Die optimierten Studierenden

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Die optimierten Studierenden

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von Defne Erel

nsere Gesellschaft ist durchdrungen von einer Enhancement- und Optimierungsdebatte. Das Spektrum reicht von Schönheitsoperationen bis hin zur transhumanistischen Sichtweise, nach der sich Menschen durch technologische Verfahren so weit optimieren lassen können, dass die Grenzen des Natürlichen und Menschenmöglichen gesprengt werden. Auch der universitäre Bereich ist nicht mehr frei von jenem Selbstoptimierungsdrang. Dieser äußert sich dort im sogenannten Gehirndoping, oder weniger negativ konnotiert: Neuro-Enhancement.

sem – auch „Neuro-Enhancement“ oder „Cognitive Enhancement“ genannten – Gehirndoping zählen insbesondere Antidementiva, Antidepressiva und Psychostimulanzien, sprich verschreibungspflichtige Medikamente gegen Alzheimer, Depressionen, Narkolepsie und Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Psychostimulanzien stellen hierbei die am meisten verbreitete Kategorie dar; zu ihnen gehören die bekannten Medikamente Ritalin und Vigil, aber auch Koffein und Nikotin. Zuverlässige Zahlen zum Gehirndoping unter Studierenden gibt es nicht, da bei den bisher durchgeführten Studien zwischen Motiv, Gebrauchshäufigkeit und Art des Medikaments differenziert werden muss und es an entsprechend detaillierten Studien und Umfragen mangelt (vgl. Kunz, 2010). Dass Studierende jedoch vermutlich zu einem deutlich höheren Anteil Gehirndoping betreiben als etwa Erwerbstätige, erklärt die DAK in ihrem Gesundheitsreport 2015 zum Thema „Doping am Arbeitsplatz“ (vgl DAK, 2015). Für Deutschland rangieren die Zahlen zwischen weniger als einem und knapp fünf Prozent, in den USA hingegen zwischen 16 und 25 Prozent (vgl Sagener, 2013). Dennoch ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer deutlich höher ist, da die Produktionsund Verkaufszahlen von Neuro-Enhancern die Zahlen der von Ärzten ausgestellten Rezepte bei weitem übersteigen, so Claus Normann, Oberarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Uniklinik, Freiburg (vgl. Goebel, 2009). Normann äußert sich zudem besorgt über die Entwicklung „dass sich junge Menschen zurechtdopen, um den Anfor-

Schon jetzt ist spürbar, dass Schule und Hochschule nicht mehr Bildung und Erziehung um des Menschen willen leisten, sondern als Standortfaktor im globalen Wirtschaftskampf gelten: Der Markt diktiert, welches Wissen relevant sein soll. Aus Bildung wird Ausbildung, Wissen wird zur Ware, Schüler und Studenten zu »Humankapital«. (Krautz, 2012)

Welche Auswirkungen hat es, wenn Menschen, ihr Wissen und ihre Leistungsfähigkeit zum Kapital werden und Bildung maßgeblich von Wettbewerb und Konkurrenz geprägt wird? Wie weit gehen Studenten unter Leistungs- und Konkurrenzdruck und was sagt uns das über die derzeitige Situation unseres Bildungssystems? Laut zahlreicher Studien lautet für einige Studierende die Antwort auf den Druck an den Universitäten „Gehirndoping“. Dies bedeutet, bei einem gesunden Menschen eine medikamentös hervorgerufene Leistungssteigerung durch erhöhte Konzentration oder Stimmung zu bewirken. Zu die12


derungen gerecht zu werden, anstatt das Studiensystem zu hinterfragen.“ (Die Welt, 2014) Dass der Missbrauch verschreibungspflichtiger Medikamente gesundheitliche Folgen hat und die Spätfolgen noch nicht abschätzbar sind, darüber sind sich die Forscher größtenteils einig. Aber auch aus ethischer Sicht ist mit Konsequenzen zu rechnen. Denn nicht nur begrifflich gibt es Parallelen zu anderen Formen der künstlichen Leistungssteigerung. So könnte langfristig die Gefahr bestehen, dass Erfolgschancen „nicht-gedopter“ Studierenden manipuliert werden und sie sich somit in Zukunft gezwungen sehen können, auch zu aufputschenden oder konzentrationsfördernden Mitteln zu greifen (vgl. Battleday, 2015).

