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Danke, Karl-Eduard – warum intellektuelle Notbeleuchtung heute Konjunktur hat Kennen Sie noch den »Schwarzen Kanal«? Oder Karl-Eduard von Schnitzler? Der war nämlich der Schwarze Kanal. Fast 30 Jahre – von 1960 bis 89 – gab es regelmäßig was auf die Ohren, die bundesdeutschen nämlich. Denn Schnitzler sendete aus der DDR, um seinen lieben Mitbürgern zu zeigen, wie pfui und bäh die westdeutsche Propaganda ist. Deshalb auch der Titel der Sendung: »Der Schwarze Kanal, den wir meinen, meine lieben Damen und Herren, führt Unflat und Abwässer; aber statt auf Rieselfelder zu fließen, wie es eigentlich sein müsste, ergießt er sich Tag für Tag in Hunderttausende westdeutsche und westberliner Haushalte. Es ist der Kanal, auf welchem das westdeutsche Fernsehen sein Programm ausstrahlt: Der Schwarze Kanal. Und ihm werden wir uns von heute an jeden Montag zu dieser Stunde widmen, als Kläranlage gewissermaßen.« (O-Ton Schnitzler bei der 1. von 1.519 Folgen Sendungen, am 21. März 1960). Und dann wurde jahrzehntelang mit Fleiß, Geschick, parteipolitischer Plaste und Elaste und einer Sprachverhudelung sondergleichen, ein Bild von der »BRD« zusammengeschustert – der Drang auszuwandern war so manches Mal fast spürbar nahe! Zwei Wochen vor dem Mauerfall durfte »Sudel-Ede« (O-Ton Rias) dann das Licht ausknipsen. Gut, bei uns gab es als Antwort »Das rote Objekt« (kein Witz!) mit Thilo Koch und später das »ZDFMagazin« mit Gerhard Löwenthal – auch nicht gerade Sendungen aus dem Bauchladen der Barmherzigen Schwestern. Wie ich jetzt auf von Schnitzler und Co. komme? Na ja, ich habe die Befürchtung, den »Schwarzen Kanal« und seine Pendants gibt es heute noch. Zum Beispiel bei den Frommen im Norden und denen im Süden. Als ich – kurz vor dem Mauerfall – aus dem Ruhrgebiet nach Württemberg zog, nahm ich neben meiner Familie, meinen Büchern und ein paar unwichtigen Dingen auch meine Pfeifen mit. Wenn mir danach war, schmauchte ich gemütlich vor mich hin. Das durfte ich als Christ – meinten meine frommen Geschwister im Ruhrgebiet. Nur mit dem Trinken, also das wäre jetzt nicht so gut, meinten sie auch. Nahm’s zur Kenntnis, schüttelte innerlich heftig den Kopf und zog gen Süden. Aber da zogen schon bald dunkle Wolken auf – allerdings nicht aus meiner Pfeife. Also, meinten jetzt meine neuen Geschwister im Süden, ein Viertele, das sei ja ganz gesund, so ab und an und ab und an. Aber! Dieses Höllenfeuer (O-Ton!), also wenn ich wirklich Christ sein wollte … Wollte ich ja – nahm es zur Kenntnis, schüttelte innerlich wieder den Kopf und heute trinke ich nie nicht ein Viertele und rauche auch nicht – jedenfalls nicht zur gleichen Zeit … Schräg, aber mit solchen – fromm begründeten – Marotten kann man zur Not leben. Doch den »Schwarzen Kanal« gibt es heute auch noch in der Deluxe-Ausgabe … … bei den »Frommen« … und bei den »Aufgeklärten«: Sie erleuchten die Welt (oder was beide Seiten für die Welt halten) derzeit quasi blendgranatenmäßig mit ihren wahren Erkenntnissen. Vor allem mit denen, die sie jeweils über die anderen haben. Die Werkzeugkiste ist dabei hüben wie drüben erstaunlicherweise fast identisch gefüllt: Fleiß, Geschick, Plaste und Elaste und wieder eine sprachliche und damit nicht selten verbunden auch geistig-geistliche Oberflächlichkeit, dass einem die Ohren klingeln. Da werden auf der einen Seite Menschen, die (noch) nicht alles so und auch sofort glauben, was und wie es in der Bibel steht, schnell mal in den Cluster »der ist (noch) kein richtiger Christ, so wie wir« gesteckt. Oder, wenn es derb kommt, auch mal weniger liebevoll und per geistlicher Kehrwoche gleich wieder vor die rechtgläubige Tür gesetzt – nicht systemkompatibel. Interessant dabei ist, dass die, die einem sagen, was man zu glauben hat, weil es in der Bibel steht, es oft auch