Rusinol(de)

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RUSINOL

L'Auca del senyor Esteve (Ramon Casas-Gabriel Alomar)

Schließlich setzt er die Ironie auch dazu ein, eine der bedeutendsten Romanfiguren der modernen katalanischen Literatur, Senyor Esteve, zu kreieren, der für die farblosen, prosaischen Bürger steht, die mit all ihren Widersprüchen und Fehlern, aber auch einigen Tugenden, das moderne Barcelona und das moderne Katalonien aufbauen. Diese literarische Figur, die durch die Karikaturen Picarols auch ein Antlitz bekommt, ist so erfolgreich, dass sie ein Eigenleben entwickelt, und ihr Name wird zu einem geflügelten Wort. Gartenlaube am Nachmittag (Aranjuez, 1913, Privatsammlung)

Nützliche Adressen Museu Cau Ferrat Fonollar, s/n - 08870 Sitges Tel.: (+34) 938 940 364 www.diba.es/museuslocals Museu Nacional d'Art de Catalunya (MNAC) Palau Nacional - Parc de Montjuïc 08038 Barcelona Tel. (+34) 936 220 376 www.mnac.es Museu de Montserrat Monestir de Montserrat 08199 Monistrol de Montserrat Tel.: (+34) 938 777 701 www.montserratvisita.com Museu d'Art de Girona Pujada de la Catedral, 12 17004 Girona Tel.: (+34) 972 203 834 www.museuart.com Biblioteca Santiago Rusiñol Pl. de l'Ajuntament, s/n - 08870 Sitges Tel.: (+34) 938 941 149 www.diba.es/agda/biblioteques

Verlassener Garten (Granada, 1898, Privatsammlung) Biblioteca de Catalunya Arxiu Joan Maragall Alfons XII, 79 bis - 08006 Barcelona Tel.: (+34) 932 413 004 www.bnc.cat/fons/amaragall.php Biblioteca Museu Víctor Balaguer Avinguda Víctor Balaguer, s/n 08800 Vilanova i la Geltrú Tel.: (+34) 938 154 202 www.victorbalaguer-bmb.org

Andere Museen und Einrichtungen, die Werke von Santiago Rusiñol besitzen: Museu Comarcal del Maresme in Mataró, Museu de les Arts Escèniques des Institut del Teatre in Barcelona, Museu Comarcal de la Garrotxa in Olot und Casa Museu Pau Casals in El Vendrell. Außerhalb Kataloniens: Es Baluard (Stadtverwaltung von Palma de Mallorca), Museu del Santuari de Lluc (Mallorca), Casa Museu Benlliure in Valencia, Cercle de Belles Arts in Valencia, Museu Municipal de l'Almodí in Xàtiva, Musée d'Orsay in Paris, Musée Goya in Castres, Centro de Arte Reina Sofía in Madrid, Círculo de Bellas Artes in Madrid, Palacio Real in Madrid, Museo Zuloaga in Zumaia (Guipuzkoa), Museo de Bellas Artes in Bilbao, Museo Casa de los Tiros in Granada, Museo Provincial in Zaragoza, Museo de Bellas Artes in Córdoba, Museo Nacional in Bellas Artes (Argentinien), Museo Nacional de Bellas Artes (Kuba).

Santiago Rusiñol

Sitges. El-Greco-Denkmal

Desde El Molino (Barcelona 1894)

El prestidigitador (Barcelona 1903)

Fremdenverkehrsbüros Centre d'Informació de Catalunya Palau Robert Passeig de Gràcia, 107 - 08008 Barcelona Tel.: (+34) 932 388 091/2/3 - 902 400 012 dgdifusio_turisme.presidencia@gencat.net www.gencat.cat/probert Oficina de Turisme de Sitges Sínia Morera, 1 08870 Sitges Tel.: (+34) 938 945 004 info@sitgestur.com www.sitgestour.com

Barcelona. Els Quatre Gats (Ramon Casas 1897)

