Zitronenfalter 2.2011 - Musik in der Kirche

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2.2011

www.kirchefuermorgen.de

Neue Saiten aufziehen?

Musik in der Kirche www.kirchefuermorgen.de

Gospel im Osten

Klassik trifft Jugend

Die Lobpreisbewegung

Ein Best-Practice-Modell fordert zum Umdenken heraus

Die Stuttgarter Hymnus-Chorknaben

Albert Frey über Anfänge, Anliegen und persönlichen Gewinn


Editorial & Inhaltsverzeichnis

Liebe Leserinnen und Leser, Musik ist ein Phänomen, das Menschen über alle Zeiten und Kulturen hinweg bewegt und erregt hat. Eine Gottesgabe, die uns zum Staunen bringt, wie Luther freimütig bekennt – und die Gott benutzt um Glauben zu wecken und zu stärken. Die Kirche singt, seit es sie gibt. Die außerordentliche Prägekraft der Musik bringt aber auch Diskussion und Auseinandersetzung mit sich: über Musikgeschmack, über ihren mehr oder weniger angemessenen Einsatz in ganz verschiedenen Situationen. Lange herrschte ziemlich Einigkeit darüber, was geht und was nicht. Seit einigen Jahrzehnten aber gehen die Meinungen weiter auseinander als je zuvor. Die Bandbreite der Musikstile hat sich enorm vergrößert, auch innerhalb der Kirche. Und wir freuen uns, Ihnen in diesem Heft viel Unterschiedliches vorstellen zu können – von der TEN SING-Musical-Arbeit bis zu den Stuttgarter Hymnus-Knaben, von der Church of Rock bis zum Landesposaunentag, vom Gospelchor bis zur Lobpreisbewegung. Auch die neueren Arten von Kirchenmusik haben inzwischen so viel Widerhall gefunden, dass man sich gegenseitig wahrnimmt und neu schätzen lernt. Wir sind in der Kirche zumindest auf dem Weg dorthin. Trotzdem bleibt noch viel zu diskutieren: Findet die neue Akzeptanz von Popularmusik auch auf der finanziellen Ebene ihren Ausdruck? Unser Ansinnen, diese Fragestellung in einer Pro & Contra-Seite zu diskutieren, scheiterte daran, dass sich trotz intensiven Suchens niemand finden ließ, der für eine Fortführung der finanziellen Bevorzugung klassischer Kirchenmusik eintreten wollte. Ein Hinweis darauf, dass bisher Festgeschriebenes neu auf den Prüfstand soll? Es kann bei allen Überlegungen nur darum gehen, Neues zu fördern und Altes zu bewahren. Denn den Reichtum der unterschiedlichen Spielarten von Musik wollen wir uns erhalten in dem dankbaren Wissen, dass uns das alles von Gott gegeben ist. Weiterhin viel Freude beim Musikmachen und Musikhören wünscht Ihnen Ihr

Marc Stippich, Redaktionsleiter des Zitronenfalters

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Musik in der Kirche Kirchenmusikalische Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 3 kfm- Positionslicht

Gottesgeschenk und Geistesklang . . . . . . . . . . . . . . Seite 4 Grundsätzliches zur Kirchenmusik von Jochen Arnold

Professionelle Popularmusik in der Kirche . . . Seite 7 Michael Schütz über Entwicklungen und Defizite

Lobpreis – die Kraft von Musik & Gebet . . . . Seite 8 Grundsätzliches von Albert Frey

Authentisch und mit Qualität

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Aus der Arbeit eines Bezirkskantors

Seite 10

Luthers neue Lieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 11 Die Kirchencharts von damals

Für ein Umdenken bei der Kirchenmusik . . . Seite 12 Forderungen von Albrecht Hoch

Der Heilige Geist und die Charts . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 14 Christliches außerhalb der Kirche

Aktuelles

Gemeinde 2.0

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Frische Formen von Kirche

Musik in der Kirche - Beispiele Motetten mit Ohrwurmqualität

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Seite 16

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Seite 17

Die Stuttgarter Hymnus-Chorknaben

TEN SING –

Seite 15

Musik machen und Gott begegnen

Generationen- und stilübergreifend

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Posaunenchorarbeit in Württemberg

Seite 18

Church of Rock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 19 die Rock-Kirche in Gronau

Gemeindeporträt

Singen ist Glückssache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 20 Das Projekt „Gospel im Osten“

Kfm intern

Musik in der Kirche: Wunsch & Wirklichkeit. . . Seite 22 Gedanken unseres musikalischsten Synodalen

Zu guter Letzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 24 Weitere Artikel zum Thema finden Sie auf: www.kirchefuermorgen.de/service/zitronenfalter

Impressum Der Zitronenfalter wird herausgegeben von Kirche für morgen e.V., Am Auchtberg 1, 72202 Nagold Fon: 0700-36693669 Fax: 07071 959 356 info@kirchefuermorgen.de, www.kirchefuermorgen.de Erscheinungsweise: 3 x jährlich. Bestellung (auch weitere Exemplare) bei der Geschäftsstelle. Die Zusendung ist kostenlos. Bankverbindung: EKK Stuttgart, BLZ 520 604 10, Konto 419 435 Wir danken allen, die durch ihre Spende die kostenlose Weitergabe des Zitronenfalters ermöglichen. Redaktionsteam: Marc Stippich, Steinenbronn (ViSdP); Claudia Bieneck, Malmsheim; Pina Gräber-Haag, Gronau; Markus Haag, Gronau; Tabea Hieber, Markgröningen; Dr. Heiko Hörnicke, Stuttgart; Thomas Hofmann-Dieterich, Haigerloch; Cornelia Kohler, Ostfildern; Werner Lindner, Winnenden; Gerhard Müller, Sigmaringen; Johannes Stahl, Eschenbach; Karlfriedrich Schaller, Tübingen. Layout: AlberDESIGN, Filderstadt Druck: Druck + Medien Zipperlen GmbH, Dornstadt Versand: Tobias und Magdalene Zipperlen, Weissach Redaktionsadresse: redaktion@kirchefuermorgen.de und über die Geschäftsstelle Anzeigenpreise: lindner-service@gmx.de, FAX: 07195-979759 Anzeigenenschluss für die nächste Nummer: 11. 02. 2011 Bildnachweis Titel: ©dd Fotolia.com


kfm-Positionslicht

Kirchenmusikalische Vielfalt Reformationstag 2001: An unzähligen Kirchentüren Württembergs hängen Plakate mit Thesen zur Reform der Landeskirche, angeschlagen in einer Nacht- und Nebelaktion von engagierten Mitgliedern und Sympathisanten von Kirche für morgen. These 1 der Plakate lautete: Statt immer nur Orgel, Bach und Bänke... – Die Kirche öffnet sich für HipHop, Schlagzeug und Verstärker! In der Presseerklärung dazu hieß es: „In den Jugendgottesdiensten ist Orgel kein Thema mehr. Junge Bands übernehmen die Rolle der musikalischen Gastgeber. Hier entsteht eine neue Art von Kirchenmusik, die (wie z.B. die Gospelchöre) nicht in das traditionelle Konzept klassisch ausgerichteter Kirchenmusik passt. Bisher wurde diese neue Musikkultur weitgehend von der Kirche ignoriert und stattdessen Millionen in Orgelkonzerte und kirchliche Hochkultur investiert.“ Vielen unserer Kritiker war gerade diese These ein Dorn im Auge. Der Schluss, die Menschen bei Kirche für morgen seien gegen Klassik und Orgelmusik, entspricht aber ebenso wenig der Realität wie die Meinung, wir seien gegen die Parochialgemeinde und gegen das Pfarramt. Nein, wir schätzen es, wenn in unseren Gottesdiensten gute Orgelmusik zu hören ist. Wir freuen uns über jede klassische kirchenmusikalische Veranstaltung, in der viele Menschen mit dem Evangelium erreicht werden.

Prof. Walter Hollenweger formulierte schon 1995 sehr drastisch1: „Eine winzige Minorität von Professionellen zelebriert ihre Musik nach Regeln, die der Allgemeinheit unzugänglich sind, für eine winzige Minderheit von Liebhabern dieser Musik, aber auf Kosten aller. ... Sie zum Maßstab des Musikalischen schlechthin zu machen, halte ich – gelinde gesagt – für eine schlimme Sektiererei, die mit ihrem Ritual eine kaum mehr zu überbietende Menschenverachtung zelebriert. Paulus macht den „Idiotes“ (Außenseiter, den Ungläubigen, den Nichtfachmann) zum Richter über das, was gute Liturgie ist ... (1. Kor. 14,23f).“ Vielen ist es wichtig, dass auch Gospel, Pop und Bands im Gottesdienst Raum haben. Wir fordern deshalb die Gleichberechtigung verschiedener Musikstile. Dies muss sich auch auf den Bereich der Finanzen und auf die Ausbildung der Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker auswirken. Erst so wird die Volkskirche auch eine Kirche des Volkes.

Es geht uns um eine gleichberechtigte Vielfalt für Menschen mit anderem Musikgeschmack.

Es geht uns aber um eine gleichberechtigte Vielfalt für Menschen mit anderem Musikgeschmack. „Den Leuten aufs Maul schauen“, das hat schon Martin Luther gefordert. Eine der Sprachen, die die Menschen heute verstehen, ist die Sprache der Musik. Den eigenen, persönlich bevorzugten Musikgeschmack im Gottesdienst und bei Gemeindeveranstaltungen vorzufinden, hilft wesentlich, in der eigenen Gemeinde Heimat zu finden.

Aus dem Aufsatz: Raum und liturgische Handlungen aus evangelischer Sicht, in: Raum und Ritual, Hrsg: R.Bürgel, Göttingen 1995

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Friedemann Stöffler ist 1. Vorsitzender von Kirche für morgen e.V.

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Musik in der Kirche

Gottesgeschenk und Geistesklang Seit Menschengedenken spielt die Musik im kulturellen und religiösen Leben eine wichtige Rolle. Wie sie diese zentrale Bedeutung für unser Leben und die Kirche bekommen bzw. behalten kann, beschreibt der Theologe und Kirchenmusiker Jochen Arnold. „Musik scheint von allen Künsten die zu sein, die uns am unmittelbarsten berührt“ schreibt der amerikanische Musikpsychologe Robert Jourdain. Und Martin Luther sagt über sie: „Ich wünschte gewiss von Herzen, dass jeder die göttliche und vortreffliche Gabe der Musik lobte und priese. Ich werde von der Menge und Größe ihrer guten Eigenschaften so überschüttet, dass ich weder Anfang, Ende noch Maß meiner Rede finden kann. (Vorrede zu den Symphoniae iucundae von G. Rhau (1538) – WA 50, 368). Luther schätzte an der Musik, die er als Schwester der Theologie betrachtete, eine dreifache Wirkung: Sie stärkt die Beziehung zu Gott und zu den Menschen, weitet aber auch den Blick für die Welt als klingende Schöpfung, durch die Gott uns anredet. Freilich ist die Musik nicht nur Gottesgabe, sondern auch Menschenkunst. Sie wird seit Jahrtausenden von Generation zu Generation, von Lehrern an die Schüler weitergegeben. Um sie so auszuüben, dass sie andere Menschen anspricht und berührt, bedarf es der sorgfältigen Ausbildung. Luther schreibt: „Wo aber die natürliche Musica durch die Kunst geschärft und poliert wird, da sieht und erkennt man […] mit großer Verwunderung die große und vollkommene Weisheit Gottes in seinem wunderbaren Werk der Musica…“ (WA 50,372).

