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Sich immer neu erfinden“
Kurz-Baby
Wie krank manche in unserer Gesellschaft sind, das zeigen die geschmacklosen Reaktionen auf die Ankündigung von Kanzler Sebastian Kurz über die Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin Susanne Thier. „Wir sind überglücklich und dankbar, dass wir bald zu dritt sein werden“, postete er auf Facebook – und erntete dafür einen Rekord an Glückwünschen und mehr als 100.000 Likes. Aber es gibt auch Hass-Postings und Kommentare, die kritisch sind oder die Grenzen des guten Geschmacks klar überschreiten.
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Doch Kanzler Kurz ist dafür auch in irgendeiner Form selbst verantwortlich. Ihm wird vorgeworfen, die Schwangerschaft zu instrumentalisieren und daher müsse er mit solchen Reaktionen rechnen. Das Foto im Getreidefeld mit seiner Lebensgefährtin ist ja nicht zufällig entstanden und dieses hat er selbst veröffentlicht. Neben üblen Beleidigungen dominierten vor allem derbe Witze über den Kurz-Nachwuchs. Auch über die Gründe der Schwangerschaft gibt es heftige Diskussionen. Einige User orten in dem Kindersegen des Kanzlers ein angebliches Ablenkungsmanöver. Durch die PR-Aktion wollte er von Umfragewerten und Realpolitik ablenken, so der allgemeine Tenor der Kritiker. Er steckte ja in letzter Zeit in einem Umfragetief und Kritiker meinten, dass er mit der Ankündigung zu heiraten und dem Baby vor Neuwahlen seine Wahlchancen kräftig erhöhen werde. Sollte es zu Neuwahlen kommen, dann werde ihm das Babyglück sicher Pluspunkte bei den Österreichern bringen.
Zeit für neuen Stil
Marketing-Politik – das ist der neue Stil, den es seit dem Erscheinen von Sebastian Kurz als Kanzler gibt. Jede Woche wird überlegt, was medial gut verwertbar ist, was weniger schlagzeilenträchtig, wo die Message-Control hält, wo es einen extra spin braucht. Kanzler Kurz ist in solchen Momenten, aber auch Vizekanzler, der stellvertretende Chef, ein kurzatmiger Chefredakteur eines Boulevard-Blattes, der in Kampagnen der nächsten Tage denkt und nicht wie ein Staatsmann mit Perspektiven für die nächste Generation.
Der Unterschied zu früher: Die Garde um Kurz, seine Prätorianer sind fescher als die Alten und professionellere Ausgaben der klassischen Partei-Bonzen. Sie geben sich nach außen faltenfrei, aber sind oft schlimmer als klassische ParteiBonzen. Es ist wie in Niederösterreich seinerzeit machtpolitisch die klassischste und brutalste Karriereschmiede der ÖVP. Aus dieser nährt sich Kurz nicht zuletzt durch den Parlamentspräsidenten Sobotka.
Bevor Werner Kogler in der Regierung war, nannte er die jetzigen Partner „eine türkise Schnöseltruppe“, die den Staat führt. Erschreckend ist die anti-autoritäre demokratische Hybris, die sich aus dieser Sittendreistigkeit ableiten lässt. Solche Codes kennt man sonst nur a s ekten o er er afia o er beiden oder aus Großfamilien, wie sie aus dem Libanon oder aus dem Orient kommen. Deren einziges Ziel ist, die Familie und ihr so viel Macht zu geben wie möglich.
Man müsse „Weiber“ für den Aufsichtsrat er taatshol ing fin en heißt es etwa an einer Stelle für die „Scheiß Quote“. Gemeint ist die gesetzlich erp ichten e Fra enquote. Man will sich gar nicht vorstellen, was Kurz und seine Mannen chatteten, als der Kanzler die unabhängige Justiz angriff, die Kontrollrechte des Parlaments ignorierte oder Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshof als „juristische pitzfin igkeiten a tat. Unvergesslich auch sein Chat, als er sagte: „Ja, super. Bitte Vollgas geben.“ Jene Worte waren das, mit denen er seinen Vertrauensmann im Finanzministerium Generalsekretär Thomas Schmid lobte, nachdem er die österreichische Bischofskonferenz zu erpressen versucht hatte.
