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Der große Frust: kein Personal!

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Mein Arbeitsplatz

Mein Arbeitsplatz

Arbeitskräfte sind Mangelware geworden. Ausgelöst durch die demografische Entwicklung, veränderte Anspruchshaltung und staatliche Transfers sinkt die Zahl derer, die noch in der Lage und bereit sind zu arbeiten. Das hat gravierende Auswirkungen auf Betriebe, gerade im Lokalen. Flexibilität und Findigkeit kleiner und mittlerer Firmen wachsen, die Jagd auf neue Kolleginnen und Kollegen wird immer raffinierter. Allein, der große Erfolg bleibt aus. Ein Stimmungsbild.

Früher war es noch witzig, zumindest mäßig. Kommen sechs kleine Herren mit Zipfelmütze in eine Kneipe. Der Wirt fragt: „Wer seid ihr denn?“

„Die sieben Zwerge.“

„Aber ihr seid nur sechs!“

Trauriger Blick des Oberzwergs: „Keine Leute ...“

Heute ist es nicht mehr witzig. Auch nicht mäßig. Friseur, Tischler, Unternehmensberater, DHL, DPD oder die Personaler der großen Supermarktketten: Alle suchen, alle ohne großen Erfolg. Die Hamburger haben sich daran gewöhnt, dass Firmenfahrzeuge neben dem Logo auch eine Stellenanzeige auf die Straße bringen. Kollegen gesucht, gute Bezahlung, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld … genannten „Generation Z“, also die Geburtenjahrgänge ab 1997, sind weit entfernt von jener Arbeitsmoral, die lange Zeit als deutsche Tugend galt.

Im vierten Quartal 2022 zählte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung einen Rekord: 1.984.000 offene Stellen. Zwar sank diese Zahl im ersten Quartal 2023 auf 1.747.000, aber der Trend ist damit noch nicht gebrochen. Auch der Hauptgrund bleibt bestehen: Demografie. Die Deutschen werden älter, die Zahl der Arbeitnehmer sinkt.

Olaf Mertens, Geschäftsführer Feinkost Ahrend: „Unsere Politik und die Gesellschaft sollten den jungen Menschen wieder beibringen, dass Arbeit auch Spaß machen und ein erfülltes Leben bereiten kann.“

Olaf Mertens, Geschäftsführer Feinkost Ahrend in Blankenese Wer sich neben eine übermannshohe Stellenanzeige stellt, auf der in kopfgroßen Lettern Mitarbeiter gesucht werden, der muss schon einiges probiert haben. Tatsächlich weiß sich Kaufmann Olaf Mertens nicht mehr anders zu helfen. Von der Jobagentur kommt niemand mehr. Nicht metaphorisch, sondern ganz tatsächlich: Null. Das schafft Probleme.

„Es fehlen zum Beispiel Mitarbeiter für unsere Küche“, erklärte Mertens. „Wenn an einem Wochenende viele Essen bestellt werden, zum Beispiel weil es die Zeit von Konfirmationen ist, dann müssen wir einzelne Aufträge ablehnen.“

Hinzu kommt ein neueres Phänomen: Nicht nur einzelne Berufe, sondern die Arbeit selbst verliert an Wertschätzung. Dagegen stehen die Viertagewoche, Work-LifeBalance und auch Sabbaticals hoch im Kurs.

Die für diesen Artikel befragten Personen sind sich einig: Gerade die Vertreter der so

Feinkost Ahrend sucht nun auf privatwirtschaftlich betriebenen Plattformen wie Stepstone oder eben mit Fassadenwerbung nach Mitarbeitern. Das ist teuer und der große Erfolg ist bisher ausgeblieben. Dabei sind die Konditionen völlig in Ordnung, wie Mertens betont. Zwar gebe es keine Vier-Tage-Woche, weil das von der betrieblichen Organisation her nicht funktioniert, aber der Betrieb zahlt über Tarif. „Da hat sich noch keiner beschwert.“ Tatsächlich gibt es bei Ahrend kaum Fluktuation.

