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Boilersuits

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NEW LOOK Jump in

BOILERSUITS nennt sich der Trend, der ein modisches Bekenntnis für die moderne Frau der neuen 20er-Jahre ist. Wie praktisch, dass der neu definierte EINTEILER dazu noch superbequem ist und fantastisch aussieht.

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MICHAEL PECH

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DIE IDA

Wir könnten jetzt darüber streiten, wer in der langen Geschichte des Einteilers die beste Figur gemacht hat: War es Uma Thurman mit ihrem knallgelben Overall in „Kill Bill“, in dem sie virtuos die Kehlen ihrer Wider sacher aufschlitzte? Oder passte der Jumpsuit doch eher zu den schwedischen Dancing Queens Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad, besser bekannt als weiblicher Part der poppigen Goldkehlchen von ABBA? Jennifer Beals trug in „Flashdance“, wenn sie gerade einmal nicht tanzte, einen Blau mann mit Schweißerschürze darüber. Gut, die spielte im Film ja wirklich eine Schweißerin. Oder war es vielleicht jenes Mo del, das der berühmte amerikanische Fotograf Irving Penn im Jahr 1964 vor der Linse hatte? Sie trug einen Guy-LarocheEinteiler aus braunem Wolljersey mit einer Jacke aus Seehundleder (früher war dann doch nicht alles besser) und landete mit dieser neuen Mode auf den begehrten Seiten der VOGUE. Der Jumpsuit erstmals in der legendären Modezeit schrift! Die Zeit war reif für einen gewagten Stil, den feinen Einteiler, der seinen Ursprung im damals gar nicht so feinen Milieu der Arbeiterklasse findet.

„ Mit einem OVERALL ist man immer gut angezogen. Ein guter LOOK zeichnet sich nämlich vor allem dadurch aus, dass er MÜHELOS wirkt. “

VIVIENNE WESTWOOD

So jagen die großen Designer ihre Models heute in Boilersuits in unterschiedlichsten Materialen über die Laufstege – Cord oder Denim wirken im Gesamtbild härter, Samt oder auch Baumwolle dagegen weich und zart. Selbst die 79 Jahre junge Modeexzentrikerin Vivienne Westwood höchstpersön lich ließ sich kürzlich in einem schlichten Einteiler im blau-weißen Nadelstreifmuster ablichten. Nicht zufällig, son dern für die Kampagne der in New York lebenden Wiener Stylistin Sabina Schreder. Als diese Ende der 1990er in die USA auswanderte, wurde ein Vintage-Overall, den sie oft und gerne trug, zu ihrem Markenzeichen. Heute hat sie damit ihr eigenes Label gegründet und weiß genau, warum der Boiler suit gerade jetzt dem Zeitgeist entspricht. Die deutsche Tageszeitung „Die Welt“ hat Schreder als Overall-Avantgardistin tituliert und als Teil jener Modeindustrie, die gerade alles tut, um das Klischee von Mann und Frau generalzuüberholen. Mit Erfolg. Was früher die Arbeiterkluft für Mechaniker war, also der klassische Blaumann, weckt heute als modisches Statement noch immer Assoziationen zu Maschinen und somit zu Stärke und Emanzipation. Der Boilersuit symbolisiert Befrei ung. Bei aller Revolution – der neue Trend zeigt sich dann doch alles andere als zugeknöpft. Bei etlichen Modellen rutscht der obligatorische Reißverschluss ein paar Etagen tie fer, sodass genug nackte Haut hervorblitzen kann. Praktisch bleibt der Boilersuit allemal und er ist zudem ein Alleskönner. Im Büro macht er sich tadellos mit einem eleganten Blazer, an

NEUES FRAUENBILD WAS FRÜHER ALS ARBEITERKLUFT GALT, ALSO DER KLASSISCHE BLAUMANN, WECKT HEUTE ALS MODISCHES STATEMENT ASSOZIATIONEN ZU STÄRKE UND EMANZIPATION.

Und jetzt? Jetzt ist er wieder da. Unter anderem Namen und im neuen Stil: Boilersuits sind der jüngste Trend in der gerade erst angebrochenen Dekade der 20er. Was das Neue daran ist? Ganz einfach: Boilersuits kommen nicht nur mit ihrem ganz eigenen Handwerker-Charme daher, sondern mit einer neuen Silhouette – figurbetont war gestern, in diesem Jahr werden die Overalls lässig getragen und mit Details wie aufgesetzten Taschen und einem durchgehenden Reißver schluss ergänzt oder auch mit einer Knopfleiste. Die ehemalige Arbeiterkleidung aus der Männermode ist nun auf den Straßen aller Welt angekommen – der Blaumann ist salonfä hig geworden.

IMMER WIEDER EN VOGUE BEREITS IN DEN 1970ER-JAHREN KOMBINIERTEN AGNETHA UND ANNI-FRID, DIE SÄNGERINNEN DER POPGRUPPE ABBA, OVERALLS MIT TURNSCHUHEN.