© Generalitat de Catalunya Departament d'Innovació, Universitats i Empresa Turisme de Catalunya Text: Margarida Casacuberta Gestaltung: Francesc Guitart – EIX Comunicació Fotografien: © Bilderarchiv der VEGAP (Fotograf: Martí Gasull) © MNAC-Museu Nacional d'Art de Catalunya. Barcelona 2006, Calveras/Mérida/Sagristà © Museu de Montserrat - Abadia i Santuari de Montserrat © Museu Cau Ferrat. Sitges © Biblioteca de Catalunya - Arxiu Joan Maragall © Privatsammlungen (Martí Gasull) Druck: Imgesa Hinterlegtes Pflichtexemplar: B - 32.974 - 2007

Der Anleger (Aranjuez, 1911, MNAC) Titelbild - Herrschaftlicher Garten. Raixa II (Mallorca, 1902, Privatsammlung)

Das Labyrinth von Horta, II (Barcelona, 1900-1901, Privatsammlung)

Printed in EU

Sitges. Cau Ferrat

RUSINOL

Deutsch

Humor und Ironie sind auch das Bindeglied zwischen den dramaturgischen Arbeiten Santiago Rusiñols, von „L'alegria que passa” bis hin zu den Schwänken und Vaudevilles. Selbst in den von Maeterlinck oder Ibsen beeinflussten Stücken, die dem Willen zur Erneuerung des katalanischen Bühnenspiels entsprechen, stecken diese Keime der Ironie und des Humors, die ihre Bedeutungsschwere konterkarieren und es erlauben, das große Publikum zu erreichen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwendet Rusiñol diesen ironischen Ton, um in der humoristischen Wochenzeitung „L'Esquella de la Torratxa” (1907-1925) unter dem Pseudonym „Xarau” - sein speziell für diese Zwecke kreiertes Alter Ego - den von Eugeni d'Ors („Xènius”) in „La Veu de Catalunya” formulierten „noucentistischen” Diskurs zu parodieren. Resultat der lang andauernden Tätigkeit sind einige der bekanntesten Bücher Rusiñols, wie „Del Born al Plata”, „L'illa de la calma” (Die Insel der Ruhe) oder „Màximes i mals pensaments”.


SANTIAGO RUSIÑOL

Symbolisch als Tempel der Kunst errichtet, wird die Cau Ferrat von Sitges zum imaginären Museum des Künstlers.

(Barcelona, 1861 - Aranjuez, 1931)

Die Cau Ferrat entsteht im Viertel Baluard an Stelle zweier neben der Kirche am Meeresufer stehender Fischerhäuser. Der Architekt Francesc Rogent entwirft das Gebäude im einem eklektischen Stil zwischen Neugotik und mediterraner Volksarchitektur. Das Obergeschoss soll die Schmiedekunst–, Töpferwaren– und Glassammlungen beherbergen, das untere, mit einem großen Kamin und einem gotischen Fenster, durch das man nur das Meer und den Himmel sieht, dient dem Künstler als Wohnung.

Vorreiter des katalanischen Jugendstils Als verheirateter Erbe einer Industriellenfamilie mit Fabrik in Manlleu und Büro in der Carrer de la Princesa in Barcelona und Vater einer Tochter entscheidet sich Santiago Rusiñol im Alter von achtundzwanzig Jahren dazu, mit dem bürgerlichen Leben zu brechen und sich hauptberuflich der Malerei zu widmen.

Sich malend (Santiago Rusiñol und Ramon Casas) (um 1890, Cau Ferrat)

Café im Montmartre (Paris, 1890, Museu de Montserrat)

