Leseprobe: Stadt - Bild - Wandel

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Stadt Bild Wandel



Stadt Bild Wandel Herausgegeben von Olaf Matthes

Hamburg in Fotografien 1870  –­ 1914  / 2014

Georg Koppmann, Wilhelm Weimar / Rafał Milach, Michał Łuczak



Inhaltsverzeichnis

Vorworte Olaf Matthes Stadt Bild Wandel – Einführung und Dank

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Olaf Matthes Zur Entstehung von Georg Koppmanns fotografischem Werk für die Freie und Hansestadt Hamburg

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Christina Ewald Genealogische Bemerkungen zur Familie von Georg Koppmann

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Sabrina Werner Fotografische Mappenwerke von G. Koppmann & Co.

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David Klemm Johann Heinrich Strumper. Annäherung an einen Mitstreiter und Konkurrenten Georg Koppmanns

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Stefan Sirtl Bemerkungen zur fotografischen Sammlung der Hamburger Baudeputation

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Dominik Kloss Die Hamburger Zollanschlussfeierlichkeiten 1888 als Medienereignis

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Fotografien von Georg Koppmann

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Olaf Matthes Wilhelm Weimar. Hamburgs erster Denkmalfotograf

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Fotografien von Wilhelm Weimar

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Interview mit den Fotografen Michał Łuczak und Rafał Milach

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Fotografien von Michał Łuczak und Rafał Milach

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Anmerkungen Abkürzungen, Autoren, Impressum

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When the Past Meets the Future Seit e 2 Wilhelm Weimar, Blick auf die Hauptkirche St. Michaelis vom Bismarck-Denkmal aus, Aufnahme 1906 [INV.-NR. EB 1910,1073 ] Seit e 4 Georg Koppmann, Bau des Kirchturmhelms der Hauptkirche St. Petri, Aufnahme 1877 [ INV.-NR. EB 1914,318 ] linke Seite Georg Koppmann, Große Reichenstraße, Ansicht von der Rolandsbrücke, Aufnahme November 1876 [ INV.-NR. EB 1914,169 ]

„When the Past Meets the Future“ – unter diesem Motto beteiligen sich die Historischen Museen Hamburg an der Triennale der Photo­graphie in Hamburg im Jahr 2015. Das Besondere an den Historischen Museen Hamburg im Vergleich zu anderen stadt- und regionalgeschichtlichen musealen Einrichtungen ist die Vielfalt ihrer Sammlungen, anhand deren die Geschichte der Stadt Hamburg durch sämtliche Bevölkerungsschichten dokumentiert und anschaulich gemacht werden kann. Das gilt in ganz besonderem Maß für die fotografischen Sammlungen, die im Altonaer Museum, im Hamburg Museum und im Museum der Arbeit in beeindruckendem Umfang und ebensolcher Qualität vorhanden sind. Aus diesen fotografischen Beständen präsentieren die Historischen Museen Hamburg in drei eigenständigen Ausstellungen eine individuelle Auswahl an Bildern und liefern damit einen einzigartigen Blick auf die Hansestadt und ihre Bewohner. Hamburg Museum, Altonaer Museum und Museum der Arbeit setzen sich zeitgleich jeweils in spezifischer Art und Weise mit der Bildgeschichte und der im Bild festgehaltenen Gegenwart der Stadt Hamburg auseinander und liefern damit einen umfassenden Blick auf „Hamburg in der Fotografie“, worin gleichzeitig das kuratorische Leitbild dieses gemeinsamen Ausstellungsprojekts besteht. Bei allen drei Ausstellungen steht das für Hamburg Typische im Vordergrund. Sie zeigen, wie Hamburg gesehen wurde, wie es gesehen werden wollte und wie die Bilder bis heute das Bild der Stadt prägen. Sie fragen nach der Wirkmächtigkeit von Fotografien im Allgemeinen und für die Stadt Hamburg im Besonderen. Die Fotografien liefern mit dem Blick in die Vergangenheit Erklärungen für Gegenwärtiges und ermöglichen somit Visionen für die Zukunft. Gerade in dieser Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft liegt die Stärke von historischen Museen, mit ihren Wissensbeständen aktiv an den Diskursen der Gegenwart teilzunehmen. Das Hamburg Museum wirft in seiner Ausstellung einen Blick auf die gesamtstädtische Entwicklung und präsentiert die bauliche Veränderung der Hafenstadt. Das Altonaer Museum konzentriert sich auf die Frage nach Landschafts- und Menschenbildern in Hamburg und Norddeutschland und deren Rolle beim Entstehen von Beheimatungsstrategien. Im Museum der Arbeit sind es vor allem Straßenszenen und Bilder sozialer Milieus, mit denen der (Arbeits-)Alltag der Menschen thematisiert wird. Mein besonderer Dank gilt der Kulturbehörde Hamburg, die dieses Projekt mit den Mitteln des Ausstellungsfonds ermöglicht hat. Ferner danke ich der Hamburgischen Kulturstiftung für die finanzielle Unterstützung. Und nicht zuletzt sei auch der Triennale der Photographie Hamburg mit dem diesjährigen Titel „The Day Will Come“ unter der künstlerischen Leitung von Krzysztof Candrowicz gedankt.