Dies wirft die Frage auf, welche musikalisch-kulturellen Formen heute nötig sind, um unserem Glauben Ausdruck zu verleihen. Dies gilt sowohl für die Instrumentalmusik als auch besonders für die Vokalmusik. Gerade das Singen ermöglicht eine ästhetisch und theologisch ideale Verbindung von Klang und Wort, von Tönen, Predigen und Rühmen. Darauf können wir in der Kirche nicht verzichten! Deshalb brauchen wir auch weiterhin eine qualifizierte Ausbildung von Kirchenmusikern und -musikerinnen!

Wer singt, betet doppelt – wer singt, verkündigt doppelt Luther verstand die Verkündigung des Evangeliums als Klangereignis: „Evangelium… heißt auf Deutsch gute Botschaft, … davon man singt und

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sagt und fröhlich ist“ – und stellt dankbar fest: „So predigt Gott das Evangelium auch durch die Musik.“ Nicht nur Kanzel und Altar, auch Chor und Orgel sind Orte der Verkündigung! Doch damit nicht genug: Durch die Musik bekommt auch unser Gebet eine spirituelle Verdichtung, viele Kirchenlieder sind gesungene Gebete (vgl. EG 316; 331; 347): Wer singt, betet doppelt (Augustin). Beides geschieht nun schon seit 2000 Jahren in unseren Kirchen. Kirchenmusik hat sich in dieser Zeit schon äußerst vielfältige Ausdrucksformen zu eigen gemacht: Man denke an die gregorianischen Gesänge in den Klöstern, an beschwingte Motetten der Renaissance, an die großen Oratorien und Kantaten des Barock, an Mozarts Requiem oder Mendelssohns Elias und in neuerer Zeit natürlich an Gospel, Praise and Worship, neue geistliche Lieder oder Musik aus der Tradition von Taizé. Alle haben sie elementaren Anteil an Verkündigung, Klage und Lob im Gottesdienst und im Alltag der Kirche.

Wie Musik Glauben wecken kann Wenn Musik eine grundlegende Ausdrucksform unseres Glaubens ist, dann wirkt sie über die Grenzen unserer Kirchen hinaus in die Welt. Sie hat damit Anteil an der „missio Dei“, der Mission Gottes, d.h. an dem Geschehen, durch das Gott sich den Menschen bekannt macht. Will das Evangelium über die Musik zu Menschen gelangen, die mit ihm noch nicht vertraut sind, muss es sich verleiblichen, Fleisch werden (vgl. Joh 1,14). Das bedeutet, dass die Botschaft eine Gestalt gewinnt, die den Menschen in ihrer jeweiligen Kultur vertraut ist, so dass sie verständlich ist und ihre Sinne erreicht. Das können wir besonders in den jüngeren afrikanischen und südamerikanischen Kirchen sehen, die inzwischen ein Ja zu ihrer eigenen kulturellen Tradition gefunden haben und das Evangelium auf diese Weise auch wieder zu uns „transportieren“ mit schlichten Kehrversen und faszinierenden (Trommel-)Rhythmen. Auch in unserer Gesellschaft erleben wir radikale Veränderungen. Dazu gehört, dass Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung in verschiedenen Milieus nebeneinander leben. Dies wirft die Frage auf, welche musikalisch-kulturellen Formen heute nötig sind, um unserem Glauben Ausdruck zu verleihen. Besonders die Diskussion um das Verhältnis zwischen modernem und klassischem Liedgut in


unseren Gottesdiensten hat diese Frage in unseren Kirchen zu einem brennenden Anliegen vieler werden lassen. Wenn wir die „Einsetzungsworte der Kirchenmusik“ in Kol 3,16 betrachten, wonach das Wort Christi uns mit Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern bewegt, ist eigentlich klar, dass schon im NT keine poetisch-musikalische Monokultur herrschte, sondern eine Vielfalt der Stile angesagt war. Das gilt auch heute, mehr denn je: Wir brauchen Vielfalt, denn auch der Geist wirkt vielfältig (1. Kor 12). Das heißt nicht, dass sich Kirchenmusik an den Zeitgeschmack einfach ungeprüft andocken, ja womöglich anbiedern soll. Sie ist immer auch ein Korrektiv, ein Stück Gegenkultur zum Zeitgeist. Salz der Erde und Licht der Welt zu sein (Mt 5,13) ist uns auch kirchenmusikalisch aufgetragen.

Wir brauchen Vielfalt, denn auch der Geist wirkt vielfältig.

Wenn es gelingt, finden beim gemeinsamen Musizieren in der Kirche oft Menschen unterschiedlicher Herkunft und Frömmigkeit, aber auch unterschiedlichen Alters und Milieus zusammen. Personen, denen Kirche und christlicher Glaube fremd geworden sind, können in der Kirchenmusik neue religiöse Beheimatung und Identität finden. Dies gilt besonders für die Gospelszene. Menschen lassen sich anrühren und erfreuen, spüren Hoffnung und Begeisterung. Von daher kann Kirchenmusik dazu beitragen, Gemeinde zu bauen. Ich denke da besonders an die Altersgruppe zwischen 30 und 50, die wir mit anderen Angeboten oft wenig erreichen. Hin und wieder entfalten gerade Crossover-Formate („Von der Gregorianik bis zum Gospel“ oder „Von Bach bis Bossanova“) eine attraktive Wirkung.

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Integrative Wirkung


Heilsame Bedeutung Musik kann – mehr als reine Worte – Gefühle der Freude oder Erhabenheit, aber auch des Schmerzes ausdrücken oder auslösen und Gefühle der Zuneigung in Töne fassen, ja vielleicht sogar wecken. Wer einmal am Sterbebett mit einem Menschen „Befiehl du deine Wege“ gesungen hat und spürte, wie die Person dabei noch einmal zurück kommt, weiß, wovon ich rede. Aber auch ein Popsong kann trösten und neue Hoffnung geben. Ich denke an Eric Claptons „Tears in Heaven“, geschrieben anlässlich des Todes seines fünfjährigen Sohnes:

Would you know my name if I saw you in heaven? Would it be the same if I saw you in heaven… I’ll find my way through night and day, cause I know I just can’t stay here in heaven. Beyond the door there’s peace I’m sure, and I know there’ll be no more tears in heaven. Diese Sätze sind ausgesprochen tröstlich, sie bringen die Hoffnung, ja die Gewissheit zum Ausdruck, dass es ein Wiedersehen geben wird dort droben…

Kulturelle Prägekraft Über die Musik wirkt Kirche kulturell prägend auf die Gesellschaft ein. Was wären wir ohne Bachs Weihnachtsoratorium, ohne Brahms’ Requiem oder Händels Messias? Moderne Popmusik hat wesentliche Wurzeln in den traditionellen Spirituals, die über die Gospelmusik weiter in unsere Gesellschaft hineinwirken. Es ist erstaunlich, wie viele berühmt gewordene Popstars ursprünglich in Gospelund Kirchenchören beheimatet waren (z.B. Mahalia und Michael Jackson, Whitney Houston, Cliff Richard u.a.). Musik wirkt aber auch kritisch auf die Kultur ein. Hierin liegt eine Stärke populärer Musik, z.B. in Protestsongs und musikalischem Kabarett. Gerade Spirituals und Gospels bieten Texte mit revolutionärem Sprengstoff. Beispielhaft sei hier an das

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Lied We shall overcome erinnert, das die schwarze Widerstandsbewegung der 1960er-Jahre um Martin Luther King begleitet und gestärkt hat. Aber auch die Avantgarde, also die „Neue Musik“ des 20. und 21. Jahrhunderts, bildet eine wichtige Gegenstimme.

Vielstimmigkeit Gottes Geist befähigt nicht nur unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Gaben (vgl. 1. Kor 12), er benützt auch unterschiedliche Töne und Klänge, verschiedene Rhythmen und Musikstile von der archaischen Gregorianik bis zum komplexen Jazz, von der barocken Vokalpolyphonie bis zum begeisternden Gospel, vom meditativen Choral bis zum „abgefahrenen“ Rap. Es gibt keinen Musikstil, der sakrosankt oder aber völlig ungeeignet für den kirchlichen Gebrauch wäre. Es bleibt eine für unsere Kirche zentrale Aufgabe und spannende Herausforderung, Musik so zu fördern und zum Klingen zu bringen, so dass sie bei den Menschen Kopf und Herz erreicht und zum Denken und Danken anregt.

Summe Kein anderer als Paul Gerhardt hat die Bedeutung der Kirchenmusik in einer Liedstrophe („Ich singe dir mit Herz und Mund“, EG 324,1) unvergleichlich zum Ausdruck gebracht. „Ich singe dir mit Herz und Mund.“ Das beste und höchste Ziel jeder Musik ist es, Gott zu loben und ihm die Ehre zu geben. Menschen erheben ihre Herzen und machen mit bewegenden Klängen und inspirierten Rhythmen den Schöpfer groß. „Ich sing und mach auf Erden kund!“ Das besondere Profil protestantischer Kirchenmusik ist die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus. Sie lädt zum Glauben ein und ermutigt zu einem erfüllten Leben mit Gott. Den beiden liturgischen entsprechen zwei spirituelle Aspekte des Singens: „Herr, meines Herzens Lust!“ Wenn ein Mensch vor Gott singt und musiziert, geschieht das nicht nur mit der Stimme oder mit den Händen; vielmehr kommt der ganze Mensch zum Klingen, summt und lacht, jubelt, klatscht und tanzt. Kirchenmusik macht Freude, sie darf im besten Sinne des Wortes lustvoll sein und begeistern. „Was mir von dir bewusst.“ Evangelische Kirchenmusik eröffnet uns neue Zugänge zu den Inhalten des Glaubens. So geschieht Vergewisserung und „Bewusstseins-Bildung“; wir werden durchklungen vom „Sound des Geistes“, der uns geistlich und geistig aufbaut und bildet. Jochen Arnold, habilitierter Theologe und A-Kirchenmusiker, ist Direktor des Evang. Zentrums für Gottesdienst und Kirchenmusik im Michaeliskloster Hildesheim.


Musik in der Kirche

Professionelle Popularmusik in der Kirche Viele junge Kirchenmusikerinnen und -musiker verfügen heute über eine große musikalische Bandbreite – von Klassik bis Pop. Michael Schütz, Dozent an der Hochschule für Kirchenmusik, wünscht sich, dass dort der Bereich der Popularmusik weiter gestärkt wird. Seit 1998 gibt es einen Lehrstuhl für Popularmusik an der Hochschule für Kirchenmusik (HKM) Tübingen. Die bisherige Zielsetzung ist, die Studenten mit den Grundlagen der Popularmusik vertraut zu machen: Pop, Rock und Jazz als moderne Musiksprache, die Verwendung findet in der Improvisation, bei der Liedbegleitung im Gottesdienst, als Stilbereich für konzertante Vortragsstücke sowie als Grundlage für eine motivierende Tätigkeit bei der Leitung einer Gemeindeband oder Musikgruppe. Neben der Einzelausbildung am Klavier werden im Gruppenunterricht Harmonielehre, Rhythmik, Popularmusikgeschichte und Grundlagen des Arrangierens angeboten. Bei Interesse können auch die Fächer Schlagzeug und Gitarre belegt werden. Seit kurzem werden auch im Bereich der Chormusik starke Impulse in Richtung Popularmusik gesetzt. Gastdozenten werden zu Seminaren und Workshops eingeladen.