1889 zieht er, angetrieben von der Stimmung in Barcelona nach der Weltausstellung von 1888 nach Paris, um sich dort dem Bohemeleben zu widmen. Zunächst in Montmartre und ab 1895 in Île-Saint-Louis, begibt sich Rusiñol in die intellektuellen und künstlerischen Kreise der modernen Stadt schlechthin und entwickelt sich zu einem der wichtigsten Exporteure der neuen Strömungen nach Katalonien und Spanien. In den letzten Jahren des Jahrhunderts besucht er die Académie de la Palette, in der Pierre Puvis de Chavannes arbeitet, lernt den Musiker Erik Satie kennen, frequentiert „Le Chat Noir” und „Le Mirliton” zur gleichen Zeit, in der sich auch Toulouse-Lautrec häufig dort aufhält, besucht Theatervorstellungen von Maeterlinck sowie im Théâtre de l'Œuvre und im Théâtre-Libre von Antoine und beobachtet die neuen Werbetechniken auf Plakaten, in Cafés und Tageszeitungen. Auf diese Weise nimmt Rusiñol die neuen ästhetischen Strömungen in sich auf, die in Europa als Folge der Krise des Positivismus und des Realismus entstehen, vor allem den Symbolismus in seiner dekadentistischen Variante, und entwickelt eine besondere, persönliche Lesart des Naturalismus Zolas. Außerdem arbeitet er von Paris aus für die Tageszeitung „La Vanguardia” in Barcelona und trägt mit seinen Briefen, die 1894 unter dem Titel „Desde El Molino” in Buchform erscheinen, zur Entstehung des Bildes vom modernen Künstler bei. Die Entscheidung Rusiñols für ein Leben als Künstler muss im Zusammenhang der als „Modernisme” bezeichneten, vom Erneuerungsgedanken geprägten kulturellen und intellektuellen katalanischen Jugendstilbewegung gesehen werden, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Notwendigkeit zur Umgestaltung der katalanischen Kultur – die von den jungen Intellektuellen als provinziell, antiquiert und regional betrachtet wird – in eine moderne und nationale europäische Kultur propagiert. Im Mittelpunkt dieser Bewegung steht zunächst das Umfeld der Zeitschrift „L'Avenç” (Der Fortschritt) mit Jaume Massó i Torrents, Joaquim Casas-Carbó, Alexandre Cortada, Jaume Brossa, Joan Maragall, Pompeu Fabra, Raimon Casellas und Ramon Casas, aber schon bald übernimmt Santiago Rusiñol wegen seiner sympathischen Art und seiner Fähigkeit zur Nutzung der neuen Massenkommunikationsstrategien (Werbung, Marketing, Public Relations) und nicht zuletzt wegen seiner Bereitschaft, als sichtbares Antlitz des Modernisme zur Verfügung zu stehen, die Führung der Bewegung.

Erik Satie, Bohemien (Paris, 1891, Arxiu Joan Maragall)

Zwillinge. «Les Vicentetes» (Sitges, 1895, Privatsammlung)

«Grand Bal» (Paris, 1891, Privatsammlung)

L'alegria que passa (um 1898, Biblioteca Popular Santiago Rusiñol, Sitges)