Börries von Notz,

Alleinvorstand Stiftung Historische Museen Hamburg

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Vorwort

LINKE SEITE Georg Koppmann, Großer Barkhof, Aufnahme 1906 [INV.-NR. 2010-1559 ]

Aus unserem modernen Alltag ist die Fotografie kaum noch wegzudenken. So ist sie heute Bestandteil der täglichen privaten Kommunikation und in allen Medien präsent, aber auch in der Wissenschaft, in der Kunst und vor allem in der Werbung. Schon immer waren Bilder ein untrennbarer Bestandteil des sozialen wie kulturellen Lebens. Seit über 100 Jahren dominiert allerdings das fotografische Bild die visuelle Kultur. Von der Geschichtswissenschaft ist dieser reichhaltige Quellenfundus lange Zeit nur zögerlich wahrgenommen worden. Zwar wächst das Interesse an der Fotografie kontinuierlich seit etwa 25 Jahren an, die Integration in die Forschungspraxis ist jedoch noch immer nicht selbstverständlich. Dies ist umso erstaunlicher, als die bildliche Überlieferung einen wichtigen Bestandteil des erhaltenen Materials darstellt und neben der Textüberlieferung ganz eigene Dimensionen der historischen Wirklichkeit erschließt. Gerade Fotografien prägen in herausragender Weise die Vorstellungen von der modernen Welt. Der vorliegenden Publikation kommt vor diesem Hintergrund eine besondere Bedeutung zu, schlägt sie doch den Bogen von der frühen Dokumentationsfotografie, die unter den Hamburger Foto­grafen der Kaiserzeit, Georg Koppmann und Wilhelm Weimar, eine Blütezeit erlebte, zu aktuellen Sichtweisen der polnischen Dokumentarfotografen Michał Łuczak und Rafał Milach auf die Stadt Hamburg. Unter dem Motto der Hamburger Triennale der Photographie 2015 „The Day Will Come – When the Past Meets the Future“ ergeben sich hier im Spannungsfeld von historischem Material und aktuellen fotografischen Positionen mitunter fast symbiotische Wechselbeziehungen. Die alten wie die aktuellen Fotografien zeugen von den unterschiedlichen Auffassungen vom Wandel und den damit verknüpften Vorstellungen von der Zukunft des Hamburger Stadtbildes. Da in der Publikation nicht nur ein weitgehend unbekanntes Material zum ersten Mal einem breiten Publikum vorgestellt wird, sondern darüber hinaus fundierte Grundlagenforschung zu überraschenden Ergebnissen führte, kommt das Hamburg Museum mit diesem Buch zugleich den Kernaufgaben eines Museums, nämlich jenen des Sammelns, Bewahrens, Erforschens und Präsentierens von Teilen der reichhaltigen Bestände, nach. Zu danken ist zum einen der Hamburger Kulturbehörde, mit deren finanziellen Mitteln dieses Projekt maßgeblich realisiert wurde. Zum anderen der Hamburgischen Kulturstiftung, die dieses Projekt zusätzlich unterstützt hat. Nicht zuletzt sei allen Mitarbeitern gedankt, die zu seinem Gelingen beigetragen haben.

Ralf Wiechmann,

Stellvertretender Direktor Hamburg Museum

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Stadt Bild Wandel — Einführung und Dank Olaf Matthes

Mit diesem Buch legt das Hamburg Museum erstmals eine Publikation vor, die tiefere Einblicke in seine Fotosammlung bietet. Der Schwerpunkt hatte zunächst bei der Erforschung der Bestände zu den beiden für Hamburg so wichtigen Fotografen Georg Koppmann (1842–1909) und Wilhelm Weimar (1857–1917) zu liegen. Zu Beginn der Arbeiten im August 2014 war durchaus noch unklar, wie umfangreich diese Bestände sein würden. Möglich wurde die kurzfristige Realisierung des vorliegenden Bandes zunächst durch das seit 2008 laufende Digitalisierungsprojekt der Hamburger Museen. Auf dieser Basis konnten erste systematische Vorarbeiten durchgeführt werden. Zudem waren noch insgesamt etwa 10 000 Fotografien in der Sammlung des Hamburg Museums zu sichten und zu bearbeiten. Großen Anteil hieran hatte das außerordentlich motivierte studentische Vorbereitungsteam. Christina Ewald, Dominik Kloss und Sabrina Werner – später kam noch Stefan Sirtl hinzu – recherchierten mehrere Monate im Staatsarchiv Hamburg, was vor allem den vorliegenden Beiträgen zu Georg Koppmann zugute kam. Infolge dieser Recherche- und Forschungsarbeit können in diesem Band erstmals wissenschaftlich fundierte und neue Ergebnisse zu Hamburger Dokumentarfotografen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vorgelegt werden. Hieran fehlte es bisher. Umso erfreulicher ist es, dass wir David Klemm mit einem ebenfalls grundlegenden Beitrag zu Johann Heinrich Strumper (1843–1913) – neben Georg Koppmann ein weiterer „bekannt-unbekannter“, qualitativ herausragender und produktiver Hamburg- Fotograf der Kaiserzeit – für diesen Band gewinnen konnten. Die hier vorgestellten Hamburger Fotografen des 19. Jahrhunderts bestimmen noch heute unser Bild der damaligen Stadt, vor allem des „alten“ Hamburg mit seinen engen Gängevierteln, den Fleeten und den Segelschiffen in den alten Hafenanlagen. Die fotografische Dokumentation der dem Abriss preisgegebenen Stadträume folgte jedoch nicht etwa romantischen Impulsen, sondern bereits andernorts entwickelten Mustern. Es war die Weltmetropole Paris, die das Vorbild für Hamburg