nur können, weil sie einen kennen, der ihnen gesagt hat, was da drin steht. Mal ehrlich, wer hat schon Lust auf zweimal Aufgewärmtes und ohne zu wissen, wo das Essen herstammt? Ja, es gibt sie, die frommen Hardliner, denen es nicht nur um ein Viertele geht, sondern ums Ganze – entweder du glaubst (am besten so wie wir, dann gibt es keine Missverständnisse) oder du gehst (andere Wege, nicht unsere, die die guten sind). Es gibt sie, die Hasardeure Gottes, die so manches aufs Spiel setzen, damit der Glaube rein bleibt – solange sie es nicht aus ihrem Glaubensvorrat vorstrecken müssen. Könnte es sein, dass da so manches Mal eine Art spiritueller Gier dahinter steckt, dass zusammengerafft wird an Material (Bibel, Predigten, Meinungen), was man in die vor Lebensangst gekrümmten Finger bekommen kann, um dann geistlich mehr zu sein als andere. Dieses eigenartige Paar, Gier und Angst, bekommt man – auch in seiner frommen Version – aber nicht in den Griff. Die


Gier, noch frömmer zu werden (und wenn möglich andere, allerdings auf deren Kosten, mitzureißen) ist, wie die Gier nach Geld, irgendwann nicht zu stoppen. Sie ernährt sich von der Angst, noch nicht fromm genug zu sein oder jedenfalls nicht frömmer als andere. Und die Angst wiederum setzt Fett an durch die Gier, denn es gilt ängstlich darum besorgt zu sein, ja nichts von der einmal erworbenen Frömmigkeit zu verlieren. Schade nur, dass solche Menschen es immer wieder schaffen, an den Stellen zu sitzen, wo sie das öffentliche Bild der Frommen, die dann alle Evangelikale Schrägstrich Fundamentalisten sind, prägen, die sich zu Meinungsmachern aufschwingen oder dazu erklärt werden. Es ist eine Minderheit, die so denkt, handelt, glaubt – aber sie diskreditiert auf diese Weise nicht nur ihren »Chef«, sondern auch ihre »KollegInnen« – sie spielt mit etwas Heiligem, mit Gott und den Menschen. Und genau auf diese Wunde werden zurzeit die Finger gelegt und Salz gestreut. Und zwar Finger im lockeren Dutzend und Salz gleich Eimerweise. Da wird alles, was theologisch, geistlich oder in der Lebensgestaltung rechts von … ja, von was eigentlich? … steht, als mindestens konservativ eingeordnet. Und da Rechts und Links im postmodernen Kontext nicht mehr so 100 % klar zu definieren sind, wird an den Rechts-Cluster gleich noch ein weiterer angehängt, aus dem deutlich wird, dass (theologisch) konservativ zugleich auch eine gewisse Rückständigkeit bedeutet. Ob das die Logik ist, die den Aufbau von Clustern definiert, weiß der Himmel. Demgemäß gibt es dann für die von Gestern von denen von Heute was auf die frommen Ohren. Und nicht nur innerkirchlich. Vor allem medial wird heute – man verzeihe mir den militärischen Ausdruck – mit voller Breitseite geschossen. Da schreiben zwei Journalisten ein Buch (Mission Gottesreich, Ch. Links Verlag) über Fundamentalisten in Deutschland. 3-sat bringt einen 7-Minuten-Clip über evangelikale Fundamentalisten. Und vor einiger Zeit war selbst Aspekte (ZDF) mit dem Thema beschäftigt. Tenor: Diese frommen evangelikalen Fundamentalisten sind mit ihren Ansichten nicht nur von gestern, sondern mit ihrem Auftreten und ihren Ansprüchen auch eine Gefahr für die offene Gesellschaft. Nicht nur belächeln, beobachten heißt die Devise. Nun, das Ganze hat ein Gutes: Vieles vom dem, was Oda Lambrecht und Christian Baars in ihrem Buch, Mission Gottesreich, beschreiben, wird so gesagt und getan aufseiten der Frommen. Das muss man einfach eingestehen. Und wenn ein Christ, der sich als Homosexueller outet, von seinen lieben evangelikalen Mitbrüdern und –schwestern vor die Tür gesetzt wird, dann gibt es das auch, leider. Und wenn bei der Verkündigung der Guten Nachricht mehr oder weniger Druck aufgebaut wird, sei es durch heftige schwarz-weiß Bilder oder aber durch das Versprechen, dass es einem als Christ besser geht (gesundheitlich