Leseprobe: Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2010

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Architektur in Hamburg Jahrbuch 2010 Herausgegeben von Dirk MeyhĂśfer und Ullrich Schwarz im Auftrag der Hamburgischen Architektenkammer


Inhalt

9 Editorial von Konstantin Kleffel

Hamburger Architek tur 2009 / 2010

10 Sanft schimmerndes Geschmeide – Die Columbia Twins am Altonaer Elbufer Architekt: Carsten Roth Text: Claas Gefroi 18 Wohnmodell mit Zukunft – Alternative Hausboote am Eilbekkanal Architekten und Planer: tun architektur; Rost.Niderehe Architekten; Ina Romy Alexander + Friedemann Dahling; Format 21 und baubüro.eins Text: Ansgar Steinhausen 26 Wohnen ist rund – Der Marco Polo Tower in der Hafencity Architekten: Behnisch Architekten Text: Christian Marquart 32 Verschlungene Wege – Weiterbau in der City zwischen Profit und Denkmalpflege Architekten: KBNK Architekten; Martin Hecht; André Poitiers Text: Amber Sayah

40 Leuchtturmprojekt – Die Internationale Schule Hamburg Architekten: Kramer Biwer Mau Architekten Text: Jörg Seifert

70 »Blick nach Dänemark« – Wohnhaus Potosistraße Architekten: Wacker Zeiger Architekten Text: Stephan Feige

48 Das kleine Glück im Winkel – Das Husarenquartier in Marienthal Architekten: Renner Hainke Wirth; Bechtloff Derfler Steffen; m2r architecture; Garbe Living; spine architects Text: Claas Gefroi

72 Trio St. Georg – Drei Baulückenschließungen Architekten: APB.Architekten Text: Ralf Lange

58 »State of the art« – Nordmetall College der Jacobs University, Bremen Architekten: Böge Lindner Architekten Text: Ulrich Höhns 62 Raumwunder – Erweiterung der Katholischen Grundschule St. Antonius Architekten: Andreas Rowold Architekten Text: Frank Pansegrau 64 Zwischen Kneipe und Kita – Ein Wohnhaus für die »Kreative Klasse« Architekten: Kleffel Papay Warncke Architekten Text: Claas Gefroi 68 Abstrakt, aber sinnlich – Deutsches Klimarechenzentrum Architekten: Lehmann + Partner Architekten Text: Stephan Feige

76 Neue Heimat für den Küchen-Bullen – Die Schanzen-Höfe Architekten: Giorgio Gullotta Architekten Text: Isabelle Hofmann 82 Einfache Geometrie und konstruktive Leichtigkeit – Wohnhaus Hirschpark Architekten: splendid_architecture Text: Gisela Schütte 84 Metamorphose – Energetische Ertüchtigung in Eppendorf und Barmbek-Uhlenhorst Architekten: BUERO51 Architekten und KBNK Architekten Text: Oliver G. Hamm 88 Romantik und Aktualität – Bandreißer Hof / Haseldorfer Marsch Architekten: D / E Architekten Text: Christian Marquart


90 In die Gänge gekommen – Terrassenhöfe Valentinskamp Architekten: me di um Architekten Text: Heinrich Wähning

114 Mittelstandswohntraum – Umbau einer Doppelhaushälfte Architekten: Laura Jahnke Architekten Text: Jürgen Tietz

94 Zwei Monolithen als Ensemble – Sonwik-Wohnhochhäuser in Flensburg Architekten: APB.Architekten Text: Ulrich Höhns

116 Lernen von Münster – Die NRW.Bank Architekten: eisfeld engel Architekten Text: Dirk Meyhöfer

98 Alte Perle – Sanierung und Umbau des Altonaer Kaispeichers Architekten: nps tchoban voss Text: Jürgen Tietz 100 Himmelsbogen, Löwenauge und Blütenkelch – WM-Stadien von gmp in Südafrika Architekten: gmp von Gerkan, Marg und Partner Text: Falk Jaeger