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abgab. In der französischen Hauptstadt hatte die Verwaltung bereits seit den 1850er Jahren mehrere Fotografen beauftragt, die baulichen und strukturellen Veränderungen unter Georges-Eugène Haussmann im Bild festzuhalten. Und so beschloss die Hamburger Baudeputation (die heutige Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt) 1874, zukünftig „bei allen größeren oder besonders interessanten Umgestaltungen von Bauwerken, Straßenanlagen, Wasserbauten u.s.w. photographische Aufnahmen sowohl des alten wie des neuen Zustands beschaffen zu lassen“. Mit der Umsetzung beauftragte man Georg Koppmann. So entstand in den folgenden Jahrzehnten eine qualitativ hochwertige staatliche Sammlung von mehreren Tausend Aufnahmen. Die Fotografien Koppmanns spiegeln den Stadtbildwandel in zahlreichen Facetten und weisen in Gestus und Motivwahl unter anderem mit der Darstellung von High-Tech-Maschinenhallen fortschrittseuphorisch in die Zukunft. Die dokumentarisch-sachlichen Aufnahmen Koppmanns wurden in der Bibliothek der Baudeputation wie eine moderne Bilddatenbank genutzt. Auch dieser Ansatz war neu und zukunftsorientiert. Denkmalpflege­ rische Ansprüche, wie etwa exakte Detailaufnahmen oder die Dokumentation wichtiger baulicher Ausschnitte, stellte man an die Fotografien Koppmanns hingegen kaum. Sie galten vielmehr als wichtige technische Hilfsmittel vor allem der Ingenieure in der Baudeputation. Dies war wohl ein entscheidender Grund dafür, dass Justus Brinckmann (1843–1915), der Gründungsdirektor des Museums für Kunst und Gewerbe, 1898 in Abstimmung mit der Hamburger Oberschulbehörde begann, ein Denkmal-Bildarchiv anzulegen, um so für die Zukunft die wichtigsten Bauten und beweglichen Inventare der Stadt festzuhalten. In diesem Kontext entstand quasi eine zweite staatliche Fotosammlung; sie wurde durch Brinckmanns wissenschaftlichen Mitarbeiter, den Zeichner und Fotografen Wilhelm Weimar, erstellt. Maßgeblich waren hierbei die inhaltlichen Vorgaben Brinckmanns. Er entschied auch, dass mit den Aufnahmen nicht in der Stadt selbst, son-


dern in den südöstlichen Landgebieten Hamburgs, den Vier- und Marschlanden, begonnen wurde. Brinckmann wusste als Kenner, dass vor allem die alten, teilweise noch aus dem 16. Jahrhundert stammenden Vierländer Bauernhäuser und deren Inventare zukünftig besonders gefährdet sein würden. Daher lag Weimars Arbeitsschwerpunkt zunächst bei der Aufnahme dieser Bauten. Viele von ihnen existierten oft schon wenige Jahre später nicht mehr, da sie entweder abgerissen oder durch Brände vernichtet wurden. Ein weiterer fotografischer Schwerpunkt lag in der Aufnahme der Landkirchen mit ihrer reichen Ausstattung. Im städtischen Raum fotografierte Weimar ebenfalls, wenn auch nicht so umfangreich wie in den Landgebieten. Zu nennen sind auch hier Serien von Außen- und Innenaufnahmen wichtiger Hamburger Kirchen oder einzelner denkmalwürdiger Häuser, die vor dem Abriss standen. Hier „trafen“ sich dann zuweilen Koppmann und Weimar mit ihren Motiven. Im Auftrag des Hamburg Museums haben sich die beiden polnischen Fotografen Michał Łuczak und Rafał Milach intensiv mit den historischen Aufnahmen Koppmanns und Weimars beschäftigt und entwickelten eigene Positionen zu Hamburger Vergangenheits- und Zukunftsräumen. Michał Łuczak ging vor allem den Aspekten des Vergehens und Vergessens im Stadtraum nach. Er nahm Besiedlungsspuren des ehemaligen Dorfes HamburgAltenwerder, das die letzten Bewohner 1998 verlassen mussten, auf und fotografierte das, was in verlassenen Häusern in Hamburg-Neuenfelde verblieb. Im Gegensatz dazu hat sich Rafał Milach mit Zukunftsaspekten beschäftigt. So entstanden beeindruckende Serien zu den Tunneln, unterirdischen Experimentierhallen und Spezialbunkern des weit in die Zukunft ragenden European XFEL (European X-Ray Free-Electron Laser Facility GmbH) in Hamburg-Schenefeld ebenso wie Fotos kleinster Chipteile, mit denen die Technik abermals in neue Dimensionen vordringen wird. Dieses Ausstellungsprojekt reflektiert vornehmlich den Aspekt der visuellen Erinnerung, der je nach Zeit und

Auftrag fotografisch unterschiedlich umgesetzt wurde. Bei Georg Koppmanns Staatsaufträgen waren es insbesondere dokumentarisch-technische und nicht zuletzt auch fortschrittseuphorische Bilder. Wilhelm Weimar ging es um strenge, denkmalpflegerisch-dokumentarischen Kriterien gerecht werdende Aufnahmen, die den potenziellen Verlust von bäuerlichen Wohn- und Lebenswelten für die Zukunft sicherten. Michał Łuczak begab sich just auf die Suche nach den Resten dieser alten von Weimar bildlich gebannten Welt, und Rafał Milachs Bilder bieten schließlich – in Analogie zu einer Reihe von Fotografien Koppmanns – eine teils geradezu visionäre Zukunftsschau. Allen Kolleginnen und Kollegen im Hamburg Museum gilt ein besonderer Dank. Das Projekt wurde zudem mitten in einer außerordentlich starken Belastungsphase rea­li­siert, die vom Umzug eines großen Teils der Museums­ sammlungen in das neue Zentraldepot der Stiftung His­ to­rische Museen, zu der das Hamburg Museum seit 2008 gehört, gekennzeichnet ist. Die studentischen Mitarbeiter des Projektteams Antonio Canalis, Christina Ewald, Dominik Kloss, Stefan Sirtl und Sabrina Werner waren mit Begeisterung bei der Sache. Den beiden Fotografen Michał Łuczak (Kattowitz) und Rafał Milach (Warschau) danken wir für ihre Bereitschaft, an diesem Projekt mitzuwirken. Frank Poppe vom European XFEL ermöglichte den Zugang zu den Labyrinthen der Zukunft. Besonders zu danken ist Joachim W. Frank vom Staatsarchiv Hamburg; er machte den Zugang zu zahlreichen wichtigen Archivalien überhaupt erst möglich und bot immer wieder wertvolle Expertisen. Große kollegiale Hilfe kam ebenso von Andreas Stolzenburg Christoph Irrgang und David Klemm von der Hamburger Kunsthalle. Last but not least geht unser Dank an Alexa Seewald, die weit mehr war als die vorzügliche Gestalterin der Sonderausstellung „Stadt Bild Wandel“. Ihr unbestechliches Auge, ihr enormer Einsatz auf vielen Feldern und die ebenso zahlreichen wie fruchtbaren Diskussionen mit ihr haben maßgeblich zum Gelingen des Projektes beigetragen.

