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Der Zaudernde (Gesellschafts) Körper. Eine pandemische Revision

Julia Danila Sonja Lau

Der Zaudernde Körper ist ein Körper in vielen Gestalten.

Der „Zaudernde Körper” wurde unter gemeinsamer Leitung von Julia Danila, Elisabeth Desta und Sonja Lau, und in Zusammenarbeit mit Ida Farkas und Bettina Lehmann entwickelt.

Mit Beiträgen von [DANCE / PERFORMANCE] Jassem Hindi, Mala Kline, Jeremy Wade [THEORY] Kathrin Busch, Fabian Goppelsröder, Günter Heeg, Bojana Kunst, Patrick Primavesi, Eike Witt-rock [ART / CRITICISM] David Assmann, Lana Cmajcanin, André Siegers, Rok Vevar ˇ ˇ

Der Zaudernde Körper ist ein Körper in vielen Gestalten. Mit dieser Behauptung begann vor einigen Jahren die Recherche zu dem gleichnamigen Tanz- und Theorieforum, das 2013 am Deutschen Hygiene-Museum Dresden stattfand1. Im pre-pandemischen Kontext hatte das Scheitern, das Nichts-Tun, die Entschleunigung, und viele weitere Formen vermeintlicher Unaktivität Konjunktur: Es ging darum, der fragwürdigen Prämisse permanenter Selbstoptimierung und anderen Aspekten der Leistungs- (oder: „Kreativ-“)Gesellschaft etwas entgegenzusetzen. Im Zuge dessen war auch das Zaudern zu einem prominenten Begriff geworden, der uns vor allem in Bezug auf den Tanz und die Performance interessierte. Wer zaudert, so könnte man behaupten, kann nicht tanzen – gerade auf der Bühne ein unverzeihlicher Fehltritt. Und doch schien uns genau in dieser Zäsur etwas verborgen, was nicht nur für die Bewegung selbst grundlegend ist, sondern aus der vielleicht auch eine andere Form der Bewegung hervorgehen kann.

Im Vordergrund stand für uns deswegen die Frage, wie sich das Zaudern, im Sinne eines Momentes der Unterbrechung, der Ungewissheit, oder auch der suspense, in den Tanz einfügt und sich zu diesem verhält. Denn der Zauderer, wie es vor allem Joseph Vogl in seinem Essay „Über das Zaudern“ deutlich macht, ist nicht einfach verhindert, unentschlossen oder bloß bequem. Er denkt vielmehr in der Gesamtheit, ein Zuviel an allem, wodurch er zunächst zu keinem schlüssigen Ergebnis kommen kann. Im Zaudern verbirgt sich somit eine Kränkung der Gewissheiten, aber auch eine flüchtige Anerkennung des Unentscheidbaren: ein Schwellenzustand, in welchem alles entschieden werden könnte und noch nichts entschieden ist. Kulturgeschichte, liesße sich vor diesem Hintergrund behaupten, ist immer auch Zaudergeschichte, eine Geschichte, die nicht trotz sondern wegen ihren Unterbrechungen möglich wird, da in diesen das Denken erschüttert und neu ausgerichtet werden kann.

Der Schritt vom „Zauderer“ zum „Zaudernden Körper“, insbesondere im Feld der Performance und des Tanzes, war zunächst kein offensichtlicher. In der Literatur zeigt sich das zaudernde Subjekt vor allem in der Nähe zu Schreibtischen und monotoner, bürokratischer oder juristischer Arbeit. Bartleby, eine Ikone des Zauderns, entstammt aus eben einem solchen Interieur, und wird im Zuge von Herman Melvilles Erzählung seine Schreibtischarbeit zunehmend ruhen lassen. I prefer not to ist das Credo, das er von seinem Bürostuhl aus anwendet und in diesem verweilt. Bald berührt kein Dokument, kein Schriftsatz und keine Gerätschaft der bürokratischen Welt mehr seine Hand. Der Kopiervorgang – Bartlebys beruflicher Auftrag – ist unterbrochen. Selbst Moses, der Ur-Zauderer, dem nachsagt wird, beim Erhalt der Gesetzestafeln auch in einen Moment der Unschlüssigkeit gefallen zu sein, hattees letztlich mit Papierarbeit zu tun. Etwas war Schrift geworden, unddarin lauerte alles, was kommen sollte. Moses zauderte.-

Erst viel später ist uns aufgefallen, wie eng Begriffe der Bewegung (und damit letztlich auch des Tanzes und der Performance) mit der scheinbar rigiden und hermetischen Welt der Bürokratie und Aktenarbeit verknüpft sind, die sich um Bartleby, Kafkas Herrn K., und viele andere Figuren in der Literatur und Kultur ausbreitet. Denn „Akten“ (files), wie es die Rechtsphilosophin Cornelia Vissman herausstellt, bezeichnen nicht nur aufgetürmte, leblose Sammlungen in den Regalreihen jeglicher Institution, sondern auch „Akte“ (actions): Handlungen, Aktionen, oder „Vorgänge“.

