Leseprobe: Ingenieurbaukunst – made in Germany 2010/2011

Page 1

Ingenieurbaukunst made in Germany 2010/2011



Inhalt

8

Grußwort Peter Ramsauer

9

Editorial Jens Karstedt

Projekte

10

Salzige Winde und hohe Erwartungen – Die WM-Stadien in Südafrika Falk Jaeger

24

Fanal der Ingenieurkunst – OlympiaSprungschanze in Garmisch-Partenkirchen Wolfgang Bachmann

30

Mega-Membran für ein Mega-Ereignis – Das Know-how für das Wahrzeichen der Expo 2010 in Shanghai kam aus Stuttgart Joachim Weber

40

Der lange Weg zum perfekten Klang – Die Elbphilharmonie in Hamburg Georg Küffner

52

Schnell und kostengünstig – Bau und Montage der Phu My Brücke in Vietnam Georg Küffner

60

Planungskultur schafft Baukultur – Das Neue Museum in Berlin Michael Zajonz

70

Der Ingenieur als Denkmalpfleger – Hochbahnviadukt der U-Bahnlinie 2 in Berlin Falk Jaeger

76

Der größte Fahrstuhl der Welt – Das Schiffshebewerk am Drei-Schluchten-Staudamm in China Jan Akkermann

82

Windräder mit nassen Füßen – Start der Offshore-Windstromproduktion Georg Küffner

88

Futuristische Glasröhre über dem Alten Hafen – Fußgängerbrücke in Bremerhaven Sven Bardua

92

Stahlbau im Beton-Negligé – Das Rolex Learning Center der EPFL Lausanne Falk Jaeger

100 Ein urbaner Blickfang – Zwillingsbrücke in München-Schwabing Wolfgang Bachmann 104 Gondwanaland – Tropenlandschaft im Leipziger Zoo Sebastian Redecke

Essays, Forschung, Geschichte, Porträts

110 Ratgeben für Khaplu – Historische Bautechniken in Pakistan Fritz Wenzel 114 Transsolar Energietechnik – Klima-Engineering weltweit Friedrich H. Dassler 126 Faszinierendes Fossil der Verkehrstechnik – Der alte Elbtunnel in Hamburg Sven Bardua 138 Faserverbundwerkstoffe für Architektur und Bauwesen Jan Knippers 144 Steinerner Hoffnungsträger – Beton Joachim Weber 150 Das surPLUShome der TU Darmstadt Ursula Baus 154 Klimagerechte Architektur – Planung und Entwicklung nach dem kybernetischen Prinzip Günter Pfeifer 158 Autoren, Bildnachweis, Impressum

15


Grußwort

Das Bauingenieurwesen ist weltweit ein Aushängeschild der deutschen Wirtschaft. Egal ob beim Bau von Stadien, Brücken, Staudämmen oder Flughäfen – die Handschrift deutscher Ingenieure prägt seit Jahrzehnten unzählige Projekte im In- und Ausland. »Ingenieurbaukunst – made in Germany« steht für Professionalität, Kreativität und Zuverlässigkeit. Sowohl beim Export als auch bei Bauwerken in Deutschland geht es nicht allein um das fertige »Produkt«, sondern immer auch um die planerischen Vor- und Dienstleistungen. Bauingenieure üben heute einen modernen Dienstleistungsberuf mit hoher Komplexität aus. Dabei müssen sie sich flexibel und konsequent auf die Herausforderungen unserer Zeit einstellen: auf den Klima- und Umweltschutz, den demografischen Wandel oder auch auf die Frage nach der Zukunft der Mobilität und der damit zusammenhängenden technischen Infrastruktur. Die Leistungen der Bauingenieure finden in der öffentlichen Wahrnehmung nicht immer die Anerkennung, die sie verdienen. Dabei wirken sie mit ihrer Arbeit unmittelbar gestalterisch und prägend auf unsere gebaute Umwelt ein – im Hoch- und Tiefbau gleichermaßen. Baukultur prägt das Gesicht eines Landes. Sie vereint ästhetische Aspekte, Nachhaltigkeit, Nutzbarkeit und Wirtschaftlichkeit. Gesellschaftliche Akzeptanz spielt eine ebenso bedeutende Rolle wie Geschichte und Tradition. Wenn wir über Baukultur reden, meinen wir nicht nur prämierte Spitzenleistungen, sondern gerade auch unser gestaltetes, alltägliches Lebensumfeld. Dazu gehört ganz besonders unsere Infrastruktur. Das Erscheinungsbild der Bahnhöfe, Straßen und Brücken ist von großer Bedeutung für die Wahrnehmung von Stadt- und Kulturlandschaften. Das lässt sich besonders gut am Beispiel herausragender historischer Ingenieurbauwerke erkennen. So erlangten etwa Brückenbauwerke vergangener Jahrhunderte nicht selten den Status eines Wahrzeichens. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes offensichtlich: Was wir heute an baukultureller Qualität realisieren, prägt Städte und Landschaften auf Jahrzehnte, um nicht zu sagen Jahrhunderte hinaus. Dem Bauingenieurwesen kommt daher eine herausragende Bedeutung für unsere gebaute Umwelt zu. Der Ingenieurberuf erfordert Kreativität und Augenmaß, Leidenschaft und Engagement sowie Kompetenz und Zuverlässigkeit. Deutsche Bauingenieure stehen genau für diese Kombination und sind deswegen international erfolgreich. Dies weiter herauszustellen und damit für den Beruf zu werben ist nicht nur eine Frage baukultureller Qualität und ökonomischer Vernunft, sondern vor allem auch wichtig, um die Attraktivität der Ingenieurberufe an unseren Hochschulen weiter zu stärken. Ohne qualifizierten Nachwuchs