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Porträt von Georg Koppmann, aufgenommen in seinem Atelier 1906 [ StAHH 720-1,215 ]

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Zur Entstehung von Georg Koppmanns fotografischem Werk für die Freie und Hansestadt Hamburg Olaf Matthes

Georg Koppmann (1842–1909) gehörte zu den bedeutendsten Hamburger Dokumentarfotografen im letzten Drittel des 19. und im frühen 20. Jahrhundert (Abb. S. 12). Allein der beachtliche Umfang seines überlieferten Schaffens in einem Zeitraum von etwa vierzig Jahren sowie die durchgängig hohe Qualität erheben seine Hamburg-Aufnahmen zu bedeutenden Zeugnissen des stadträumlichen Wandels. Nur sehr wenige Fotografen der Generation Koppmanns waren so lange in Hamburg mit einem eigenen Atelier tätig. Eine wichtige Basis seines beruflichen Erfolgs bestand in der Zusammenarbeit mit der Hamburger Baudeputation; sie fungierte über mehrere Jahrzehnte hinweg als regelmäßiger Auftraggeber. Nicht zuletzt diese Tätigkeit war für Koppmann und sein Atelier mit enormem Prestige verbunden. Dieser Beitrag befasst sich erstmals ausführlicher mit dem Werk von Georg Koppmann und damit einem Hamburger Dokumentarfotografen des 19. Jahrhunderts überhaupt. 1 Die Basis hierfür bildet der Bestand von etwa 3000 fotografischen Motiven, die als Originalabzüge im Hamburg Museum vorliegen. Die meisten der hier befindlichen Aufnahmen entstanden im Auftrag der Hamburger Baudeputation. Von vielen dieser Motive existieren mehrere Abzüge; sie wurden zu Dienstzwecken verwendet und unterscheiden sich heute vor allem durch ihren Erhaltungszustand. Das Museum erwarb oder übernahm seit seiner institutionellen Begründung 1908 immer wieder Konvolute von Fotografien Koppmanns. In den 1920er

und 1930er Jahren kamen durch das Denkmalschutzamt (begründet 1920) zahlreiche weitere Aufnahmen hinzu.2 Ende der 1930er Jahre ließ das Museum in der damaligen Staatlichen Landesbildstelle von den dort verwahrten Koppmann’schen originalen Glasnegativen zudem 157 neue Abzüge anfertigen.3 Die Glasplatten der Landesbildstelle wurden – soweit sie 1939 noch existierten – angeblich aufgrund ihres schlechten Erhaltungszustandes vollständig entsorgt.4 Der Bestand von Originalabzügen Koppmanns im Hamburg Museum ist das umfangreichste gegenwärtig nachweisbare Inventar in einer öffentlichen Einrichtung. Ebenfalls eine große Sammlung besitzt das Staatsarchiv Hamburg mit mehreren Hundert Aufnahmen.5 Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, die Hamburger Kunsthalle und das Altonaer Museum als die weiteren hier maßgeblichen Hamburger Museen besitzen kleinere Fotobestände von Koppmann. In Bezug auf die Motive decken sich diese jedoch mehr oder weniger mit jenem des Hamburg Museums. Die systematische Erschließung des Materials begann im September 2014 und konnte im März 2015 abgeschlossen werden. Neben diesem nunmehr auch datenbankgestützt erschlossenen fotografischen Bildkorpus, dem wohl wichtigsten des 19. Jahrhunderts im Hamburg Museum, bieten darüber hinaus eine Reihe von bisher nicht genutzten archivalischen Quellen neue Erkenntnisse zur Genese der Arbeiten Koppmanns für Hamburg.

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Georg Koppmann Frühzeitig konzentrierte sich Georg Koppmann auf Architekturfotografie und war damit erfolgreich. So wurde er auf der Wiener Weltausstellung 1873 für seine Aufnahmen ausgezeichnet. Im folgenden Jahr übertrug ihm die Hamburger Baudeputation die Aufgabe, den Wandel des Stadtbildes fotografisch festzuhalten. Dabei sollte sowohl der alte wie der neue Zustand festgehalten werden. Auf diese Weise entstanden allein für die Ingenieurabteilung der Baudeputation etwa 3000 Aufnahmen. Die durchgängig hohe Qualität erheben diese Fotografien zu bedeutenden Zeugnissen des stadträumlichen Wandels. Die Fotografien Koppmanns wurden in der Bibliothek der Baudeputation jeweils mit einer Signatur versehen, wie eine moderne Bilddatenbank angelegt und vornehmlich von den Ingenieuren als Hilfsmittel genutzt. Trotz der engen Vorgaben seitens der Bauverwaltung gelang es Koppmann, den Stadtbildwandel in einer enormen Vielfalt bildlich festzuhalten. Dabei sind Bildausschnitt und Bildaufbau genau durchdacht. Die so erzielten Ergebnisse trugen maßgeblich dazu bei, dass die Wirkungsmacht seiner Aufnahmen für den Hamburger Staat bereits zu Lebzeiten enorm war. Es dürfte wohl kaum einen anderen Hamburger Dokumentarfotografen des 19. Jahrhunderts geben, der das architektonische Bild der Stadt durch seine Aufnahmen so sehr geprägt hat wie Georg Koppmann.