Fehlendes professionelles Niveau Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Studenten von den popmusikalischen Angeboten zwar profitieren, dass sie allerdings nur in Ausnahmefällen ein professionelles Niveau erreichen. Dieses ist aber notwendig, wenn die Kirchenmusik in der Zukunft neue Strahlkraft bekommen will – wenn sie also Menschen der heutigen Zeit erreichen möchte. Nur so wird sie ihrem Grundauftrag gerecht bleiben können: Menschen über die Sprache der

Musik Möglichkeiten zu geben, in die Gemeinschaft des Glaubens hineinzufinden. Die Hochschule ist zur Zeit im Rahmen ihrer Umstrukturierung auf Bachelor- und Masterstudiengänge im Begriff, zukünftigen Studenten eine deutliche Schwerpunktbildung im Bereich der Popularmusik zu ermöglichen. Damit soll das Studium der Kirchenmusik auch für Personen attraktiv werden, die direkt aus dem Pop-Bereich herkommen: Wir wollen Interessierten, die neben einer hohen Begeisterung bereits vielfältige Grundkenntnisse und Erfahrungen aus der Popularmusik mitbringen, ermöglichen, dass sie einen sie selbst und andere überzeugenden Abschluss auf hohem Niveau erzielen können.

Den Ausbau vorantreiben In der Zukunft wird es also darauf ankommen, in welchem Umfang und in welcher Qualität der Bereich der Popularmusik an der HKM Tübingen repräsentiert sein wird. Danach wird sich die Zahl der Interessenten richten. Hier gibt es aber Grenzen. Denn die HKM Tübingen soll sich in ihrer Profilentwicklung an der Rahmenordnung der kirchenmusikalischen Ausbildungsstätten in der EKD ausrichten. Momentan gibt es Bestrebungen von verschiedenen Verbänden und Gremien, den bislang eher geringen Pop-Anteil in der Rahmenordnung zu erhöhen. Die Zukunft wird zeigen, ob dies gelingt – wir sind gespannt.

Der Grundauftrag der Kirchenmusik: Menschen über die Sprache der Musik Möglichkeiten zu geben, in die Gemeinschaft des Glaubens hineinzufinden.

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Michael Schütz ist neben seiner Dozentur Kantor an der Trinitatiskirche Berlin- Charlottenburg und Lehrbeauftragter an der Universität der Künste Berlin. Als freiberuflicher Musiker konzertiert er solo und mit anderen Künstlern (z. B. Gloria Gaynor, Jennifer Rush, Klaus Doldinger‘s Passport, The Temptations) und gibt bundesweit Seminare. Außerdem veröffentlicht er Kompositionen, Arrangements und Fachliteratur.


Musik in der Kirche

Lobpreis – die Kraft von Musik und Gebet Lobpreis und Anbetung, Lobpreisbands in den Gottesdiensten – für manche bereits Alltag, für andere neu und vielleicht gewöhnungsbedürftig. Albert Frey erzählt von den Anfängen und lässt uns daran teilhaben, was ihm bei diesem Thema wichtig ist.

Es war vor 22 Jahren: Ich saß in einer riesigen Halle irgendwo auf den hinteren Plätzen. Mit einer Gruppe aus unserer Gemeinschaft war ich nach England gefahren. „Worship“ hieß das Thema, und es waren nahezu alle eingeladen, die damals Ende der 80er Jahre zu diesem Thema etwas zu sagen hatten – unter anderen Graham Kendrick und John Wimber mit seinen Vineyard-Musikern. Ich spielte damals in einer christlichen Band und christliche Rockmusik war für mich ein großes Thema, aber „gemeindefähige“ Musik, die man zusammen im Gottesdienst singt, reizte mich nicht besonders.

Es geht nicht um eine charismatische Spezialität, sondern um die

Doch in diesem Moment war es anders: Ich hatte schon erlebt, wie Musik Menschen begeistert oder zum Nachdenken bringt, aber ich hatte noch nie erfahren, wie Musik uns zu einer Begegnung mit dem lebendigen Gott führt. Gott sprach zu mir, er wollte mir etwas zeigen: Diese Art von Musik sollte eine wichtige Aufgabe in meinem Leben werden!

Wiederentdeckung Das Geheimnis der Anbetung einer biblischen Das Geheimnis von Lobpreis und AnbeGebetsdimension.

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tung kann man nicht theoretisch erklären. Es ist ein Wagnis. Die Voraussetzung dafür ist eine persönliche Beziehung zu Gott. Ich habe immer wieder versucht, Menschen Lobpreis nahe zu bringen, die diese Beziehung nicht haben – es hat keinen Sinn, sie werden es nicht verstehen. Auf der anderen Seite habe ich erlebt, wie überzeugte Christen, die mit Lobpreis und

Anbetung bisher wenig zu tun hatten, sofort verstanden, worum es da geht. Und genau das erleben wir in weiten Teilen der evangelischen Welt. Es geht also nicht um eine charismatische Spezialität, sondern um die Wiederentdeckung einer biblischen Gebetsdimension. Wenn Musik und Gebet zusammenkommen, geschieht etwas Besonderes. Das Gebet gewinnt an Tiefe und Ausdruckskraft, eine einfache Liedzeile wird zu einem Schrei meines Herzens. Worte allein können oft nicht ausdrücken, was zwischen mir und Gott abläuft. Ein Lied kann das Unaussprechliche den Worten hinzufügen – wie das Lied zweier Liebenden.

Lobpreis in den Gemeinden Heute glaube ich: Wenn moderner Lobpreis in unseren Gemeinden mehr Platz einnimmt, wird das Reich Gottes einfach greifbarer. Außer unserem Kopf wird auch unser Herz, unsere Seele und unser Körper angesprochen. Und deshalb müssen die Verantwortlichen einen Weg finden, bei dem möglichst viele mitkönnen. Musik ist schließlich auch Geschmacksache. Am Anfang steht oft ein Team: eine Musikgruppe, eine Band, aber eben auch mehr als das. Leute, die sowohl ein Herz für Anbetung als auch eine musikalische Gabe haben. Das ist eine Kombination, die wichtig, aber nicht selbstverständlich ist. Für die gemeinsame Anbetung braucht es ein besonderes Gespür und auch immer wieder eine Zurückhaltung, ein


Sich-Zurücknehmen. Und vor allem anderen ein Herz für Anbetung. „Betet ihr mal, ich spiele dazu“, das funktioniert nicht, weder in der klassischen Kirchenmusik noch mit der Worship-Band. Wir können die Leute innerlich nur mitnehmen, wenn wir selbst mit dem Herzen voraus gehen. Dazu hilft ein guter Lobpreisleiter oder – ausdrücklich erwähnt, weil Frauen oft besonders stark die Gabe der Anbetung haben – eine gute Lobpreisleiterin. Ich genieße das, wenn mich jemand auch durch seine Persönlichkeit mitnimmt in die Anbetung. Man spürt, ob jemand dabei schon seinen Weg gefunden hat oder noch eher andere imitiert oder sehr darauf bedacht ist, alles richtig zu machen. Oft geht es hier eher darum, Unnötiges wegzulassen, statt noch mehr „Theater“ zu machen. Wenn jemand beim Leiten er selbst ist, mit den Gebeten, die man ihm abnimmt, der Musik, die ihm liegt und die er beherrscht, dann kommt eine wunderbare Ruhe und Sicherheit in die Atmosphäre und Menschen können sich Gott öffnen.

Lobpreis als Bewegung Seit einigen Jahren haben wir in den deutschsprachigen Ländern eine richtige „Lobpreisbewegung“ quer durch alle Kir-

chen. Oft fängt es bei den jungen Leuten an, da entstehen Lobpreisabende, Lobpreisgottesdienste, Lobpreisbands und man kann Lobpreis-CDs in allen Musikstilen kaufen. Es gibt sogar Seminare und Kongresse über dieses Thema. In der Anfangsphase der Lobpreisbewegung haben wir vieles einfach aus den USA und England kopiert und übersetzt. Inzwischen gibt es viele deutsche Songwriter und Musiker, die sich ernsthaft um gute Qualität und einen eigenen, deutschen Stil bemühen. Ich glaube, dass es bis hin zu einer neuen deutschsprachigen Lobpreiskultur noch viel zu entwickeln gibt. Jede Generation muss wieder neu solch eine authentische Kultur finden, und so wird Lobpreismusik zum Ausdruck unseres Lebensstils als junge Christen.

Wenn moderner Lobpreis in unseren Gemeinden mehr Platz einnimmt, wird das Reich Gottes einfach greifbarer.

Ganz oft sitzen einfach ein paar Leute mit einer Gitarre zusammen und singen und beten. Auch in diesem Fall gilt: Musik und Gebet vereinigen sich zu einer neuen Sprache. Es geht dabei nie um’s bloße Musizieren – eine Gebetszeit ist keine Probe. Das müssen unsere Musikleiter erst einmal verstehen. Am Anfang mal ein neues Lied einstudieren – das gehört natürlich dazu. Aber wenn wir beginnen, gemeinsam zu beten, wird die Musik zur Nebensache. Wir dürfen den Kern von Lobpreis und Anbetung nicht aus dem Auge verlieren: Die Begegnung mit dem lebendigen Gott.

Albert Frey leitet zusammen mit seiner Frau Andrea einen vollzeitlichen Musikdienst und freut sich, wenn Lobpreis als Gebetsdimension erlebt wird. Weitere Infos: www.albert-frey.de

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Musik in der Kirche

Authentisch und mit Qualität Seit zehn Jahren ist Gerald Buß im Kirchenbezirk Göppingen hauptamtlich für Posaunen- und Popularmusik verantwortlich. Wir haben ihn nach seinen Erfahrungen und Visionen gefragt.

Was Geschmack ist, bestimmen die CD-Produzenten und die Medien.