Aber eben auch kaum Neuzugänge, und den Hauptgrund dafür sieht Mertens in nachlassender Arbeitsmoral. Auf die „Generation Z“ angesprochen, sprudelt es regelrecht aus ihm heraus: „Kaum noch junge Menschen bewerben sich beim Einzelhandel, im Handwerk oder in der Gastronomie. Und wenn, dann ist die Vier-Tage-Woche Bedingung, und verdienen will man so viel wie derjenige, der schon einige Jahre Berufserfahrung hat. Bei Einstellung sind sie meist schon ab dem ersten Tag im Kündigungsmodus. Sie passen sich nur so viel wie nötig an und verweigern sich jeder als Belastung empfundenen Zusatzaufgabe. Beim ersten Gegenwind wird das Handtuch geschmissen. Wir haben dieses Jahr wieder mehr als 100.000 Jugendliche ohne Berufsausbildung. Es ist meiner Ansicht nach nicht nur ein Erziehungsproblem – unsere Politik und die Gesellschaft sollten den jungen Menschen wieder beibringen, dass Arbeit auch Spaß machen und ein erfülltes Leben bereiten kann.“

Berufsausbildung ist ein wichtiges Stichwort in diesem Kontext. Laut Arbeitsagentur waren im Mai 2023 von 9.210 gemeldeten Lehrstellen noch 4.867 unbesetzt – also etwa die Hälfte. Großen Bedarf meldete der Handel in seiner ganzen Bandbreite von der Supermarktkassiererin bis zum Handelsfachwirt im Export.

Aber auch das Handwerk spürt nachlassendes Interesse junger Leute an Jobs wie dem des Gas- und Wasserinstallateurs.

Sven Malyska, Meisterbetrieb

Thorsten Malyska Sanitärtechnik

„Wir suchen schon seit mehreren Jahren Leute, weil wir den Betrieb vergrößern wollen“, erklärt Sven Malyska, der die vierte Generation in dem Familienunternehmen repräsentiert. Grund sei ein regelrechter

„Auftragssturm“. Gerade die Energiewende mit ihren technischen Neuerungen wird nicht nur für Hausbesitzer ein Problem, sondern zunehmend auch für die Betriebe. Der Sanitärtechnikbetrieb aus Wedel sucht mittlerweile auf vielen Kanälen nach Personal: Arbeitsagentur, Online, Anzeigen (so auch in dieser Ausgabe) und der schon fast obligatorischen Annonce auf den Firmenfahrzeugen. Selbst auf Instagram ist Sven Malyska aktiv, bewirbt das eigene Unternehmen und stellt klar: Man ist flexibel. Die Vier-Tage-Woche, bei der die Wochenarbeitszeit unverändert bleibt, aber auf vier Tage verteilt wird – und so Anfahrten etc. spart – ist hier möglich.

Und natürlich bildete Malyska auch selbst aus. Das jedoch ist nicht einfach. Neben geringen Bewerberzahlen bemerkt der Wedeler ein deutliches Absinken der Leistungsfähigkeit, gerade in der Berufsschule, bei Basisfähigkeiten wie Mathematik. „Wir hatten auch schon Auszubildende, die haben sich im Betrieb sehr gut angestellt, aber dann kam die Rückmeldung aus der Berufsschule über schlechte Leistungen, Fünfen und Sechsen.“ Schulnoten mögen im Handwerk auf den ersten Blick nicht essenziell erscheinen. Tatsächlich aber können sie im deutschen dualen Ausbildungssystem den Abschluss verhindern. In der Realität kann die Ausbildung eines Installateurs eine erstaunlich komplexe Angelegenheit werden, gerade wegen der sich weiterentwickelnden Technik. Das Klischee des etwas tumben Handwerkers stimmt hier nicht.