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Pferdemarkt, Aufnahme 1871 [ Inv.-Nr. 2009-2888 ]

Haus Pferdemarkt / Ecke Jacobitwiete, erbaut 1522; im Hintergrund die Hauptkirche St. Jacobi, Aufnahme 1881 [ Inv.-Nr. 2009-2883 ]

altbauten

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Jacobikirchentwiete / Ecke Großer Barkhof, erbaut 1613, Aufnahme Mai 1906 [ Inv.-Nr. 2012-1437 ]

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Gustav Koppmann, Niedernstraße / Ecke Mohlenhofstraße, Aufnahme 1912 [ Inv.-Nr. 2013-2179 ]

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Bleichenfleet mit Aufgang zur Neustädter Fuhlentwiete und zum Pferdeborn, Aufnahme 1879 [ Inv.-Nr. 2010-3750 ]

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Kleine Reichenstraße Nr. 1, Fleetseite, Aufnahme 1876 [ Inv.-Nr. 2014-930 ]

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Häuser Spitalerstraße Nr. 60 bis 34 während der Abrissarbeiten, Aufnahme April 1906, Glasplattenabzug von 1939 [ Inv.-Nr. EB 1939,119 ]

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Spitalerstraße Hof 62 und 66, vom Haus Spitalerstraße Nr. 64 aus gesehen, Aufnahme September 1906 [ Inv.-Nr. 2009-2309 ]

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Hintere Ansicht der Poggenmühle mit Sülze, Aufnahme 15.8. 1906 [ Inv.-Nr. 2013-4200 ]

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Poggenmühle und Teerhof, hintere Ansicht vom Teerhof aus gesehen, Aufnahme 15.8. 1906 [ Inv.-Nr. 2014-618 ]

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Mührenfleet von der Brooksbrücke aus gesehen, Aufnahme September 1884 [ Inv.-Nr. 2012-387-0 ]

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Blick über das Fleet am Holländischen Brook, Aufnahme um 1880 [ Inv.-Nr. EB 1964,236 ]

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Paulstraße, Aufnahme 12. 10. 1907 [ Inv.-Nr. 2014-590 ]

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Ecke Bergstraße und Hauptkirche St. Petri, Aufnahme 8.5. 1907 [ Inv.-Nr. 2010-1586 ]

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Berliner Bahnhof, Aufnahme Juni 1900 [ Inv.-Nr. 2009-8927 ]

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Halle des Berliner Bahnhofs Richtung Ausgang, Aufnahme 23.6. 1900 [ Inv.-Nr. EB 1971,182 ]

altbauten

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Staatsspeicher mit Zollabfertigungsstelle und Postamt an der Ecke Kehrwieder / Auf dem Sande, Aufnahme Oktober 1889 [ Inv.-Nr. 2009-4974 ]

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Hauptzollamt am Alten Wandrahm mit Kornhausbrücke, Aufnahme August 1901 [ Inv.-Nr. 2009-4972 ]

neubauten

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Hauptzollamt am Alten Wandrahm, Ostseite, Aufnahme August 1901 [ Inv.-Nr. 2009-6119 ]

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Hydraulische und elektrische Zentralstation am Sandtorkai, Aufnahme 16.9. 1887 [ Inv.-Nr. 2009-6157 ]

neubauten

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Bauarbeiten am Speicher Block H, im städtischen Freihafengebiet, Aufnahme 12.4. 1888 [ Inv.-Nr. EB 1914,284 ]

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Neubau der Hohen Brücke, Aufnahme 1887 [ Inv.-Nr. 2012-963 ]

neubauten

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Baugrube des Zollkanals zwischen Kannengießerbrücke und Kornhausbrücke, Aufnahme 4. 11. 1887 [ Inv.-Nr. 2009-5775 ]

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neubauten

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Auslegermast für die elektrische Beleuchtung des Jungfernstiegs, Aufnahme 12.5. 1900 [ Inv.-Nr. 2014-3647 ]

Geschmückter Auslegemast für elektrische Beleuchtung des Jungfernstiegs anlässlich der Enthüllung des Kaiser-WilhelmDenkmals auf dem Rathausmarkt am 20.6. 1903, Aufnahme 1903 [ Inv.-Nr. 2011-1812 ]

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Orientierungsständer am Jungfernstieg, Aufnahme 16.2. 1903 [ Inv.-Nr. 2011-2056-0 ]

K andelaber und kleine N eubauten

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Wartepavillon an der Kuhmühle, Aufnahme 1906 [ Inv.-Nr. 2014-3934 ]

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Wartehalle der Straßenbahn am Rathausmarkt, Aufnahme 12. 11. 1905 [ Inv.-Nr. 2014-839-0 ]

K andelaber und kleine N eubauten

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Wilhelm Weimar, Selbstporträt (?). undatiert, um 1910 [ MHG-A III.3. ]

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Wilhelm Weimar. Hamburgs erster Denkmalfotograf Olaf Matthes

Der nach seinem Ableben bald in Vergessenheit geratene Wilhelm Weimar (1857–1917) war nicht nur ein wichtiger Reproduktionszeichner, sondern auch ein bedeutender Fotograf in Hamburg. Dieser Beitrag befasst sich, aufbauend auf den grundlegenden Ausführungen David Klemms, 1 genauer mit Weimars fotografischem Werk für das Hamburger Denkmalarchiv. Zunächst wird kurz auf die Provenienz der Fotobestände Weimars eingegangen. Es folgt eine biografische Skizze. Anschließend wird das neuartige Konzept des Hamburger Denkmal-Bildarchivs vorgestellt. Sodann kommt Wilhelm Weimar in einigen wichtigen Briefen selbst zu Wort. Denn im Gegensatz zu Georg Koppmann, von dem bisher kein Schreiben nachgewiesen werden konnte, liegen von Weimar zahlreiche Briefe an seinen Direktor Justus Brinckmann vor. Sie bieten seltene Einblicke etwa in fototechnische Entwicklungen oder strategische Überlegungen vor allem in den beiden ersten Jahren seines fotografischen Schaffens seit 1898.