Der Diskurs über die Kunst um ihrer selbst willen, verkörpert durch die öffentliche Figur des Vorreiters des Modernisme, ist untrennbar mit dem Diskurs über die Totale Kunst verbunden, die Santiago Rusiñol auf verschiedenen Ebenen, begonnen mit seiner Rolle als vielseitigem Künstler, praktiziert. Er widmet sich den verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen – Malerei, Zeichnung, Plakatgestaltung, Theater, Dichtung, Prosa, Roman, Journalismus, Übersetzung, Sammeln – und unterbaut diese Praxis theoretisch, indem er eine Gesamtkonzeption der künstlerischen Realität propagiert, die die Überwindung der Grenzen zwischen den verschiedenen Gattungen und Künsten beinhaltet. Rusiñol führt in Katalonien das Gedicht in die Prosa ein, wirkt aktiv am Teatre Íntim von Adrià Gual mit, betreibt mit Ignasi Iglésies und Enric Morera das Projekt zur Schaffung des Teatre Líric Català und setzt sich für die Rückbesinnung auf das traditionelle katalanische Volkslied und dessen Verwendung im Chorgesang ein. Andererseits begreift Rusiñol das Buch an sich als künstlerisches Objekt, wodurch seine Werke – vor allem die ersten, die unter Verwendung der auch in der „L'Avenç” genutzten Schriftarten in den Verlagswerkstätten der „La Vanguardia” oder des Casa Thomàs entstehen – zu wahren Sammlerstücken werden. Als Beispiele mögen an dieser Stelle „Desde El Molino” (mit Illustrationen von Ramon Casas), „Anant pel món” (Erzählungen, Nachrufe und Monologe), „Oracions” (Gedichte in Prosa mit Illustrationen von Miquel Utrillo und musikalischen Illustrationen von Enric Morera), „Impresiones de arte” (journalistische Chroniken mit Illustrationen von Ignacio Zuloaga, Pablo Uranga und Rusiñol selbst), „Fulls de la vida” (Erzählungen und poetische Prosastücke mit Illustrationen von Ramon Pichot), „El jardí abandonat” (Gedichtband mit musikalischen Illustrationen von Joan Gay), „Jardins d'Espanya” (eigene Zeichnungen von Gartenanlagen mit Texten von Joan Alcover, Joan Maragall, Miquel dels S. Oliver, Gabriel Alomar, Emili Guanyavents, Apel·les Mestres und Francesc Matheu in der katalanischen Ausgabe von 1903 und Texten von G. Martínez Sierra, E. Marquina, Azorín, Díez Canedo, Manuel Machado, Pérez de Ayala und Juan Ramón Jiménez in der spanischen Ausgabe von 1914) und „L'auca del senyor Esteve” (Roman mit Zeichnungen von Ramon Casas und Reimen von Gabriel Alomar) genannt sein.

Santiago Rusiñol erhebt sich zum Verteidiger der Kunst und versteht es, seine eigene Person als Bild des modernen Künstlers, der von der und für die Kunst lebt und sich selbst zu einem Kunstwerk macht, zu inszenieren. Außer auf seine Sympathie, die Fähigkeit, unterschiedliche Menschen zusammenzubringen, und seinen Nomadencharakters, kann er dabei auf die Literatur als Werkzeug zum Aufbau des Mythos zurückgreifen. In seinen ganzen umfangreichen literarischen Werk sind die Spannungen zwischen dem Künstler und der bürgerlichen Gesellschaft unbestreitbare Protagonisten. Der Künstler wird als „Wanderer der Erde”, „Ewiger Jude”, „Lehmvogel”, Pierrot oder der Bildhauersohn des „Senyor Esteve” dargestellt; er ist der Verteidiger der Dichtung in der von der Prosa dominierten modernen Welt; er ist der Protagonist programmatischer Werke wie „L'alegria que passa” und „Cigales i formigues” oder provozierender Werke wie „El místic” Weibliche Figur (mit Selbstporträt) (Paris, 1894, MNAC)

Nach seiner Ankunft in Paris wird die Malerei Rusiñols zum plastischen Ausdruck des emotiven Schocks, den der Kontakt mit den Vorstädten und dem Abschaum der modernen Metropole beim Künstler auslöst. Sein Montmartre ist das der „Moulin de la Galette”, das der Bohème der angehenden Künstler, die aus aller Welt in die „Stadt des Lichts”, um die Welt im Sturm zu erobern und das Priestertum der Kunst auszuüben, und die oft als menschliche Wracks unter den Flügeln der symbolträchtigen Mühle enden. Die grauen, matten Töne der Pariser Malerei und die Auswahl von Realitätsfragmenten mit einem auf den finsteren Teil der menschlichen Existenz gerichteten Blick werden von Rusiñol auf die natürlichen und künstlichen, äußeren und inneren Landschaften des Kataloniens und Mallorcas der beginnenden neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts, der blauen und weißen Innenhöfe von Sitges und der Ruinen und Friedhöfe von Tarragona, der Vorstädte Barcelonas und der verlassenen Gärten Mallorcas, übertragen. Dann folgen die Entdeckung El Grecos und die Reise nach Madrid und Andalusien, die Entdeckung des Gartens aller Gärten, des Gartens der Alhambra und des Generalife in Granada, und der Aufbau des symbolischen Raums der Malerei Rusiñols schlechthin: des verlassenen Gartens. Der verlassene Garten wird aus zweierlei Perspektive betrachtet, der dekadentistischen und der erneuerungsorientierten, denn, wenn er einerseits den privaten Raum des Künstlers repräsentiert, die Erforschung des Inneren des Ichs im Angesicht von Zerstörung und Tod, ist er andererseits immer auch ein Spiegel der Gesellschaft der rückständigen, dekadenten Epoche, die ihr historisches Erbe vernachlässigt. Das Resultat dieser Vernachlässigung ist das „schwarze Spanien” von Darío de Regoyos und Émile Verhaeren, das Spanien, das von Zuloaga gemalt und von Azorín, Machado, Unamuno, Baroja oder Valle Inclán beschrieben wird. Rusiñols Malerei verlassener Gärten erreicht ihren Höhepunkt zwischen 1897 und 1899, gleichzeitig mit der Krankheit und Morphinsucht des Künstlers. Aus der gleichen Epoche stammen auch die vom „paradoxen Realismus” El Grecos beeinflussten Gemälde mit den Mönchen von Montserrat.