120 Kein bisschen traditionell – Bebauung am Blankeneser Bahnhof Architekten: Gössler Kinz Kreienbaum Text: Gert Kähler 126 Segel gesetzt! – Maritimes Museum Lingang New City, China Architekten: gmp von Gerkan, Marg und Partner Text: Dirk Meyhöfer

106 Low Tech und High Efficiency – Das Hamburg House auf der Expo 2010 Architekten: Spengler – Wiescholek; Dittert & Reumschüssel Text: Falk Jaeger 110 Der Schwung der frühen Jahre – Revitalisierung eines ehemaligen Versicherungsgebäudes Architekten: Architektenbüro Schroeder Text: Ralf Lange

Hamburger Feuilleton

132 Der vierte Fluss – Die Ost-West-Straße Text: Dirk Meyhöfer 140 Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung – Motor oder Hemmnis? Text: Claas Gefroi 146 »2010 Zukunft sehen« – Halbzeit der Internationalen Bauausstellung Hamburg Text: Christian Marquart

154 Der Vater von Hamburgs Central Park – Karl Plomin (1904-1986) Text: Eva Henze 162 Rennpferde in Hamburg – Die Architekten Renner Hainke Wirth Text: Dirk Meyhöfer 172 Warten auf das Wohnen in der Hafencity Text: Gert Kähler 180 »Recht auf Stadt«? Recht auf das Gewohnte! Text: Gert Kähler 184 Architektonische Schatzkammer – Das Bergedorfer Villengebiet Text: Ralf Lange 188 Hamburgs »Unter den Linden« – Die Geschichte der Esplanade Text: Lars Quadejacob 198 Autoren und Redaktion 199 Fotografen, Architekten 200 Impressum



Editorial Konstantin Kleffel, Präsident der Hamburgischen Architektenkammer

Ein Thema des letzten Jahres, die Verlagerung der Universität vom jetzigen gewachsenen und urbanen Standort weg zum Kleinen Grasbrook ist vom Tisch – wir haben aufgeatmet. Ein anderes Thema der letzten Jahre, die Verlagerung der Wilhelmsburger Reichsstraße, ohne die wesentliche Ziele von IBA und IGS im Interesse der zukünftigen Entwicklung Wilhelmsburgs nicht erreicht werden könnten, scheint zumindest auf der Ebene unserer Regierung ausdiskutiert und die Verlegung – spät genug – entschieden zu sein. Protest ist aber bereits laut geworden. Und das Gängeviertel, das Katharinenquartier, die Große Bergstraße in Altona ... Proteste allenthalben, manchmal nur in Fachzirkeln, ein anderes Mal in breiter Öffentlichkeit; und selbstverständlich immer in den Medien. Seit diesem Sommer hat Deutschland ein Synonym für das Aufeinanderprallen von Bürgermeinungen und Projekten, die das Ergebnis rechtsstaatlicher Planungs- und Entscheidungsprozesse sind, wobei wir ruhig unterstellen wollen, dass eventuelle Verfahrensfehler erheblichen Umfangs vermieden wurden: Stuttgart 21! Was ist hier im Großen wie im Kleinen, im Speziellen und im Allgemeinen, bis hin zu gesellschaftspolitischen Fragestellungen größter Bedeutung eigentlich los? Die Abgrenzungen zwischen den Gruppen unserer Gesellschaft bis hin zu den politischen Parteien, zwischen ihren Programmen und Ideologien sind porös geworden und mithin das Bild der politischen und administrativen Repräsentanz diffus. Und wenn die Bejahung durch den Bürger, die öffentliche Meinung nicht gewonnen werden konnte, entsteht der Protest. An dem essenziellen Wert von Rechtsstaatlichkeit, daran, dass die Ergebnisse rechtsstaatlicher Verfahren bindend und haltbar sein müssen, gibt es für mich nicht den geringsten Zweifel. Die jeweiligen Meinungs- und Entscheidungsträger haben dabei allerdings zweierlei zu beachten: erstens, dass die gesellschaftlichen – die zivilisatorischen und kulturellen – Entwicklungen ein Tempo aufnehmen, das Planungs- und Entscheidungsprozesse oft in den Schatten stellt. Und wenn Parameter sich verändert haben, dann sind auch Ergebnisse zu überprüfen. Und zweitens, dass eine umfassende und frühestmögliche Unterrichtung der Öffentlichkeit absolut unverzichtbar ist. Ich finde die Bemühungen der staatlichen Akteure unserer Stadt um eine breite Information über das Ergebnis der IBA-Planungen zu ihrer Halbzeit ebenso wie über den überarbeiteten Masterplan für