Zur Provenienz der Fotografien Nachweislich in der Zeit von 1898 bis 1912 fertigte Weimar für das von Justus Brinckmann am Museum für Kunst und Gewerbe angelegte Hamburger Denkmalarchiv etwa 1000 fotografische Glasplattenaufnahmen an. Ein Teil dieses Bestandes kam an das 1920 gegründete Denkmalschutzamt Hamburg.2 1978 wurde der etwa 4500 Stück

umfassende Glasplattenbestand des Denkmalschutzamtes – und damit auch der Teilbestand Weimar – an die damalige Landesbildstelle Hamburg abgegeben.3 Infolge des Groß-Hamburg-Gesetzes von 1937 und der damit verbundenen Gebietsreformen gab man jene von Weimar in den hamburgischen Exklaven Amt Ritzebüttel (Cuxhaven) und Geesthacht angefertigten Aufnahmen von dort an das Landesdenkmalarchiv Hannover bzw. Kiel ab. Der „Restbestand“ von etwa 550 Aufnahmen Weimars befindet sich seit 2015 zusammen mit dem gesamten Glasplattenbestand des Denkmalschutzamtes im Staatsarchiv Hamburg.4 Auch das Glasplattenarchiv des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg besitzt weiterhin „in beachtlichem Ausmaß“ Aufnahmen Weimars, die dem alten Denkmalarchiv zuzuweisen sind. „Es handelt sich neben einer erheblichen Zahl von Irrläufern insbesondere um Abbildungen von Altargerät und andern kunsthandwerklichen Werken, deren Zuordnung zwischen Museum für Kunst und Gewerbe und Denkmalarchiv offenbar undeutlich blieb.“ 5 In der fotografischen Sammlung des Hamburg Museums befinden sich knapp 1000 Motive von Weimar als Originalabzüge, die ursprünglich für das Denkmalarchiv angefertigt wurden. Hierbei handelt es sich zu einem Großteil um Aufnahmen einzelner Bauten auf dem damaligen Gebiet des Hamburger Staates. Hinzu kommen Fotografien von beweglichen Gegenständen – etwa Abendmahlsgeräte oder Leuchter aus Kirchen. Dieser Bestand ist auch deshalb so wichtig, weil er viele ansonsten nicht

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Wilhelm Weimar Nach mehrjähriger Vorbereitungszeit begann Wilhelm Weimar 1898 auf Grundlage eines Plans von Justus Brinckmann mit der Arbeit am Hamburger Denkmal-Bildarchiv. Weimar fotografierte in den Jahren bis kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges einen wichtigen Teil der für denkmalwürdig erachteten Bauten auf Hamburger Staatsgebiet. Dabei entstanden etwa 1000 Aufnahmen. Ein besonderer Schwerpunkt lag bei den Kirchen und Bauernhäusern der Landgebiete. Gerade Letztere, teilweise aus dem 16. Jahrhundert, drohten Opfer der Modernisierung zu werden. Im Gegensatz zu Georg Koppmann fotografierte Weimar auch immer wieder wichtige Gebäude­details. Hinzu kamen Inneneinrichtungen und bewegliche Objekte. Die Aufnahmen Wilhelm Weimars wurden ungewollt oft zu den einzigen bildlichen Dokumenten von Bauten. Denn viele der von ihm aufgenommenen Bauernhäuser bestanden schon wenig später nicht mehr, da sie abbrannten oder abgerissen wurden. Welchen Wert man den Aufnahmen Weimars beimaß, belegen die genauen Innenaufnahmen der Hauptkirche St. Michaelis. Sie trugen maßgeblich dazu bei, dass die Kirche nach ihrer Zerstörung 1906 größtenteils wieder in ihren ursprünglichen Formen aufgebaut wurde. Wilhelm Weimars fotografische Tätigkeit war von einem ausgeprägten Willen zum technischen wie ästhetischen Verständnis geprägt. Dabei entstanden qualitativ herausragende Fotoserien, die sich mit dem ungleich aufwendigeren Verfahren der in Berlin ansässigen Meßbildanstalt für die preußischen Denkmalaufnahmen in jeder Hinsicht messen konnten.

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W eimar


Abbruchgebiet Steinstraße, Aufnahme 29.5. 1908, Glasplattenscan von 2003 [ Inv.-Nr. 2012-3168, Originalabzug ]

S tadtraum

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Blick auf Millerntor, Schlachtenpanorama und das Heiligengeistfeld vom Gerüst des Bismarck-Denkmals aus, Aufnahme 1905, Glasplattenscan von 2003 [ Inv.-Nr. 2012-3356, alter Abzug ]

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W eimar


Blick über die Wallanlagen mit Millerntor und Sternwarte vom Gerüst des Bismarck-Denkmals aus, Aufnahme 1905, Glasplattenscan von 2003 [ Inv.-Nr. 2015-180, alter Abzug ]

S tadtraum

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Bismarck-Denkmal im Bau, 1906, Aufnahme 1906 [ Inv.-Nr. 2014-4452, Originalabzug ]

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W eimar


Kopf des Bismarck-Denkmals mit Strieder und Kleemann, Aufnahme 30.4. 1906, Glasplattenscan von 2003 [ Inv.-Nr. 2008-1228, Kopie eines Originalabzugs ]

S tadtraum

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St. Nicolai zu Altengamme, Glockenturm, Aufnahme 20.8. 1903, Glasplattenscan von 2003 [ Inv.-Nr. 2013-1607, Originalabzug ]

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St. Nicolai zu Altengamme, Aufnahme 21.8. 1903, Glasplattenscan von 2003 [ Inv.-Nr. 2015-1359, neuer Abzug ]

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Hufnerhaus in Neuengamme (damals Nr. 216), Ostseite, Aufnahme 13.5. 1901, Glasplattenscan von 2003 [ Inv.-Nr. 2015-1291, Originalabzug ]

Hufnerhaus in Neuengamme (damals Nr. 216), Stube mit Ofen, Aufnahme 13.5. 1901, Glasplattenscan von 2003 [ 2015-1293, neuer Abzug ]

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Hufnerhaus in Neuengamme (damals Nr. 216), Deichgiebelseite, Aufnahme 13.5. 1901, Glasplattenscan von 2003 [ Inv.-Nr. 2015-1290, Originalabzug ]

Hufnerhaus in Neuengamme (damals Nr. 216), Detail der Deichgiebelseite, Aufnahme 13.5. 1901, Glasplattenscan von 2003 [ Inv.-Nr. 2015-1292, neuer Abzug ]

L an D gebiet

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Interview mit den Fotografen Michał Łuczak und Rafał Milach Michał und Rafał, wer und was ist „Sputnik Photos“? Rafał Milach (RM): Zuallererst sind wir eine Gruppe von Freunden und dann sicher auch mehr als nur ein Fotokollektiv in Zentraleuropa. Wir sind vieles gleichzeitig: bildende Künstler, Fotografen, Filmemacher, Designer, Dozenten und Verleger. Michał Łuczak (ML): Zuerst sind wir alle Fotografen, die durch das Bild Inhalte vermitteln wollen. Obwohl sich unsere Art und Weise, wie wir Fotografie verstehen, stark geändert hat, erzählen wir weiterhin Geschichten.