Zitronenfalter: Herr Buß, in einer wohl einzigartigen Konstellation sind Sie hauptamtlicher Kirchenmusiker im Bereich „Popularmusik“, während Ihr Kollege Rothaupt den Schwerpunkt „Klassische Musik und Chorarbeit“ vertritt. Wie kam es dazu und was konkret ist Ihr Dienstauftrag? Im Zuge einer Stellenreduktion im Jahre 2001 gab es auch eine musikalische Neuausrichtung. Ich hatte bereits seit 1997 den ersten Gospelchor in Göppingen aufgebaut und ehrenamtlich geleitet. Mein Dienstauftrag in der Göppinger ReuschKirchengemeinde wurde von 75% auf 60% reduziert und mit einem 40%igen Dienstauftrag als Bezirksbeauftragter für Bläserarbeit und Popularmusik ergänzt. Meine Aufgabe ist unter anderem, Bands und Gospelchöre zu fördern und zu begleiten. Mit dem Gospelchor Joyful-Voices & Band bin ich bei Gottesdiensten, Konzerten, Jubiläen, Benefiz- und Großveranstaltungen und Workshops im Kirchenbezirk und darüber hinaus aktiv. Ich leite das Bezirksbläserensemble, die Chorleiterfortbildung und eine „Rentnerbänd“ mit über 1000 Jahren Bläsererfahrung.

machen und Mitsingen oft über Projekte und Workshops. Wenn die berühmte „Schwellenangst“ überwunden ist und die „Neuen“ dann regelmäßig in der Gemeinschaft musikalisch Verantwortung übernehmen, entsteht ein positives Miteinander und somit Gemeinde im eigentlichen Sinn. Mit dem musikalischen „Erstkontakt“ bei einem Projekt gilt es, die Tradition aufzuzeigen und aus der aktuellen „Popularmusik“ auch das Interesse an der Tradition zu wecken. Dann sind auch Crossover-Projekte möglich und ein Gospelchorsänger singt neugierig ein MozartRequiem oder einen Messias mit. In der Posaunenarbeit sehe ich diesen „Gegensatz“ nicht, denn hier wird und wurde schon immer generationenübergreifend musiziert und somit der Gegensatz von populärer und „klassischer“ Kirchenmusik nicht so extrem artikuliert und diskutiert. Zitronenfalter: Vor Jahren hatten wir den Abgesang auf die Volksmusik, inzwischen hat sie wieder zahlreiche Anhänger. Welche Rolle spielt der Musikgeschmack des Volkes für die Volkskirche? Eine Große! Die Musik in der Kirche spiegelt auch heute gesellschaftliche Strömungen wider und somit auch den musikalischen Geschmack. Dabei gilt ebenso wie bei der Volksmusik: was Geschmack ist, bestimmen die CD-Produzenten und die Medien. Zitronenfalter: In welche Richtung sollte sich Kirchenmusik weiter entwickeln?

Kirchenmusik soll und muss ausprobieren, eine Vision haben. 10

Zitronenfalter: Popularmusik und klassische Kirchenmusik wird oft als Gegensatz gesehen. Wie funktioniert die Zusammenarbeit? Gut, denn es geschieht hier die musikalische Fortschreibung aus der Tradition! Neue musikalisch Interessierte für Kirchenmusik gewinnen wir zum aktiv Mit-

Authentisch und qualitätsvoll! Die Kirchenmusik sollte dabei ihre inhaltliche Aufgabe nicht vergessen. Sie wird sich sicher auch in Zukunft nicht um alle Milieus gleichzeitig kümmern können und allen Strömungen musikalisch sofort nacheifern, aber Kirchenmusik soll und muss ausprobieren, eine Vision haben und diese aufzeigen und auch in Zukunft gemeinsam mit Menschen in der Gemeinde Musik machen und singen!


Musik in der Kirche

Luthers neue Lieder Mit neuer und eingängiger Musik soll Gott der Gemeinde genauso nahekommen wie durch das Abendmahl oder die Bibel. Diese Idee wurde ein voller Erfolg. Luthers Lieder wurden nicht nur in der Kirche, sondern auch auf der Straße gesungen. Im Sommer 1529 erschien das Wittenberger Gesangbuch und damit das erste Gesangbuch für die so genannten Laien überhaupt. Bis dahin hatte nur der Klerus, insbesondere die Mönche, in der Kirche gesungen und musiziert. Nicht nur die Bibel und der Laienkelch beim Abendmahl, sondern auch die Kirchenmusik wurde so von Luther auf geniale Weise neu definiert und popularisier t. Viele Lieder waren gesungene Texte aus der Schrift, sie konnten die Bibel erklären und halfen den Laien ohne eigene Bibel beim Auswendiglernen der Texte. Auch das „Vater Unser“, das Glaubensbekenntnis oder die Zehn Gebote konnten mit Luthers neuen Liedern nun gesungen werden. Besonders beliebt wurden seine Übertragungen wichtiger Psalmen in die Umgangssprache. „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“ (Psalm 130) oder „Ein feste Burg ist unser Gott“ (Psalm 46) werden bis heute oft gesungen. Gerade durch die neuen Lieder konnte die singende Gemeinde zur mündigen Gemeinde werden, die ohne priesterliche Vermittlung Gottes Nähe spüren konnte.

Straßenmusiker singen Kirchenlieder Zusätzlich schrieb Luther auch Lieder für die Bänkelsänger, das waren die Straßenmusiker seiner Zeit. Seine erste eigene Komposition „Ein neues Lied heben wir an“ von 1523 war ein Erzähllied für Bänkelsänger über das Schicksal der ersten protestantischen Märtyrer in Brüssel. Luther ließ es auf eigene Kosten als Flugblatt drucken und verteilen, um die Bänkelsänger so als Multiplikatoren zu gewin-

nen. War eine Bibel verhältnismäßig teuer, so war ein Gesangbuch auch für den kleinen Geldbeutel erschwinglich. Zumal Luther auf ein Honorar oder Tantiemen verzichtete. Noch vor der Bibel wurde deshalb das Wittenberger Gesangbuch gekauft und für die Hausandachten verwendet.

Musik ist eine Gottesgabe; sie vertreibt den Teufel und macht den Menschen fröhlich.

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Ein Gegner der Priesterkirche Martin Luther war aus protestantischer Überzeugung zum Gegner der Priesterkirche geworden. Ein Gottesdienst, der eigentlich nur Sache der Priester war und die Laien zu „ zahlenden“ Zuschauern degradierte, war ihm zuwider. Wichtig für ihn war die Beteiligung der mündigen Gemeinde am Gottesdienst. Die katholische Kirche musste sich diesem Innovationsdruck beugen und zog nach: Das erste katholische Gesangbuch für die Gemeinde wurde 1567 in Leipzig veröffentlicht.

Die Kirchenmusik wurde so von Luther auf geniale Weise neu definiert.

Dr. Thomas Hoffmann-Dieterich, Religionswissenschaftler, freut sich darüber, wenn religiöse Innovationen so überzeugend sind, dass sie viele Menschen ansprechen und am Ende sogar von der katholischen Kirche übernommen werden.

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Musik in der Kirche

Für ein Umdenken bei der Kirchenmusik Wenn der 230-köpfige Gospelchor der Stuttgarter Heilandskirche mehrfach jährlich seine Gospelgottesdienste feiert, ist die Kirche dreimal je Sonntag voll (s. Bericht S.20f.). Albrecht Hoch ist auf der Suche nach dauerhaften Finanzierungs- und Anstellungsmöglichkeiten für dieses zukunftsweisende Projekt. Hier sein Plädoyer, die neuere Musik unverkrampft als gleichberechtigt zu etablieren und mehr zu wagen.

Durch die klassische Kirchenmusik geschieht vielfach sehr gute Arbeit und werden Gemeindeglieder in Gottesdiensten reich beschenkt. Kritische Anmerkungen erlaube ich mir im Bezug auf den strukturellen Umgang mit neuerer christlicher Musik in den Landeskirchen:

„Orgelzentrierung“ Die einseitige Fixierung auf Orgelbegleitung und Orgelmusik in unseren Gottesdiensten und der kirchenmusikalischen Ausbildung hat m. E. etliche negative Folgen gebracht: In vielen Kirchen ist es räumlich äußerst schwierig, wenn der Gemeinde durch eine/n Kirchenmusiker/in neue bzw. wenig bekannte Lieder vermittelt werden sollen. Dort, wo die Orgel auf der Empore gegenüber dem Altar steht, ist er/sie unsichtbar, nach „hinten-oben“ entrückt. Zum Singen aber bringt man Menschen im direkten Gegenüber, durch Vor- und Mitsingen und durch gleichzeitige angemessene Liedbegleitung.

Die Chorlandschaft wandelt sich iele Kirchenchöre im Umfeld sind bereits einV geschlafen oder kaum mehr singfähig. Die Versuche, sie weiterhin gleichartig und flächende-

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ckend mit unseren konventionell ausgebildeten Kirchenmusikern stabilisieren zu wollen, scheinen nicht erfolgversprechend. Dass gleichzeitig etliche Gospelchöre außerhalb der Kirchengemeinden gegründet wurden, zeigt, dass unsere Strukturen bisher wenig reformfähig sind.

Echtes Ja zu Popmusik urch die vorhandene traditionelle KirchenmuD sik werden die Finanzmittel weitgehend aufgebraucht, so dass für die neuere christliche Musik kaum Mittel zur Verfügung stehen. Die Schwerpunkte der kirchenmusikalischen Ausbildung sind eindeutig so, dass die neuere Musik nicht nachhaltig vermittelt werden kann. Es scheint auch zeitlich nicht möglich, alte und neue Musik auf beiderseits hohem Niveau zu studieren. Dies gilt es schlicht zuzugeben und gleichberechtigte Wege für die christliche Popularmusik zu schaffen. Mir scheint es wirklich so zu sein, dass viele Kirchenmusiker und Kirchenmusikerinnen nur schwer Zugang zu neuer geistlicher Musik finden. Wo sollen sie bei uns auch gelernt haben, einen Gospelchor zu leiten und groovige Musik zu machen? Auch können sie i.d.R. nicht wirklich


verstehen, was Jugendliche mit „Worship-Musik“ verbinden und wie die Inhalte ihr geistliches Leben prägen. Wer die „Feiert Jesus“- und „Du bist Herr“-Liederbuch-Ausgaben nicht kennt, der lebt in einer anderen musikalischen Welt als die meisten jungen Christen in Deutschland. Auch für die besten christlichen Popmusiker und Chorleiter gab und gibt es fast keine Möglichkeit einer Anstellung im kirchlichen Bereich. Viele von ihnen sind frustriert und haben es aufgegeben, auf Veränderungen in den kirchlichen Strukturen zu warten. Das nicht mehr ganz neue Evangelische Gesangbuch „EG“ hat in seiner Württemberger Ausgabe nur wenige Lieder mit Akkordbezeichnungen im Notenbild. Das bedeutet schlicht: Keyboarder und Gitarristen mit einfacheren musikalischen Kenntnissen haben keine Möglichkeit, das evangelische Liedgut selber zu gebrauchen. Das verstärkt den Traditionsabbruch. Die heimliche Vermutung, christliche Popularbzw. Gospelmusik sei sozusagen die Musik der „schlichteren Zeitgenossen“ unter den Christen, ist auch durch die EKD-Sozialstudie zur Gospelmusik eindeutig widerlegt worden. Der Anteil an Akademikern in Gospelchören entspricht dem von klassischen Kirchenchören. Musikalische „Abstoßungsreaktionen“ bei Gospelchorsänger und Gospelchorsängerinnen bestehen weniger gegenüber der klassischen Musik als gegenüber Volksmusik, Schlager, Operette usw. Allem Schubladendenken ist die viel buntere Realität vorzuziehen, die auch die Sinus-Milieu-Studien immer komplexer zu beschreiben versuchen.

