http://www.kirchefuermorgen.de/modx/assets/files/publikationen/Kirche%20Standortbestimmung

Page 1

Kirche: Wie sie wurde, was sie ist – und wie sie sein könnte und sollte Versuch einer Positionsbeschreibung von „Kirche für morgen“ von Friedemann Stöffler, Tübngen f.stoeffler@kirchefuermorgen.de Dr. Axel Wiemer, Schwäbisch Gmünd axel.wiemer@ph-gmuend.de

I. Historische Prägungen der Struktur unserer Kirche Auch in Folge der sog. Konstantinischen Wende hat sich eine Kirchenstruktur herausgebildet, die gekennzeichnet ist durch • ein zentrales Amt, • eine klare hierarchische Struktur (von oben nach unten) und • eine oftmals sehr enge Verbindung zum Staat. Die Kirche hat – da (fast) alle christianisiert sind – vor allem die Aufgabe, die vorhandenen Christen zu verwalten. Es gibt außer den oft unterdrückten Juden keine konkurrierende Weltanschauung. Da die Reformation zur Umsetzung ihrer Einsichten auf den Staat in Gestalt der Landesfürsten angewiesen war, entwickelt sich jedenfalls im lutherischen Bereich das landesherrliche Kirchenregiment, das die Bindung der Kirche an den Staat und damit auch die hierarchischen Strukturen weiterhin bestehen bleiben lässt. Geschichtlich ändert sich dies erst mit dem Ende der Monarchie 1918, die Sehnsucht des deutschen Protestantismus nach einer Restitution der alten Verhältnisse wird erst durch die Reflexion der Erfahrungen des Nationalsozialismus nach 1945 wirksam überwunden.

II. „Priestertum aller Gläubigen“? Dabei hatten Luther und die anderen zunächst kräftig Kritik an einer von der Hierarchie mit dem Papst als oberste Instanz geprägten Kirche geübt. Die geforderte „Reformation“ wollte ja nicht zuletzt die Einsicht in die Mündigkeit jedes Gläubigen umsetzen: Jede und jeder hat das Recht, die Schrift selbst zu lesen und sich auf sie zu berufen (sola

scriptura). Der Gedanke des „Priestertums aller Gläubigen“ ist aber nicht strukturell umgesetzt worden

III. Württemberg heute 1. Parochieprinzip Grundsätzlich gilt wie zur Zeit Karls des Großen immer noch das Parochieprinzip. Der Wohnsitz entscheidet zu welcher Kirchengemeinde man gehört. Es gibt zwar die Möglichkeit der Umgemeindung, diese ist aber mit zwei Problemen behaftet: a) Wer in der eigenen Stadt umzieht, wird – ohne es zu merken bzw. damit zu rechnen – automatisch wieder Mitglied der Parochiegemeinde. b) Trotz Umgemeindung wird man bei der neuen Gemeinde nicht gezählt und damit auch nicht finanziell und personell wirklich gewichtet. 2. Das Pfarramt Die strukturelle Vereinigung einer Vielzahl von Ämtern in dem einen Pfarramt ist bis heute nicht theologisch wirklich sauber in Beziehung zur Forderung eines „Priestertums aller Gläubigen“ gesetzt. Aktuell zeigt dies etwa die Debatte um „Ordination“ und „Beauftragung“. 3. Hierarchie Unsere württembergische Landeskirche ist weithin von oben nach unten strukturiert. Die fehlende klare Trennung von Legislative (Synode) und Exekutive (Oberkirchenrat) führt zu einer diffusen Machtfülle im Oberkirchenrat. Er entscheidet im Wesentlichen selbst, ob, wann und in welcher Form er „Bitten“ der Synode erfüllt – nicht viel anders als zur Zeit der konstitutionellen Monarchie, wo der König von den Parlamentariern auch nur „gebeten“ werden konnte. Gleichzeitig hat der von der Landessynode gewählte Bischof keine strukturelle Macht. So sitzt praktisch die ganze Machtfülle bei den einzelnen Oberkirchenräten und dem freien Spiel der Kräfte zwischen ihnen. Auch die Besetzung von Pfarrstellen ist – trotz gegenteiliger Forderungen schon im Bauernkrieg – in Württemberg bis heute nicht so umgesetzt, dass eine Gemeinde ihre Pfarrer frei wählen kann. Die Gemeinde hat eigentlich nur ein Veto- oder ein Auswahlrecht in Bezug auf einen Vorschlag des Oberkirchenrats.