16

würden die ökonomische und technische Kompetenz unseres Landes im internationalen Wettbewerb auf diesem Gebiet gefährdet. Gerade an der Spitze darf man sich nicht ausruhen, oder um es mit einem bekannten Sprichwort zu formulieren: »Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie an der falschen Stelle.« Das Buch der Bundesingenieurkammer zeigt, welche herausragenden Bauwerke aus der professionellen Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren, Architekten, Bauherren und verschiedenen Gewerken entstehen können. Die dargestellten Projekte stehen zudem für die internationale Bedeutung des deutschen Ingenieurwesens in technischer, ökonomischer und baukultureller Hinsicht. Das Buch ist damit nicht nur eine hervorragende Werbung für den Berufsstand, sondern auch ein wertvoller Beitrag zum baukulturellen Verständnis. Ich wünsche ihm viele aufmerksame Leser.

Dr. Peter Ramsauer Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung


Editorial

Seit dem Jahr 2001 hat die Bundesingenieurkammer insgesamt vier Bücher unter dem Titel »Ingenieurbaukunst in Deutschland« herausgegeben. Die hier vorliegende fünfte Ausgabe setzt diese Reihe fort und stellt dennoch auch eine Zäsur dar, die sich bereits im geänderten Titel widerspiegelt: Zum ersten Mal erscheint das Buch unter dem Signet »Ingenieurbaukunst – made in Germany«. Mit dieser Änderung wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sich deutsche Bauingenieure außerordentlich erfolgreich an internationalen Spitzenprojekten beteiligen. Sie sind heute federführend an den anspruchsvollsten Planungen weltweit beteiligt und bestimmen mit ihrem Know-how mit, wie sich das Gesicht der Welt im 21. Jahrhundert entwickelt. Es war eine Anregung der Bauindustrie, diesen internationalen Erfolg stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken, und der Herausgeber ist dieser Anregung gern gefolgt. Inhaltlich wird diese internationale Ausrichtung mit Projekten wie z.B. den Fußball-WM-Stadien in Südafrika, der Expo-Achse in Shanghai, dem Rolex Center Lausanne und dem Schiffshebewerk am DreiSchluchten-Staudamm in China eindrucksvoll untermauert. Selbstverständlich werden aber auch weiterhin bedeutende nationale Projekte ihren Platz im Jahrbuch finden. Deshalb werden z.B. die Elbphilharmonie Hamburg, das Neue Museum Berlin, die Skisprungschanze Garmisch-Partenkirchen und die Tropenhalle des Zoos Leipzig vorgestellt und vervollständigen die Leistungsschau des deutschen Bauwesens. Trotz der beschriebenen Änderungen bleibt es das wichtigste Anliegen der zweijährig erscheinenden Reihe, eine möglichst breite Öffentlichkeit auch über die angewandten impulsgebenden Bautechnologien zu informieren.