Wir haben damals, und womöglich genau deswegen, versucht, dem Zauderer einen Körper zur Seite zu stellen – den tanzenden und performativen Körper, der unermüdlich die Bewegung sucht und in welchem uns ein Teil unerzählter Zaudergeschichte verborgen schien. Heinrich von Kleists Erzählung „Über das Marionettentheater“ gab erste Hinweise zu zaudernden Körpern mit Bühnenauftrag. Am Bild der Marionette, die mühelos ihre Pirouetten unter der Hand des Puppenspieler dreht, entpuppt sich der menschliche Körper in zweierlei Hinsicht defizitär. Denn die Marionette, so erklärt es der Puppenspieler in der Erzählung einem Betrachter, „kennt keine Schwerkraft“, und mehr noch: „sie ziert sich nicht“. Sie ist völlig von der Gefahrenzone der Unterbrechung und der Entscheidung abgetrennt, die der Mensch beim Tanz mühsam überwinden muss. Aber muss er das eigentlich? Und was würde sich zeigen, wenn er darin, einen gefährlichen Moment zu lang, verweilen würde? Genau hier setzte das Forum „Der Zaudernde Körper“ an.

— ‚Eden‘ von Mala Kline © Matija Lukic

Wir haben uns in den Jahren nach der Veranstaltung immer wieder gefragt, was eigentlich aus dem zaudernden Körper geworden ist. Zaudert er noch immer, und in welchen Gestalten? Was wir nicht erahnen konnten, war, dass sich der Zaudernde Körper zu diesem Zeitpunkt bereits auf seine größte globale Performance vorbereitete.

Letztlich ist uns die Kuration des „Zaudernden Körpers II“, so wie wir ihn hypothetisch angedacht hatten, mit dem Auftritt des Virus aus der Hand genommen worden. Mit dem Beginn der Pandemie und dem anschließenden Lockdown hat der ‚Zauderdiskurs‘ seine fein kontrollierte Besprechung im Feld der Kultur verlassen und scheint vollständig in den Besitz des Virus übergangen zu sein. Der Zaudernde Körper zaudert nicht mehr allein, er ist zu einem „Zaudernden Gesellschaftskörper“ geworden, ein Zaudern der Vielen, was einem Großteil der Regionen und Wirtschaften des globalen Gefüges äußert ungelegen kommt.

Seither entsteht der Eindruck, dass eine regelrechte Hetzjagd auf diese zaudernden Körper begonnen hat, die mit allen erdenklichen Mitteln aus ihrem Zauderzustand zu befreien seien. Eine Vielzahl der Förderungen, gerade im Feld der Kultur, proklamiert Tatendrang und Aktivität aller Umstände zum Trotz. Kollektives Zaudern, wie es die Pandemie initiierte, ist ‚‘unerwünscht‘, und zwar in erster Linie für die Hegemonien der Gegenwart, die um ihren Erhalt bemüht sind. Es erlaubt es einen – gefährlich gedehnten – Blick auf Mögliches/noch Unentschiedenes, und macht das Subjekt – wie einst Bartleby – des ewigen Kopiervorgangs (der als falsch erkannten Verhältnisse) müde. Damit wird es zu einer fast schon terroristischen Gefahr für den Status Quo, der auf die ewige Wiederherstellung seiner ursprünglichen Form, den ungebrochenen Kopiervorgang beharrt.

Die Entbehrungen, die die Pandemie mit sich gebracht hat, und die gerade im Feld der Performance und des Tanzes besonders ausgeprägt sind, sollen hier nicht verharmlost werden. Doch scheint es nicht allein relevant zu fragen, „was machen wir nach der Pandemie“, oder „was machen wir trotz der Pandemie“, oder, „wie können wir den Stillstand mittels alternativer Produktion überwinden“. Denn es ist ebenso entscheidend (kritisch) zu betrachten, mit welch hohem Aufgebot von politischer und kultureller Seite der Zaudernden (Gesellschafts)Körper dazu angerufen wird, sich doch in irgend einer Form wieder in Bewegung zu setzen. Und was in diesem allzu eiligen Aufbruch verloren zu gehen droht.