Das Morphin (Paris, 1894, Cau Ferrat)

Nach einer Entziehungskur und einer chirurgischen Intervention, bei der ihm eine Niere entnommen wird, beginnt für Rusiñol eine, was die Menge der fertiggestellten Werke, vor allem aber die öffentliche Anerkennung betrifft, sehr fruchtbare Etappe, als deren Höhepunkt wohl die Ausstellung der Gemäldekollektion „Jardins d'Espagne” in Siegfried Bings Pariser Galerie „L'Art Nouveau” im Jahr 1900 gelten kann. In dieser Epoche hält sich Santiago Rusiñol mehrfach für längere Zeit mit Joaquim Mir und dem Belgier Degouve de Nuncques auf Mallorca auf, um nach verlassenen Gärten als Motive für seine Werke zu suchen. Außerdem beginnen seine jährlichen Aufenthalte in Aranjuez, Valencia, Xàtiva, Cuenca, Sóller, Pollença, Valldemossa, Girona und anderenorts in Katalonien und Spanien, und später reist er zum Malen auch nach Italien, in die Nähe Roms. Rusiñol arbeitet bis zum Tage seines Todes in Aranjuez am 13. Juni 1931. In seinem Werkkatalog sind gegenwärtig 695 Ölgemälde verzeichnet. Garten des Piraten, I (Mallorca, 1902, Privatsammlung)

Die Popularität des Schöpfers von Senyor Esteve

Künstlerischer Interpret der Landschaft der Jahrhundertwende

Die Kunst um ihrer selbst willen und die Totale Kunst

Die Cau Ferrat in Sitges: Der Tempel der Kunst

Der Bildhauer Carles Maní (Paris, 1895, Cau Ferrat)