Marketing statt Politik. Postenschacher statt Reformen. Zynismus statt christlich-soziale Lehre. Will Kurz nicht als jüngster Alt-Politiker in die politische Zeitgeschichte eingehen, m ss er sich ne erfin en.
Chats schaffen Klarheit
Sebastian Kurz hat bei seinem Amtsantritt eine andere neue Politik für Österreich angekündigt. Weg von den Mauscheleien und Kinderzimmer-Beschlüssen der rotschwarzen Koalitionen.
Und was Kurz ankündigt, das tut er auch. Was bis jetzt oder früher die stillen Abmachungen der Parteien in Hinterzimmern waren, das passiert jetzt in den Chats auf den Handys. Sie vermitteln unerwartete Einblicke in die Abläufe der Politik. Sie ermöglichen dem Österreicher den Blick in eine intime Perspektive und damit auf die Welt der Politik.
Politiker und Entscheidungsträger zeigen da, wie es wirklich gemacht wird. Natürlich haben sie versucht, das alles zu vertuschen. Doch das Internet merkt sich alles. Man muss nur wissen, wo man zu suchen hat. Selbst wenn die Chats und Telefonanrufe gelöscht werden. Experten kramen sie wieder hervor.
Neben einer umfassenden und unfassbaren intriganten Korruptionsenergie vor allem offenkundig geworden ist eine nahezu unfassbare Banalität. Da wird eine Politikerblase sichtbar, die sich gegenseitig in der Nacktheit ihres Ehrgeizes ungeniert die Räuberleiter macht.
Entzauberte Regierung
Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit
Durch die Chats aber macht sich die Ernüchterung breit. Statt einer rhell ng fin en ir hier n r eine estätigung unseres Vorurteils. Nämlich, dass die wirklich so sind, wie der kleine Maxi, also wir, uns das vorstellen.
Geistesblitze
Erinnern Sie sich noch an die Arbeitsministerin Christine Aschbacher? Sie ist eine Steirerin und stolperte über ihre Dissertation, die sich als Plagiat – „Geistesraub“ – herausstellte. Seit einiger Zeit gibt es nun auch einen „Gedankenraub“ innerhalb des Parlaments. Wolfgang Sobotka, seines Zeichens Erster Präsident des Nationalrats, hat angeregt ie Wahrheitsp icht im ntersuchungsausschuss des Parlaments streichen zu wollen. Wie bitte?
Foto: Ruschitz
Foto: BKA / Regina Aigner
Foto: BKA / Dragan Tatic
Kontrollverlust
Der 19. April 2020 war ein strahlend-erfolgreicher Tag für Sebastian Kurz. Er schaffte es in den Olymp der Politik: Zum LiveAuftritt bei Fareed Zakaria, Starinterviewer des US-Senders CNN. Kanzler Kurz wurde dort als mutigentschlossener Krisenmanager des Corona-Vorzeigelandes befragt, das nach dem Lockdown aufsperrt. „Lessons from Europe“ lautete der Titel, und Zakaria lobte Kurz: „Sie geben Hoffnung.“ Viel ehrenvoller kann ein internationaler Medienauftritt nicht ausfallen.
Rund ein Jahr später ist vom damaligen Glanz nichts mehr übrig. Der 8. April 2021 war ein bitter-desaströser Tag für Sebastian Kurz. Er prangte mit dämonischem Gesichtsausdruck vom Titelbild des agazins olitico ichtlekt re
„Bin stolz auf den Kanzler“
Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer in der TV-Pressestunde
von EU-Politikern. Der Text: „House of Kurz. Vom Wunderkind zum Schurken.“ Vom Hero zum Zero, vom adorierten Posterboy der neuen Konservativen zum geschmähten Buhmann, der uralten Postenschacher kultiviert. Viel brutaler kann ein Absturz nicht ausfallen.
