimmen auf Eistafeln auf dem Fluss. Vom Berg ruft das Lied des Muezzins zum Gebet, aber die stattliche Figur von Miklós Zrínyi sagt nein zu der seltsamen Stimme. Der Duft von Germknödel, Wurst, Milchtopfbohnen, Letscho aus der Hölle und Fischsuppe bringt den Magen in Versuchung. Und der Rotwein fließt: Er färbt das Glas und die Seele, erzählt von den Trauben. Zwischen der Drau und der Donau, ganz unten und ganz im Süden, zwischen Bergen, tief in den Wäldern. Hier beginnt das Märchen. Was jedoch kein Märchen ist, sondern die wahre Realität. Eine Realität, deren Helden auch du kennenlernen kannst. Eine Zauberwelt, die du jetzt durchwanderst. Aber du wirst nicht allein sein. Eine Karte hilft dir und wird dich auf dem Weg leiten. Und die Karte befindet sich in der Schatzkiste, die all diese Abenteuer in sich birgt. Öffne also die Kiste mit dem Schlüssel, den du gerade hier in deinen Händen hältst! Mit dem Schlüssel von „Die Schätze der Baranya“!
5
Strecke dich gemeinsam mit der matten Morgensonne, denn die erste Station der Karte zeigt einen Kahn in der Nähe der kroatischen Grenze, wo die Donau einen kleinen Abstecher macht. Setz dich in den Kahn und mach dich auf den Weg zum ersten Schatz! Die Donau trägt dich fleißig auf ihrem Rücken, kümmert sich nie um den faulen Morgen. Sie muss sich beeilen, es ist ein langer Weg, unterwegs gibt es zahlreiche Aufgaben: Seen und tote Flussarme müssen aufgefüllt werden. Auch hier, in der Landschaft von Béda-Karapancsa.
Bei Flut gibt es noch mehr Arbeit: Sie muss aus dem Flussbett austreten, die Route verlassen, weil das Flutgebiet die Vögel, die Fische, die Natur und die endlose Stille auf dem Lande ernähren wird. Und die Augen und die Seele! Der berühmte Kapitän Cousteau ernährte sich aus der Liebe der Gewässer der Welt sein ganzes Leben lang. Und dennoch sagte er, während er den Donau-Film drehte, dass für ihn von allen Landschaften diese die wirkliche Freude sei. Den glückbringenden weißen Storch und die Fischer hat ebenfalls die Nahrung an den Béda gerufen: der Fisch. Vor der Flussregulierung empfingen den Besucher auf den Gewässern der Gegend Eichenkähne und aus vier Brettern gebaute Flöße und auf den Bauernhöfen des Flutgebietes hohe in den Boden eingelassene Säulenreihen von Netztrocknern sowie Reihen von Rohrhütten. In solchen Hütten lebten die meist deutschsprachigen, in Zünften arbeitenden Berufsfischer, die sich über viele Stufen hinaufarbeiten mussten, um diesen schweren Beruf zu erlernen.
7
8
Mit etwa 10 verdingten sich die Lehrlinge bei einem Fischer und mussten 5 Jahre da verbringen. Bis dahin fertigten sie eine eigene Kiste mit der Jahreszahl, dem Namen und einem oder zwei verzierten Goldkarpfen an der Vorderseite. Damit gingen sie auf Wanderschaft, und wenn sie zurückkamen, konnten sie in die Zunft aufgenommen werden: Sie konnten Meister werden. Die Fischerfrauen verkauften die gefangenen Produkte auf dem Fischmarkt von Mohács oder auf den Straßen, und natürlich waren sie meisterhafte Köchinnen von Fischgerichten. Erwarte den Mittagsfisch von den Bedafischern nicht zur Mittagsglocke, denn obwohl er so hieß, wurde er am Abend gegessen. Früher wurden Suppennudeln dazu geknetet und in dicht gewebtem Kescher geseiht: jede Fischerfamilie bekam pro Tag eine Portion Mittagsfisch. Auch jetzt bleibst du nicht hungrig: Die nächste Station der Karte ist Mohács.