Aber selbst bei der Qualifikation müssen Betriebe Flexibilität zeigen. Nicht für jede Tätigkeit brauchen Bewerber eine abgeschlossene Ausbildung. „Eine Ausbildung ist kein Muss mehr“, sagt Sven Malyska, „wir geben auch Quereinsteigern eine Chance.“

Wenn eine Ware oder Dienstleistung knapp wird, steigt nach einfachen Marktgesetzen der Preis. Genau das passiert derzeit im Handwerk. Eine Monteurstunde war vor wenigen Jahren noch für 55 oder 60 Euro zu haben, heute kann sie 70 oder sogar 80 Euro betragen.

Die Chancen für Nachwuchskräfte sind in diesem Szenario also exzellent: Die Betriebe suchen, zeigen sich flexibel, achten auf ein vernünftiges Betriebsklima und zahlen so hohe Löhne wie nie zuvor. Dennoch: Keine Bewerber, wenig Azubis.

Sven Malyska hält sich mit Kritik an der „Generation Z“ zurück, spricht eher von mangelnden Vorbildern und gesellschaftlichen Erwartungen. „Möglicherweise wird von Abiturienten erwartet, dass sie studieren, von Realschülern, dass sie ihr Abitur nachmachen. Das Handwerk ist häufig keine Option mehr.“

20 Neueinstellungen, von denen noch drei Personen für das Unternehmen arbeiten. Einzelne Anzeigen können bis zu 8.000 Euro kosten mit einem Erfolg von null. Die Leute seien nicht mehr erreichbar, wollten nicht. Den Grund sieht Stacklies in staatlicher Alimentierung.

„Nicht arbeiten gehen ist aushaltbar“, sagt er. Das hätte er von seinen Aushilfskräften aus der Ukraine gelernt. Die hätten ihm vorgerechnet, dass es sich nicht lohnt: Der Erlös einer Vollzeitstelle läge nur wenige hundert Euro über staatlichen Beihilfen für Arbeitslose und Sozialfälle. Wer sich dann etwas einschränkt oder ein paar Stunden Schwarzarbeit pro Monat einschiebt, der kommt über die Runden.

Auch die Agentur für Arbeit in Hamburg bestätigt das Problem. Eine Lehre habe häufig keine hohe Priorität. Bei vielen Jugendlichen fehle überdies ein gewisser Sinn für wirtschaftliche Realitäten. Die von horrenden Honoraren befeuerte Show der Influencer auf Instagram und TikTok hat mit dem Alltag in deutschen Werkstätten und Büros eben wenig zu tun.

Auch die Handwerkskammer hat das Imageproblem erkannt. Seit längerem gibt es Bestrebungen und auch Ermahnungen an die Betriebe, das duale Ausbildungssystem „sexy“ zu machen (Zitat von Michael Fröhlich, Hauptgeschäftsführer des Unternehmensverbands UVN). Der Klempnerei mangelt es an Glamour, das ist nicht zu ändern. Aber muss wirklich am Arbeitsbeginn zu nachtschlafender Zeit festgehalten werden? Könnte man Azubis nicht den Führerschein bezahlen oder ihnen anderweitige Vorteile bieten, die Studierende nicht haben?

„Die Abzüge für die, die arbeiten gehen, sind einfach zu hoch. Die Politik muss gegensteuern, Arbeit muss sich wieder lohnen.“

Während es in Handels- und Handwerksbetrieben meist nur um jeweils eine Handvoll zu besetzender Stellen geht, steht die Gastronomie vor Problemen in einer völlig anderen Größenordnung.

Felix Stacklies, Geschäftsführung

Stacklies Catering & Events

Es gibt wohl kaum Branchen, die so personalintensiv sind wie die Gastronomie und hier speziell das Catering bei Großveranstaltungen. Wenn Hunderte, manchmal sogar Tausende von Gästen bewirtet wer-

Stacklies gibt an, schon vor Einführung des Mindestlohns mehr als zwölf Euro gezahlt zu haben. Höhere Löhne ließen sich jedoch nur schwer erwirtschaften, also müsse bei der Besteuerung und den Sozialabgaben angesetzt werden. Der Unternehmer ist der Ansicht, man müsse eher den Konsum besteuern als das Einkommen. Das aber führt wiederum zu höheren Produktpreisen und belastet überproportional die niedrigen Einkommen.