die östliche Hafencity beispielhaft. Dieses Niveau muss auch für die innere Stadt, für Altona, für wesentliche Einzelprojekte erreicht werden. Erneut also die Frage: Ließe sich Bürgerinformation gepaart mit kritischer Diskussion nicht endlich auch außerhalb von Bürgerschaft und Bezirksparlamenten, beispielsweise in einer »Stadtwerkstatt« institutionalisieren? Unser Berufsstand, zeigt er nicht mit den Veranstaltungen unserer Kammer oder mit dem Architekturclub des BDA viel guten Willen? Die HCU wartet zwar weiterhin auf ihr neues Gebäude, aber einen neuen Präsidenten hat sie nun. Seine Wahl wurde von den zuständigen Gremien einstimmig bestätigt. Wir wünschen Walter Pelka Erfolg dabei, die innere Struktur zu festigen und zu optimieren, und auch dabei, die HCU zu einem wichtigen Partner in dem vor uns liegenden Stadtdialog zu machen. Und zum Schluss noch einmal in eigener Sache ... und nach Art des damaligen Direktors der Hamburger Kunsthalle, Werner Hofmann, der am Ende jeder seiner Ansprachen die Forderung nach einer baulichen Erweiterung der Kunsthalle wiederholte: Über unser Tagesgeschäft hinaus bemühen wir uns um die langfristige Sicherung unseres Architekturarchivs. Hierbei handelt es sich ja nur um ein winziges Partikel im Geflecht der kulturellen Institutionen unserer Stadt, allerdings um eines, das nicht am Tropf der Stadt hängt, was man im Augenblick geradezu für einen Vorteil halten möchte. Dass in der Hamburgischen Architektenkammer und bei ihren Mitgliedern trotz des erforderlichen finanziellen Engagements in den vergangenen Jahren nicht ein einziges Mal Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Architekturarchivs aufgekommen sind, ist in bewegten Zeiten nicht selbstverständlich. Angesiedelt in der Speicherstadt, in unmittelbarer Nähe zur HCU, wird es unsere Aufgabe sein, ein tragfähiges Profil und eine organisatorische wie finanzielle Verankerung zu finden, die auch das Architekturarchiv zu einem leisen, gleichwohl unentbehrlichen Partner im Stadtdialog der Zukunft macht, so wie es das in den vergangenen zwanzig Jahren bereits gewesen ist.

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10   Die Columbia Twins am Altonaer Elbufer


Sanft schimmerndes Geschmeide – Die Columbia Twins am Altonaer Elbufer Carsten Roths elegante Bürohauszwillinge an der Großen Elbstraße sind gleichermaßen markant wie subtil, eigenständig wie kontextuell. Sie unterscheiden sich damit wohltuend von der oftmals aufgeregten, disparaten Bebauung entlang des nördlichen Elbufers. Text: Claas Gefroi, Fotos: Klaus Frahm


12   Die Columbia Twins am Altonaer Elbufer


Liebe zum Detail: Auf den Sitzstufen zur Elbe lässt sich nicht nur das Hafenpanorama, sondern auch die ausgeklügelte Fassadenkomposition der beiden Achtgeschosser genießen.