Statt des anvisierten Pro & Contra zur Frage: „Soll moderne christliche Popularmusik der klassischen Kirchenmusik auf allen Ebenen gleichgesetzt werden?“ drucken wir, nachdem sich kein Contra-Autor gefunden hat, einen Artikel von Albrecht Hoch ab, der für „Pro Popularmusik“ votiert. In diesen Fragen findet derzeit ein reger Meinungsaustausch statt. Dass es hier noch viel zu klären gibt, zeigen auch die kontroversen Reaktionen auf ein Thesenpapier, das das Amt für musisch-kulturelle Bildung vor zwei Jahren zusammen mit dem Evang. Jugendwerk herausgegeben hat: 3 Forderungen zur entschlosseneren Förderung der Popularmusik-Qualität in der Evang. Landeskirche Württemberg. Wer es noch nicht kennt, kann es sich herunterladen unter www.kirchefuermorgen.de/service/zitronenfalter.

Eine schlechte Band hat mit schlechter Orgelbegleitung zumindest gemeinsam, dass sie im Ernstfall beide lauter sein können als die Menschen, die sie begleiten wollen, und dass der Gemeindegesang leiden wird. Wir müssen uns zunächst schlicht einmal eingestehen, wo wir gegenwärtig stehen. Es ist längst schon so, dass wir mit unseren traditionellen Gottesdiensten nur einen geringen Teil der Gemeindeglieder ansprechen und noch weniger neue Gemeindeglieder zu gewinnen vermögen. Es ist nicht nur die junge, sondern längst auch die mittlere und ältere Generation, die geprägt ist durch Filme wie „Sister Act I und II“ und „Wie im Himmel“ usw... Nicht nur bei Traugesprächen wird regelmäßig nach einem Gospelchor gefragt, der den Gottesdienst mitgestalten soll. Was hindert uns eigentlich daran, musikalisch wieder näher bei den Menschen zu sein?

Mutiger Neuanfang überfällig Die musikalische Begleitung von Gesang ist die eigentliche Herausforderung. Durch den Gebrauch von Altem und Neuem lebt der wunderbare Inhalt unserer Lieder in unserer Kirche und ihren Menschen weiter.

Albrecht Hoch ist seit 1998 Gemeindepfarrer in der Heilandsgemeinde im Stuttgarter Osten. Mit dem Chorleiter Thomas Dillenhöfer und dem Pianisten Alex Pfeiffer hat er 2005 in seiner Gemeinde den Chor „Gospel im Osten“ gegründet.

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Musik in der Kirche

Der Heilige Geist und die Charts Was Kirchenmusik sein kann, entscheidet sich auch an dem, was man unter Kirche versteht, findet Gerhard Müller, Mitglied im Redaktionsteam des Zitronenfalters.

Ihr sei d gebraucht hier! Macht euch au f den Weg! An alle Krieger des Lichts! An alle Krieger des Lichts! Das hier geht an alle Krieger des Lichts ...…“

Christlicher Glaube und individuelle Frömmigkeit finden auch außerhalb von Kirchen und Gemeindehäusern musikalischen Ausdruck.

Wem diese Zeilen bekannt vorkommen, der hat entweder seinen Paulus gut gelesen oder aufmerksam Musik gehört. Die Band Silbermond spielt in ihrem Hit „Krieger des Lichts“ auf die Ethik des Paulus an (man vergleiche den Liedtext z.B. mit Römer 13,11-12, 1. Thessalonicher 5,5-10 und Epheser 5,8-12) – so wie Xavier Naidoo in seinen Liedern immer wieder das Verhältnis von menschlicher und göttlicher Liebe besingt und Johnny Cash sich in seinem letzten Album sehr persönlich mit Tod und Auferstehung beschäftigt hat. Christlicher Glaube und individuelle Frömmigkeit finden auch außerhalb von Kirchen und Gemeindehäusern musikalischen Ausdruck, auch außerhalb von Musikverlagen und Bands, die sich im engeren Sinn als christlich oder kirchlich verstehen. Über biblische Motive und Texte, über ethische Fragen und über die Suche nach dem, was im Leben hält und trägt, steht die Kirche mit anderen Bereichen der Gesellschaft in einem ständigen kulturellen Austausch – auch mit der Musikszene.

Wechselbeziehungen

© Jakub Krechowicz - Fotolia.com

Es ist spannend zu beobachten, wie gut diese Musik ankommt und wie sie zurückwirkt in Jugendgottesdienste, Trauungen, Andachten und Liederbücher hinein.

Es ist spannend zu fragen, ob die Gesellschaft durch sie kirchlicher wird oder die Kirche gesellschaftsfähiger, und ob sie durch gottesdienstliche Verwendung „Kirchenmusik“ wird oder ob sie es gar schon vorher war. Zur Beantwortung der theologischen Seite dieser Fragen hilft es, sich klar zu machen, was man evangelischerseits unter Kirche versteht: Das Augsburger Bekenntnis sieht die Kirche als „Gemeinschaft der Heiligen“ dort, wo der Heilige Geist in der rechten Verkündigung des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente den Glauben wirkt. Wenn sich nun in der vermeintlich außerkirchlichen Musikszene die frohe Botschaft Gehör verschafft, der Glaube einen Refrain findet und die Hoffnung neue Rhythmen sucht, dann darf man die anfangs erwähnten Lieder – und viele weitere – als zeitgemäße, angemessene und treffende Auslegung und Verkündigung des Evangeliums auffassen und annehmen, dass der Heilige Geist auch hier am Werk ist.

Kirchenmusik von außen Es kann nicht darum gehen, eigenständige Bereiche der Gesellschaft kirchlich zu vereinnahmen – auch wenn unsere Welt insgesamt religiöser, frömmer, christlicher und im evangelischen Sinne auch kirchlicher ist als sie selbst es wahrnimmt (und als es manchen, die sich nach einer sichtbaren Grenze zwischen Kirche und Welt sehnen, lieb ist). Aber eine Musikszene, für die christliche Motive und Themen wichtig sind, verdient Wertschätzung und Aufmerksamkeit: als ein kultureller Bereich, in dem sich Kirche sehr wohl ereignen kann und der gerade deshalb die „Gemeinschaft der Glaubenden“ durch eine „Kirchenmusik von außen“ bereichern kann.

Gerhard Müller ist evangelischer Pfarrer im Schuldienst und unterrichtet an zwei Schulen in katholischer Trägerschaft im Landkreis Sigmaringen.

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Aktuelles

Gemeinde 2.0 – Frische Formen von Kirche Beim Kongress „Gemeinde 2.0“ in Filderstadt standen innovative Formen von Kirche im 21. Jahrhundert im Mittelpunkt. Hauptreferenten vor knapp 1000 oft jungen Besuchern waren u.a. zwei Bischöfe der anglikanischen Kirche. Markus Haag beschreibt seine Beobachtungen. Neulich in einem weltlichen Blatt: „So kapitalstark die (beiden deutschen Groß-) Kirchen sind, so glaubensschwach erscheinen sie, wie leere Kirchen und überalterte, mutlose Gemeinden zeigen – das Feuer des Glaubens erlischt.“ 1 Was wir langsam begreifen, ist in England schon seit Jahren harte Realität: Die Menschen haben mit der Kirche nichts mehr am Hut – und diese hat ihnen nichts Relevantes mehr zu sagen.

damit zunächst die Mission Gottes an uns (missio dei) gemeint. Wir sind also zunächst selbst Frucht dieser Mission Gottes und erst dann Werkzeug. Dieser Grundgedanke zog sich durch den ganzen Kongress: Erneuerung fängt bei jedem Einzelnen in seiner persönlichen Gottesbeziehung an!

Geht dahin, wo die Menschen sind.

Neue Wege Die anglikanische Kirche geht deshalb seit mehr als zwei Jahrzehnten neue Wege. Die Organisatoren des „G 2- Kongresses“ – darunter auch führende Personen von Kirche für morgen – waren der Meinung: „Von den Engländern können wir etwas lernen.“ Graham Cray, Bischof von Maidstone und Leiter des „Fresh Expressions“-Team in der Church of England und Steven Croft, Bischof von Sheffield, der das „Fresh Expressions“-Team mit aufgebaut hat, nahmen ebenso wie Michael Herbst und Heinzpeter Hempelmann die Einladung nach Filderstadt an und hatten dort ein interessiertes und aufmerksames Publikum.

Der einfache Drei-Schritt Steven Croft sprach davon, dass wir uns aufs offene Wasser hinauswagen müssen – weg aus den sicheren, flachen Gewässern unserer binnenkirchlichen Kultur. Danach folgt ein einfacher Drei-Schritt: „Geht dahin, wo die Menschen sind; formt dort Gemeinschaften und macht die Menschen zu Jüngern Jesu!“ Die „Fresh Expressions“ – die frischen Formen von Kirche – sind also erst dann zu ihrem Ziel gelangt, wenn in den jeweiligen Lebenswelten Gemeinschaften von Jüngern entstanden sind.

Mission als roter Faden Graham Cray machte deutlich, dass in der anglikanischen Kirche die Mission der rote Faden ist, der alles Handeln bestimmt (Mission Shaped Church). Allerdings ist 1

WirtschaftsWoche Nr. 16, 18.4.2011

Inkarnation, Inkulturation und Mixed Economy Für Bischof Cray ist die Menschwerdung Jesu (Joh 1) das Vorzeichen für die Mission: So wie sich Jesus in unsere Welt hineingegeben, inkulturiert hat, so muss das Evangelium in die Welt der heutigen Milieus und Lebenswelten übersetzt werden. Michael Herbst sprach in diesem Zusammenhang von „kultursensibler Evangelisation“. Nötig sei deshalb eine „Mixed Economy“: eine Vielzahl von gemeindlichen Formen neben der klassischen parochialen Gemeinde, die von geistlichen Teams geleitet werden. Kein Zweifel: Ohne ein „Dying to live“ (Graham Cray) wird es wohl nicht gehen.

Erneuerung fängt bei jedem Einzelnen an.

Markus Haag, 2. Vorsitzender von Kirche für morgen, wohnt mit seiner Familie in Oberstenfeld-Gronau und versucht dort als Pfarrer „frische Formen“ von Kirche zu unterstützen.

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Musik in der Kirche

Motetten mit Ohrwurmqualität Die Stuttgarter Hymnus-Chorknaben: Ein Chor mit großer Tradition wird modern und muss sich dazu nicht einmal verbiegen. Warum, das beschreibt der neue Hymnus-Chorleiter Rainer Johannes Homburg.

Die Ansage: „Wir proben jetzt Johannes-Passion“ wird mit allgemeiner Begeisterung quittiert. Nachher werden die Melodien des großen ThomasKantors auf den Gängen, dem Nachhauseweg und auch noch zu Hause gesungen.

Als ich vor einem guten Jahr aus der Lippischen Landeskirche nach Stuttgart kam, war für mich vieles neu. Die württembergische Kirche, die Stadt Stuttgart, aber auch die Arbeit mit einem Knabenchor. Zwar hatte ich mit Kindern gearbeitet – aber wesentlich im Bereich von Musicals und Musiktheater. Zwar hatte ich die großen Werke der klassischen Kirchenmusik aufgeführt – aber mit Erwachsenen. Beides zusammenzubringen ist seitdem meine Aufgabe – und ich liebe sie. Warum? Weil meine ärgste Befürchtung nicht eingetroffen ist: Ich muss keineswegs jedes Mal, wenn ich Bach oder andere Klassiker proben will, lange Überzeugungsarbeit leisten. Das Gegenteil ist der Fall. Die Ansage: „Wir proben jetzt Johannes-Passion“ wird mit allgemeiner Begeisterung der 10- bis 24-jährigen Sänger des Konzertchores quittiert. Und nachher werden die Melodien des großen ThomasKantors auf den Gängen, dem Nachhauseweg und auch noch zu Hause gesungen. Sie haben offensichtlich immer noch Ohrwurmqualität – kein Wunder, war Bach doch selbst Knabenchorleiter! Zunehmend finden aber auch Neue Geistliche Lieder Eingang in die Chorarbeit. Sie spielen eine wichtige Rolle als Lieder unserer Zeit und verkörpern zeitgemäßes theologisch-musikalisches Denken. Was Bach zu seiner Zeit recht war, ist dem Hymnus heute billig!

