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BERLIN IST ZÜGELLOSER“ – S
INTERVIEW DAS BERLINER „ NACHTLEBEN IST “ ZÜGELLOSER
Ob TOKIO HOTEL, seine Outfits oder KAULITZ HILLS: Der Sänger, Podcaster und Unternehmer BILL KAULITZ macht, was er will – UND DAS MIT ERFOLG. Eine Begegnung mit dem berühmtesten Zwilling Deutschlands in seiner Wahlheimat LOS ANGELES.
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Fotos BRAD ELTERMAN Styling FABIO PACE Grooming ROB SCHEPPY Location THE PROSPECT HOLLYWOOD
ER SEI EIN RICHTIGES ARBEITSTIER UND KÖNNE SCHLECHT RUNTERKOMMEN. Das ginge eigentlich nur im Urlaub, sagt Bill Kaulitz. Wie gut, dass er gerade aus der Karibik zurückkommt, wo er mit seinem Zwillingsbruder Tom und dessen Frau Heidi Klum ein paar Tage in der Sonne verbracht hat. Beim Fotoshoot im The Prospect Hotel in Hollywood ist Bill Kaulitz dann auch ganz entspannt: Er sucht sich aus der aus dem KaDeWe mitgebrachten Garderobe seine Lieblingslooks aus und albert mit dem Fotografen Brad Elterman herum (die beiden kennen sich seit Jahren). Als es losgeht, ist er aber sofort präsent. Nach mehr als anderthalb Jahrzehnten im Licht der Öffentlichkeit ist der Sänger ein Vollprofi. Das Zoom-Interview führt Kaulitz von der Couch im Haus seines Bruders aus, dessen Hund er gerade hütet. Er erzählt von Modesünden, dem Ausgehen in Los Angeles und Berlin und natürlich auch dem neuen Album seiner Band. Zwei Jahrzehnte nach der Gründung veröffentlicht Tokio Hotel im November das sechste Studioalbum: Fünf Jahre arbeitete die Band an „2001“, für das die vier Musiker sich zu gemeinsamen Aufnahmesessions in Berlin trafen. Das Ergebnis ist eine Platte „ohne Kompromisse“, so Kaulitz. Dasselbe ließe sich über „Kaulitz Hills – Senf aus Hollywood“ sagen, den Podcast der beiden Brüder. Inzwischen in der 3. Staffel, gewann „Kaulitz Hills“ den Deutschen Podcast Preis 2022 in der Kategorie Newcomer und sorgt mit jeder neuen Folge für Schlagzeilen in der Boulevardpresse.
WAS DENKEN SIE: WARUM IST IHR PODCAST „KAULITZ HILLS“, IN DEM SIE SICH MIT IHREM ZWILLINGSBRUDER TOM JEDE WOCHE ZUM BEISPIEL ÜBER IHR PRIVATLEBEN UNTERHALTEN, SO ERFOLGREICH?
Das ist eine schwierige Frage. Viele vermuten ja einen Masterplan hinter allem, was wir machen. Das war schon so, als wir mit Tokio Hotel anfingen. Aber Erfolg ist nicht planbar, davon bin ich überzeugt. Natürlich hat man nach mehr als 15 Jahren in der Öffentlichkeit ein gewisses Gespür. Aber damit, dass „Kaulitz Hills“ so erfolgreich wird, haben wir nicht gerechnet. Wir kannten vorher keine anderen Podcasts und ich selbst hatte das Thema auch nie so richtig ernst genommen. Wer will sich schon eine Stunde Gelaber anhören? Wir sind also sehr unbedarft an die Sache herangegangen und haben einfach mal ein Mikro aufgestellt. Ich denke, das ist auch das Geheimnis: Wir haben keinen Redakteur, niemanden, der uns die Themen reingibt. Da sind einfach nur Tom und ich, die miteinander quatschen. Wir haben unseren Spaß und das merken und mögen unsere Zuhörer.
SIE BEIDE PLAUDERN TEILWEISE RICHTIG AUS DEM NÄHKÄSTCHEN. WURDE IHNEN DAS SCHON EINMAL ZUM VERHÄNGNIS, ETWA WEIL SICH EIN*E FREUND*IN VON IHNEN BESCHWERT HAT? Ich sage mal so: Ich bin froh, dass der Podcast auf Deutsch ist. Wäre er auf Englisch, würde ich sicher das ein oder andere von meinen amerikanischen Freunden zu hören kriegen. Denn ich erzähle ja teilweise auch recht private Geschichten aus meinem Freundeskreis – wenn auch, ohne Namen zu nennen. Aber so bin ich eben, ich rede gerne und sage eigentlich immer, was ich denke. Natürlich rutschen mir dann auch mal Sachen raus, von denen ich hinterher denke, dass ich die vielleicht nicht so hätte sagen sollen. Dann ruft mich meine Mama an, so nach dem Motto: Was hast du denn da wieder gesagt?
