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IV Alternative Regeln für den Stabilitätspakt

Der Euro-Raum ist von einer wirtschaftlichen Erholung noch weit entfernt, weshalb sich die Forderungen nach einem expansiveren finanzpolitischen Kurs mehren. Dabei sollen insbesondere die öffentlichen Investitionen angekurbelt werden. Die Europäische Kommission hat Anfang 2015 neue Leitlinien 14 vorgelegt, in denen sie im Einzelnen darlegt, wie sie die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts künftig anwenden wird, um die Verknüpfung von Strukturreformen, Investitionen und fiskalpolitischer Verantwortung zur Steigerung von Beschäftigung und Wachstum zu stärken.

Alternativ dazu gibt es vermehrt Konzepte und Forderungen, dass im Rahmen von

„goldenen“ oder „silbernen“ Regeln, bestimmte öffentliche Investitionen aus dem Regime

des Stabilitäts- und Wachstumspakts herausgenommen werden.

1 EU-Leitlinien zur Förderung von Strukturreformen und Investitionen

Mit diesen Leitlinien folgt die Europäische Kommission der Zusage aus den Politischen Leitlinien des EU-Präsidenten, dass es gilt, die Flexibilität im Wachstums- und Stabilitätspakt so gut wie möglich zu nutzen, um Investitionen zu fördern. 15 Dabei soll auch den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Juni 2014 gefolgt werden, gezielte Schritte zu setzen, um das Wachstum zu fördern, Investitionen zu steigern und mehr sowie bessere Arbeitsplätze zu schaffen wie auch Reformen zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit zu fördern. Damit verbunden ist die im geltenden Stabilitäts- und Wachstumspaket enthaltene Flexibilität zu nutzen.

Folglich werden künftig Investitionen im Rahmen des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) wie auch anderer Programme bei der Festlegung der Konsolidierungsgrößen im Rahmen der präventiven oder der korrektiven Komponente des Stabilitäts- und WachstumsPaktes nicht berücksichtigt werden.

Mitgliedstaaten, die der präventiven Komponente des Pakts unterliegen, können vorübergehend von ihrem mittelfristigen Haushaltsziel bzw. dem Anpassungspfad abweichen, um Investitionen zu berücksichtigen, falls  ihr BIP-Wachstum negativ ist oder ihr BIP deutlich hinter seinem Potenzial zurückbleibt (Produktionslücke von mehr als minus 1,5 Prozent),  die Abweichung nicht zu einer Überschreitung des Defizit-Referenzwerts von drei Prozent führt und eine angemessene Sicherheitsmarge beibehalten wird,  die Investitionen in der Folge tatsächlich zunehmen;  die Abweichung in den Folgejahren kompensiert, also das mittelfristige Haushaltsziel (MTO; ein strukturelles Defizit von zumeist 0–0,5 Prozent des BIP) wieder erreicht wird.

Somit können Länder mit grundsätzlich bereits konsolidierten Staatsfinanzen im Rahmen dieser Investitionsoffensive zusätzliche öffentliche Investitionen tätigen, ohne dass diese dem Stabilitätsregime unterliegen.

14 European Commission, Making the best use of the flexibility within the existing rules of the stability and growth pact, COM(2015) 12;

Strassbourg, 13.1.2015 15 Siehe dazu MEMO/15/3211, Leitlinien zur Förderung von Strukturreformen und Investitionen – häufig gestellte Frage, Straßburg, 13.1.2015

Berücksichtigungsfähige Investitionen sind dabei nationale Ausgaben für von der EU kofinanzierte Projekte im Rahmen der Struktur- und Kohäsionspolitik (einschließlich Projekten, die über die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen kofinanziert werden), Transeuropäischer Netze und aus „Connecting Europe“ sowie Kofinanzierungen von EFSIProjekten.

Im EFSI-Programm werden lt. Artikel 5 EFSI-VO folgende Projekte gefördert:  Infrastrukturentwicklung, u.a. in den Bereichen Verkehr, Energie und digitale Infrastruktur;  Investitionen in allgemeine und berufliche Bildung, Gesundheit, Forschung und Entwicklung Informations- und Kommunikationstechnologie und Innovation;  Ausbau erneuerbarer Energien und Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz;  Infrastrukturprojekte in den Bereichen Umwelt, natürliche Ressourcen, Stadtentwicklung und Soziales.

