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Lieber Hiphop & Schlagzeug als immer nur Orgel Württemberger Reforminitiative propagiert "Kirche für Morgen" In der Nacht zum 31. 0ktober 2001 schwärmten 300 Jugendliche in Württemberg aus, um insgesamt 1000 Plakate an den Kirchentüren aufzuhängen. Unter der Überschrift "Ein feste Burg ist unser Trott?" standen an diesem Reformationstag keine 95, aber immerhin 5 bedenkenswerte Thesen auf den Plakaten: 1. Statt immer nur Orgel Bach und Bänke...  Die Kirche öffnet sich für HipHop, Schlagzeug und Verstärker! 2. Statt nur ein Gottesdienst um 9.30 Uhr für alle...  Regelmäßige Jugendgottesdienste und Jugendgemeinden! 3. Statt Frustration von Engagierten... Mehr Freiräume für Mitbestimmung und Mitgestaltung! 4. Statt endlosem Wahl-Hickhack im Kirchenparlament...  Der Landesbischof wird von der Basis gewählt! 5. Statt Rumjammern und Rückzug in die Tradition...  Kirche hat das Beste noch vor sich! Hinter der Aktion stand die neue Reforminitiative "Kirche für morgen e.V.", ein Verein der im Februar 2001 von Engagierten aus der Jugendarbeit und Hauskreisen gegründet worden war und am 11. November erstmalig als vierte "Kirchenpartei" zur Synodalwahl der Evangelischen Landeskirche in Württemberg antreten sollte. Ein wichtiger Schwerpunkt war dabei die Jugendarbeit. Statt Jugendliche aus der Kirche "herauszukonfirmieren", sollte ihnen Raum gegeben werden. Nicht zuletzt weil Jugendgottesdienste in Württemberg boomen. Jugendgottesdienste mit 300 bis 500 Teilnehmern sind keine Seltenheit mehr und die erste These des Anschlags ist hier schon Realität geworden: Die Jugendkultur hat ihren Platz im Gottesdienst, sei es in der Musik, in liturgischen Elementen oder in der Raumgestaltung. Hier besteht offenbar Bedarf, der gedeckt werden muß  einer der Hintergründe der Reforminitiative. Dass "Kirche für Morgen" allerdings kein exklusiver "Jugendverein" ist, zeigt ein Blick aufs Wahlprogramm: Das "Priestertum aller Gläubigen" soll gefördert werden, Gemeinde als Gemeinschaft erlebbar werden, die Gemeindeglieder ihren Gaben entsprechend handeln. Nicht zuletzt als Christen Verantwortung in Staat, Politik, Wirtschaft und Bildung übernehmen; dadurch "Licht und Salz" für die Welt sein. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die "Lebenswelt-Gemeinden", als Alternative zur parochialen Gemeinde. Gemeinden mit eigenem Stil, die nicht mehr eine Gemeinde "für alle" sind. Nicht um die Aufsplitterung der Gesellschaft voranzutreiben, sondern um "versöhnte Vielfalt" zu ermöglichen, indem man die Lebenswelt der Menschen ernst nimmt und integriert, anstatt sie auszublenden. Weitere Punkte des Wahlprogramms sind verstärkte Mitbestimmung der Gemeinde, Öffnung für Jugendkultur und christlicher Lebensstil. "Glaubwürdige Kirche ist politisch", heißt es in dem Flyer zum Wahlprogramm. Die Ermutigung zur Übernahme von Verantwortung wird betont. Der "Aufbruch nach vorne" mit dem "Reich Gottes als einer Vision, für die es sich zu leben lohnt", schließt das Wahlprogramm ab. Man hatte sich also einiges vorgenommen, als die "Kirche für Morgen" mit diesem Wahlprogramm zur Synodalwahl antrat. Zwei von Neunzig zu vergebenden Sitzen in der Landessynode brachte schließlich die Wahl für die "Kirche für Morgen". Auch wenn sich der Verein aufgrund der positiven Resonanz mehr als zwei Sitze erhofft hatte  "Zünglein an der Waage zu sein", scheint für den Verein kein Dilemma zu sein. Schließlich ging es von Anfang an nicht um möglichst viele Plätze in der Synode, sondern um Bewegung. Es ging darum, Themen zu besetzen, nicht um Macht zu gewinnen. Denkprozesse und Diskussionen in Gang zu setzen. Dies scheint gelungen zu sein. Wie es in einer Mitteilung zum Ausgang der Kirchenwahl 2001 heißt: "Wir sind sehr


dankbar, dass wir mit unseren Anliegen (Beteiligungskirche, Jugendarbeit, LebensweltGemeinden, Zukunftsorientierung) an vielen Stellen die Diskussion gepr채gt haben, auch wenn wir mit manchen Forderungen allem Anschein nach noch der Zeit voraus sind. Sie arbeitet aber f체r uns und wir werden munter weitermachen." Christian Lerch Unterwegs 1/2002


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