pflichtigen Medikamenten in den Gehirnen der Studierenden ankommen, wird dort neben Credit Points, Abschlussnoten, Regelstudienzeit und Konkurrenzkampf kein Platz mehr für leidenschaftliche Interessen und zweckentbundenes Aneignen oder gar generieren von Wissen sein. Das Leben besteht nicht nur aus Schularbeiten. Der Mensch soll lernen, nur die Ochsen büffeln. Der Kopf ist nicht das einzige Körperteil. Wer das behauptet, lügt. Und wer die Lüge glaubt, wird, nachdem er alle Prüfungen mit Hochglanz bestanden hat, nicht sehr schön aussehen. Man muss nämlich auch springen, turnen, tanzen und singen können, sonst ist man, mit seinem Wasserkopf voller Wissen, ein Krüppel und nichts weiter! (Erich Kästner)

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Kunz, E.: Gehirndoping: Unheil oder Segen? Diskussions- und ggf. Regelungsbedarf auf dem Gebiet des “Neuro-Enhancements”. Veröffentlicht im Springer-Verlag 2010. Online unter: http://link. springer.com/article/10.1007%2Fs00350-010-2697-y?LI=true# (26.11.2015) Sagener, N.: Pillen schlucken für den Lernrausch. Veröffentlicht in Zeit Online 2013. Online unter: http://www.zeit.de/studium/uni-leben/2013-07/studie-gehirndoping-studenten/komplettansicht (26.11.2015) Hrsg: DAK: DAK Gesundheitsreport 2015.Veröffentlicht auf dak.de 2015. Online unter:http://www.dak.de/dak/download/Vollstaendiger_bundesweiter_Gesundheitsreport_2015-1585948.pdf (26.11.2015) Goebel,T. , Füßler,C.: Studierende greifen zu Psychopharmaka. Veröffentlicht in badische-zeitung.de 2009. Online unter: http:// www.badische-zeitung.de/freiburg/studierende-greifen-zu-psychopharmaka--16956907.html (26.11.2015) Battleday,R.M.: Modafinil for cognitive neuroenhancement in healthy non-sleep-deprived subjects: A systematic review. Veröffentlicht auf European neuropsychopharmacology.com 2015. Online unter: http://www.europeanneuropsychopharmacology. com/article/S0924-977X(15)00249-7/fulltext (26.11.2015) Hrsg.:Die Welt: Was Ritalin und Co. bewirken. Veröffentlicht in Die Welt Online 2014. Online unter:http://www.welt.de/gesundheit/article145665636/Was-Ritalin-und-Co-bewirken.html (26.11.2015) Krautz, J.: Ware Bildung - Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie. Veröffentlicht im Diederichs Verlag 2012.

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Grafik: vecteezy.com

euro-Enhancement gerät immer mehr in den Fokus der öffentlichen Diskussion und wird auch auf wissenschaftlicher Ebene immer häufiger zum Forschungsgegenstand. Einerseits muss über medizinische und gesundheitliche Aspekte wie Nebenwirkungen und Langzeitfolgen sowie ethische Fragen der Fairness oder Grenzen der technischen Optimierung des Menschen diskutiert werden. Darüber hinaus ist es aber auch wichtig zu reflektieren, dass diese Entwicklung ein Indikator oder sogar ein Symptom hinsichtlich der Entwicklung unseres Bildungssystems sein könnte und ob ein solcher Druck zur Optimierung auf die Studierenden noch im ursprünglichen Sinne der universitären Bildung ist. Wo die Universität und die Bildung so weit instrumentalisiert werden, dass nur noch funktionierendes Humankapital ausgebildet werden soll und dieses Humankapital im Konkurrenzkampf seine Gesundheit aufs Spiel setzt, ist kein Platz mehr für Freiheit und Bildung außerhalb strenger Kosten-Nutzen-Kalküle. Und wenn diese Kosten-Nutzen-Kalküle in Form von verschreibungs-


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