Gerade technisch anspruchsvolle Projekte müssen auf allgemein verständliche Art und Weise dargestellt werden, damit sie Fachleute und interessierte Laien gleichermaßen ansprechen. Mit diesem Anspruch hat sich die Reihe »Ingenieurbaukunst« unter dem alten Titel in den vergangenen Jahren durchaus ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet. Diesem Anspruch fühlt sich die Reihe auch mit dem neuen Titel verpflichtet und wird sicher mit dem neuen Zuschnitt dazu beitragen, diesen Erfolg weiter auszubauen. Dr.-Ing. Jens Karstedt Präsident der Bundesingenieurkammer

17


Salzige Winde und hohe Erwartungen – Die WM-Stadien in Südafrika Der Bau von vier Stadien für die Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika stellte die Ingenieure vor ungewohnte Herausforderungen.


1 Nelson Mandela Bay Stadion, Port Elizabeth

WM-Stadien in Sßdafrika  11


Das Nelson Mandela Bay Stadion in Port Elizabeth Zunächst nur als Berater angefragt, konnten die Architekten von Gerkan, Marg und Partner und die Ingenieure schlaich bergermann und partner mit einem unbezahlt erarbeiteten Entwurf für die neue Arena von Port Elizabeth, der »Windy City« an der Küste des Indischen Ozeans, überzeugen. Ohne Gesamtauftrag und ohne einen eigentlichen Bauherrn als Gegenüber koordinierten sie die drei Dutzend beauftragten heimischen Planungsfirmen und realisierten das Projekt im vorgegebenen Zeitrahmen. Das Stadion steht auf einem erhöhten Plateau und beherrscht als strahlende Erscheinung und neues Wahrzeichen weithin die Szenerie. Eine zweigeschossige, umlaufende Kolonnade aus Betonfertigteilen bildet den Korpus des Gebäudes. Darüber wölbt sich das Dach, zusammengesetzt aus blattförmigen Rippen, die zuerst auskragen und dann, nach innen geneigt, sich schützend über die Tribünen beugen. Die Dreigurtträger ruhen auf einem Lager am unteren Ende und auf einer Y-Stütze auf dem oberen Umgang. Sie vereinen sich zu einer riesigen Blütenkelchform, einer Protea vielleicht, der Wappenblume Südafrikas. Die Blütenform entsteht durch die abwechselnde Anordnung der einen hohen Grat bildenden Dreigurtträger, den »Blütenblättern«, und dazwischen gespannten, eine Kehle formenden Membranfeldern aus PTFE-beschichtetem Glasfasergewebe. Jede Rippe ist als Dreigurtträger für sich stabil und benötigt nur in der Umfangsrichtung das stützende Nachbarelement. So konnte das gesamte Tragwerk achsweise montiert werden. Die Ingenieure schlugen den Architekten dieses Tragwerk aus einzelnen Kragarmen vor, weil es auch in Teilabschnitten errichtet werden konnte. Denn in der Planungs- und Bauphase war lange ungewiss, ob die Finanzmittel für ein komplettes Stadiondach reichen würden. Bei einem Stadion mittlerer Größe mit 46 000 Plätzen ist diese Konstruktion mit dreißig Metern Auskragung gerade noch wirtschaftlich machbar. Glücklicherweise konnte letztlich doch das komplette Stadionrund realisiert werden. Die Dreigurtfachwerkträger, die an der breitesten Stelle, an der sie sich berühren, immerhin knapp zwanzig Meter Querspannweite aufweisen, sind mit Aluminiumblechen gedeckt, die im unteren Bereich perforiert sind, um den Ausblick vom oberen Umgang und aus den Lounges zu ermöglichen. Beim gratartigen Obergurt ist die Krümmung polygonal ausgebildet, die beiden Untergurte sind kontinuierlich gekrümmt, weil sie am Rand die gespannten Membranen der Nachbarfelder aufnehmen müssen. Die durch ein mittig gespanntes Kehlseil tiefgezogenen Membranen in den Feldern zwischen den