Ziel ist im Zeitraum 2015 bis 2017 315 Mrd. Euro an zusätzlichen Investitionen zu mobilisieren – ausgehend von bereitgestellten EU-Mitteln in Höhe von 21 Mrd. Euro. Österreich hat 19 Projekte für 28,2 Mrd. Euro eingereicht, wovon 11,4 Mrd. auf die Laufzeit des EFSI von 2015 bis 2017 entfallen. Den Schwerpunkt bilden Projekte der ÖBB und ASFINAG. Weiters finden sich Projekte im Rahmen der Thermischen Sanierungsoffensive, Zuschüsse für Energieeffizienzprojekte wie auch ein Projekt der Wien Energie sowie zwei Projekte des Amtes der Salzburger Landesregierung.

Zusammenfassend zeigt sich, dass die aktuelle Flexibilisierung der Investitionstätigkeit auf EFSIProjekte sowie Projekte des Struktur- und Kohäsionsfonds, Transnationaler Netze sowie „Connecting Europe“ beschränkt ist. Die kommunale Ebene kann damit nur im Rahmen dieser Programme erreicht werden, eigenständige kommunale Projekte, die die Programminhalte umfassen, sind davon ausgenommen.

2 Alternative Konzepte

Eine Alternative wäre die Einführung der „Goldenen Regel“ für öffentliche Investitionen 16 . Grundsätzlich könnten aus ökonomischer Sicht alle staatlichen Ausgaben, die einen erheblichen zukünftigen Nutzen in Form höheren Wachstums oder vermiedener Kosten generieren, als investiv definiert werden. In einem ersten Schritt könnte eine technisch schnell implementierbare Definition von Nettoinvestitionen im Sinne der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (abzüglich Militärausgaben allenfalls zuzüglich Investitionszuschüsse an den privaten Sektor) zugrunde gelegt werden.

Diese Nettoinvestitionen werden in den relevanten Defizitkennziffern des Stabilitäts- und Wachstumspakts und des Fiskalpakts nicht berücksichtigt. Zur Sicherung des Ziels einer Schuldenstandsquote bei 60 Prozent des BIP könnte eine Obergrenze für die abzugsfähigen Nettoinvestitionen in Höhe von z.B. 1,0 bis 1,5 Prozent des BIP festgelegt werden. Umgelegt auf Österreich wären dies rund 3,2 bis 4,8 Mrd. Euro.

16 Achim Truger, Implementing the golden rule for public investment in Europe, AK – Materialien zur Wirtschaft und Gesellschaft Nr. 138; Wien

März 2015; 62 Seiten; auf Deutsch: Achim Truger, Die Implementierung der Goldenen Regel für öffentliche Investitionen in Europa Sicherung der öffentlichen Investitionen und Unterstützung der Konjunktur – Zusammenfassung, ‚AK März 2015, 6 Seiten

Eine solche Goldene Regel könnte für einige Zeit zumindest näherungsweise sogar ohne Änderungen des aktuellen institutionellen Regelwerks verwirklicht werden, wenn die Europäische Kommission und der Europäische Rat ihren Handlungsspielraum innerhalb dieses Regelwerks nutzen. Mittelfristig erfordert eine solide Verankerung auf europäischer Ebene jedoch eine Änderung des finanzpolitischen Regelwerks, die beispielsweise durch ein „InvestitionsProtokoll“ mittels des vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens nach Art. 48 des LissabonVertrags erfolgen könnte.

Eine weitere Alternative wäre die sog. „Silberne Regel“, publiziert von Karl Aiginger (WIFO) 17 . Dabei geht es darum, den Fiskalpakt in ganz gezielter Weise für bestimmte Ausgaben für einen Zeitraum von zwei Jahren zu öffnen. Die Kommission sollte dabei fünf bis sieben Ausgabenkategorien definieren, für die zwei Jahre lang die Grenzen des Fiskalpakts überschritten werden können. Aus Sicht von Karl Aiginger könnte dies beispielsweise für Forschung/Universitäten, Energieeinsparung/thermische Sanierung, Breitband/Energienetze, Gründungszentren sowie Aus-/Weiterbildung sein. Diese Kategorien sollten nach zwei Kriterien gewählt werden: dem langfristigen Wachstumseffekt („höherer, grüner Wachstumspfad“) und dem kurzfristigen Beschäftigungseffekt („Ausgaben mit hoher Personaltangente“). Die Überschreitung sollte mit 1 Prozent des BIP limitiert sein. Für diese zusätzlichen Ausgaben müssen im Gegenzug Strukturreformen vorgenommen werden, damit nach zwei Jahren die „Zukunftsausgaben“ auch innerhalb der Obergrenzen des Fiskalpfades Platz haben. Karl Aiginger schlägt weiters vor, die silberne Regel könnte „von einer unabhängigen Fiskalautorität oder dem Rechnungshof eines anderen Landes beurteilt werden (und damit nicht von den „bösen“ Herren aus Brüssel oder Damen aus Berlin)“ 18 .

