CHRIS CAMPE
HAMBURG ALPHABET
HAMBURG, EIN SCHRIFTBILD Schilder und Fassadenbeschriftungen begegnen uns auf Schritt und Tritt. Sie prägen das Stadtbild, werben, bezeichnen, markieren, sind weithin sichtbar und dienen der Orientierung. Ohne Schrift keine Stadt, eine Stadt lässt sich auch durch ihre Neonreklamen und Schriftzüge porträtieren. Das Porträt, das so entsteht, ist vielschichtig. Es setzt sich zusammen aus gewöhnlichen, typischen und einzigartigen Namen und Bezeichnungen, aus dem besonderen Bezug zu ihren Orten und aus der Gestaltung. Und nicht zuletzt erlaubt es Schlüsse auf die Veränderung einer Stadt. Die Schriftzüge in diesem Buch sind sowohl typisch für Hamburg als auch typografisch interessant und charakteristisch für verschiedene Jahrzehnte. Die Grundformen der Buchstaben sind geläufig, es braucht nur etwas Aufmerksamkeit, um sich darüber zu wundern, wie unterschiedlich der immer gleiche Buchstabe in verschiedenen Schriften aussehen kann. Die Schriftzüge sind auch Visitenkarten der Geschäfte und Aushängeschilder im wahrsten Sinne des Wortes. Einige sind kunstvoll gestaltet und typografisch raffiniert, manche pragmatisch und nüchtern, andere leichtfertig zusammengebastelt und nicht für die Ewigkeit gemacht. Manche sind klassisch elegant und zeitlos, andere grell und modisch. Sie sind aus Neonröhren geschwungen, aus Stein in die Hauswand integriert, aus Metall geschweißt, aus Holz geschraubt, aus Plastikfolie geklebt, mit Farbe auf Fassade gemalt; viele Geschäftsschilder sind gepflegt und in Würde gealtert, sie haben so lange
der Erneuerung getrotzt, bis sie „»„die gute alte Zeit« verkörperten. Die Inhaber der Läden sind sich ihrer Schätze bewusst: „»Das hängt da seit fünfzig Jahren – das nehmen wir auch nicht ab!« Andere Schriftzüge sind verdreckt, verblasst, vernachlässigt, ihnen fehlen Buchstaben, Neonröhren, Farbe. Wie vielfältig die Materialien sind, zeigt sich oft erst, wenn Schmutz und Zerfall die Gestaltung der Schrift verändern – »„Dat olle Ding? Das müßte ich mal wieder putzen!« Von den Schildern schweift der Blick auf die Fassaden und Gebäude, Straßen und Stadtteile. So zeigt sich die Struktur der Stadt: Wo gibt es noch alte Läden, wo sind nur noch Spuren zu finden? Die Haltestellen der öffent-lichen Verkehrsmittel sind Knotenpunkte für den Handel, und besonders in den weniger »„entwickelten« Stadtteilen finden sich in ihrer Umgebung noch über mehrere Generationen geführte Fachgeschäfte mit alten Ladenschildern, während in teureren Lagen kaum typografische Relikte des alten Einzelhandels erhalten sind. Wenn ein Geschäft schließt und die Ladenräume neu vermietet werden, bleibt das Ladenschild oft erst einmal hängen. Nicht selten zeugt ein Schriftzug noch sehr lange davon, welcher Handel an einem Ort einmal betrieben, welche Dienstleistung offeriert wurde. Werden die Buchstaben entfernt, hinterlassen sie Schatten von Schmutz, die die Konturen der Buchstaben nachzeichnen. Diese Spuren verschwinden schnell, wenn das nächste Geschäft sein Schild anbringt, oder langsam, wenn die Räume nicht wieder neu genutzt werden. Und manchmal ist die Beschriftung so sehr mit ihrem Ort verbunden, dass sie auch dem nachfolgenden Geschäft noch ihren Namen gibt. Wie jedes Porträt ist das „»Hamburg Alphabet« eine Momentaufnahme. Es besteht aus 220 bemerkenswerten Schriftzügen, von denen ein guter Teil bei Erscheinen des Buchs schon wieder verschwunden sein wird. Sie sind alphabetisch geordnet und im Alphabet thematisch oder farblich arrangiert. So ist das »„Hamburg Alphabet« nicht nur ein kurioser und nostalgischer Stadtführer, sondern auch ein typografisches Verzeichnis und eine Dokumentation schnell schwindender Orte.
HAMBURG SIGNATURES We come across shop signs and storefront inscriptions at every turn. They define the cityscape: they advertise, designate, indicate, are widely visible and serve as points of orientation. Without letters there is no city, so a portrait of a city may be drawn of its neon signs and letterings. The portrait thus formed is manifold. It is composed of ordinary, typical and unique names and designations, of their particular relationship to their location and of their design. And not least it allows one to draw conclusions about changes which are taking place in a city. The signs in this book are typical for Hamburg as well as typographically interesting and characteristic for certain decades. The basic shapes of the letters are familiar; all it takes is a little alertness to marvel at how different the same letter can look in another font. Shop signs also serve as business cards for the shops and as signboards, literally speaking. Some are skilfully designed and typographically elaborate, some pragmatic and plain, others carelessly assembled and not made to last forever. Some are elegant and timeless, others flashy and modern. They are bent out of neon tubes, engraved in stone walls, welded from metal, carved out of wood, glued on with plastic film or painted on façades. Many of the signs are well-tended. They have aged with dignity and defied renewal for so long that they now embody »the good old times«. The shop owners are aware of the treasures they are guarding: »This has been up there for fifty years – and we’re not taking it down!«
Other signs are dirty, faded, neglected; they are missing letters, neon tubes, paint. How diverse the materials are often shows only when dirt and decay change the appearance of the three-dimensional letterforms – »That old thing? Should probably clean it again some day!« The gaze shifts from the letters on to the façades and buildings, streets and districts, the structure of the city: Where are the old shops and where are there only traces to be found? Public transport stops are junctions for trade, and especially in the less »developed« parts of town one can still find old stores, often specialized in a particular trade and kept by one family over several generations, with the shop signs preserved, whereas in wealthier areas there are hardly any typographical relics of the old retail trade left. When a shop closes down and the premises are re-let, the sign of the former shop often stays for a while. It is not unusual for a shop sign to remain on the wall long afterwards, a reminder of what trade once was conducted in a place or what service offered. Once removed, the letters leave a shadow of dirt tracing their outlines. These traces quickly disappear when the next store installs its sign, or vanish slowly when the premises are not being used again. And occasionally the name and lettering is so deeply connected with the place that it will lend the following business its name. Just like any other portrait the »Hamburg Alphabet« is a snapshot. It consists of around 220 remarkable signs of which a good many will have already vanished by the time this book is published. They are in alphabetical order and arranged by topic and colour. The »Hamburg Alphabet« is not only a curious and nostalgic city guide but also a typographical catalogue and a documentation of quickly disappearing places.
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Schnörkellos oder typografisch raffiniert, modisch grell oder längst verblasst – Hamburger Ladenschilder von A bis Z.