Zum persönlichen Bildungsideal heute

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Artikel

Zum persönlichen Bildungsideal heute Sind die Studierenden die Brotgelehrten des 21. Jahrhunderts?

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von Jan Korr & Stefan Heidrich

riedrich Schiller beschreibt in seiner akademischen Antrittsrede zu seiner Professur der Geschichte in Jena Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (1789), dass sich die akademische Studienlandschaft grundlegend dadurch unterscheidet, dass es zwei Arten von Gelehrten gibt: Die „Brotgelehrten“ und die „Philosophischen Köpfe“ - eine Typologisierung von zwei vermeintlich unvereinbaren Bildungsansprüchen. Wie kann unser eigenes Bedürfnis des persönlichen Erkenntnisgewinnes in dem heutigen ökonomisierten Bildungssystem nach diesen Typen greifen? Ist diese, aus dem Idealismus stammende, Dichotomie noch zeitgemäß oder ist die Wechselwirkung und Anerkennung beider Aspekte der Weg zu unserem persönlichen Bildungsideal?

letztlich seine Existenz gefährdet. Ein Kosten-Nutzen-Kalkül, dem Schiller eine „Sklavenseele“ attestiert, die „im Reiche der vollkommensten Freiheit“, dem humanistischen Erkenntnisanspruch nicht gerecht wird. Ihm gegenüber steht der „Philosophische Kopf“, der diese Sphäre der immateriellen Erkenntnis erfasst und „alle seine Bestrebungen [...] auf Vollendung seines Willens“ (vgl. ebd.: 7) richtet. Schiller charakterisiert ihn mit dem inhärenten Wunsch nach Erkenntnis, welcher die Verbesserung seines sinnlichen Zustandes vor die der persönlichen oder gesellschaftlichen Stabilität stellt. Seinen Lohn sucht der „Philosophische Kopf“ daher niemals in einem materiellen Sinne. Im Hinblick auf die historische Datierung der Antrittsrede ergibt sich bei der Wandlung des Bildungsideals zu einer Bildungsökonomie die Frage, ob der „Philosophische Kopf“ jemals gänzlich frei von ökonomischer Bedingtheit sein kann. Zum Erscheinungspunkt der selbigen war universitäre Bildung ein finanzielles Privileg. Schiller formuliert bereits in seinem Gedicht Der Metaphysiker (1796) eine metaphorische Selbstkritik:

Für Schiller unterscheidet sich der „Brotgelehrte“ drastisch von dem Rest aller anderen Gebildeten. Er ist der fähige Homo oeconomicus, der seinen „Fleiß einzig und allein“ einsetzt, um „die Bedingungen zu erfüllen [...] einem Amte fähig“ zu sein „und der Vorteile desselben teilhaftig“ (Schiller 1982: 3) zu werden. Er ordnet seine Bildungsansprüche sowie seine Disziplins- und Berufsgebundenheit einer reinen Rentabilität unter.

Der Thurm, von dem dein Blick so vornehm niederschauet, Wovon ist er - worauf ist er erbauet?“

Seine größte Angelegenheit ist jetzt, die zusammengehäuften Gedächtnisschätze zur Schau zu tragen, und ja zu verhüten, daß sie in ihrem Werte nicht sinken.

(Schiller 1796: 171)

Der Germanist Terence James Reed sieht in der Aussage über den Turmbau von Babel den „überheblichen Ehrgeiz“ (Reed 2008: 264), der sich mit Metaphysik beschäftigenden Disziplinen bekräftigt und unterstellt ihnen eine tendenzielle Wirklichkeitsferne. Eine unmittelbare Abgrenzung zu den anderen

(vgl. ebd.: 4)

Sein Bildungsstand wird zum Selbstzweck, da jede Veränderung im statischen Bildungssystem eine Gefahr für sein Statut der ökonomischen Sicherheit darstellt und