3 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Die Europäische Kommission hat die Defizite der EU-2020-Strategie erkannt und einen Investitionsplan für 315 Mrd. Euro erstellt. „Mit wenig Eigenmittel, aber viel Hebeln und Hoffnung“, wie Karl Aiginger einschätzt. Dieses Investitionsprogramm ist auf traditionelle Großobjekte abgestellt. Die damit angekündigte „Flexibilisierung“ des Fiskalpakts bringt in der Praxis wenig neue Spielräume. So können sich Länder mit einer Potenziallücke nur knapp größer als - 1,5 Prozent des BIP (worunter auch Österreich mit -1,2 Prozent fällt), nicht auf die Investitionsklausel berufen. Folglich ist in diesen Ländern die Kreditfinanzierung zusätzlicher öffentlicher Ausgaben für Kinderbetreuung, Forschung und Entwicklung, thermische Sanierung, öffentlicher Verkehr auch künftig nur schwer möglich, ohne in Konflikt mit dem Stabilitätsregime zu kommen. Eine Alternative wäre primär die Umsetzung in Form von PPP-Modellen – was grundsätzlich auch eine Intention des EFSI-Programms ist.

Anders als die EU-Programme bieten die „Goldene Regel“ wie auch „Silberne Regel“ die Möglichkeit einer direkten Förderung von öffentlichen Investitionen auf nationaler Ebene. Sie ist unabhängig von der – unsicheren – Verlagerung und Hebelwirkung öffentlicher Mittel auf europäischer Ebene, verbunden mit der Hoffnung private Investoren zu finden.

17 Aiginger, Karl: Silberne statt Goldene Regel: Kritik und Ergänzung zum „Investitionsplan“ für Europa; 12/2014, auf: http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2014/12/silberne-statt-goldene-regel-kritik-und-ergaenzung-zum-investitionsplan-fuer-europa/ (21.05.2015) 18 ebenda

Die beiden Vorschläge von Karl Aiginger und Achim Truger basieren auf der Goldenen Regel der Fiskalpolitik, dass Investitionen in die Zukunft keine Belastung, sondern eine Investition sind. Sie sind dabei flexibler konzipiert, weil die damit verbundenen Investitionsprogramme kleiner sind und in vielen Ländern auch bereits in der Schublade liegen, aber aus Konsolidierungserfordernissen bzw. fehlender Reformbereitschaft (betreffend Strukturreformen) zurückgestellt wurden.

Die beiden Alternativkonzepte würden in der Praxis schneller umsetzbar sein, als der Investitionsplan des EFSI. Die „Silberne Regel“ ist stark zukunftsfokussiert und laut Karl Aiginger damit auch moderner, weil sie „explizit in Richtung Zukunft und immaterielle Investitionen geht und Autobahnen in die Wüste (vgl. Süditalien, Griechenland) ausschließt.“ 19 Diese Möglichkeit wird auch von Achim Truger gesehen: „ Ein solches Programm könnte auch den Investitionsbedarf jenseits der engen Definition der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung berücksichtigen, um öffentliche Investitionen im weiteren Sinne abzudecken. Dies könnten Bildungsinvestitionen, einschließlich Investitionen in Kinderbetreuung sein; das Programm könne sich aber auch allgemein auf Ausgaben wie die aktuell vernachlässigten Ziele von Europa 2020, zum Beispiel soziale Inklusion, oder Ausgaben in anderen Bereichen, die in den letzten Jahren stark unter dem Sparkurs gelitten hatten, konzentrieren.“ 20 Die „silberne Regel“ ist jedoch im Gegenzug mit einer Strukturreform verknüpft.

19 ebenda 20 Achim Truger, Zusammenfassung, S. 6

KDZ Zentrum für Verwaltungsforschung

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