Jugend probt Klassik Die Stuttgarter HymnusChorknaben bestehen aus etwa 150 Knaben im Alter von 5 bis 14 Jahren und 40 jungen

Männern zwischen 14 und 24 Jahren. Sie alle eint, unterstützt von ihren Elternhäusern, das Interesse an geistlicher Musik. Das ist zugleich die Chance: Über die Großwerke und die Motetten kann biblischer Text interessant gemacht und zum Leben erweckt werden. Der wunderbare Nebeneffekt: Die Sänger lernen die Texte in intensiven Proben beiläufig auswendig und werden so zu mündigen Christen.

Auftritte in Kirche und „Welt“ Die erste Aufgabe des Hymnus ist die Gestaltung von Gottesdiensten. Dies tun wir mehrmals monatlich in wechselnden Kirchengemeinden auf deren Einladung hin. Wo wir hinkommen, ist der Gottesdienstbesuch sehr gut. Das liegt einerseits daran, dass die Gemeinden aktiviert werden und unsere Gegenwart und Musik genießen. Andererseits sind aber die Eltern und Großeltern der Sänger da und bereichern den Gottesdienst. Daneben gibt der Hymnus eine Vielzahl geistlicher Konzerte. Immer wieder sind wir aber – und haben dabei unser geistliches Profil im Kopf – in weltlichen Zusammenhängen unterwegs. Ob es um die Eröffnung des Stuttgarter Weihnachtsmarktes im Innenhof des Alten Schlosses geht oder um die Realisierung der Knabenchorpartie in Puccinis Oper „La Bohème“ für die Stuttgarter Philharmoniker, um die Gestaltung der BMW-BenefizGala in München oder die Aufnahme von Kinderliedern für den SWR – unsere Arbeit greift vom geistlichen Mittelpunkt her aus in die Welt. Getragen wird der Hymnuschor vom Evang. Kirchenkreis Stuttgart. Viele weitere Informationen finden sich unter www.hymnuschor.de.

Rainer Johannes Homburg ist 45 Jahre alt, wohnt in Stuttgart und ist seit dem 1.4.2010 Leiter der Stuttgarter Hymnus-Chorknaben.

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Musik in der Kirche

TEN SING – Musik machen und Gott begegnen „TEN SING weckt in jungen Menschen Leidenschaft, ist für viele ein Lebensgefühl und ermöglicht spannende Entdeckungen und Begegnungen mit Gott.“ So steht’s im Credo dieser etwas anderen Jugendarbeit. Anne-Dorothee Armingeon berichtet. Bei TEN SING treffen sich an 150 Orten in Deutschland wöchentlich junge Leute ab 13 Jahren und erarbeiten innerhalb eines Jahres eine Bühnenshow zu einem Thema, das sie sich selber ausgesucht haben. Die Show besteht aus aktuellen Liedern, die von einer Band und einem Chor präsentiert werden, aus Tanz, Theater und anderen kreativen Elementen. Dabei steht jedoch nie die Perfektion an erster Stelle. Viel wichtiger ist, dass die TEN SING-Gruppe einen Rahmen bietet, in dem die Jugendlichen, die aus den verschiedensten Milieus kommen, in einem geschützten Raum und einer wertschätzenden Atmosphäre Neues ausprobieren, ihre Gaben entdecken und gefördert werden können. Deshalb stehen während des Jahres die Gemeinschaft, gemeinsame Gruppenaktionen, Spaß an der Musik und aber auch die Beschäftigung mit Werten und dem Glauben im Vordergrund.

Gott entdecken, so nebenbei TEN SING bietet Jugendlichen die Möglichkeit, sich mit Gott und Jesus auseinanderzusetzen, den eigenen Glauben (neu) zu entdecken und mit anderen Erfahrungen, Gedanken und Ideen auszutauschen. Nicht jeder TEN SINGer muss Christ sein, sondern TEN SING gibt die Möglichkeit, Jesus kennen zu lernen und ihn in der Gemeinschaft zu erfahren. Im Gruppenprozess soll erlebbar werden, was es heißt, Jesus nachzufolgen und dementsprechend zu handeln. Die Show, die am Ende des meist einjährigen Erarbeitungszeitraumes steht, muss keinen missionarischen Charakter haben, denn TEN SING ist vor allem missionarisch innerhalb der Gruppe. Damit das geschehen kann, braucht es gute Beziehungen und Bereitschaft zum Zuhören. Die Jugendlichen haben ein Recht darauf, gehört zu werden und sie haben ein Recht auf ehrliche Antworten. Anne-Dorothee Armingeon lebt in Ravensburg, ist Vorsitzende des Fachausschuss TEN SING in Württemberg und begeistert davon, wie Jugendliche bei TEN SING über sich selbst hinauswachsen und gute Prägungen für ihr Leben bekommen.

TEN SING Aus der Perspektive einer jugendlichen Teilnehmerin: TEN SING bedeutet mir unheimlich viel. Ich glaube an Gott, lebe für die Musik und versuche mich nicht der breiten Masse anzuschließen, sondern nach meinen ganz eigenen Wertvorstellungen zu leben. TEN SING ist für mich Liebe, Akzeptanz, Musik, Anderssein, Gott erleben und ein geniales Miteinander. Es ist die Musik und Gott, die die Menschen dort verbindet. Meine persönlichen Highlights in diesem Jahr waren die beiden TEN SING-Seminare: das Life‘n‘rhythm in Filderstadt und das Treffen in Dassel. Vanessa Sonnenfroh, 17 Jahre, TEN SING Markgröningen

Kirchliche Anbindung erwünscht Jede TEN SING-Gruppe lebt in ihren örtlichen Strukturen, hat ihre eigenen Prägungen und setzt eigene Schwerpunkte. TEN SING lebt viele Elemente der neutestamentlichen Gemeinde, profitiert aber auch sehr davon, an eine Gemeinde angedockt zu sein – an eine Gemeinde, in der Jugendliche mit vielfältigen Hintergründen willkommen sind, in der es Menschen gibt, die sich auf eine Beziehung zu den Jugendlichen einlassen. Dann kann es zu einem gegenseitigen Geben und Nehmen kommen.

Es ist die Musik und Gott, die Menschen dort verbindet.

In Württemberg ist das Evangelische Jugendwerk der Träger der TEN SING-Arbeit, weitere Infos gibt es unter www.tensingwuerttemberg.de. Wir kommen auch gerne zu einem Infoabend vorbei!

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Musik in der Kirche

Generationen- und stilübergreifend – Posaunenchorarbeit in Württemberg 700 Posaunenchöre mit über 18.000 Mitgliedern sind in unserer Landeskirche aktiv. Posaunenchöre sind als mobile, wetterfeste und klangstarke Gruppen ein wichtiges Sprachrohr kirchlicher Verkündigung, meint Landesposaunenwart H.-U. Nonnenmann.

Oft musizieren drei Generationen aus einer Familie miteinander: der Opa, seine Kinder und seine Enkel – und alle finden das wunderbar!

Posaunenchormitglieder sind Menschen, die sich dauerhaft an eine kirchliche Gruppe mit klarem Auftrag binden wollen. Natürlich haben sie eine gewisse Vorliebe für den Sound von Blechblasinstrumenten. Sie stammen oft aus Bläserfamilien und empfinden das Engagement ihrer Familienangehörigen als so positiv, dass sie selbst mitmachen wollen. Trotz der immer größer gewordenen Konkurrenz im Freizeitbereich haben wir heute noch gleich viele Bläseranfänger wie in den letzten drei Jahrzehnten. Erfreulicherweise gibt es sogar eine neue Mitgliedergruppe in der Posaunenarbeit – in zunehmender Zahl lernen Erwachsene ein Blechblasinstrument. Eine Stärke der Posaunenchöre ist ihre generationenübergreifende Mitgliederstruktur. Oft musizieren drei Generationen aus einer Familie miteinander: der Opa, seine Kinder und seine Enkel – und alle finden das wunderbar!

Vielfalt ist nötig

Die Beschäftigung mit der Popularmusik hat die Posaunenchorwelt kräftig durcheinandergewirbelt, erneuert und vorwärts gebracht.

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Dabei wundert einen eines schon: Kann es denn überhaupt Musik geben, die zu allen Bläsern quer durch die Generationen passt? Was für eine Musik gefällt sowohl Opa Hans als auch Mutter Claudia, Vater Stefan und den Teenies Luise, Pauline und Frieder? Dazu kommt die Frage: Welche Musik wünscht sich die Gemeinde? Und welche Musik spricht möglicherweise auch eher kirchenferne Menschen an?

Und so herrscht in der Notenliteratur erfreulich farbige Vielfalt. Der stilistische Bogen reicht von Choralsätzen im altehrwürdigen Kantionalsatz-Stil über Bläsermusik von Meistern des Barock, der Klassik und der Romantik bis hin zu Stücken zeitgenössischer Komponisten. Wir lassen uns regelmäßig von profilierten Komponisten neue Stücke für Posaunenchöre schreiben, die eine große stilistische Bandbreite abdecken.

Fruchtbare Auseinandersetzung Die Beschäftigung mit der Popularmusik war in den letzten beiden Jahrzehnten sehr intensiv – sie hat die Posaunenchorwelt kräftig durcheinandergewirbelt, erneuert und vorwärts gebracht. Mittlerweile gibt es eine Fülle von sehr guten und stilistisch ausgereiften Arrangements zu poppigen Liedern und Songs. In den Notenheften, die von den hauptamtlichen Posaunenreferenten des ejw herausgegeben werden, spiegelt sich die veränderte Bandbreite wider. Und beim alle zwei Jahre stattfindenden Landesposaunentag in Ulm kann man sie von 7.500 begeisterten Bläserinnen und Bläsern hören. Hans-Ulrich Nonnenmann ist Kirchenmusikdirektor und als Landesposaunenwart viel unterwegs. Er schult Chorleiter und Posaunenchöre und bläst auch mal mit seiner Posaune mit.