12  WM-Stadien in Südafrika

Fachwerkträgern werden zum Innenraum hin durch einen umlaufenden Ring abgeschlossen, der auch die Trägerspitzen miteinander koppelt. Als Druckring eignet sich die zu schwach gekrümmte Vorderkante nicht, deshalb wurde dieses Bauteil so eingebaut, dass es unter den Hauptlasten druckspannungsfrei bleibt. Es hat jedoch eine Ausgleichsfunktion in Querrichtung bei unterschiedlichen Zugkräften in den Membranen im Fall lokaler Windlastspitzen, ungleich verteilter Hagellasten oder Schäden und verteilt die Kräfte auf die Nachbarfelder. Der Innenring dient gleichzeitig als Wartungsgang (Catwalk) und als »Ring of Fire« für die Flutlichtanlage. Windy City wird die Stadt genannt, weil sie in einer stürmischen Gegend liegt. Der heftige Seewind musste nicht nur bei der Konstruktion berücksichtigt werden, er hatte auch großen Einfluss auf den Montageverlauf. Im Windkanal wurden die Verhältnisse für den Endzustand und für verschiedene Bauzustände simuliert und dafür Sorge getragen, dass weder die Konstruktion noch der Fußball während des Spiels ins Flattern kommen. Die Korrosionsbelastung gehört durch die küstenparallelen Winde, die sich mit Salz aus der ufernahen Gischt sättigen, zu den höchs­ten weltweit gemessenen. Schlecht zugängliche Spalten und Ecken mussten daher vermieden, die hochwertige Polysiloxan-Beschichtung mit höchster Sorgfalt ausgeführt und kontrolliert werden. Ein weiteres Problem ist das Verformungsverhalten der gesamten Dachkonstruktion bei Temperaturänderungen und Windbelastung, denn der Betonunterbau ist durch Dehnfugen in acht Sektoren unterteilt, das Dach jedoch nicht. Fixpunkte in der Mitte jedes Gebäudesektors und Auflager mit tangentialem Spielraum sorgen für eine Minimierung der Spannungen. Um den Bauablauf logistisch zu vereinfachen, wurden die 36 Rohrfachwerkträger im Werk in transportable Teilstücke zusammengeschweißt und die Teile auf der Baustelle durch Schrauben miteinander verbunden. Ein 500-Tonnen-Raupenkran mit einer Ausladung von fünfzig Metern wurde geordert, um die Teile von außerhalb des Stadions einzubringen. Der Oberrang ist nochmals durch eine Ebene mit kleineren Logen, Verwaltungs- und Presseräumen unterbrochen, die nach der Weltmeisterschaft umgewidmet und kommerziell genutzt werden können. Zugänglich ist der obere Umgang über Rampen in den Ecken des Stadions. Die Gestaltung mit einfachsten Mitteln – roher Beton, Kalksandstein – ist dem niedrigen Budget und dem permanenten Kos­ tendruck während der Planung und im Unterhalt geschuldet.

Objekt Nelson Mandela Bay Stadion Standort Port Elizabeth, Südafrika Bauzeit Dezember 2006–April 2009 Bauherr Nelson Mandela Bay Municipality, Port Elizabeth Ingenieure und Architekten Tragwerksplanung: Dach und Fassade: schlaich bergermann und partner, Stuttgart, Knut Göppert mit Lorenz Haspel Massivbau: BKS engineering, Bellville, Südafrika; Iliso Consulting, Port Elizabeth, Südafrika Architekten: von Gerkan, Marg und Partner – Architekten, Berlin Firmen Generalunternehmer: Joint Venture Grinaker-LTA/Interbeton, Boksburg, Südafrika Stahl- und Membranstruktur: TMC – Birdair, Australien/USA Aluminiumfassade: CC George Roofing, Kapstadt, Südafrika