9
Die Aromen leiten uns dieses Mal auch ohne Karte zum nächsten Schatz, in eine Welt voll südslawischer Märchen und uralter Instinkte, zum Šokci-Land. Traditionell schlagen die katholischen Baranyaer Kroaten mit ganzem „Saka“, also mit der ganzen Handfläche ein Kreuz nach dem Gebet. Vielleicht wurzelt die Bezeichnung „Šokci“ darin. Die Šokci flohen vom Grenzgebiet Bosniens auf das Gebiet Ungarns im 16. Jahrhundert vor der türkischen Herrschaft. Es ist ein Gebiet, das an Salzbergwerken reich ist. Sókút, sokutac, sokac: Auch das kann den Ursprung des Namens erklären. Sie bewahrten nicht nur ihren Glauben, sondern auch ihre Brauchtümer und ihre Küche bis ins 21. Jahrhundert. Und ein 400 Jahre lang bewahrtes Geschenk wickelt man vorsichtig aus. Das tust du auch, wenn du ŠokciBohnen probierst, nach den Klängen der Tambura auf einer Kásáder Hochzeit tanzt, Sachen zum großen Donauwaschen bringst oder hinter Buscho-Masken blickst.
Unter dem nach außen gekehrten Schafspelz schwitzt sogar auch der kalte Februar. Der Winter soll Angst haben! Knarren schrillen, Tamburas singen und im Brotsack steckt eine Schnapsflasche. Bei jedem Schritt der in Bundschuhen steckenden bunten Socken dröhnt die Kuhglocke, die der Buscho mit einem Rinderstrick an seiner Taille festgebunden hat. Die Augen können zwar etwas durch gebohrte Löcher und durch die ausgeschlagenen Lücken der lächelnden Holzzahnreihe sehen, aber nur der Buscho weiß, wer darin ist. Was darin ist. Der Bewusstseinszustand der Verwandlung. Die, wie die Šokci sagen, Poklade. Das Geheimnis. Das Geheimnis des Buschos darüber, wer er ist. Und darüber, wie das Mohács ist, das er durch die nur den Tunnelblick erlaubende blutbeschmierte Maske sieht. Von Kismohács, von der Insel kommt die heuchlerische Buschomeute auf Kähnen. „Bao-bao!“ schreien die aus roter Weide geschnitzten, mit Rinder- oder Schweineblut beschmierten Gesichter, deren Zähne ausgeschlagen sind, und sie lächeln, um uns Segen zu bringen. Neben ihnen ziehen Hand in Hand die schönen Buschos in Schleier und in Šokci-Tracht. Weiter weg prügeln die Jankels die Zuschauer mit Strohsäcken, sie sind die Leibgardisten der Buschos. Man sagt, die Türken verdrängten die hier lebenden südslawischen Šokci ins umliegende Moorland, die danach die Donau überquerten und hinter schaurigen Masken steckend die Eindringlinge verjagten. Heute wird der Winter so verjagt. Bei Dämmerung tanzen sie um den Scheiterhaufen, der den Sarg des Winters symbolisiert, auf dem Hauptplatz. „Bao-bao!“
15
24
Wenn deine Augen müde von der blendend weißen Farbe sind, markiert die Karte auch eine schwarze Welt. Aus schwarzem Krug fließt der Wein, in schwarzem Mörser wird die Walnuss gemahlen, das Wasser fährt in schwarzer Kanne, auf schwarzen Tellern die Suppe, schwarze Platten hängen an der Wand, ein schwarzer Buscho starrt mit schwarzen Augen. Und mit schwarzer Keramik schreibt sich eine Stadt in der Baranya ins Buch der Töpferkunst. Mit der berühmten Mohácser schwarzen Keramik. Aber hier mögen alle die dunkle Farbe. Da die Frauen auch am Anfang des letzten Jahrhunderts schwarze Sachen an Feiertagen anzogen, und die Farbe der Trauer in der Süd-Baranya weiß war. Und die schwarze Farbe ist die Schutzmarke auch der in Mohács gefertigten Keramik. Das Material, das László Lakatos in seiner Mohácser Werkstatt gestaltet, ist ursprünglich natürlich nicht schwarz. Er lernte von seinem Vater, dass alle Öffnungen des Ofens geschlossen werden müssen, wenn die Töpfe beim Brennen rot glühen. Der Topf wird durch die Abdrosselung und die Reduktion schwarz. Das Muster wird traditionell noch vor dem Brennen gerillt oder mit Kiesel gescheuert. Im 18. bis 19. Jahrhundert lieferte die Donau Hunderte von solchen schwarzen Töpfen an jeden Punkt des Landes und auf den Balkan.