Im Windschatten von Hafencity, IBA und Co. war die »Perlenkette«, Hamburgs erster Versuch einer Rückkehr an die Elbe, ein wenig in Vergessenheit geraten. Dabei ist der in den achtziger Jahren unter dem damaligen Oberbaudirektor Egbert Kossak initiierte Prozess der Neustrukturierung des nördlichen Elbufers zwischen Fischmarkt und Oevelgönne noch immer nicht abgeschlossen. Momentan bauen Kees Christiaanse und ASTOC einen gläsernen Wohnturm und eine Variation ihres Backsteinbürobaus »Holzhafen Ost« auf der Westseite des namengebenden kleinen Hafenbeckens. Neben dem ehemaligen Terminal der Englandfähre errichten Renner Hainke Wirth ein Cruise Center, das Entlastung schaffen soll für die beiden temporären Hallen in der Hafencity. Und noch ein wenig weiter westlich haben NPS den alten Altonaer Kaispeicher in ein Bürohaus umgebaut (siehe auch S. 98 f). Parallel zur Schließung der letzten Uferlücken mehren sich indes die Stimmen, die sich gegen den fortschreitenden Wandel aussprechen. Zu groß, zu monoton, zu beliebig seien die Neubauten, so die Kritiker. Der Architekt Carsten Roth hatte nun das Pech, mitten hinein in diese Missstimmung zwei weitere Bürobauten östlich des Altonaer Kaispeichers zu planen. Prompt gab es Anwohnerproteste; ein Arzt fühlte sich gar bemüßigt, in einem Brief an den Bürgermeister gegen drohende »belanglose Globalisierungsarchitektur« zu Felde zu ziehen, die »traditionelle Blickbeziehungen komplett blockiert«. So sehr die Sensibilität der Anwohner gegenüber Veränderungen in ihrem Wohnumfeld zu begrüßen ist – der Streit entzündet sich am falschen Objekt. Natürlich, es sind wieder einmal Bürobauten am Elbufer entstanden und keine Wohnhäuser, doch die Verantwortung hierfür tragen Bezirk und Stadt: Entlang der gesamten Perlenkette war der Neubau von Wohnraum unerwünscht, weil man Klagen der Anwohner gegen den Lärm der Containerterminals auf der anderen Elbseite fürchtete. An diesem Dogma wurde bis heute nicht gerüttelt – auch nicht von Bürgerseite. So ist der neue Wohn-»Kristall« am Holzhafen vor allem neuen Möglichkeiten der Schalldämmung zu verdanken und nicht etwa einem Kurswechsel in der Stadtplanung. Im Übrigen bleibt fraglich, ob denn ein weiteres Luxus-Apartmenthaus (und nur ein solches wäre hier unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen denkbar) mehr zur Belebung des Umfelds beigetragen hätte. Wenn man diese durch Investor und Architekt nicht zu