IN „KAULITZ HILLS“ GEHT ES AUCH IMMER MAL WIEDER UM DAS THEMA FEIERN UND PARTYS. SIE SCHEINEN EIN ENGAGIERTER GASTGEBER ZU SEIN. WAS MACHT EINEN GUTEN HOST AUS?
Das Wichtigste ist eine minutiöse Vorbereitung, man sollte auf alle Eventualitäten eingestellt sein. Und natürlich muss man genügend Getränke und Essen im Haus haben. Ich nehme das sehr genau, die Gäste sollen sich schließlich wohlfühlen. Deshalb finde ich auch, dass es so wenige Regeln wie möglich geben sollte. Da muss man als Gastgeber auch über seinen Schatten springen können. Ob das jetzt laute Musik oder das Tragen von Schuhen in der
Wohnung ist. Und wenn mal was kaputt geht, überspielt man den Ärger, den man in dem Moment vielleicht empfindet, einfach bestmöglich. Was ich als Gast ganz schlimm finde, ist, wenn Leute ganze Zimmer oder ihre Schränke abschließen. Wenn ich irgendwo eingeladen bin, will ich mich frei bewegen können.
UND WELCHE VERHALTENSREGELN GELTEN FÜR GÄSTE?
Bloß nicht mit leeren Händen kommen – auch wenn der Host sagt, er will eigentlich nichts. Deswegen habe ich eigentlich immer ein oder zwei Flaschen Rosé dabei. Außer es handelt sich um eine Riesenparty mit 300 Leuten, da bringt man besser ein anderes Gastgeschenk mit.
SIE SIND JA HIN UND WIEDER AUCH IN BERLIN, KENNEN ALSO DAS NACHTLEBEN HIER GENAUSO GUT WIE DAS IN LOS ANGELES. WO FEIERT ES SICH BESSER? Zunächst einmal musste ich früher wahnsinnig kreativ sein, weil ich kein Geld hatte für teure Klamotten. Trotzdem wollte ich nicht einfach Sachen von der Stange tragen. Also habe ich zerschnitten, umgenäht oder gefärbt. Was mich beim Einkaufen störte, war, dass es für Jungs immer nur einen Kleiderständer gab und die Frauen hatten den Rest vom Laden. Also habe ich angefangen, Mädchenjeans zu tragen, wenn die mir besser gefallen haben. Regeln fand ich schon immer langweilig. Aus dieser Zeit mit wenig Geld stammt auch meine Vorliebe für Secondhand-Kleidung. Noch heute gehe ich unheimlich gerne in VintageLäden – das ist einfach Teil meiner Mode-DNA. Irgendwann konnte ich mir dann Designermarken leisten und habe das total ausgelebt. Natürlich gibt es vieles, was ich heute nicht mehr tragen würde, aber meine Outfits waren immer authentisch. Ich hatte nie einen Stylisten – ich empfinde es als eine Art Freiheitsberau-
„ICH HATTE NIE EINEN STYLISTEN – ICH EMPFINDE ES ALS EINE ART FREIHEITSBERAUBUNG, WENN MIR JEMAND VORSCHREIBT, WAS ICH ZU TRAGEN HABE.“
Auf jeden Fall in Berlin. Das Nachtleben ist wilder, freier und insgesamt zügelloser. In L.A. ist das Ausgehen eigentlich eher langweilig, nicht zuletzt wegen der vielen Auflagen. Um 1:45 gehen die Lichter an und eine Viertelstunde später ist alles dicht. Also eigentlich dann, wenn man erst so richtig in Fahrt kommt. Dann muss man privat weiterfeiern. In Los Angeles darf in Bars auch nicht geraucht werden, und dass in einem Restaurant irgendwann Aschenbecher auf den Tisch gestellt werden, ist unvorstellbar. Außerdem ist hier alles eher posh. Kneipen wie in Berlin, wo man bis 5 Uhr morgens versacken kann, gibt es in L.A. einfach nicht.