Im Sommer 1894 wird das Haus mit einem beeindruckenden Festumzug durch die Straßen von Sitges eingeweiht, bei dem zwei Gemälde des Barockmalers Domenikos Theotocopoulos, genannt „El Greco”, die Rusiñol in Paris erstanden hat, mitgeführt werden. Im Anschluss findet ein literarischer Wettbewerb statt, der als moderne Alternative zum verknöcherten Charakter der „Jocs Florals” (Blumenspiele) von Barcelona und der von ihnen repräsentierten literarischen Tradition zu verstehen ist. Es handelt sich um das „Dritte Modernistische Fest”, das als erstes, das ausdrücklich als solches deklariert und nummeriert wird, den beiden vorangegangenen nachträglich die gleiche Kategorie verleiht. Bereits 1892 hatten Rusiñol und die Luministen aus Sitges eine Landschaftsmalerei-Ausstellung organisiert, um den gefühlsmäßigen Schock zu zeigen, den die Betrachtung einer bestimmten Landschaft in der Seele des – kultivierten, sensiblen, dekadenten – Künstlers auslöst, und 1893 hatte dieselbe Gruppe die Uraufführung des von Pompeu Fabra übersetzten symbolistischen Dramas über den Tod „L'Intruse” vom belgischen Schriftsteller Maurice Maeterlinck betrieben. Die Inszenierung mit unbeleuchtetem Zuschauerraum und Dämmerlicht auf der Bühne bedeutete den ersten Kontakt des katalanischen Publikums mit dem modernen Theater und dem avantgardistischen Drama. Das „Vierte Modernistische Fest”, in dessen Mittelpunkt, die Uraufführung von „La Fada”, einer katalanischen Oper mit Libretto von Jaume Massó i Torrents und Musik von Enric Morera, steht, und das fünfte und letzte, im Jahr 1899, das dem innovativsten katalanischen Theater gewidmet ist, werden mit zahlreichen, vielfältigen und kühnen kulturellen Projekten, wie Konzerten mit symbolistischer, frankobelgischer Musik, dem Serpentinentanz von Loie Fuller oder der spendenfinanzierten Errichtung des Denkmals für El Greco, abgerundet, die darauf ausgerichtet sind, sich für die Erneuerung und vor allem für die Anerkennung der Bedeutung von Bildung und Kultur für die Regeneration eines Landes – Spanien –, das in den Jahren 1894-1898 erlebt, wie die schwere Krise, die es durchmacht, in einem verheerenden Krieg und dem Verlust der Kolonien in Übersee mündet, einzusetzen. Die Cau Ferrat in Sitges ist in diesen Jahren Pilgerziel nicht nur der modernistischen katalanischen Intellektuellen, sondern auch der Creme der spanischen Erneuerungsbewegung: Emilia Pardo Bazán, Ángel Ganivet, Rubén Darío, Benito Pérez Galdós, Ignacio Zuloaga, Manuel de Falla, Francisco de P. Valladar und vieler anderer. Sie alle teilen mit dem Hausherrn die in Vorträgen und Artikeln um das Jahr 1898 wiederholt zum Ausdruck gebrachte Idee, dass ein Volk, das seine Geschichte verschachert und sein kulturelles Erbe verkauft, es verdient, „als leicht zu erobernde Nation, als rückständiges Volk, als mit dem Tode ringende Nation, die zwischen überlegenen Nationen aufgeteilt werden muss,” betrachtet zu werden.

Von dem Moment an, als er nach Paris geht, werden Santiago Rusiñol und sein Werk zu einer Provokation. Seine Einzel – und Gemeinschaftsausstellungen (mit dem Maler Ramon Casas und dem Bildhauer Enric Clarasó) in der Galerie „Sala Parés” in Barcelona irritieren das „anständige” bürgerliche Publikum, das ihn der Fremdtümelei, der Extravaganz, der „glanzlosen” Malerei und der Subversion der etablierten Schönheitsregeln bezichtigt. Noch provozierender wirken wegen ihres programmatischen Umfangs und ihrer Regelmäßigkeit die so genannten „Festes Modernistes”, ein von Rusiñol von 1892 bis 1897 jährlich in Sitges organisiertes Jugendstilfestival.

1891 lernt Santiago Rusiñol den Küstenort Sitges kennen. Ihm gefällt das Weiß der Häuser und das Blau der Innenhöfe, vor allem aber auch die freundliche Aufnahme durch die Maler der so genannten „Schule der Luministen”, Arcadi Mas i Fontdevila, Antoni Almirall, Josep Roig i Soler und Joaquim de Miró. Schon bald entscheidet er sich, hier ein Haus für sein Atelier und als Aufbewahrungsort für seine bedeutende Sammlung alter katalanischer Schmiedeeisengitter, die er bis dahin im Atelier von Enric Clarasó in Barcelona (Carrer Muntaner 38) untergebracht hatte, zu bauen, das den bezeichnenden Namen „Cau Ferrat” (wörtlich etwa „eisenbeschlagene Höhle”) bekommt.