25
32
Aus den Hochzeitskrügen von Márok fließt Blauer Portugieser bis Tagesanbruch. Wo die Öffnung der Flasche hinzeigt, dahin zeigt auch die Karte: in die Richtung des Weins. Man sagt, nach der Landnahme schlugen der Held Bor und sein Volk das Lager auf dem Weinanbaugebiet von Villány auf, genau dort, wo der nächste Schatz liegt. Nimm ihn also aus der Kiste, nippe am Wein und lass ein altes Märchen aus der Tiefe der Flasche herauskommen!
33
Vielleicht denkst du jetzt: Wenn der Teufel diese Landschaft schon umgepflügt hat, hatten die Winzer vor der Anpflanzung nicht viel zu tun. Aber der Teufel war gar nicht so gnädig zu den Winzern! Der zwischen dem Villány-Gebirge, dem Kirchberg (Templom- hegy) und dem Ufer des Karasica-Baches liegende Teufelsgraben (Ördögárok) gibt der Weintraube alles reichlich, was sie nur braucht: Löss und Roterde auf KalksteinDolomit-Grundgestein, das ausgezeichnete Mikroklima der im Tal steckenbleibenden Wärme und der hohen Luftfeuchtigkeit, Sonnenlicht und Regen. Aber das Gebiet ist ein Kessel umgeben von steilen Hügeln, wo man mit großem Aufwand eine Reihe von Terrassen zur Anpflanzung der Weintraube gestalten musste. Aber es hat sich gelohnt! Ungarns Spitzenweine ruhen in dieser Gegend in den Fässern der besten Winzer. An fast jedem Punkt des riesigen Gebietes des Teufelsgrabens ist die Weintraube anderen Wirkungen ausgesetzt, so kann das Ergebnis ein Cabernet Franc, Pinot Noir und Tempranillo, aber auch sogar ein Portugieser oder Merlot sein.
38
Die Weinstationen sind noch gar nicht zu Ende. Wenn du aus dem Teufelsgraben rausgekommen bist, geh weiter, bevor der Abend kommt! Verstecke das Rezept des Villányer Weins tief in deinem Brotsack: warmes, sonniges Wetter, trockener Sommer, auf Kalkstein gelagerte Roterde, Gemisch von Löss und braunem Waldboden und eine Portion Liebe. Und die im 18. Jahrhundert hierhergekommenen fleißigen Schwaben: Sie bauten die Weinkeller in dieser Weinregion, und sie brachten auch den Blauen Portugieser mit sich. Obwohl das Weingebiet nach Villány benannt wurde, füllen die Nachbarn ihren Wein mit Villány ins gemeinsame Fass. Zum Beispiel Palkonya mit seiner märchenhaften roten Kirchenkuppel. Oder Villánykövesd, das auf Postkarten oft falsch als Villány firmiert, mit seiner wunderschönen Kellerreihe und das am Fuß von Szársomlyó liegende Nagyharsány.