SPRECHEN WIR ÜBER MODE, DIE SPIELT BEI IHNEN SCHON IMMER EINE GROSSE ROLLE. WIE HABEN SIE ZU IHREM STIL GEFUNDEN? bung, wenn mir jemand vorschreibt, was ich zu tragen habe.
HABEN SIE GAR KEINE ANGST VOR MODISCHEN FEHLTRITTEN?
Die gehören dazu. Das passiert einfach, wenn man gerne neue Sachen ausprobiert und nicht einfach nur anzieht, was gerade Trend ist. So, wie man auch mal einen schlechten Song schreibt, hat man eben auch mal ein schlechtes Outfit an. Eine Sache, die ich aber hoffentlich nie wieder machen werde: Röhrenjeans in Stiefel stecken. Das ist mein absolutes No-Go.
NEBEN IHRER MUSIK VERANTWORTEN SIE AUCH EINE MODE- UND BEAUTYKOLLEKTION. KÖNNEN SIE EIGENTLICH GUT ENTSPANNEN? MAN HAT DEN EINDRUCK, SIE SIND DOCH EIN ZIEMLICH GESCHÄFTIGER MENSCH.
Das stimmt. Viele denken, wir lägen hier ständig am Pool oder seien am Meer. Aber Freizeit ist bei meinem Workload sehr selten. Spontan mal freinehmen, das mache ich eigentlich nie. So richtig relaxen kann ich eigentlich nur im Urlaub. Dann bin ich ein richtiger Faulenzer. Aktivurlaub ist nichts für mich. Ich will am Pool liegen und meine Ruhe haben.
EIN GRUND FÜR IHRE DERZEITIGE BETRIEBSAMKEIT IST DAS NEUE ALBUM VON TOKIO HOTEL, DAS ENDE DES JAHRES ERSCHEINEN SOLL. ES WIRD „2001“ HEISSEN – EINE REFERENZ AN DAS GRÜNDUNGSJAHR DER BAND. einiger Songs. Dadurch, dass wir zusammen aufgewachsen sind, haben wir miteinander eine einzigartige Energie. Wenn wir zusammenkommen, ist das manchmal so, als wäre die Zeit stehen geblieben. Leute von früher, die uns besuchen kommen, sind meist sehr überrascht, dass sich so wenig verändert hat. Dann sind wir alle wieder 13 Jahre alt. Es gibt da einfach eine Art Urvertrauen zwischen uns, das über allem steht. Die Musik ist und bleibt das Herzstück, mein Motor – egal, was ich tue.
ZUM SCHLUSS: KÖNNEN SIE SICH NOCH AN IHREN ERSTEN BESUCH IM KADEWE ERINNERN?
Es ist unser erstes neues Album nach fünf Jahren. Genauso lange haben wir auch daran gearbeitet. Die Platte ist also nicht aus einem Moment heraus entstanden, die Songs darauf Da waren wir noch richtig jung. Wir konnten früher kaum in den Urlaub fahren, dafür hatten wir einfach kein Geld. Aber einmal sind wir mit unserer Mutter ins KaDeWe gegangen.
„WENN WIR ALS BAND ZUSAMMENKOMMEN, IST DAS MANCHMAL SO, ALS WÄRE DIE ZEIT STEHEN GEBLIEBEN. DANN SIND WIR ALLE WIEDER 13 JAHRE ALT.“
sind alle sehr unterschiedlich. Sie knüpfen soundtechnisch an unsere verschiedenen Schaffensperioden an und verbinden diese miteinander. Deshalb auch der Name. Jeden Song auf „2001“ könnte man auch als Single herausbringen, es ist ein Album ohne Kompromisse. Da haben wir uns dann ein Eis gekauft und in der Modeabteilung die ganzen schönen Sachen angeguckt. Ich fand das total inspirierend. Wieder zu Hause habe ich mich dann an meine Nähmaschine gesetzt und habe versucht nachzuschneidern, was ich gesehen hatte.
WELCHE ROLLE SPIELT NACH MEHR ALS ZWANZIG JAHREN NOCH DAS GEMEINSAME MUSIKMACHEN?
Tom und ich schreiben natürlich viel bei uns im Studio hier in L.A. Aber wir waren nach langer Zeit auch zum ersten Mal wieder als Band im Studio in Berlin, haben zusammen rumgehangen, Pizza gegessen und Bier getrunken. Da wird dann auch viel herumgealbert und das war sehr wichtig für den Entstehungsprozess