und „La mare”; er ist die Erzählerstimme in „Anant pel món”, „Fulls de la vida”, „El poble gris” und „L'illa de la calma” und die betende in „Oracions a la natura”; er ist der Maler in den „Jardins d'Espanya” und der Dichter in „El jardí abandonat”, dem Werk, das die Grenze zwischen den beiden großen Etappen im Leben und Werk Santiago Rusiñols – zwischen dem Rusiñol, der sich auf die Reise in die Kunst als Reise ohne Wiederkehr begibt, die ihn zu Krankheit und Morphinsucht führt, und jenem, der, nachdem er am Abgrund gestanden hat, auf Kosten der als Forschung und ständige Suche begriffenen Kunst zum Leben zurückkehrt – markiert. Und trotz allem bleibt das Image unbeschadet erhalten, verselbstständigt sich geradezu, genauso wie die von Santiago Rusiñol kreierte literarische Figur des Senyor Esteve, Prototyp des barcelonesischen oder katalanischen Bürgers und Titelfigur im Roman „L'auca del senyor Esteve”, der den Aufbau des modernen Barcelona durch das Bürgertum, das in einer etwas geringschätzigen und wie in einem Jahrmarktsspiegel verzerrten Darstellung vom Protagonisten repräsentiert wird, beschreibt.

Blumen. Das Mädchen mit der Nelke (Sitges, 1893, Cau Ferrat)

Der totale Künstler betrachtet die ihn umgebende Realität mit einem besonderen Blick, aus dem Schatten heraus und auf Bodenhöhe, einem lyrischen und zugleich kritischen Blick, der vom ersten Moment an zu einem untrennbar mit der modernistischen Bewegung verbundenen ästhetischen und kulturellen Stimulans wird. Rusiñol beginnt seine künstlerische Laufbahn unter dem Einfluss der Tradition der Landschaftsmalerei der so genannten Schule von Olot, wohin er sich 1888, bevor es ihn nach Paris zieht, begibt, um zu malen. Es handelt sich um eine Option, die mit dem vom Kritiker Raimon Casellas theoretisch untermauerten Projekt, die autochthone bildnerische Tradition gegenüber dem Akademismus und Offizialismus der spanischen Kunst zu fördern, im Einklang steht. Fern von der kosmischen Harmonie der Oloter Malerei, zeigt Rusiñol allerdings auch die dunklen Flecken der Sorgen des modernen Individuums und die raue und harte Realität der Armut der Bewohner jener idealisierten Landschaft.

Der blaue Hof. Sitges (1891, Museu de Montserrat)

Blauer Hof mit Schwertlilien. Sitges (1891-1892, Privatsammlung)

Lange ist Santiago Rusiñol eher für sein von der Milieuschilderung des 19. Jahrhunderts und vom „Barcelonismus” potenziertes Image bekannt gewesen als für sein künstlerisches Werk. Der Wortführer der Kunst um ihrer selbst willen ist zugleich auch Protagonist der berühmten Kutschenreise durch Katalonien, die er mit Ramon Casas unternimmt und über die er in Chroniken in „La Vanguardia”, einem Quell oft apokrypher Anekdoten, die zur Legendenbildung um seine Person beitrugen, berichtet, der Reise auf dem Fahrrad von Vic nach Barcelona, der Mallorcareise mit Raimon Casellas im Jahr 1893 oder der Andalusienreise, die er im Kulturverein „Ateneu Barcelonès” unter dem Titel „Andalusien aus der Sicht eines Katalanen” glossiert. Rusiñols Ausstellungseröffnungen in der Galerie „Sala Parés” sind nicht nur wegen der Kühnheit der Gemälde, sondern auch für die Vernissagen, die der Künstler von Paris nach Barcelona importierte, bekannt, und die Modernistischen Feste in Sitges haben, wie das eigentümliche Leben der Bohème, die sich im Café „Els Quatre Gats” von Pere Romeu trifft, das übrigens auch der junge Picasso frequentiert, als er angezogen vom aufkommenden Modernisme in Barcelona eintrifft, neben den avantgardistischen künstlerischen Elementen, auch eine humoristische und derbe Komponente.


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