Es gehört zum System Kurz, immer auf Schuldige zu zeigen: die EU, Wien, Migranten, Anschober. Diese
Entzauberte Regierung
Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit
Andreas Khol den Hinterbliebenen. Der Anwalt Karl Newole vertritt 20 Opfer und Hinterbliebene. Er will die Republik bald auf Amtshaftung klagen.
„Sie haben uns vergessen“, sagt die jüngere Tochter Kewen und schildert ihr mühseliges Leben zwischen Formularen und Geldnot. Ihr Vater, Qiang Li stirbt durch sieben Kugeln. Damit nahm der Terrorist der Familie praktisch die Existenz. Denn das Restaurant des 39-jährigen Vaters hat das Einkommen für die Familie besorgt. Die Witwe spricht kaum deutsch, beide Töchter studieren.
Foto: BKA / Christopher Dunker Ein einziger Anruf der Polizei am Morgen nach dem Attentat ist das, was die Familie Li-Xia von der Republik gehört hat. Es folgte weder ein Beileidsbrief des Bundeskanzlers, noch eine Entschuldigung des Innenministers, auch kein Geld fürs Begräbnis – kein Hinweis, wohin sich Hinterbliebene wenden können. Ein mehr als bitteres Schicksal.
Rechtsstaat?
Foto: BKFoto: SPÖ Presse und Kommunikation / /www. ic r.co hotos so ialde o ratie Christopher Dunker
„Bin stolz auf den Kanzler“
Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer in der TV-Pressestunde
Heute, vor mehr als eineinhalb Jahren, tötete ein Islamist in der Wiener Innenstadt. Der Staat hat vor dem Attentat versagt, brillierte in der Tatnacht und versagt nun noch einmal gegenüber
kaltschnäuzige Gehässigkeit schimmert in den Chats durch.
Vergessene Opfer
Es gibt in Österreich zwei klare Einstellungen zur Politik. Der überwiegenden Mehrheit geht sie „am Arsch vorbei“. Die verschwindende Minderheit jedoch, die aus irgendwelchen Gründen dennoch nie ganz verschwindet, lebt leidenschaftlich mit, lautet der Befund von Armin Thurnher, dem Mitbegründer und Herausgeber und Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung „Falter“.
Wenn das Ausland jetzt auf Österreich blickt wie auf einen Gurkenstaat, an der Schwelle zum Schurkenstaat, und sich vor Verwunderung nicht einkriegt über Chat-Protokolle, über einen Parlamentspräsidenten, der die Wahrheitsp icht in ssch ssen a fheben möchte, über einen Kanzler, der versucht, die EU offen für seine mickrigen, innenpolitischen Manöver zu instrumentalisieren, dann juckt das im Inland wieder kein Schwein. Kaum ein Schwein.
Die Buberl-Partie hat mit message control, Medienkorruption und Machtmissbrauch die Gehirne der österreichischen Öffentlichkeit auf Gleichgültigkeit gestellt und die der Minderheit auf sehr aufgeregt. Sie hat es geschafft, die Öffentlichkeit af r nempfin lich z machen ass Respekt gegenüber der Verfassung nichts Anderes bedeutet als Respekt für die Freiheit und die Rechte jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin. Wie der Herr Bundespräsident so schön immer sagt: Alle hier lebenden Menschen.
Wer sind die Normalen? Ja, das sind Wolfgang Sobotka und Michael Jeannée, Wolfgang Fellner und Elisabeth Köstinger, Gernot Blümel und Klaus Hermann und Harald Mahrer – das sind die dominanten Normalfälle. Der „Standard“, die „Süddeutsche“, der „Falter“ und ein paar andere Versprengte – dazu gehört auch KLIPP – sind die schrillen Abartigen.
Das Dilemma der Grünen
Wo sind die Zeiten, wo Werner Kogler als Grüner Parlamentarier durch die Lande zog und über die kriminellen Machenschaften und Skandale in der Hype Alpe Adria stundenlang referierte und tausende interessierte Österreicher damit anzog?