39
Auf der südlichen Seite der Beremendscholle wachsen Glockentürme aus dem Felsen. Wo du jetzt stehst, standen auch die Flüchtlinge der Jugoslawienkriege. Wo du jetzt hinguckst, sahen sie, wie ihre Dörfer, Kirchen und Häuser auf der anderen Seite der Grenze zerstört wurden. Die Kapelle der Versöhnung bauten die verschiedenen Nationalitäten und Konfessionen für sie und für die nach dem II. Weltkrieg ausgesiedelten Deutschen als Zeichen des Friedens.
50
Mit der nächsten Hochzeitseinladung kommst du der kroatischen Grenze noch näher, der Brauch der Kásáder Hochzeit ist ähnlich wie bei den Nachbarn. Die Frauen setzen ein rotes Tuch und eine verzierte Krone auf den Kopf des Mädchens. Das ist der letzte Schritt der Ankleidung. Langsam ist es Zeit sich zu verabschieden: Die Hochzeitsgesellschaft ist schon im Haus des Bräutigams angekommen, und sie ziehen mit Gottessegen zur Braut weiter. Folge der Fahne, geh nach dem Brautführer, an seiner Weste siehst du den Rosmarin der Treue. Die Brautmutter küsst ihre Tochter und übergibt sie ihrem Brautwerber. Auf dem Hof des Elternhauses tanzt die Hochzeitsgesellschaft und sie gehen gemeinsam zur Kirche, etwa 300 Gäste feiern das junge Paar. Nach der Zeremonie schlagen die Köchinnen mit Holzlöffeln die leeren Kochtöpfe: Sie öffnen die Tore nicht, bis der Brautführer zahlt. Der Kochtopf, der voll mit Geld ist, ist das Hochzeitsgeschenk. Und die hohe Zuckertorte, mit Spitzen verziert, ist auch ein Geschenk, das der Trauzeuge dem jungen Paar übergibt. Sie zerknicken die Torte mit ihren Handflächen, die aufeinander sind und jeder Gast nimmt ein Stück Torte.
In der Ormánság lebten reformierte Ungarn Jahrhunderte lang. In ihren Kirchen mit Kassetten malten sie vor 200 Jahren die uralten ungarischen Symbole mit hauptsächlich roten, gelben, blauen, grünen und weißen Temperafarben auf die aus Holz gezimmerte Decke, an die Seite der Bänke oder auf die Predigtstühle. Die meisten von ihnen wurden später verputzt, so kann man sie meistens nur zufällig sehen. In Kórós gibt es Holzkassetten an der Decke der Kirche, die mit 66 dünnen Latten getrennt sind. Neben Tulpen mit drei Blumenblättern, Blumen, Ranken und Blättern erinnert uns eine Inschrift an die Erweiterung: „Dieser heilige Ort wurde 1834 erweitert.” Du sollst dir auch die Vorderseite der Bänke und die Ostereiverzierungen ansehen. Die Ostereiverzierungen wurden vom Tischlermeister János Gyarmati aus Vajszló gefertigt.
68
In der Kirche von Drávaivány kann man 167 gefärbte Kassetten sehen. Eine von ihnen erinnert uns an die Bestrafung der Sünden, aber sie bringt auch den Frieden nach der Sintflut mit sich. In der Ormánság ist sie die einzige Kirche, wo nicht nur Motive, sondern auch Gestalten von der Decke die Besucher begrüßen. In der Mitte, an der Stelle des Königs findet man die Königskassette der Hersteller und das Symbol sieht man in der Seejungfrau mit Fischschwanz, Krone und dem Schwert in ihrer Hand, sowie in der Taube, die im Schnabel einen Ölzweig hält. Wenn die Decke einstürzt, zeigt das, dass jemand die Wahrheit verschweigt. Genau das passierte auch in der Kirche von Zaláta, als in den 70er Jahren ein großes Stück Putz von der Decke über dem Orgelchor herabstürzte. Erst dann fand man heraus, was für eine schöne Wahrheit unter der Oberfläche wohnte. Bis dahin bedeckte oben eine Schicht, die weißen Marmor auf grauem Grund imitiert, darunter Ölfarbe und noch früher Schmaltblau die mit lebhaften Rankenmotiven bemalten Latten, die man jetzt schon für die Zukunft im bestmöglichen Zustand zu bewahren versucht.
