POLITIK
Doch Kanzler Kurz ist dafür auch in irgendeiner Form selbst verantwortlich. Ihm wird vorgeworfen, die Schwangerschaft zu instrumentalisieren und daher müsse er mit solchen Reaktionen rechnen. Das Foto im Getreidefeld mit seiner Lebensgefährtin ist ja nicht zufällig entstanden und dieses hat er selbst veröffentlicht. Neben üblen Beleidigungen dominierten vor allem derbe Witze über den Kurz-Nachwuchs. Auch über die Gründe der Schwangerschaft gibt es heftige Diskussionen. Einige User orten in dem Kindersegen des Kanzlers ein angebliches Ablenkungsmanöver. Durch die PR-Aktion wollte er von Umfragewerten und Realpolitik ablenken, so der allgemeine Tenor der Kritiker. Er steckte ja in letzter Zeit in einem Umfragetief und Kritiker meinten, dass er mit der Ankündigung zu heiraten und dem Baby vor Neuwahlen seine Wahlchancen kräftig erhöhen werde. Sollte es zu Neuwahlen kommen, dann werde ihm das Babyglück sicher Pluspunkte bei den Österreichern bringen.
Zeit für neuen Stil
M
arketing-Politik – das ist der neue Stil, den es seit dem Erscheinen von Sebastian Kurz als Kanzler gibt. Jede Woche wird überlegt, was medial gut verwertbar ist, was weniger schlagzeilenträchtig, wo die Message-Control hält, wo es einen extra spin braucht. Kanzler Kurz ist in solchen Momenten, aber auch Vizekanzler, der stellvertretende Chef, ein kurzatmiger Chefredakteur eines Boulevard-Blattes, der in Kampagnen der nächsten Tage denkt und nicht wie ein Staatsmann mit Perspektiven für die nächste Generation. Der Unterschied zu früher: Die Garde um Kurz, seine Prätorianer sind fescher als die Alten und professio-
Man müsse „Weiber“ für den Aufsichtsrat er taatshol ing fin en heißt es etwa an einer Stelle für die „Scheiß Quote“. Gemeint ist die gesetzlich erp ichten e Fra enquote. Man will sich gar nicht vorstellen, was Kurz und seine Mannen chatteten, als der Kanzler die unabhängige Justiz angriff, die Kontrollrechte des Parlaments ignorierte oder Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshof als „juristische pitzfin igkeiten a tat. Unvergesslich auch sein Chat, als er sagte: „Ja, super. Bitte Vollgas geben.“ Jene Worte waren das, mit denen er seinen Vertrauensmann im Finanzministerium Generalsekretär Thomas Schmid lobte, nachdem er die österreichische Bischofskonferenz zu erpressen versucht hatte. Marketing statt Politik. Postenschacher statt Reformen. Zynismus statt christlich-soziale Lehre. Will Kurz nicht als jüngster Alt-Politiker in die politische Zeitgeschichte eingehen, m ss er sich ne erfin en.
Durch die Chats aber macht sich die Ernüchterung breit. Statt einer rhell ng fin en ir hier n r eine estätigung unseres Vorurteils. Nämlich, dass die wirklich so sind, wie der kleine Maxi, also wir, uns das vorstellen.
Geistesblitze
Foto: Ruschitz
Neben einer umfassenden und unfassbaren intriganten Korruptionsenergie vor allem offenkundig geworden ist eine nahezu unfassbare Banalität. Da wird eine Politikerblase sichtbar, die sich gegenseitig in der Nacktheit ihres Ehrgeizes ungeniert die Räuberleiter macht.
E
rinnern Sie sich noch an die Arbeitsministerin Christine Aschbacher? Sie ist eine Steirerin und stolperte über ihre Dissertation, die sich als Plagiat – „Geistesraub“ – herausstellte. Seit einiger Zeit gibt es nun auch einen „Gedankenraub“ innerhalb des Parlaments. Wolfgang Sobotka, seines Zeichens Erster Präsident des Nationalrats, hat angeregt ie Wahrheitsp icht im ntersuchungsausschuss des Parlaments streichen zu wollen. Wie bitte?