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philou. Wissenschaftsdisziplinen kann nicht gesetzt werden, denn sie sind im gesamtgesellschaftlichen Kontext interdependent. Der Turm, von dem der Philosoph auf die unwissende Masse herabblicken möchte, muss durch einen Ingenieur geplant und gebaut werden. Auf der anderen Seite fördert der Erkenntnisgewinn des Philosophen den öffentlichen Diskurs und fungiert als objektives Gewicht in gesellschaftlichen Fragen und Konflikten. Dabei darf dieses Gewicht nicht durch einen bestimmten Rahmen, wie staatliche oder ökonomische Einflüsse, begrenzt werden.

diesem frei bewegen können. Dennoch, wenn der Anspruch zum Hinterfragen von Bestehendem bleibt, haben wir den Wunsch nach Erkenntnis niemals ganz verloren. Der „Philosophische Kopf“ von heute muss das strenge Erbe seiner Vorgänger neu definieren und das persönliche Bildungsideal in dem sich für ihn zur Verfügung gestellten Rahmen zu nutzen lernen. Treffend resümiert Alain Badiou im Kurzfilm eine mögliche Motivation für das heutige Streben nach Erkenntnis: Die Welt besteht ja nicht nur aus Intuitionen und Erkenntnissen. Es gibt die Arbeit des Denkens! Und diese Arbeit, glaube ich, ist immer die Treue gegenüber dem neu Entstehenden.“

Im Kurzfilm Die Zukunft des Fragens: Wohin entwickelt sich die Philosophie? (2006) betont der Gegenwartsphilosoph Slavoj Žižek in einem Streitgespräch mit seinem französischen Kollegen Alain Badiou das Herstellen dieser diskursiven Transparenz als zentrale Aufgabe der Philosophie. Er führt aus, dass keine der einzelnen Disziplinen in der Lage ist, die Wahrheit eines gesamtgesellschaftlichen Spektrums vollkommen abzubilden. Sie ergeben sich aus ihrem Wechselspiel zwischen den einzelnen Institutionen (vgl. Badiou. Žižek 2006). Žižek betont deshalb „dass Philosophie grundsätzlich jeden etwas angeht“ (ebd.), denn, wenn man diese nicht verstehen würde, verstehe man einen Teil seiner selbst nicht.

(Badiou. Žižek 2006)

Schiller, Friedrich (1982): Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? In: Jenaer Reden und Schriften Friedrich-Schiller-Universität. Jena: Selbstverlag Schiller, Friedrich (1796): Der Metaphysiker. In: Schiller, Friedrich (Hrgs.): Museen-Almanach für das Jahr 1796. Neustrelitz: Michaelis, S. 171 Reed, Terence James (2008): „Über Armut und Würde“. In: Feger, Hans/ Brittnacher, Hans Richard (Hrgs.): Die Realität der Idealisten. Friedrich Schiller - Wilhelm von Humboldt - Alexander von Humboldt. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag, S. 255-266 Die Zukunft des Fragens: Wohin entwickelt sich die Philosophie? Philosophie und Aktualität mit Slavoj Zizek und Alain Badiou. Dir. Susan Chales de Beaulieu. Kurzfilm. Im Auftrag von 3sat, 2006: http://www.3sat.de/page/?source=/scobel/132829/index. html (22.11.2015)

Was bedeutet das für die Studierenden heute? Wir sind Teil eines Bildungssystems, welches eine starke Bindung an die Ökonomie innehat. Unser Selbstzweck scheint dem des „Brotgelehrten“ zu entspringen, da auch der „Philosophische Kopf“ von heute sich fragen muss: „Ist mein Tun und Denken frei vom Anspruch der Praktikabilität?“ Schiller hätte uns wohl die „Sklavenseele“ attestiert, obwohl uns in der heutigen Ausgangsituation kaum Alternativen zur Verfügung stehen. Letztlich müssen wir das System in seinen Anforderungen bedienen, sodass wir uns in

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