69
104
105
134
Wenn du satt bist, geht es weiter zur nächsten Station, nach Püspökszentlászló. Hier brauchst du den gesunden Menschenverstand, weil man in diesem Dorf im östlichen Mecsek die Pfannkuchen nur auf einer Seite backt. Nimm diesen Scherz nicht so ernst, schau eher auf die steile Seite des Tals und du wirst sehen, dass Püspökszentlászló nur über eine Straße verfügt, aber man baute nur auf deren nördlicher Seite Häuser. Natürlich backt man nur auf dieser Seite Pfannkuchen! In den auf den 32 Grundstücken im ursprünglichen Zustand bewahrten Bauernhäusern leben heute wieder mehr als 20 Personen. Und viele kommen nur zum Ausspannen in den zu Hosszúhetény gehörenden Dorfteil, wo man oft ausländische Worte durch die Fenster hören kann: Viele kommen aus dem Ausland.
135
146
Das Abenteuer der Schatzsuche dauert schon lange, doch die Schatzkiste bot deinem Magen seit langem keine Köstlichkeiten an. In Feked bekommst du die! Aber vor dem Schmaus zieh noch ein Sprachrätsel aus der Kiste: „A Stifoller készíti a Stifoldert, a Stifi egy Sommerwurst Fuldából.“ Sag diesen Satz jemandem in Feked, und du bekommst bestimmt einen herzlichen Empfang. Aber damit du verstehst, was du sagst, hier die Übersetzung: Die deutschen Siedler, die Stifoller, die Meister der Wurstfertigung waren, kamen aus Hessen, aus der Abtei von Fulda und ihre Spezialität war die leckere, dicke, würzige Wurst namens Stifolder oder mit Spitznamen Stifi, die kalt geräuchert wurde und im Sommer reif wurde. So wird sie gefertigt: Nimm ein Drittel gekochtes Paufleck, also Bauchfleck und mageren Goderspeck. Gib dazu zwei Drittel frisches Wurstfleisch! Dreh es durch den Fleischwolf und leg es in einen Holztrog! Kneten, kneten, kneten! Wenn die Masse faserig von deiner Handoberfläche fällt, bist du fertig. Lass dich und auch die Füllung einen Tag ruhen! Am nächsten Tag gib dazu scharfe Paprika, fülle es in Schweinedarm und lass es wieder ruhen! Hänge es in den Räucherkamin für 2-3 Monate! Benutze Buche, Eiche oder Akazie. Wenn du im Sommer mit der Ernte fertig bist, ist es auch reif.
147
„Weit entfernt liegt eine Ebene, wo der Korporal Reihen ruft, weit entfernt wirkliche vier Türme, Minarette und Bögen; weit rauchender Mecsek mit grüner Spitze macht neu, und schenkt den Augen frische Kränze.”
Die nächste Station der Schatzkiste könnte eine weitere Aufgabe sein, aber die vier Türme geben sofort die Lösung zu den Zeilen von Mihály Babits: Die Kathedrale begrüßt dich, weil du im Komitatssitz angekommen bist. Willkommen in Pécs! Der weite südliche Teil ist eben. Im Norden dehnt sich die Stadt auf die grünen Hügel des Mecsek aus und geht weiter in seine Täler. Wenn du durch die Stadt laufen möchtest, musst du damit rechnen, dass du von einer Höhe von 150 Meter plötzlich 400-600 Meter hochsteigen musst.