IV. Lässt sich mit der Württembergischen Kirche „Staat machen“? Machen wir ein Gedankenexperiment: Übertragen wir die kirchlichen Strukturen einmal auf das Land. Alle 6 Jahre dürften wir dann in Baden-Württemberg den Gemeinderat (in Städten nur den Ortschaftsrat) und das Landesparlament wählen. Alle weiteren Entscheidungen sind allein diesen Gremien vorenthalten: Der Ortschaftsrat entsendet in den Gesamtgemeinderat. Er bestimmt die Zusammensetzung des Kreistages. Gleichzeitig hat der Ortschaftsrat sehr wenig überhaupt selbst zu entscheiden, weil insbesondere die wichtigen finanziellen Entscheidungen von höheren Gremien (und dort meist in kleinen Ausschüssen) zustande kommen, die nur durch Delegation zustande gekommen sind. Gleichzeitig würden alle leitenden Stellen Bürgermeister, Oberbürgermeister, Landrat, Regierungspräsident vor Ort nur auf Vorschlag oder gar Ernennung durch die Landesregierung (bzw. eines kleinen Ausschusses) zustande kommen. Vor Ort hat man im Wesentlichen nur die Möglichkeit abzulehnen, sollte einem diese Auswahl nicht passen. Und der Gemeinderat hat gegenüber dem Bürgermeister keine Weisungsbefugnis. Bei Anträgen, die das Parlament an die Regierenden stellt, ist es den Regierenden freigestellt, ob und, wenn ja, wann und in welcher Form sie diesen Antrag bearbeiten. Der Ministerpräsident wird zwar vom Parlament gewählt, aber er darf nicht die Regierung bilden. Diese ist vielmehr schon vor ihm da und wird auch nach ihm im Amt bleiben. Da ist es nur sinnvoll, dass er gegenüber seinen Ministern keinerlei Weisungsbefugnis hat. Er hat im Kollegium nur eine Stimme unter anderen. Nun: Würden wir eine solche Ordnung begrüßen? Oder würden wir Nachholbedarf in Sachen Demokratie diagnostizieren?

V. Die Gesellschaft Die Gesellschaft hat sich im 20. Jahrhundert rasant verändert.

• Die Mobilität hat enorm zugenommen, d.h. der Wohnbezirk spielt in vielen Lebensaltern nicht mehr die entscheidende Rolle wie zu Zeiten Karls des Großen. • Lebenswelten und Milieus, insbesondere das Entstehen eigener Jugendkulturen spielen seit der Mitte des letzten Jahrhunderts für die Beheimatung eine entscheidende Rolle: Es entstehen Szenen durch Musik, Kleidung, Sprache. • Verstärkt seit der Wende ist deutlich geworden, dass wir in Deutschland eine multireligiöse Gesellschaft haben, wo die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche für die Mehrheit nicht mehr selbstverständlich ist. Daneben stehen andere Religionen, insb. eine starke Gemeinschaft von Muslimen, aber auch große Bevölkerungsteile ohne Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft und auf der anderen Seite eine wachsende Struktur evangelischer Freikirchen prägen den „religiösen Markt“. Die Kirche steht damit in Konkurrenz zu vielen anderen „Anbietern“.

VI. Konsequenzen Unsere Landeskirche hat den Prozess • der Demokratisierung, • der wirklichen Beteiligung der Mitglieder vor Ort (Priestertum aller Gläubigen!) und • der Profilierung in unterschiedliche Milieus (Beispiel Jugendgemeinden) im Wesentlichen erst noch vor sich. Dazu braucht es • eine deutliche Begrenzung der Macht des Oberkirchenrates, • eine klarere Einbindung des Pfarramtes in die Gemeinden, • eine nachhaltige Stärkung der Kompetenzen der „Laien“ in den Kirchen, • eine Profilierung jeder einzelnen Gemeinde und • eine Ergänzung des Parochieprinzips. Nur so kann Kirche die heutige Gesellschaft mit gestalten und prägen. Dieses Papier soll ein Diskussionspapier sein. Rückmeldungen sind deshalb ausdrücklich erwünscht – am Besten per Mail direkt an die Autoren (s.o.) oder über unsere Geschäftsstelle Weitere Exemplare erhält man unter www.kirchefuermorgen.de oder bei unserer Geschäftsstelle von „Kirche für morgen“ e.V. Am Auchtberg 1 72202 Nagold Fon 0700-36693669 Fax 0721-151398429


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.