beeinflussenden Festlegungen einmal beiseite lässt, bleibt festzustellen: Die »Columbia Twins« bilden geradezu das Gegenteil einer beliebigen, ahistorischen, vereinheitlichten Investorenarchitektur. Was zu beweisen wäre: Das erste, was Carsten Roth im Gespräch zu seinen Bürozwillingen erzählt, ist, wie lange man im Büro mit Zeichnungen, Perspektiven und Modellen daran tüftelte, die 14 500 Kubikmeter Bruttogeschossfläche in zierliche und elegante Baukörper zu fassen. Keinen Riegel, sondern zwei die Biegung des Ufers nachvollziehende, leicht zueinander gedrehte Gebäude mit moderaten Höhen und schlanker Silhouette entwickelte man, um die Sicht auf den Strom möglichst wenig zu verstellen. Deren Raffinesse steckt im Detail: Die Längsseiten verjüngen sich von den Mittelachsen (den »Bügelfalten«, wie sie der Architekt nennt) zu den äußeren Enden. Ähnlich wie beim berühmten Pirelli-Hochhaus in Mailand lassen die gebrochenen Fassaden die Bauten grazil und elegant erscheinen; der wohldosierte Ausbruch aus der Orthogonalen weitet zudem das Blickfeld für Passanten auf die Elbe. Es ist übrigens keineswegs selbstverständlich, dass Fußgänger hier aufs Wasser und nicht gegen eine Betonwand wie in Neumühlen blicken, denn auch die »Columbia Twins« stehen auf einem gemeinsamen, im Inneren als Garage genutzten Flutschutzpolder. Hier jedoch wurde er auf den Straßenraum ausgedehnt und soll seine Fortsetzung auf dem vor dem Altonaer Kaispeicher liegenden Grundstück erfahren, das demnächst bebaut wird. Zum Strom wurde der Sockel abgetreppt und bietet Sitzgelegenheiten für jedermann. Leider wurde das »Hafenbahnhof«-Gebäude nicht in den Polder integriert. Der eingeschossige Backsteinbau auf der anderen Straßenseite war früher ein Aufenthaltsraum für Bahnwärter der Altonaer Hafenbahn, die einst vom Bahnhof Altona durch den Schellfischtunnel die Elbe entlangführte. Das heute als Café, Bar und Musikclub genutzte Kleinod versinkt nun hinter der hochgelegten Großen Elbstraße und ist damit (wie schon das alte Amt für Stromund Hafenbau in der Hafencity) ein Menetekel für den ungelösten Konflikt zwischen Hochwasserschutzmaßnahmen und dem Erhalt wertvoller Bausubstanz. Der Architekt hatte vergeblich das Anheben des Gebäudes angeregt – nicht ganz uneigennützig: Immer sonntags »cruist« Carsten Roth zum traditionellen »Motoclub« im Hafenbahnhof – einem Stelldichein der Liebhaber von Old- und Youngtimern

Die Columbia Twins am Altonaer Elbufer   13


Haus West Oben: Das Innere ist dank gläserner Trennwände licht und weit: Aus jedem Raum gibt es wunderbare Blicke auf Fluss oder Geesthang. Der Lageplan (unten) zeigt, wie die Stellung der Baukörper die Biegung der Elbe nachvollzieht. Rechte Seite: Leichter Wellengang – die Prallscheiben unterlaufen subtil die strenge Orthogonalität.

Große Elbstraße Haus Ost

Haus West Kaispeicher D

Regelgeschoss

Elbe

Lageplan

14   Die Columbia Twins am Altonaer Elbufer

Haus Ost


vorzugsweise amerikanischer Provenienz. Und wer will schon seine »Chromjuwele« im Souterrain parken? Kostbar wie Schmuckstücke – so wirken auch die beiden Büro­ häuser. Es sind vor allem die (auf Fotos nur unzulänglich abbildbaren) sanft schimmernden Metallverkleidungen der Seitenfassaden, die den eigentümlichen Reiz ausmachen. Ihr Rotton lässt Kupfer oder Bronze vermuten, doch handelt es sich um gewöhnliches Edelstahlblech, das mit einer Titanbeschichtung veredelt wurde. Kenner des Roth’schen Œuvres erinnern sich natürlich sofort an die Fassaden der Bürohausaufstockung am Waterloohain (siehe Jahrbuch 2003), doch übernahm der Architekt hier nicht deren polyspektrale Oberfläche. Das macht Sinn, denn die Beschränkung auf ein warmes Rot passt wunderbar zum backsteinernen Kaispeicher gleich nebenan. Von delikater Raffinesse sind auch die weiteren Details: Balkone auf der Wasser- und Landseite im zweiten bzw. dritten Obergeschoss sowie Blendgiebel an den Seitenfassaden gliedern die Bauten ganz klassisch in Sockel, Hauptgeschoss und Dachbereich – man merkt, dass Carsten Roth in der Meisterklasse von Gustav Peichl studiert hat. Der Bauherr wünschte sich, kaum verwunderlich bei der Lage der