Ein Dilemma, für das auch Felix Stacklies keine Lösung hat. Die Geschäftsführung packt mittlerweile auch selbst mit an, bis runter zum Geschirrspülen … den sollen, braucht man Service-Personal in Kompaniestärke. Und dieses Personal ist nicht mehr ohne weiteres verfügbar.

„Ausbildungen stehen auf der Hit-Liste der Jugendlichen nicht ganz oben. Oft passen auch Wunsch und Realität nicht zusammen.

Die Stacklies Catering & Events GmbH betreibt neben Catering auch mehrere Gastronomiebetriebe. Felix Stacklies ist hörbar gestresst, wenn man ihn auf das Thema anspricht. „Bei uns könnten sofort dreißig neue Kollegen anfangen, ohne die Ruhetage fünfzig Leute.“ Ruhetage, die aufgrund von Personalmangel eingeführt wurden.

Ähnlich wie Olaf Mertens wirbt Stacklies auf privaten Jobbörsen oder in den Medien um Arbeitskräfte. Die Kosten sind auch hier horrend: Felix Stacklies gibt an, in einem Jahr 50.000 Euro für die Personalwerbung ausgegeben zu haben. Das Resultat waren

Bisher könnte der Eindruck entstanden sein, dass vor allem Handel, Handwerk und Gastronomie unter dem Mangel an Arbeitskräften leiden. Tatsächlich aber haben auch jene Unternehmen Schwierigkeiten, die auf so genannte High-potentials angewiesen sind, also auf hochqualifizierte Akademiker.

Christian Dunger, Vorstandsvorsitzender WDI AG

Bei der WDI AG in Wedel geht es nicht um Aushilfen oder andere gering qualifizierte Kräfte. Das Unternehmen mit Standorten in den USA und Asien vertreibt, entwickelt und produziert hochwertige elektronische Bauelemente und Systeme für die Industrie in aller Welt. Gesucht werden Top-Leute, zum Beispiel die Wirtschaftsingenieure der nahen Hochschule. Vorstandsvorsitzender Christian Dunger gibt hierzu bereitwillig Auskunft und es entsteht ein differenziertes Bild.

Zunächst das Positive: „Wir sehen wieder Bewegung im Arbeitsmarkt. Noch vor einem Jahr war die Reaktion auf Annoncen teilweise bei null, aber das hat sich geändert.“ Als Grund nennt Dunger die derzeitige Konjunktur. Unternehmen verschlanken ihre Strukturen und somit stehen dem Markt nun wieder Bewerber zur Verfügung.

Hinzu käme, dass Arbeitnehmer angesichts der vielen offenen Stellen versuchten sich zu verbessern, beim Gehalt, bei der Freizeit, der Flexibilität. Es findet demnach eine Art Selbstoptimierung statt, die aber an dem Kernproblem, dem demografisch bedingten Fachkräftemangel, nichts ändert.

Auffallend findet Dunger die Verhandlungsmethoden jüngerer Bewerber. Status und Anreize stehen nicht mehr im Vordergrund, wohl aber Dinge wie Work-Life-Balance. „Die klassischen Incentives ziehen immer weniger“, berichtet er. „Gerade für die „Generation Z“ sind Dinge wie ein Firmenwagen nicht mehr relevant. Da geht es eher um freie Zeit- und Arbeitsabteilung, Homeoffice und Eigenverantwortung.“ die Frage stehen: Was macht eigentlich die Agentur für Arbeit?

Nach der Eigendarstellung sehr viel, in den Augen sämtlicher für diesen Artikel befragten Unternehmer aber so gut wie nichts.

Der Fairness und der Vollständigkeit halber findet sich in dieser Ausgabe eine Arbeitsvermittlerin im Porträt auf S. 98

Ausblick diese Unfälle und verpackt sie gut lesbar in diese zehn Zeilen, die der Redakteur redigiert. Tatsächlich wurden einzelne Texte dieser Ausgabe zum Teil von einer KI vorformuliert und danach in Form gebracht. Die Qualität des Rohtextes war besser als erwartet, die Zeitersparnis kleiner. Dennoch wird der Fortschritt hier natürlich weitergehen, die Zeitersparnis wachsen.