Kontrollverlust
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ebastian Kurz hat bei seinem Amtsantritt eine andere neue Politik für Österreich angekündigt. Weg von den Mauscheleien und Kinderzimmer-Beschlüssen der rotschwarzen Koalitionen. Und was Kurz ankündigt, das tut er auch. Was bis jetzt oder früher die stillen Abmachungen der Parteien in Hinterzimmern waren, das passiert jetzt in den Chats auf den Handys. Sie vermitteln unerwartete Einblicke in die Abläufe der Politik.
Rund ein Jahr später ist vom damaligen Glanz nichts mehr übrig. Der 8. April 2021 war ein bitter-desaströser Tag für Sebastian Kurz. Er prangte mit dämonischem Gesichtsausdruck vom Titelbild des agazins olitico ichtlekt re
S
Die Wahrheit ist eine To
Politiker und Entscheidungsträger zeigen da, wie es wirklich gemacht wird. Natürlich haben sie versucht, das alles zu vertuschen. Doch das Internet merkt sich alles. Man muss nur wissen, wo man zu suchen hat. Selbst wenn die Chats und Telefonanrufe gelöscht werden. Experten kramen sie wieder hervor.
er 19. April 2020 war ein strahlend-erfolgreicher Tag für Sebastian Kurz. Er schaffte es in den Olymp der Politik: Zum LiveAuftritt bei Fareed Zakaria, Starinterviewer des US-Senders CNN. Kanzler Kurz wurde dort als mutigentschlossener Krisenmanager des Corona-Vorzeigelandes befragt, das nach dem Lockdown aufsperrt. „Lessons from Europe“ lautete der Titel, und Zakaria lobte Kurz: „Sie geben Hoffnung.“ Viel ehrenvoller kann ein internationaler Medienauftritt nicht ausfallen.
Chats schaffen Klarheit
Entzauberte R
Foto: Ruschitz
Bevor Werner Kogler in der Regierung war, nannte er die jetzigen Partner „eine türkise Schnöseltruppe“, die den Staat führt. Erschreckend ist die anti-autoritäre demokratische Hybris, die sich aus dieser Sittendreistigkeit ableiten lässt. Solche Codes kennt man sonst nur a s ekten o er er afia o er beiden oder aus Großfamilien, wie sie aus dem Libanon oder aus dem Orient kommen. Deren einziges Ziel ist, die Familie und ihr so viel Macht zu geben wie möglich.
Sie ermöglichen dem Österreicher den Blick in eine intime Perspektive und damit auf die Welt der Politik.
Foto: BKA / Regina Aigner
W
ie krank manche in unserer Gesellschaft sind, das zeigen die geschmacklosen Reaktionen auf die Ankündigung von Kanzler Sebastian Kurz über die Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin Susanne Thier. „Wir sind überglücklich und dankbar, dass wir bald zu dritt sein werden“, postete er auf Facebook – und erntete dafür einen Rekord an Glückwünschen und mehr als 100.000 Likes. Aber es gibt auch Hass-Postings und Kommentare, die kritisch sind oder die Grenzen des guten Geschmacks klar überschreiten.
nellere Ausgaben der klassischen Partei-Bonzen. Sie geben sich nach außen faltenfrei, aber sind oft schlimmer als klassische ParteiBonzen. Es ist wie in Niederösterreich seinerzeit machtpolitisch die klassischste und brutalste Karriereschmiede der ÖVP. Aus dieser nährt sich Kurz nicht zuletzt durch den Parlamentspräsidenten Sobotka.
Foto: BKA / Dragan Tatic
Kurz-Baby
„Bin stolz auf de
Landeshauptmann Hermann Sch
von EU-Politikern. Der Text: „House of Kurz. Vom Wunderkind zum Schurken.“ Vom Hero zum Zero, vom adorierten Posterboy der neuen Konservativen zum geschmähten Buhmann, der uralten Postenschacher kultiviert. Viel brutaler kann ein Absturz nicht ausfallen. Es gehört zum System Kurz, immer auf Schuldige zu zeigen: die EU, Wien, Migranten, Anschober. Diese
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