2

2 Montage eines Dachträgers 3 Blick in das Stadion

3

WM-Stadien in Südafrika  13


Das Moses Mabhida Stadion in Durban Nicht weniger als 32 südafrikanische Planungsbüros, die deutschen Architekten von Gerkan, Marg und Partner sowie die Ingenieure von schlaich bergermann und partner waren zum Ibhola-LethuKonsortium zusammengeschlossen worden, das nach dem gewonnenen Wettbewerb das neue Stadion in Durban bauen sollte. Die Planer erhielten den dezidierten Auftrag, ein Wahrzeichen für die aufstrebende Hafenstadt im Nordosten Südafrikas zu errichten. Die Stadtväter erhofften sich vom neuen Moses Mabhida Stadion einen »Sydney-OperaEffekt«. Der gespannte Bogen, den die Architekten zusammen mit den Ingenieuren entwickelten, in der Silhouette der Stadt deutlich wahrnehmbar als symbolträchtiges Element der Verbindung, war für diese Funktion und zugleich als lastabtragendes Element des Dachs die sinnfällige Lösung. Die Idee ist nicht ganz neu und wurde hier und da schon realisiert, wenngleich nicht in dieser Konsequenz und Klarheit: Beim neuen Wembley-Stadion von Norman Foster hängt nur ein Teil des Dachs an einem mittig angeordneten Bogen, Santiago Calatrava ließ beim Olympiastadion in Athen zwei Bogen aufstellen, und beim Khalifa International Stadium in Doha sind zwei asymmetrisch angeordnete Bogen Teil einer allzu hybrid wirkenden Konstruktion. In Durban überspannt ein 104 Meter hoher stählerner Bogen, an dem die Falten des textilen Zeltdachs aufgehängt sind, das Stadion-Oval symmetrisch in Längsrichtung und setzt ein weithin sichtbares Zeichen. Nach Süden, Richtung Innenstadt, gabelt sich der Bogen und öffnet das StadionOval zur City hin, eine Geste des Empfangs und der Zuwendung zur Stadt. Dass der gespaltene Bogen aus der Vogelperspektive als Abbild der südafrikanischen Flagge gelesen werden kann, war eine nachträgliche Erkenntnis, die von den südafrikanischen Bauherren mit Wohlwollen aufgenommen wurde. Eine Standseilbahnkabine fährt vom Fuß des Bogens hinauf zum Scheitelpunkt, wo von einer Aussichtsplattform, dem Skydeck, der beste Rundblick über die Stadt zu genießen ist – eine Publikumsattraktion ersten Rangs. Die kleine Bahn fällt statisch buchstäblich nicht ins Gewicht. Bei starken Winden fährt sie ohnehin nicht. Von der Stadtseite her ist die Bauform am bes­ ten zu erfassen, die umlaufende Kolonnade, darüber die Fassadenpfeiler, die an den Schmalseiten senkrecht stehen, zu den Längsseiten hin höher aufragen und sich mehr und mehr neigen, bis sie an den Längsseiten eine Höhe von fünfzig Metern und

14  WM-Stadien in Südafrika

einen Neigungswinkel von dreißig Grad erreichen. Durch die Auskragung erweitert sich die Grundrissgeometrie vom unteren Oval zur oberen Kreisform. Die Stützen bestehen im unteren Teil aus Beton und gehören statisch zum Massivbau. Im oberen Bereich sind sie aus Stahl gefertigt und Teil der Dachkonstruktion. Sie tragen den Ringbalken der Dachaußenkante. Jeweils vier Aluminiumpfosten zwischen den Hauptstützen bilden die Tragstruktur der Fassade, die aus halb durchsichtigen Lochblechen besteht und gegen Schlagregen, direkte Sonne und Wind schützt, aber Ausblicke bei Tag und Einblicke am Abend freigibt. Wie in Port Elizabeth galt es, wegen der Nähe des Indischen Ozeans das aggressive korrosive Klima zu berücksichtigen. Man erhöhte zum Beispiel die minimale Betonüberdeckung des Bewehrungsstahls von dreißig auf vierzig Millimeter, vermied bei der Stahlkonstruktion unzugängliche Spalten und entschied sich bei Deckenabhängungen für Edelstahl. Vom äußeren Dachrand sind radiale Stahlseile im Wechsel hinauf zum großen Bogen und zum Zugring an der inneren Dachkante gespannt. Die Seile bilden die tragende Konstruktion für die Dachhaut und stabilisieren gleichzeitig den schlanken Bogen. An jedem der Seile entsteht ein Rücken, der in einer kleinen, zeltartigen Spitze mündet. Auf diese Weise erhalten alle Dachbahnen eine zweiachsige, stabilisierende Krümmung. Die Dachmembran ist zu 15 Prozent lichtdurchlässig. Problematisch war deren Transport und Montage, da das Material beim Falten sehr knickanfällig ist. Bei der Bemessung der Membranbahnen spielte deshalb die Transportfähigkeit der zugeschnittenen und aufgerollt angelieferten Bahnen eine Rolle. Alle Installationen, die Flutlichtscheinwerfer und die Lautsprecher sind in zwei elegant gestalteten Catwalks untergebracht, die unter den Längsseiten des Dachs hängen. Dadurch bleibt die Dachuntersicht installationsfrei und zeigt sich optisch ungestört. Nicht nur Fußball und Rugby, auch Leichtathletikwettkämpfe finden in dem Mehrzweckstadion statt, wodurch sich eine gewisse Größe des Innenraums und des Bauwerks insgesamt ergab. 56 000 Zuschauer fasst das Oval. Für das WM-Halbfinalspiel wurden auf dem oberen Rang weitere 14 000 Plätze temporär errichtet. 2020, wenn Durban tatsächlich den Zuschlag für die olympischen Sommerspiele bekommen sollte, könnte das Stadion durch Ergänzung des Oberrangs auf ein Fassungsvermögen von 86 000 Besuchern gebracht werden.