152
An einem Sommernachmittag auf den Kalksteinfelsen des Mecsek oberhalb der Stadt oder auf den engen Straßen und im abendlichen Getümmel der Innenstadt verstehst du, warum viele Pécs für eine mediterrane Stadt halten. Auf den Straßen, Plätzen und in den Vergnügungslokalen begrüßen die mehr als 20 000 Studenten der Universität Pécs einander in den verschiedensten Sprachen der Welt. Die Nächte sind auch an durchschnittlichen Werktagen lebendig und zur Zeit der Festivals werden auch die Tage lebhaft: Einmal tritt Placido Domingo mit seinem Ensemble auf, dann bemalt das Lichtfestival die Stadt oder das POSZT (das Pécser Landestheatertreffen) macht aus den Plätzen Theater und du kannst sogar im goldenen Herbst Weinlieder singen. Und wenn du den Duft des Mittelmeers hier riechen würdest, hast du eine tolle Nase: Obwohl das Meer weit entfernt ist, liegt das Mediterrane in der Luft, ist es da in den Nachtlichtern, in den morgendlichen Begrüßungen und im Pécser Händeschütteln.
153
Im Raum gehen wir einige Meter, in der Zeit einige Jahrhunderte. Die Zeitmaschine ist immer noch im 4. Jahrhundert, als gerade das Fundament der Pécser Kathedrale neben der Cella Septichora gebaut wurde. Nach den mittelalterlichen Chroniken wurde die heutige Basilika von Pécs während der Herrschaft des in Venedig geborenen ungarischen Königs Peter Orseolo, der später in der Krypta der Kirche die ewige Ruhe fand, im 11. Jahrhundert gebaut. Nach einigen Jahrzehnten wurden König Salamon und seine Vettern in der Kathedrale bestattet. Géza und László waren lange Jahre im Streit mit ihrem Vetter Salamon, der das Königreich geerbt hatte. Der Bruderkrieg endete Ostern 1064: In der damaligen Kirche setzte Géza Salamon mit eigenen Händen die Krone auf. Es bleibt für immer ein Geheimnis, was nach der festlichen Zeremonie das Feuer verursachte, durch das der Großteil des Gebäudes bis auf die Grundmauern niederbrannte. Es freut mich, hier, in Pécs, in einer Stadt mit so vielen historischen Erinnerungen, zu sein; es freut mich, dass ich als der Papst von Rom unter euch sein kann. So begrüßte Papst Johannes Paul II. die Menge bei seiner Ankunft und die Kirche bekam den Rang einer basilica minor.
166
Das Orgelspiel, das man in der Kathedrale hören kann, ist einer Pécser Familie zu verdanken. Fünf Männer der Orgel- und Harmoniumfabrik Angster fertigten in acht Jahrzenten 1300 Orgeln und 3600 Harmonien in der Pécser Fabrik, unter ihnen auch die wunderschöne Orgel der Kathedrale. Man hat in das Instrument in letzter Zeit ein einzigartiges digitales Replay-System integriert: Es wurde mit einem Computer verbunden, der mit einem Tablet von jedem Punkt der Kirche gesteuert werden kann. Das System nimmt keine Töne auf, die Orgelpfeifen tönen auch, wenn der Orgelspieler nicht anwesend ist.
167
170
Die Universität Pécs feierte 2017 ihr 650-jähriges Bestehen, unsere Station ist jetzt also das Jahr 1367. Und wenn Babits uns im Komitatssitz begrüßt hat, soll János Arany nun die Tür der Universität mit zwei Zeilen aus „Toldis Abend“ öffnen: „Nicht einer unter denen, die Pécs besuchten, wo Lajos der Wissenschaft eine Kerze anzündet, wandte sich nach Paris oder Bologna.” Die Initiative König Ludwigs des Großen, die Gründung der ersten Universität Ungarns in Pécs, war eine riesige Investition, aber nicht nur wegen der Bauten. Das Gehalt der ausländischen Professoren war enorm hoch: Der berühmteste Lehrer der Universität, der aus Padua stammte, bekam zum Beispiel jährlich 700 Goldgulden und auch ein eigenes Haus in Pécs. Die Studenten der Pécser Universität machten beneidenswerte Karrieren in Europa, obwohl man weltweit von endlosen studentischen Partys hörte. Die heftigen Perioden der Geschichte unterbrachen die Erfolgsgeschichte der Universität für eine Zeit, aber später wurde die St. Elisabeth-Universität von Bratislava wieder nach Pécs versetzt und so wurde die Stadt erneut ein wissenschaftliches Zentrum. Seitdem arbeitet die Universität Pécs mit der landesweit größten Anzahl an Studenten und fast 3000 ausländischen Studenten, die meisten von ihnen an der Fakultät für Allgemeinmedizin.