Musik in der Kirche

Church of Rock: Die Rock-Kirche in Gronau Jedes Jahr im Herbst erklingen im beschaulichen Winzerort Gronau ungewohnte Töne: Aus einer alten Lagerhalle sind brachiale Gitarrenriffs zu hören. Die „Church of Rock“ rockt wieder! Dabei ist „CoR“ viel mehr als nur ein Konzert. Wir haben Dunja Kast und Markus Haag gefragt, was hinter „CoR“ steckt. Zitronenfalter: Dunja, Du als „Frau der ersten Stunde“ – was genau ist „Church of Rock“? Dunja Kast: „Church of Rock“ ist ein „chaotischer, rockiger Jesus-Haufen“ – so bezeichnen wir uns selbst. Wir sind ca. 20 Jugendliche und junge Erwachsene mit ganz verschiedenen Meinungen und Ansichten. Doch eines haben wir gemeinsam: Wir lieben Musik und wollen kleinen, regionalen Bands die Gelegenheit geben, vor Publikum zu spielen. „Church of Rock“ ist unser Projekt, an dem wir ständig arbeiten. In dessen Mittelpunkt steht immer im Herbst ein Rockkonzert, dieses Jahr mit der Band Sacrety und vielen weiteren Bands. „Mehr als ein Konzert“ „Church of Rock“ ist aber auch ein rockiger Gottesdienst von Jugendlichen für Jugendliche am Sonntagvormittag nach dem Konzert. Wir wollen mehr junge Erwachsene für Jesus begeistern und zeigen, dass das Leben als Christ auch Spaß machen kann. Eigentlich sind wir eine kleine Gemeinde innerhalb der Kirchengemeinde. Wir treffen uns regelmäßig um über Themen zu diskutieren, die uns interessieren, und schauen, was die Bibel dazu sagt. Wir essen oft miteinander, feiern neuerdings das Abendmahl, singen und beten. Außerdem gehen wir öfters zusammen auf Konzerte und in Discos oder wir kochen gemeinsam was.

Dynamic – die Band der Jugendgemeinde T(H)REE in Leonberg. Dynamic, das sind drei musikbegeisterte Jungs, die miteinander und für andere musizieren und die Gottesdienste der Jugendgemeinde Leonberg mitgestalten. Im Interview erzählen sie, wie sie dazu kamen, was sie mit ihrer Musik ausdrücken wollen und wie sie ihren Dienst sehen: www.kirchefuermorgen.de/service/zitronenfalter

Zitronenfalter: Wie ist „Church of Rock“ entstanden? Dunja Kast: „Church of Rock“ heißt ja „Kirche des Felsens“. Die Idee entstand in unserem Konfi-Jahrgang 2006/2007. Wir waren auf der Suche nach einem interessanten Thema für unsere Konfirmation. Schnell waren wir uns einig, dass „Church of Rock“ ein ganz cooles Thema wäre. Wir fragten uns: Darf Kirche auch rockig sein? Für uns gab und gibt es keinen Zweifel: Ja, natürlich! Und so malten wir uns aus, wie so ein „rockiger“ Gottesdienst wohl aussehen würde. Unsere Konfirmation lief dann genau so ab, wie wir sie uns vorgestellt hatten: Unser „Rockingpastor“ spielte EGitarre, es wurden rockige Lieder gesungen und wir Konfirmanden trugen der Gemeinde unsere Gedanken zum Thema „Church of Rock“ vor. Zitronenfalter: Markus, Du hast als Pfarrer dieses RockProjekt in Eurer Kirchengemeinde mit initiiert. Wie kam es dazu? Markus Haag: Wir wollten junge Menschen für Jesus gewinnen und haben uns gefragt: Was ist deren Lebenswelt? Glücklicherweise war es so, dass deren Lebenswelt – Rockmusik – mit meinem Musikgeschmack übereinstimmte. So hatten wir einen gemeinsamen Anknüpfungspunkt, und dann kam das Ganze ins Rollen…

Eigentlich sind wir eine kleine Gemeinde.

Zitronenfalter: Vielen Dank für das Gespräch.

Dunja Kast ist Auszubildende für Mediengestaltung. Bei „CoR“ leitet die junge Gronauerin das MarketingTeam. Markus Haag ist Pfarrer in Gronau und Prevorst und freut sich an der Lebensweltgemeinde „Church of Rock“, die innerhalb der Ev. Kirchengemeinde Gronau ihre Heimat hat.

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Gemeindeporträt

Singen ist Glücksache Seit 2005 gibt es das Stuttgarter Chorprojekt „Gospel im Osten“ (GIO) mit mittlerweile 230 Sängerinnen und Sängern. Dass GIO weit mehr ist als ein Chor, beschreibt Karin Schlenker-Gutbrod.

Nach so einem GIO-Abend sind die Probleme des Tages irgendwie kleiner geworden.

Dienstags kurz vor 20 Uhr. Die Heilandskirche ist fast voll besetzt. Ich bin auf dem Weg zu meinem Lieblingsplatz in der 3. Reihe im Sopran neben Christine aus Brackenheim, Dagmar aus Esslingen und Silvia aus Ludwigsburg. Viele bekannte Gesichter, ein „Hallo“ von weitem oder ein kurzer Schwatz. Dann geht’s auch schon los mit Einsingen, gefolgt von neunzig Minuten Singen – Gospels, ein Groove, der mitreißt – und das mit über 200 Leuten. Das macht richtig Spaß. Singen ist Glücksache – das ist unser GIO-Slogan, der sich bestätigt: Nach so einem GIO-Abend sind die Probleme des Tages irgendwie kleiner geworden und ich selbst bin entspannter. Zum Schluss ein Abendimpuls, ein Gebet und das gemeinsame Abendlied. Überall wird noch geredet und dann leert sich die Kirche langsam.

GIO ist ansteckend Bernd kam beim letzten Projekt dazu, weil er an einem Dienstag spazierenging und hörte, dass in der Kirche etwas los sein musste: Geräusche, Stimmen und Lachen. Er ging hinein und ist in eine der Proben geraten. Er ist herzlich willkommen und seitdem singt er mit.

Warum kommen Woche für Woche über 200 Menschen in die Heilandskirche? Es ist die Gospelmusik und die Art, wie sie in GIO gesungen und gelebt wird. Inspirierende Liedtexte und ein lässiger „Groove“ begeistern und erwärmen das Herz. Wenig Zwang und Druck, ein offener Geist, es gibt niemand, der beurteilt, was richtig und falsch ist. Für jede Stimme ist Platz im Chor, auch unausgebildete und ohne Notenkenntnisse. Seit einiger Zeit werden Stimmbildungsworkshops angeboten. Gemeinsames von Jung und Alt – das funktioniert bei GIO gut, wobei die meisten Sängerinnen und Sänger zwischen 30 und 50 Jahre alt sind.

Der Projektcharakter Drei Projekte mit jeweils 8 - 10 Probeterminen gibt es pro Jahr: Von Januar bis Ostern, von Ostern bis zu den Sommerferien, von September bis zum 1. Advent. Am Ende jedes Projektes feiern wir einen Gospeltag mit drei Auftritten in der Heilandskirche. Der Morgengospel um 10.30 Uhr, der Gospelfamily um 15.00 Uhr und der Abendgospel um 19.00 Uhr. Die Stimmung ist super, die Wortbeiträge regen zum Nachdenken an. Die Kirche platzt aus allen Nähten, besonders abends. Zum krönenden Abschluss wartet ein kreatives Buffet, das von den Chormitgliedern mitgebracht wurde, auf alle Gäste. Näheres unter www.gospelimosten.de oder live: Der nächste Gospeltag findet am 24. Juli 2011 statt.

GIO ist mehr als ein Chor Wenn möglich, startet GIO mit einem gemeinsamen Abendessen, vor allem für die Neuen. Vor jeder Probe trifft sich ein Gebetsteam. Über Himmelfahrt fahren wir dieses Jahr mit 100 Leuten zum „GIO-Gospel Hike“ in die Schweiz. Fünf Tage Singen und Wandern stehen auf dem Programm. Seit einem Jahr gibt es den Kindergospelchor „GIOlinos“, der mit der Kinderwerkstatt der Heilandsgemeinde kooperiert.

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www.gospelimosten.de

GIO will weiterwachsen.

Gerade haben wir den ersten gemeinsamen GIO-Gottesdienst an einem Dienstagabend gefeiert und beschlossen, dass wir das in jedem Projekt zweimal tun möchten. Es gibt viele, die sich bei GIO engagieren, aber der „Strukturen-Ball“ wird flach gehalten. Die Teams sind klein, dynamisch und auf Zeit. Bewährtes wird beibehalten. Es gibt wenige Besprechungen, einmal im Jahr die Hauptversammlung und ein Sommerfest, aber sonst läuft vieles spontan und zufällig. GIO bekommt einen Zuschuss von der Gesamtkirchengemeinde in Stuttgart, lebt aber größtenteils von Spenden. Ein Spendenclub ist im Aufbau. Kreative Eigenprodukte werden verkauft und der Erlös geht an GIO.

In der Heilandsgemeinde verwurzelt Die Offenheit und Gastfreundschaft der Heilandsgemeinde ist ein Geschenk. GIO ist nicht nur geduldet, sondern ein Gemeindekonzept. Etliche GIOs kommen gerne zu den Sonntagsgottesdiensten in die Heilandsgemeinde, vor allem einmal im Monat zur „Frühschicht“, einem TeamGottesdienst mit viel Musik. Auch am Ostersonntag treffe ich Christine, Dagmar und Silvia. Meine „Nebensitzerinnen im Sopran“ haben den Weg gerne in Kauf genommen und sind zum Osterfrühstück und zum Gottesdienst hergekommen, um miteinander die Auferstehung zu feiern. Die Brücke von GIO zur Heilandsgemeinde ist da und manche Chormitglieder nehmen sie gerne an.

Die Zukunft von GIO Im März hatten wir unseren ersten Auftritt außerhalb der Heilandskirche beim Kongress Gemeinde 2.0. Dort wurden Kontakte zur GospelChurch in Kopenhagen geknüpft, die uns anregen, über unsere eigene Zukunft weiter nachzudenken. Pfarrer Albrecht Hoch von der Heilandsgemeinde hegt schon lange den Wunsch, die Heilandskirche noch mehr zur Gospelkirche zu entwickeln. Einige Fragen sind offen: Geht das strukturell? Wer versorgt dann die Parochie? Wird die Anstellung des Chorleiters und des Pianisten als Kirchenmusiker Wirklichkeit? Unser Chorleiter Tom Dillenhöfer hat vor einem Jahr sein Angestelltenverhältnis als Architekt gekündigt, um mehr Zeit zu haben für die Gospelmusik. Die eine Hälfte der Woche ist für Gospelmusik reserviert und die andere Hälfte für die Arbeit im eigenen Architekturbüro. Wie kann er angemessen und dauerhaft für 50% Gospelarbeit – populäre Kirchenmusik – bezahlt werden? GIO und die Heilandsgemeinde alleine schaffen das nicht. GIO fasziniert. GIO inspiriert. GIO will weiterwachsen, in der Gemeinschaft, inhaltlich und geistlich. Die Verantwortung wächst, aber auch das Vertrauen in Gott, der uns dieses Wunder geschenkt hat. Gott sei Dank.

GIO ist nicht nur geduldet, sondern ein Gemeindekonzept.

Karin Schlenker-Gutbrod, Stuttgart, Diakonin und Organisationsentwicklerin, ehrenamtlich bei GIO engagiert.

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kfm intern

Musik in der Kirche: Wunsch und Wirklichkeit Matthias Böhler, der kfm-Mann vom Fach, schaut sich im Bereich der Kirchenmusik um: Wo geschieht Verbindendes, an wen gibt die Landeskirche Fördermittel, wer wird bezahlt

Kirchenmusik muss immer so vielfältig sein wie die Menschen, die wir mit unserer Botschaft erreichen wollen.