Objekte, keine Lochfassaden, sondern horizontale Fensterbänder, die Panoramablicke ermöglichen. Das ist für den Architekten natürlich viel zu simpel gedacht, weshalb die Fenster- und Brüstungsstreifen abschnittweise höher oder niedriger gesetzt wurden. Damit die auf der Innenseite der Fassade liegenden Betonstützen in diesem fein austarierten Spiel von offener und geschlossener Fläche nicht stören, wurden sie auf der Fensterseite kurzerhand schwarz gestrichen. Auch die Stirnseiten unterlaufen subtil die Konventionen der Moderne: Die vor die eigentliche Glasfassade gesetzten Prallscheiben sind teilweise in leichtem Winkel versetzt; das strenge Äußere gerät in Bewegung, schlägt sachte Wellen. Einen schönen Kontrast zu den dunklen, metallischen Gebäudeflanken setzen die mit hellem Granit verkleideten Brüstungsbänder. Der Stein »Verde Marina« passt mit seiner lebendigen, fließendem Wasser ähnelnden Textur bestens zum bewegten Fassadenbild. Auch hier fügen sich die Details stimmig in die Komposition: Die Steinplatten sind so gut aufeinander abgestimmt, dass man die Übergänge kaum bemerkt. Selbst die Stürze der Loggien sind mit Granit verkleidet, und wenn die Sonne scheint, glitzern auf der Südseite wunderbar die Reflektionen des Wassers auf dem hel-

Die Columbia Twins am Altonaer Elbufer   15


Die rötlich schimmernde Fassade aus titanbeschichteten Edelstahlblechen spielt wunderbar mit dem Sonnenlicht und passt bestens zum Backsteinrot des benachbarten Kaispeichers.

len Stein. Und auch die Balkongeländer sind fein gestalteter Teil des Ganzen: Damit sie nicht zu viel Eigenleben entwickeln, wurden sie so schlicht und gleichförmig wie möglich entworfen, so dass nicht einzelne dicke Pfosten, sondern alle Stäbe gleichermaßen die Lasten abtragen. Das Innere der Zwillingsbauten ist, wie zumeist bei heutigen Bürohäusern, schnell erläutert: Die frei einteilbaren Nutzflächen gruppieren sich um einen innenliegenden, tragenden Kern mit Erschließung, Sanitär- und Nebenräumen. Zusätzliche Zwischentreppen erlauben den Zusammenschluss von Flächen auf unterschiedlichen Etagen. Die Musterbüroetage gibt sich dank gläserner Trennwände licht und weit; hier ist alles dem spektakulären Ausblick untergeordnet. Wem das nicht genügt: Als i-Tüpfelchen gibt es, von unten nicht sichtbar, auf den Südseiten der Dächer etwas zurückgesetzte Terrassen, auf denen sich bestens der After-work-Martini nippen lässt. Doch das ist eigentlich nicht weiter wichtig. Es sind die architektonischen und städtebaulichen Qualitäten, die das Ensemble aus dem heterogenen, manchmal auch mediokren Umfeld an der Großen Elbstraße herausstechen lassen. Die gleichermaßen markanten wie subtilen, eigen-