171
Da jeder Pascha, der etwas zählte, wenigstens ein Badehaus hatte, war Gázi Kászim keine Ausnahme: Du kannst die Waschbecken seines Badehauses auch heute in der schon katholischen Gyertyaszentelő Boldogasszony-Kirche, also in der Moschee von Pascha Gázi Kászim finden. Wozu benutzt man die Becken heute? Ja, du hast Recht, auch heute ist Wasser in ihnen: Weihwasser. Die im 13. Jahrhundert gebaute Bartholomäus-Kirche war wahrscheinlich das Fundament der Moschee, die Pascha Gázi Kászim aus einer schönen Summe, die er für einen ungarischen christlichen Sklaven bekam, bauen ließ. Die Kathedralmoschee wurde vom Széchenyi-Platz gesehen gedreht gebaut, weil sie auf diese Weise Richtung Mekka sieht. Wenn auch verblasst, so sind an den Innenwänden des Gebäudes doch noch immer Koranzitate lesbar, und man kann die auch nach Osten orientierte Gebetsnische sehen, den Mihrāb.
176
177
184
Die Bischofsbibliothek von Pécs hat bestimmt Aufzeichnungen über das Märchen vom Tettye. Vor mehr als 200 Jahren. „Eine neue Bibliothek blüht hier voll mit geordneter Wissenschaft. Und was noch wichtig ist, dass alles frei für alle da ist.“, schreibt Ferenc Faludi über die nach dem Pécser Bischof György Klimo genannte Bibliothek, die die Leser, die neues Wissen erwerben wollten, schon zur Zeit der Gründung kostenlos empfing. Damals war es das Zeichen des Fortschrittsgeistes. Der Bischof ließ die lateinischen Regeln der Bibliothek in Stein hauen, in denen finanzielle Lage und Herkunft nichts zählten, aber den „idiota”, also die Analphabeten, den „famulus iners”, die gefährlichen Arbeitsscheuen, und die „fabulatorok“, die Schwätzer verbot.
185
192
Gladiatoren, Vesta-Priesterinnen, Kämpfer aus dem Altertum und aus dem Mittelalter, Jongleure, Feuertänzer und riesige Drachen. Das ist schon sicher keine Zeitreise mehr und keine märchenhafte Legende, weil du in der Gegenwart bist, und zwar auf dem international bekannten Zsolnay-Lichtfestival. Die Phantasie, die vorgestellte Zukunft, die Grenzlosigkeit und die Lichtmalerei färben die fast 2000 Jahre Vergangenheit der Stadt auf einer Fläche von mehr als 10 000 m2.
193
Du bist im Jahr 1973 mehr als 600 Meter hoch auf einem der Gipfel des Mecsek, auf dem Fernseh- und Aussichtsturm auf dem Misina, im Moment der Fertigstellung. Die Schatzkiste schickt dich jetzt nicht 200 Millionen Jahre zurück, also gehe hinab auf die Ebene des Turmcafés, um den ältesten und berühmtesten Dinosaurier Ungarns, den Komlosaurus, kennen zu lernen. Die während des Kohlebergbaus im Mecsek gefundenen, versteinerten Dinosauriereier beweisen, dass sich die Dinosaurier mit kleineren Körpern aus der lokalen Flora gut ernähren konnten. Der etwa 1 bis 2 Meter hohe Komlosaurus ging auf seinen 12 bis 18 Zentimeter großen Füßen, die aus 3 Zehen bestanden, und konnte 60 bis 70 Zentimeter lange Schritte machen, als diese Landschaft komplett anders aussah als jetzt.
198