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ONLY IN BERLIN – S
Über eine vergangene Party zu sprechen, gilt als unhöflich. Denn wer nicht dabei war, so der salbungsvolle Gedanke, kriegt von dem Gespräch möglicherweise rückwirkende FOMO vermittelt, jene Furcht, etwas Wesentliches verpasst zu haben. Ja, und? Genau diese Furcht scheucht einen aus der Tatort- oder Netflix-Routine auf, lässt einen die Welt erobern oder in die Nacht eintauchen. FOMO (Fear of Missing Out) ist der Schlüssel zum Fortschritt – oder zumindest zum frechen Partyflirt. Deswegen hier eine kurze Liebeserklärung an den Künstler Daniel Hölzl, der vor einiger Zeit für seine Ausstellung in der Galerie Dittrich & Schlechtriem den acht Meter langen Rumpf eines Carbon-Flugzeugs von Charlottenburg nach Mitte befördern musste. Mit ein paar Freunden schob er das riesige Objekt in einer heißen Sommernacht durch die Stadt: über die Straße des 17. Juni, am Kunstbunker des Sammlers Christian Boros vorbei. In anderen Metropolen wären die halbnackten Burschen festgenommen worden. In Berlin gab es nur ein paar coole Fotos. Verwegenheit gehört auch dazu, wenn man auf der zuletzt nicht gerade angesagten Kantstraße eine Avantgarde-Boutique eröffnet. Genau das haben Joerg und Maria Koch gemacht, die Masterminds hinter dem Magazin und der Modemarke 032c. Fast direkt neben der unverwüstlichen Paris Bar haben sie einen Ort der neuen Art geschaffen: ein knallroter, straff beleuchteter Raum, in dem jeweils nur die Installation eines Künstlers oder einer Künstlerin zu sehen ist. (Die Kollektionen des Labels finden sich in den Hinterräumen – und natürlich auch im KaDeWe.) Wer hier kein Selfie gemacht hat – das muss man so hart sagen –, der lebt nicht in Berlin. Fast das Gleiche gilt für Das Kleine Grosz Museum, eine ehemalige Tankstelle und ein schmaler Containerbau, die dem Künstler George Grosz gewidmet sind. „Ich zeichnete fliehende Männchen, die einsam und wie wahnsinnig durch leere Straßen liefen“, schrieb der scharfsichtige Chronist der Weimarer Republik. Dass man nun im hübsch gestalteten Garten seines Museums das ganze Jahr über einen idyllischen Ruheort in der Grauzone zwischen Schöneberg und Kreuzberg findet, gehört zu den charmanten Widersprüchen dieser Stadt •
Der Schlüssel zum FORTSCHRITT
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ADRIANO SACK Text JAN ROBERT DÜNNWELLER Illustration
Sein Hunger nach Gossip, neuen Restaurants und Gesellschaftsleben treibt Adriano Sack regelmäßig von seinem Zweitwohnsitz Sizilien zurück nach Berlin. Was er dann findet, davon erzählt der Leiter des Stil-Ressorts der WELT hier.