Was zeichnet Sputnik besonders gegenüber anderen Fotogruppen aus? RM: Sicher ist da zuerst unser Interesse an den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion und die Arbeit an gemeinsamen Projekten. Ebenso wichtig ist uns, dass sich jeder seine strikte Autonomie als Fotograf innerhalb der Gruppenprojekte bewahrt. Wir vertrauen dabei aufeinander. Einzigartig ist sicher, dass wir uns seit unserer Gründung vor acht Jahren und den intensiven gemeinsamen Projekten nicht gegenseitig umgebracht haben. ML: Als Ergänzung zu dieser angenehmen Gruppendynamik, die Rafał gerade betonte, steht da unser sehr spezielles Arbeitsmodell, das wir für die Gruppenorganisation entwickelt haben. Jeder hat einen eigenen Bereich, für den er verantwortlich ist, und tut dabei das, was er am besten kann. Wir arbeiten auch mit Leuten, die nichts mit Fotografie zu tun haben, wie etwa Marzena Michałek Dąbrowska, die die komplexe bürokratische Arbeit macht. Aus Erfahrung wissen wir, dass Fotografen nicht besonders gut darin sind, die Dinge zu organisieren.

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Was fasziniert Euch besonders an der Fotografie, und welche Möglichkeiten verbindet Ihr mit ihr? RM: Fotografie kann ein erstaunliches Werkzeug für das Erzählen von Geschichten sein. Bilderzählung und Bildsequenz ergeben zusammen ein einzigartiges Medium. Die Tatsache etwa, dass Fotografie langsamer ist als bewegte Bilder, bringt mehr nachdenkliche oder spielerische Möglichkeiten in die Beziehungen zwischen Bildern. Dies lässt zudem viel Platz für den Betrachter, führt ihn aber zugleich auch in eine bestimmte Richtung. Eine gute Bilderstrecke kann auch besonders interaktiv sein. Wir denken, dass Fotografie beschreibend ist. Tatsächlich kann sie ein sehr täuschendes und in die Irre führendes Werkzeug sein. Dies hängt damit zusammen, wie positivistisch Fotografie früher genutzt wurde und welches Vertrauen man in diesem Sinne in sie hatte. Das hat sich geändert. Ich denke, dass die Fotografie gerade in einer sehr interessanten Phase der Neupositionierung ist. Heute entstehen Millionen Bilder – und zwar minütlich. Das ändert fraglos die Wahrnehmung dieses Mediums. . ML: Für mich bleibt die Fotografie ein Mittel zur Aufnahme von etwas, „das einmal war“. Natürlich sind diese Aufnahmen subjektiv, doch das Gedächtnis jedes einzelnen Menschen ist es auch. Die Strahlkraft des Bildes hinter der Aufnahme ist so stark, dass wir uns wohl mehr an ein Foto erinnern denn an das jeweilige Ereignis.

Rafał, 2014 warst Du das erste Mal in Hamburg. Welche Erwartungen hattest Du? Was war Dein erster Eindruck? Und wie hat sich Dein „Verhältnis“ zur Stadt dann im Laufe der Zeit weiter entwickelt? RM: Ich mag Industriestädte, dicht und hart. Danach habe ich auch in Hamburg gesucht. Da ich in Oberschlesien geboren wurde und dort auch aufwuchs, sind solche


Gebiete für mich vertraut. Ich fühle mich ausgesprochen gut in Industrielabyrinthen.

Michał, als Du noch in Hannover studiert hast, warst Du schon einmal in Hamburg. Wie hat sich Deine Sicht auf die Stadt seither verändert? ML: Zum ersten Mal war ich vor acht Jahren in Hamburg. Natürlich war ich von der Architektur und dem Hafengefühl fasziniert. Andererseits überwältigte mich die Stadt als Fotograf. Ich fand einfach keinen Zugang zum Ort, geschweige denn zu einem Thema und lief ziellos durch die Straßen. Und so machte ich zwar nicht viele Aufnahmen, aber lernte doch etwas über die Topografie, was es mir dieses Mal viel leichter machte, mich in der Stadt zurechtzufinden.

„When the Past Meets the Future“ lautete die gestellte Aufgabe. Wie seid Ihr das Projekt angegangen? Ihr habt Euch das Thema ja quasi geteilt. RM: Aus meiner Sicht war das eine ganz natürliche Aufgabenteilung. Ich denke, dass wir beide ein Interesse am Thema Wandel haben. In den vergangenen Jahren habe ich mich mehr auf solche Prozesse konzentriert, die sich entwickeln und wachsen, und weniger mit Vergangenheitsaspekten. Also wählte ich den Zukunftsaspekt des Wandels. ML: Für die beiden Fotografen Georg Koppmann und Wilhelm Weimar waren die Vergangenheit und die Zukunft bedeutende Aspekte. Ich schätze es sehr, dass sie sich nicht nur auf die Entwicklung der Stadt beschränkt haben, sondern auch immer das Alte im Blick behielten. Bei Weimar war das sogar die Hauptaufgabe. Die Zukunft ist eine Konsequenz der Vergangenheit, und die beiden Foto-

grafen waren – wenn auch nicht direkt – eng miteinander verwoben. Für uns war das Betrachten ihrer Fotos der Beginn der Arbeit. Wie ich schon sagte, behandle ich Fotografie als eine Form der Erinnerungsspeicherung. Daher konzentriere ich mich auf solche Dinge, die noch vor dem Vergessen bewahrt werden können. Und so kam ich nach mehreren Tage auf der Suche nach dem richtigen Raum und Ort auf Altenwerder und Neuenfelde.