Matthias, du bist kfm-Synodaler im Sonderausschuss „Musik in der Kirche“. In welchen Bereichen der Kirchenmusik engagierst du dich persönlich? Prägend für meine „kirchenmusikalische Laufbahn“ war die Zeit im Jugendchor unseres Bezirksjugendwerks, den ich auch einige Jahre geleitet habe. In den letzten Jahren habe ich immer wieder in der Kantorei gesungen und dort große klassische Werke und Oratorien kennen gelernt. Als Organist bin ich regelmäßig sonntagmorgens an der Orgel aktiv, im CVJM leite ich den Posaunenchor und ab und zu ein Kindermusical-Projekt. Außerdem habe ich natürlich als Orgelbauer indirekt und auf eine ganz besondere Weise tagtäglich mit der Kirchenmusik zu tun.

Wie bekommst du das alles zusammen, ohne dass es dich zerreißt? Beim Thema „Musik in der Kirche“ habe ich schon viele hitzige Diskussionen erlebt, die wirklich zerreißen können. Persönlich habe ich damit aber nie ein Problem gehabt. Weil meine musikalischen Interessen schon immer sehr breit waren und ich in den unterschiedlichen Bereichen der Kirchenmusik unterwegs bin, setze ich mich lieber für das Verbindende ein. Exemplarisch für ein gelingendes Miteinander über Generationen und Musikgeschmack-Grenzen hinweg ist für mich immer wieder der Posaunenchor. Hier musizieren Konfirmanden und Senioren gemeinsam zum Lob Gottes. Hier hat der Bach-Choral neben dem Praise-Medley oder die Renaissance-Suite neben der Jazz-Intrade Platz. Jeder kommt mal auf seine Kosten und jeder muss mal zurückstecken. Genauso wünsche ich mir, dass sich in Zukunft die musikalischen Arbeitsbereiche in der Landeskirche auf Augenhöhe begegnen und sich gegenseitig ernst nehmen. Dass sich das auch in den finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen widerspiegeln muss, ist selbstverständlich.

© Siegmar - Fotolia.com

Wie entstand deine Liebe zur Orgel und dann dein Berufswunsch: Orgelbauer? Zum Orgelbau bin ich über das Orgelspiel gekommen. Als Jugendlicher habe ich einige Jahre Orgelunterricht gehabt, die C-Prüfung gemacht und mit Organistendiensten begonnen. In dieser Zeit wuchs die Faszination für dieses Instrument und ich fand es sehr spannend, was sich hinter, über und neben der Orgelbank so alles abspielt und wie eine Orgel funktionier t. Ausschlaggebend für

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und wer nicht, wo müssten Reformen ansetzen?

die Entscheidung eine Lehre zum Orgelbauer zu machen war dann die Tatsache, dass sich in diesem Beruf meine handwerklichen Interessen perfekt mit meinen musikalischen Begabungen verknüpfen.

Am 1. Juli gibt es einen Schwerpunkttag der Landessynode zum Thema „Musik in der Kirche“. Was erwartest du und was sind deine Wünsche für die musikalische Zukunft unserer Kirche?

Sollten deiner Meinung nach in der Kirche alle Musikwünsche berücksichtigt werden?

Meine Erwartungen an den Schwerpunkttag sind groß. Wir werden auf dieser Tagung die Breite und Vielfalt der musikalischen Aktivitäten in unserer Landeskirche darstellen und erleben. Ich hoffe, dass es uns dabei gelingt, die Problemstellungen, vor denen viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Musikbereich seit vielen Jahren stehen, in der Synode zur Sprache zu bringen. Daraus müssen wir als Synodale dann Konsequenzen ziehen und wichtige Schritte zur Weiterentwicklung der Kirchenmusik entwickeln. Konkret denke ich zum Beispiel an eine Reform der Ausbildung unserer Kirchenmusiker und Kirchenmusikerinnen. Junge engagierte Musiker aus unseren Gottesdienstbands und aus Gospel- und Jugendchören studieren an staatlichen Popakademien. Mein Wunsch wäre es, diese Menschen in Zukunft für den kirchlichen Dienst zu gewinnen. Dazu brauchen wir veränderte Aufnahmebedingungen und neue Studien- und Ausbildungsgänge an unserer kirchlichen Musikhochschule. Auch im neben- und ehrenamtlichen Bereich gilt es, die Ausund Fortbildungsangebote weiterzuentwickeln. Kirchliche Popularmusik vor Ort kann nur gefördert werden, wenn wir Experten für diesen Musikzweig in unserer Kirche ausbilden.

Das sollten sie unbedingt! Wir nennen uns Volkskirche und wollen Kirche für alle sein, sind aber nur noch für eine Minderheit relevant. Bei der Frage, ob sich Menschen zum Beispiel in einem Gottesdienst zuhause fühlen, spielt Musik eine entscheidende Rolle. Wenn Musik in der Kirche mit Stilmitteln arbeitet, die den Menschen vertraut sind, fühlen sie sich wohl, können spirituelle Erfahrungen machen und Gemeinschaft erleben. Deshalb muss Kirchenmusik immer so vielfältig sein wie die Menschen, die wir mit unserer Botschaft erreichen wollen. Wird in unserer Landeskirche genug Geld zur Förderung der Popularmusik eingestellt? Wenn man sich die Situation vor Ort anschaut, wird schnell klar, dass es bei der Finanzierung der unterschiedlichen Musikbereiche in unserer Kirche ein großes Ungleichgewicht gibt und zur Förderung der Popularmusik wenig Geld ausgegeben wird. Als Organist werde ich ganz selbstverständlich und ohne Diskussionen für meinen Dienst bezahlt. Wenn ich im Zweitgottesdienst in der Lobpreisband mitspiele gibt es dafür keinen Cent. Es gibt nur sehr wenige Stellen in unserer Landeskirche, die sich um die Förderung der Popularmusik kümmern. Die allermeisten Kantorenstellen sind nach wie vor klassisch geprägt und die Förderung und Begleitung von Musikteams, Bands, Gospel- und Posaunenchören geschieht hauptsächlich zentral mit wenig hauptamtlichem Personal.. Wenn wir Vielfalt in der Kirchenmusik wollen, muss sich das auch in der Verteilung der Finanzmittel widerspiegeln.

Wenn wir Vielfalt in der Kirchenmusik wollen, muss sich das auch in der Verteilung der Finanzmittel widerspiegeln.

Die Arbeit geht für uns als Landessynode nach dem Schwerpunkttag erst los! Das Interview führte Cornelia Kohler.

Matthias Böhler ist seit 2007 engagierter kfm-Synodaler, Mitglied im Ausschuss „Jugend und Bildung“ und im Sonderausschuss „Musik“. Er lebt als Orgelbaumeister mit seiner Familie in Bönnigheim.

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Zu guter Letzt Bitte schon vormerken!

2012 veranstaltet Kirche für morgen wieder ein Forum:

Sonntag, 26. Februar 2012 Tagungsstätte Bernhäuser Forst, 10.30 Uhr – 17.00 Uhr

„Der Charme der Krise“ – Kirche gestalten in Zeiten des Umbruchs Referentin: Schwester Katharina Schridde, Kommunität Casteller Ring, Berlin. Zuvor findet am 25. 2. 2012 ab 18 Uhr im Bernhäuser Forst die Mitgliederversammlung von Kirche für morgen statt – mit integriertem Feierabendmahl nach der Form des Symposions.

„Überlebenskunst“ Autorin: Luise Reddemann, Verlag: Klett-Cotta

Ein Buch, das hilfreich Wege aus Lebenskrisen zeigt und Hörgenuss verspricht. Die Psychoanalytikerin Luise Reddemann wendet sich an traumatisierte Menschen. Ihr Ansatz liegt darin, nicht nur auf die Belastungen und Konflikte zu schauen, die zum Trauma geführt haben, sondern auch auf die Kraftquellen, aus denen die Menschen schöpfen. Auf diese Weise können in schweren Zeiten Selbstheilungskräfte entstehen. Am Beispiel von Johann Sebastian Bach, dessen Lebensgeschichte einen großen Teil des Buches einnimmt, zeigt sie, dass es sehr wohl möglich ist, unter erschwerten Bedingungen zu einem seelisch widerstandsfähigen Menschen heranzureifen. Das Buch ist flüssig zu lesen, interessant aufgebaut und wird denen ein Gewinn sein, die sich für die Auseinandersetzung mit den eigenen Grenzen und Stärken interessieren und die einen Zugang zu Johann Sebastian Bachs Musik haben. Da eine CD mit den besprochenen Bachkantaten zum Buch gehört, kann man neben dem Lesen gleich die entsprechende Musik anhören. Mir selber hat das Buch eine neue Sicht auf die Kirchenmusik gegeben und auf den auch therapeutisch wirkenden Schatz, den wir damit haben. Claudia Bieneck

ein Zitronenspritzer von Michael Josupeit

„Hamwanich“ Oder: Warum Kirche kein musikalischer Tante-Emma-Laden sein darf „Hamwanich“ − im Ruhrgebiet die Kurzfassung für: „Das gehört nicht zu unserem Sortiment!“ Auch bei Kirchens gibt es ein „Hamwanich“, vor allem, wenn es um die Musik geht. Stellen Sie nur mal in einer „normalen“ Gemeinde die Frage, ob es außer der Orgel noch andere Musik im Gottesdienst geben kann und darf. Solche Gespräche nehmen nicht selten fast dogmatische Züge an. Wer an der Orgel(musik) rüttelt, der zieht sich schon mal eine Abkanzelung zu, die teilweise heftiger rüberkommt, als würde man an Schrift und Bekenntnis rütteln. Woran liegt das? Begründungen gibt’s zuhauf: theologische, musikalische, ästhetische. Aber merkt man denn dabei nicht − oder will man es nicht merken? − dass eine musikalische Mangelernährung, gleich welcher Art, wohl ebenso zum Stillstand und zur langsamen Emission unserer Gottesdienste beiträgt wie eine starre Liturgie, eine verkümmerte Abendmahlspraxis, eine sakrosankte Pfarrerzentriertheit und eine (auch musikalisch) geistlich sprachlose Gemeinde? Weitere Zitronenspritzer finden sich unter www.kirchefuermorgen.de/zitronenspritzer

Wer hätte das gedacht? 900 meist hauptamtliche Teilnehmer lauschten beim Kongress Gemeinde 2.0 in Filderstadt den Worten der anglikanischen Bischöfe, die ihre Erfahrungen bei der Entwicklung neuer Gemeindemodelle vorstellten und provokativ nach vorne dachten. Die Teilnehmenden waren erstens auffallend jung und zweitens waren viele Mitglieder der Kirchenleitung darunter. Ein Pfarrer aus einem anderen Gesprächskreis meinte dazu: „Das habt ihr ja gut hingekriegt, dass die Landeskirche euch von kfm einen ganzen Kongress ausrichtet…“Markus Haags Eindrücke vom Kongress finden sich im Heft auf Seite 15. Viele Infos – u. a. die hörens-/sehenswerten Videos der Hauptreferate – findet man auf www.gemeindezweinull.org

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