oder finanziell) … dann ist das nicht aus dem Ärmel geschüttelt, sondern Realität – und immer ein Grund zur Scham und manchmal auch einer zum k… Das Ganze hat aber auch etwas Schlechtes: Da – das mag jetzt viele überraschen – sind sich die Frommen/Evangelikalen/Fundamentalisten und die Szene der Aufgeklärten aus der offenen Gesellschaft einig! Beide verbindet eine, zum Teil bis zum draufschlagen dumme und vereinfachende Sprache. Es wird mit einem Grobfilter gearbeitet, der die großen, sperrigen Themen und Begriffe zurückbehält und mit denen wird dann gearbeitet. So entstehen dann z. B. die »Sündenkataloge«, die moralische Einäugigkeit, das selbstgestrickte schwarz-weiß Denken (wobei weiß immer schon mit der eigenen Haltung und Person verknüpft ist) und manches mehr, weil mit einer Handvoll Begriffe gearbeitet wird, bei denen niemand mehr fragt, in welchem Kontext sie entstanden sind, was sie umfassen und wo ihre Grenzen sind. Frommsein wird so im Extremfall zum sprachlichen Six-Pack, bei Bedarf wird einfach was aus dem Karton geholt. Man könnte meinen, in manchen frommen Kreisen würde sich Immanuel Kant heute pudelwohl und vor allem bestätigt fühlen – man (k)lebt dort in »selbstverschuldeter Unmündigkeit«. Fragt sich nur, ob die »Aufgeklärten« von heute dem Kant von damals wirklich eine Hilfe wären, bei der anstehenden Befreiung der Frommen. Man gibt sich dort stolz wie Oskar, wenn man 6 oder 7 oder am besten 5 (je weniger desto besser) Begriffe aus dem merkwürdig bedrohlichen Umfeld der Evangelikalen (1.) kennt, die sich durch ihre Bekehrungsarbeit (2.) (wer hier satt Bekehrung Mission sagt, sammelt noch Bonuspunkte), ihre autoritären Strukturen (3.), ihren Bibelglauben (4.) und immer mehr durch ihren sendungs- und machtbewussten Fundamentalismus (5.; mit zwei **, weil Fundamentalismus der Hype unter den Begriffen ist) auszeichnen. Und das wohlgemerkt nicht auf dem Niveau der Zeitung mit den vier großen Buchstaben. Geistiger Autismus, intellektuelle Notbeleuchtung, kennen anscheinend keine Klassen! Und mit diesen Begriffen setzt man dann zur Welterklärung an, wobei es um die Welt der Frommen geht, die man der eigenen, aufgeklärten nahebringen will. Allerdings nicht zu nah, denn sie ist nicht ungefährlich.


Stimmt, sie ist gefährlich diese jeweils andere Welt. Denn wenn beide wirklich aufeinandertreffen, die der »Fundis« und die der »Aufgeklärten«, sich wirklich ganz nahe kommen – da könnte es vielleicht passieren, dass alle Beteiligten die Entdeckung machen, dass sie eigentlich in ein verzerrtes Spiegelbild schauen, wenn sie den anderen im Visier haben. Und das wäre schlecht – für den eigenen Glauben (den haben übrigens auch die »Aufgeklärten«) – für die eigene Persönlichkeit – für die eigene Meinung (sofern man eine hat). Es wäre aber auch gut, wenn beide Seiten mal eine Begegnung zulassen würden. Denn während sie dann nach dem Big-Bang gemeinsam Wunden lecken, Scherben einsammeln und vielleicht endlich lernen wirklich sprachfähig und –mächtig zu werden (auch untereinander) – entstünde vielleicht in unserer offenen Gesellschaft einer neuer Raum, in dem Menschen sich neu auf eine Freiheit und auf eine neue Freiheit einlassen könnten, die direkt aus der sprach- und vollmächtigen Guten Nachricht des Mannes aus Nazareth stammt, und nicht durch die Fliegenklatschen-Philosophie und -Theologie sprach- und manchmal auch geistloser Zeitgenossen geformt ist. Ich habe einen Traum! Karl-Eduard von Schnitzler durfte noch vor dem Mauerfall gehen. Dann verschwanden auch Mauer, Wachttürme, Todesstreifen, Schießbefehl. Mein Traum fängt da an, wo sich »Fundis« und »Aufgeklärte« zum Brunch und Gedankenaustausch auf dem geistigen Todesstreifen treffen, der sie trennt. Denn Mauerbau ist seit Ostern von Gestern! Michael Josupeit


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