Eine Grundlage für das Projekt war, dass Ihr Euch mit den Euch bis dahin ja unbekannten Fotografen Georg Koppmann und Wilhelm Weimar hier im Museumsmagazin ausei­nandergesetzt habt. Was war Euer Eindruck von diesen historischen Aufnahmen, und haben sie den Zugang zu Eurer eigenen Aufgabe beeinflusst? Blieben sozusagen Bilder im Kopf, die Euch in den folgenden Monaten begleiteten? RM: Erstaunliche Arbeiten! Eines der beeindruckendsten Archive, das ich seit vielen Jahren gesehen habe. Ich fühlte mich besonders angezogen von Georg Koppmanns genauen Stadtansichten und Architekturaufnahmen. Ich habe erst gar nicht versucht, mich irgendwie auf Koppmann, seine vierzig Jahre währende Beschäftigung mit Hamburg und ihre enormen Resultate zu beziehen. Es wäre auch ziemlich arrogant, das auch nur zu versuchen, wenn man sowieso nur wenige Wochen Zeit für die eigene Arbeit in Hamburg hat. Trotzdem hatte ich diese Bilder in meinem Kopf und versuchte zu dekonstruieren, was er dargestellt hat – aber immer vor dem Hintergrund, dass ich natürlich die urbane Struktur Hamburgs nicht so verstehen kann wie er. ML: Ich hatte bereits ein wenig Erfahrung mit Archivarbeit gesammelt, aber Koppmann und Weimar sind für mich absolut einzigartig. Um ehrlich zu sein, packte mich beim Durchgehen der einzelnen Fotokisten eine geradezu kindliche Faszination. Das erinnerte mich daran, dass es immer

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Neuenfelde 1, Hamburg-Neuenfelde, 2014

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Neuenfelde 2, Hamburg-Neuenfelde, 2014

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Neuenfelde 3, Hamburg-Neuenfelde, 2014

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Neuenfelde 4, Hamburg-Neuenfelde, 2014

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European XFEL (European X-Ray Free-Electron Laser), Hamburg-Schenefeld, 2014

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Fachbereich Physik, Universität Hamburg, Hamburg 2014

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Hexapod, Institut fĂźr Produktentwicklung und Konstruktionstechnik, TU Hamburg-Harburg, Hamburg 2014

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Blohm + Voss Schiffswerft Hamburg, Hamburg 2014

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Bunker im European XFEL (European X-Ray Free-Electron Laser), Hamburg-Schenefeld, Hamburg 2014

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Tunnel im European XFEL (European X-Ray Free-Electron Laser), Hamburg-Schenefeld, Hamburg 2014

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Abkürzungen

Autoren

EB = Einzelblattsammlung, Hamburg Museum GLA = Generallandesarchiv Karlsruhe Inv.-Nr. = Inventar-Nummer MKG-A = Museum für Kunst und Gewerbe-Archiv MHG-A = Museum für Hamburgische Geschichte-Archiv StAHH = Staatsarchiv Hamburg StAWt = Stadtarchiv Wertheim UKE = Universitätskrankenhaus Eppendorf ZHG = Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte

Christina Ewald, B.A., geb. 1992, Masterstudentin am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg David Klemm, Dr., geb. 1960, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hamburger Kunsthalle Dominik Kloss, M.A., geb. 1985, Doktorand am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg Olaf Matthes, Dr., geb. 1965, Leiter der Sammlung Fotografie, Neue Medien und Archiv im Hamburg Museum Stefan Sirtl, B.A., geb. 1992, Mitarbeiter am Projekt „Stadt Bild Wandel“ Sabrina Werner, M.A., geb. 1983, Doktorandin am Fachbereich 9, Kooperationsstelle Film, der Universität Bremen

Impressum

Stadt Bild Wandel. Fotografie in Hamburg 1870–1914 / 2014 (19.6.–18. 10. 2015) ist eine Ausstellung der Stiftung Historische Museen im Hamburg Museum im Rahmen der Plattform „Hamburg in der Fotografie“

Börries von Notz Alleinvorstand Historische Museen Hamburg Dr. Ralf Wiechmann Stellvertretender Direktor Hamburg Museum Historische Museen Hamburg Dr. Olaf Matthes Projektleitung Hamburg Museum Historische Museen Hamburg

Redaktion Dr. Olaf Matthes Hamburg Museum Historische Museen Hamburg Mitarbeit Antonio Canalis (Bildbearbeitung), Christina Ewald, Dominik Kloss, Alexa Seewald (Bildauswahl), Stefan Sirtl, Sabrina Werner Hamburg Museum Historische Museen Hamburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche National­ bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Wir danken Sputnik Photos, Warschau, für ihren Beitrag zur Ausstellung

Design, Layout & Satz Benjamin Wolbergs, Berlin

AUSSTELLUNG Kurator Dr. Olaf Matthes Hamburg Museum Historische Museen Hamburg Konzeptionelle Mitarbeit Alexa Seewald Ausstellungsgestaltung Alexa Seewald – Alexa-Seewald.de Ausstellungsgrafik Atelier freilinger & feldmann KATALOG Herausgegeber Dr. Olaf Matthes Hamburg Museum Historische Museen Hamburg

Druck CPI books GmbH, Ulm © Stiftung Historische Museen Hamburg, Hamburg Museum /  Junius Verlag GmbH
 Stresemannstraße 375 D-22761 Hamburg www.junius-verlag.de © für Georg Koppmann und Wilhelm Weimar Stiftung Historische Museen Hamburg, Hamburg Museum; © Staatsarchiv Hamburg Abb. S. 14; © Institut für die Geschichte der Medizin, UKE Hamburg Abb. S. 24-27; © für Abb. S. 224–233 Michał Łuczak, S. 234–241 Rafał Milach Printed in Germany 2015 ISBN 978-3-88506-055-0 1. Auflage 2015

Wir danken für die finanzielle Unterstützung der Ausstellung:


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