Nun könnte man annehmen, dass Stellen gefährdet werden, weil jede Redakteurin und jeder Redakteur rein theoretisch eine größere Textmenge pro Tag „ausspuckt“. Prognosen gehen jedoch davon aus, dass dies nicht oder nur eingeschränkt passieren wird (wie zum Beispiel derzeit bei der „Bild“, die drastisch Personal abbaut). Auch Medien stehen im Wettbewerb gegeneinander. Wenn die KI Routinearbeiten aus dem Weg schafft, hat die Belegschaft ein Zeitfenster gewonnen, das für neue Formate genutzt werden kann oder für eine qualitative Aufwertung bisheriger Inhalte.

Ähnliches wird zum Beispiel bei Rechtsanwälten erwartet. Ein juristisches Gutachten wird die KI in Kürze verfassen können. Sie kann aber nicht in einnehmender, kreativer oder trickreicher Weise mit dem Mandanten agieren. Rechtsanwälte werden mehr Zeit für die „Show“ gewinnen, werden sich also in ihrer Berufsausprägung verändern können.

Christian Dunger, Vorstand

WDI AG :

Letzteres ist ein wichtiges Stichwort im Zusammenhang mit der fortschreitenden Digitalisierung. Gerade in technik-affinen Branchen mit überdurchschnittlich gut ausgebildeten Arbeitnehmern werden technische Neuerungen eher schnell eingeführt. Das gilt insbesondere für die KI, die in rasantem Tempo Routinetätigkeiten übernimmt. Die Folge: „Alles, was digital werden kann, wird digital“, sagt Dunger. „Die ,Generation Z‘ will keine Sachbearbeiter-Tätigkeiten mehr ausführen, die wollen kreativ sein.“

„Die klassischen Incentives ziehen immer weniger. Gerade für die „Generation Z“ sind Dinge wie ein Firmenwagen nicht mehr relevant.“

Die Demografie ist der eine Einfluss auf den Arbeitsmarkt. Die Entwicklung ist hier eher langsam und berechenbar. Bei der KI sieht es anders aus. Die Prognosen unterscheiden sich bei der Geschwindigkeit, mit der diese Transformation stattfinden wird, sind sich im Kern aber einig. Ein spürbarer Prozentsatz der jetzigen Berufsbilder wird in den nächsten Jahren verschwinden.

Wenn nun aber der Umfang der Arbeit in den nächsten Jahren etwa gleich bleibt, dann kann auch die KI das Kernproblem des deutschen Arbeitsmarktes nicht lösen: Die demografische Entwicklung. Vor diesem Hintergrund ist es umso unverständlicher, wie schwer sich Deutschland mit der Wandlung zum Einwanderungsland mit entsprechenden Regeln und Normen tut. Eine Gesellschaft kann sich über eine gewisse Zeit mit hohen Erbschaften erhalten, aber der künftige Wohlstand, den muss irgendwer verdienen.

Autor: tim.holzhaeuser@funkemedien.de

Handel, Handwerk, Gastronomie, Industrie: Angesichts der geballten Bemühungen dieser Branchen um Arbeitskräfte muss nun

Forscher gehen nicht immer davon aus, dass Berufe sofort wegfallen, sondern sich zunächst wandeln. Gut illustrieren lässt sich dies an einem klönschnack-Redakteur. Was sind hier die echten Zeitfresser? Interviews abzutippen kann Stunden dauern. Auch erratisch formatierte Veranstaltungshinweise kosten über den Monat hinweg etliche Stunden. Wo ist die Uhrzeit, wo der Ort, wo die Ticket-Hotline? Ebenso enthalten Artikel häufig Textbausteine, die einen Überblick zum Thema liefern. Muss wirklich ein Mensch die zehn Zeilen schreiben, die Badeunfälle der letzten fünf Jahren auflisten?