BOILERSUITS zeigen sich in einer neuen SILHOUETTE und werden mit DETAILS wie aufgesetzten Taschen und einem durchgehenden Reißverschluss oder einer Knopfleiste ergänzt.

LIEBLING DER DESIGNER IN DEN 1960ER-JAHREN WAR DER OVERALL SO BELIEBT, DASS DER DESIGNER GEOFFREY BEENE IHN IN DEN 1980ERN ZUM „BALLKLEID DES NÄCHSTEN JAHRHUNDERTS“ AUSRIEF.

einem Samstagnachmittag tragen einen sportliche Sneakers standesgemäß zum Caffè Latte in die hippen InnenstadtCafés und wenn es nachts ans Cocktail-Schlürfen geht, verwandeln hohe Absätze das immer noch selbe Kleidungsstück plötzlich in ein heißes Ausgeh-Outfit. Auch farblich spielt der neue Arbeiterstil alle Stückerl: Wie gut, dass 2020 ein buntes Jahr wird – angesagt sind Farben mit schillernden Namen wie „Fiery Red“, „Dark Navy“, „Sunlight-Gelb“ oder „Coral Pink“. Anstatt die Knopfleiste oder den Reißverschluss am Boilersuit komplett geschlossen zu halten, wird übrigens ein weißes T-Shirt oder ein beliebiges Langarmshirt darunter getragen. Der Extra-Farbklecks lockert das Ensemble gekonnt auf.

Längst hat sich auch schon die Wissenschaft an den Trend gemacht. Denn Mode hat ja immer auch etwas mit Gesell schaft zu tun. „Je mehr sich also unsere digitale Welt von manueller Arbeit entfremdet, desto exotischer wirkt im Umkehrschluss das klassische Proletariat“, sagt der Londoner Anthropologe Constantinos Tsikkos. „Was wir aktuell erleben, ist die ewige Vernarrtheit der Mode in die sogenannte Arbei terklasse, die in unserer Zeit ihren Höhepunkt erreicht.“ Man wäre also geneigt zu sagen, dass „die da oben“ sich „von denen da unten“ im wahrsten Sinn des Wortes angezogen fühlen. Zudem gibt es in Städten den Trend, sich eine Werkstatt ein zurichten, um nebenher endlich einmal wieder etwas mit eigenen Händen zu schaffen. All das passt ganz gut zum Sprung in den einteiligen Boilersuit – auch wenn man sich heute we niger dreckig macht. Oder eher gar nicht. Früher war das noch ganz anders. Damals, in den 30er-Jahren des vergange nen Jahrhunderts, war das Leben noch etwas rauer. Und als die Designerin Elsa Schiaparelli – zu dieser Zeit übrigens Ge genspielerin einer gewissen Coco Chanel – erstmals Jumpsuits für elegante Frauen entwarf, war man nicht bereit für das mo dische Statement. Die Einteiler boten sich zwar zum Getuschel und willkommenen Gesprächsthema an, wirklich getragen wurden sie aber nur von wenigen Menschen. Mitte der 1940er-Jahre hatte die amerikanische Designerin Vera Maxwell zwar etwas mehr Erfolg mit ihren sportlichen Ent würfen, durchdringen konnte sie nicht mit dem einteiligen Modestück. Den Weg zur stilsicheren Kleidung ebneten schließlich Modeschöpferinnen wie Bonnie Cashin, die den Jumpsuit in den 1950ern experimentell als Abendmode inter pretierte. Als in den 1960er-Jahren schließlich der Durchbruch gelang, war der Overall infolge so beliebt, dass der amerikanische Designer Geoffrey Beene sich veranlasst fühlte, ihn in den 1980ern zum „Ballkleid des nächsten Jahrhunderts“ auszurufen. Soweit ist es (zumindest noch) nicht gekommen, das Zeug zum Kleidungsstück des Jahrzehnts hat der heutige Boilersuit aber gewiss und vielleicht löst er sogar die Jeans ab.

Ungeklärt ist da jedoch noch immer die eingangs gestellte Frage, wem der trendige Einteiler in den Jahrzehnten denn nun am besten passte? Eine mögliche Annäherung an diese Frage versuchte zuletzt Vivienne Westwood: „Mit einem Overall, vor allem in seinem neuen Erscheinungsbild, ist man immer gut angezogen. Ein guter Look zeichnet sich nämlich vor allem da durch aus, dass er mühelos wirkt.“ Die Boilersuits sind so gesehen das praktischste und zugleich stilvollste Teil der Stunde. Man sollte also besser fragen: Wen wird der Boilersuit in Zu kunft besonders gut kleiden? Und die Antwort gibt man sich mit einem Blick in den Spiegel am besten selbst . •

M EH R BO I L ER SU I T S BEI KASTNER & ÖHLER Boilersuits repräsentieren einen gekonnt gesetzten Stilbruch, der ganz im Zeichen von starken, selbstbestimmten Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen, steht.

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