Es ist wichtig, an dieser Stelle noch einmal daran zu erinnern, dass „Der Zaudernde Körper“ als ein utopisches Projekt angelegt war. Auch „Der Zaudernde Gesellschaftskörper“, den das Virus derzeit selbst zur Aufführung bringt, muss in Teilen in dieser Qualität erkennbar bleiben. Anders gesagt: wir dürfen den notwendigen Kampf gegen das Virus nicht mit einem Kampf gegen das Zaudern verwechseln. Die Aufforderung „Learning from the virus“, wie sie etwa von Paul B. Preciado vorgeschlagen wurde, betrifft auch diesen Aspekt der Pandemie: Dem Zaudern als utopischer Rest (und Ausweg aus) der Tragödie, die wir Virus nennen.

„Transition ins WIR“ markiert hier für uns eine Bewegung, die bereits eingesetzt hat - ein Mehr an Gemeinsamen, sei es auf inhaltlicher Ebene, strukturell oder in Bezug auf die Arbeitsmethode ist vielerorts spürbar. Aber es wird sich sinnvoller, anders, und letztlich auch radikaler miteinander arbeiten lassen, wenn wir zuvor auch gemeinsam gezaudert haben.

— ‚Eden‘ von Mala Kline © Matija Lukic

Julia Danila

Julia Danila is producer in the field of contemporary dance and performance and director of Danila-Freitag / Agency for the Performing Arts.

In 2018-2020 she was artistic producer at tanzmainz/ Staatstheater Mainz, with choreographies by Sharon Eyal, Guy Weizman + Roni Haver, and Taneli Törma as part of the collaborative project Between Us with Kunsthalle Mainz and Motion Bank.

— Julia Danila © Vecer

As freelance producer she has worked closely with choreographer Jess Curtis/Gravity producing the duet The Way You Look (at me) Tonight (2016) with Claire Cunningham. In 2011-2013 she was fellow with Robert Bosch Foundation in Slovenia, co-curating Der zaudernde Körper/ The hesitating body – a dance and theory forum at the German Hygiene Museum in Dresden.

She has worked with international artists/companies Sasha Waltz & Guests, Bara Kolenc, Helena Botto, Daniel Kok, and has produced and shown work at Southbank Centre London, Berliner Festspiele, Kaaitheater Brussels, CounterPulse San Francisco, Hellerau, American Realness, Shanghai International Arts Festival, amongst others.

Sonja Lau

Sonja Lau is a curator and writer with a focus on art and ideology, alternate art (hi)stories and curating as a performative practice. She holds a Masters in Critical Writing and Curatorial Practice (Chelsea College of Art and Design, London) and also has a professional background in cultural diplomacy, amongst other as “Cultural Manager in South Eastern Europe” (Tirana, Albania, 2011-13), commissioned by the Robert Bosch Foundation.

She is a member of Independent Curators International (ICI, New York), and pursued her curatorial research as fellow of the Jan Van Eyck Academy in Maastricht from 2013-14. She has spoken on many occasions, including at Volksbühne, Berlin (“Abgeguckt”, 2017), as guest lecturer at the Hochschule für Bildende Künste, Hamburg, as host of the panel “On the art of turning the weapons against oneself” (2019), conceived by Operndorf Afrika, or during the 1st Curatorial Forum at the Manege, St. Petersburg. Curated exhibitions and events include “Zusammenhang Gesamtkunstwerk”, Kunsthalle Düsseldorf (2015); “Permanent Abstraction”, Red Brick Art Museum, Beijing (together with Su Wei, 2016-17); “FIEND. The 21 seconds piece”, National Theatre, Tirana (with Armando Lulaj and John Tilbury, 2013), “The Hesitating Body”, Deutsches Hygiene-Museum, Dresden (2013); “Try... Again... Better”, National History Museum, Tirana (2012).

On the level of writing, Sonja Lau is the author of the „taz“-blog: „Die Pflicht zum weiblichen Ungehorsam“, that is dedicated to a feminist revision of contemporary jurisdiction, and the current grant recipient of the Tarabya Akademie, Istanbul (2022). She currently teaches at the Akademie der Bildenden Künste, Munich.

People United Magazin

Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR

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