Objekt Moses Mabhida Stadion Standort Durban, Südafrika Bauzeit März 2006–November 2009 Bauherr City of Durban – eThekwini Municipality Ingenieure und Architekten Tragwerksplanung: Dach: schlaich bergermann und partner, Stuttgart, Knut Göppert mit Markus Balz Massivbau: BKS, Durban, Südafrika Architekten: von Gerkan, Marg und Partner – Architekten, Berlin; Theunissen Jankowitz Architects, Durban, Südafrika; Ambro Afrique Architects; Osmond Lange Architects, Durban, Südafrika; NSM Designs, Durban, Südafrika; Mthulusi Msimang Architects, BKS (Pty) Ltd., Durban, Südafrika Firmen Generalunternehmer: JV Group Five – WBHO, Durban, Südafrika Dach: Pfeifer Seil- und Hebetechnik, Memmingen Subunternehmer Stahlbaufertigung: Bogen Eiffel, Hannover


4

4 Moses Mabhida Stadion, Durban 5 Blick in das Stadion

5

WM-Stadien in Sßdafrika  15



6 Moses Mabhida Stadion: Der Bogen ist Konstruktion und Symbol zugleich.

WM-Stadien in Sßdafrika  17


Projekte

Essays, Forschung, Geschichte, Porträts

Salzige Winde und hohe Erwartungen – Die WM-Stadien in Südafrika

Ratgeben für Khaplu – Historische Bautechniken in Pakistan

Fanal der Ingenieurkunst – Olympia-Sprungschanze in Garmisch-Partenkirchen

Transsolar Energietechnik – Klima-Engineering weltweit

Mega-Membran für ein Mega-Ereignis – Das Wahrzeichen der Expo 2010 in Shanghai

Faszinierendes Fossil der Verkehrstechnik – Der alte Elbtunnel in Hamburg

Der lange Weg zum perfekten Klang – Die Elbphilharmonie in Hamburg

Faserverbundwerkstoffe für Architektur und Bauwesen

Schnell und kostengünstig – Bau und Montage der Phu My Brücke in Vietnam

Steinerner Hoffnungsträger – Beton

Planungskultur schafft Baukultur – Das Neue Museum in Berlin

Das surPLUShome der TU Darmstadt

Der Ingenieur als Denkmalpfleger – Hochbahnviadukt der U-Bahnlinie 2 in Berlin

Klimagerechte Architektur – Planung und Entwicklung nach dem kybernetischen Prinzip

Der größte Fahrstuhl der Welt – Das Schiffshebewerk am Drei-Schluchten-Staudamm in China Windräder mit nassen Füßen – Start der Offshore-Windstromproduktion Futuristische Glasröhre über dem Alten Hafen – Fußgängerbrücke in Bremerhaven Stahlbau im Beton-Negligé – Das Rolex Learning Center der EPFL Lausanne Ein urbaner Blickfang – Fußgängerbrücke München-Schwabing Gondwanaland – Tropenlandschaft im Leipziger Zoo

ISBN 978-3-88506-464-0


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.