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ständigen wie kontextuellen Häuser geben eine Ahnung davon, wie diese für Hamburg so wichtige Wasserkante hätte werden können, wenn man das Bild der Perlenkette ernst genommen hätte, sprich: nicht von Sensation zu Sensation gehechelt wäre, sondern eine städtebauliche Gesamtkomposition geschaffen hätte. Deren Fehlen sollte, ja, müsste Gegenstand der bürgerlichen Kritik sein und nicht eines der besten Bauwerke entlang des Elbufers. Bauaufgabe COLUMBIA TWINS2, Neubau von zwei Bürogebäuden Architekt Carsten Roth Architekt, Hamburg Mitarbeiter Claudia Eckl, Tim Kettler, Philip Schwaiger, Isabelle Schatton, Birte Lattermann, Mark Schiebler Garten- und Landschaftsarchitekten Bendfeld Herrmann Franke, Kiel Bauleitung Künstlerische Oberbauleitung: Carsten Roth Architekt Fachingenieure Tragwerksplanung: Wetzel & von Seht, Hamburg; Haustechnik: Heinze Stockfisch Grabis + Partner GmbH, Hamburg Bauherr AUG. PRIEN Immobilien Gesellschaft für Projektentwicklung mbH, Hamburg Konstruktion und Material Rohbau: Stahlbeton; Fassade: Edelstahl, Aluminium, Glas, Naturstein Größe BGF: ca. 14 500 m2 Standort Große Elbstraße 273 / 275



Editorial von Konstantin Kleffel Hamburger Architektur 2009 / 2010 Carsten Roth Architekt: Die Columbia Twins am Altonaer Elbufer tun architektur; Rost.Niderehe Architekten; Ina Romy Alexander + Friedemann Dahling; Format 21 und baubüro.eins: Alternative Hausboote am Eilbekkanal Behnisch Architekten: Der Marco Polo Tower in der Hafencity KBNK Architekten; Martin Hecht; André Poitiers: Weiterbau in der City zwischen Profit und Denkmalpflege Kramer Biwer Mau Architekten: Die Internationale Schule Hamburg Renner Hainke Wirth; Bechtloff Derfler Steffen; m2r architecture; Garbe Living; spine architects: Das Husarenquartier in Marienthal Böge Lindner Architekten: Nordmetall College der Jacobs University, Bremen Andreas Rowold Architekten: Erweiterung der Katholischen Grundschule St. Antonius Kleffel Papay Warncke Architekten: Ein Wohnhaus für die »Kreative Klasse« Lehmann + Partner Architekten: Deutsches Klimarechenzentrum Wacker Zeiger Architekten: Wohnhaus Potosistraße APB.Architekten: Trio St. Georg Giorgio Gullotta Architekten: Die Schanzen-Höfe splendid_architecture: Wohnhaus Hirschpark BUERO51 Architekten und KBNK Architekten: Energetische Ertüchtigung in Eppendorf und Barmbek-Uhlenhorst D / E Architekten: Bandreißer Hof / Haseldorfer Marsch

ISBN 978-3-88506-457-2

me di um Architekten: Terrassenhöfe Valentinskamp APB.Architekten: Sonwik-Wohnhochhäuser in Flensburg nps tchoban voss: Sanierung und Umbau des Altonaer Kaispeichers gmp von Gerkan, Marg und Partner: WM-Stadien in Südafrika Spengler – Wiescholek; Dittert & Reumschüssel: Das Hamburg House auf der Expo 2010 Architektenbüro Schroeder: Revitalisierung eines ehemaligen Versicherungsgebäudes Laura Jahnke Architekten: Umbau einer Doppelhaushälfte eisfeld engel Architekten: Die NRW.Bank Gössler Kinz Kreienbaum: Bebauung am Blankeneser Bahnhof gmp von Gerkan, Marg und Partner: Maritimes Museum Lingang New City, China Hamburger Feuilleton Der vierte Fluss – Die Ost-West-Straße Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung – Motor oder Hemmnis? »2010 Zukunft sehen« – Halbzeit der Internationalen Bauausstellung Hamburg Der Vater von Hamburgs Central Park – Karl Plomin (1904-1986) Rennpferde in Hamburg – Die Architekten Renner Hainke Wirth Warten auf das Wohnen in der Hafencity »Recht auf Stadt«? Recht auf das Gewohnte! Architektonische Schatzkammer – Das Bergedorfer Villengebiet Hamburgs »Unter den Linden« – Die Geschichte der Esplanade


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