Die Grünen sind seit der Angelobung als Regierungsfraktion nur am Beifahrersitz der ÖVP. Als frühere Sauberpartei haben sie ihr Image verspielt. Die Grüne Basis murrt bereits deutlich hörbar.
Das Argument der Grünen – ob das auch die Wähler so sehen werden?: Ohne die grüne Regierungsbeteiligung wäre das Verfahren der WKStA bis zum Kanzler gar nicht erst vorgedrungen. Die grüne Justizministerin Alma Zadic sei der Garant dafür, dass Selbiges eben nicht „daschlogn“ (Werner Kogler) worden sei. Das mag schon so sein, führt aber direkt in ein Dilemma – was dann zu tun ist, wenn tatsächlich Anklage erhoben wird. In der Opposition wäre die grüne Antwort klar gewesen: Der Kanzler müsse zurücktreten, auch wenn er rein rechtlich bis zu einer Verurteilung als unschuldig gilt – sagt ein Grüner. Aber auf der anderen Seite: Wenn die Grünen jetzt aufstehen und sich dagegen wenden, dann gibt es Neuwahlen und dann sind die Grünen wieder politisch mausetot. Bei einer Neuwahl würden die Grünen fürchterlich eine auf den Kopf bekommen.
Pilnaceks Handy
Jetzt hat er genügend Zeit, mit seiner Frau Caroline List, r si entin am tra an esgericht Graz, am Kaiser-Josef-Platz einzukaufen. Und für sie galant den Korb oder die Gemüsesackerl zu tragen. Weil am 25. Februar dieses Jahres die steile Karriere von Christian Pilnacek endete. Er war der mächtigste Mann im Justiz-Ministerium, mächtiger als jeder Minister unter ihm. Als Chef der Weisungssektion verstand er es meisterhaft, Spuren von Interventionen in Strafverfahren unsichtbar zu machen. Er nützte seine Macht, war kein Wappler, kein Weichei, beherrschte Vieles im Justizministerium – nur sein Handy nicht. Besser gesagt, wie man brisante oder belastende Informationen vom Handy so löscht, dass sie a ch kein Forensiker mehr fin en kann. Aber möglicherweise hat er gar nie gerechnet, dass ihm ein Staatsanwalt einmal sein Handy weg nehmen könnte. Er stand ja auch irgendwie über den Dingen, putzte gern Untergebene oder kritische Medienleute zusammen – oder zumindest jene, die er dafür hielt.
Medien-Förderungen
Wenn Qualität kein Hauptkriterium der Presseförderung ist, kann sie ja auch abgeschafft werden. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Auf unserem Vater Staat und Sebastian Kurz und Co. ist Verlass. Jüngst hat die Republik ihr ältestes publizistisches Kind – mehr als 300 Jahre alt –, die Wiener Zeitung, praktisch tot gesagt. Die Botschaft ist klar. Kultur ist zu teuer. Aber woanders, beim Boulevard, da kümmert den Staat die Förderung, die man gibt, die vielen Millionen, nicht. Es werden Unsummen an Steuergeld verprasst.
Ein Beispiel ist die überproportionale Subventionierung der Boulevard-Presse. Von 9,7 Millionen Euro Sonderförderung Coronahilfen konnte die Boulevard-Presse zwei Drittel der Fördermittel lukrieren. Aber das ist bei weitem noch nicht alles. Hinzu kommen staatliche Inserate, die exorbitant mehr ein ringen als ie offizielle ressef rderung, weil sie natürlich laut Preisliste verkauft werden. Ein Praxis, die schon lange vor der Pandemie den Boulevard bevorzugte – auch etwa zu Zeiten eines SPÖ-Kanzlers Werner Faymann. Dieser entging ja nur knapp einer Anklage wegen dubioser Förderungszusagen.
Der demokratische Grundgedanke der Presseförderung ist längst pervertiert.
Quellen: Bei den einzelnen Textpassagen handelt es sich um Auszüge und deen aus Berichten on Profil , ie eit , iener eitun , leine eitun , urier , er tandard , ie ddeutsche , ie urche , er alter , so ohl in Printaus aben, ie auch online.