Die Antwort lautet nein. Die KI recherchiert

ZUR SACHE: Private Stellenbörsen onnenuntergang vor dem frisch begrünten Hochbunker, chillige Beats kommen aus den Boxen, viele, größtenteils junge Leute tummeln sich an einem Mittwochabend vor der Rindermarkthalle. Nein, es ist keine Afterwork-Party und auch nicht der Start eines illegalen Raves. Es ist Flohmarkt. Stand an Stand steht hier. Einige sehen richtig professionell aus, mit Zeltüberdachung, Kleider- ständern, sogar Etiketten an den ordentlich gebügelten Klamotten. Andere bestehen aus Bügelbrettern und Wäscheständern.

Arbeitskräfte sind zur Ware geworden und das zeigt sich auch in der Branche der Stellenvermittler. Portale wie Stepstone haben ein rasantes Wachstum erlebt und dominieren heute das Vermittlungsgeschäft. Stepstone betreibt mehr als 40 Stellenbörsen in über 30 Ländern und listet für Deutschland über 150.000 Jobs auf. Offenkundig ist jedoch eine Schieflage zwischen Angebot und Nachfrage, ähnlich wie bei Online-Single-Plattformen mit massivem Männerüberschuss.

Es ist nicht alles neu, was glänzt und das muss es auch nicht sein, wie ein ewiger Trend in der Mode zeigt: Second Hand und Vintage sind angesagt. Wir haben für Sie alles Wissenswerte rund um das Thema gesammelt und zeigen Ihnen die besten Schnäppchenoasen.

Es gibt Hemden, Sommer- und Ballkleider, Trainingsanzüge aus den 80ern, Jeans, Wintermäntel, T-Shirts, Schuhe. Eigentlich alles, was es an Klamotten gibt. Dazwischen ein Stand mit Schmuck, ein weiterer mit selbstgemachten Kerzen. Hinter manchen Ständen steht nur ein Mensch, hinter anderen lachende Gruppen mit einer Flasche Wein.

„Ein Flohmarkt ist auch immer ein Ort für Begegnungen“, sagt Roland Resag. „Es geht um Kommunikation, Austausch, ums Handeln.“ Er ist absoluter Flohmarkt-Fan, verdiente sich so schon im Studium seinen Lebensunterhalt und auch heute noch. Nur steht er nicht mehr hinter dem Verkaufstisch, sondern veranstaltet seit 27 Jahren mit seinem Unternehmen „Markt & Kultur“ Flohmärkte in Hamburg. Knapp 100 sind es im Jahr, manche Märkte wie die „Flohschanze“ finden wöchentlich statt, der Kulturflohmarkt im Museum der Arbeit oder im Stadtzentrum Schenefeld monatlich, andere nur einmal im Jahr. Lukas Wintzer vom Veranstalter Hochberg – also eigentlich von der Konkukrrenz – sieht das ähnlich: „Natürlich kann man seine Sachen auch auf eBay und ähnlichen Plattformen verkaufen. Aber ein Flohmarkt ist ein Event, er ist persönlich, es findet ein Austausch statt.“

Wenn die beiden erzählen, kriegt man den Eindruck, dass Trödelmärkte gut laufen – ausgenommen die zwei Jahre Corona-

Flaute. Auch die Tatsache, dass die Märkte voll sind, spricht dafür. Bei Roland Resag schwingt trotzdem etwas Frust mit: „Es wird immer schwerer, schöne Flohmärkte zu veranstalten. Es wird immer teurer, zum Beispiel wegen neuer Sicherheitsbestimmungen und von den Bezirksämtern und der Politik kommt so gut wie keine Unterstützung. Dabei sind Flohmärkte sinnvoll und werden wichtiger.“

Flohmärkte und SecondHand-Läden erfreuen sich tatsächlich großer Beliebtheit. Im Jahr 2021 stieg der Anteil der Deutschen, die teils gebrauchte Kleidung kaufen, auf etwa 67 Prozent an. Hamburg zählt aktuell 117 Läden sowie zahlreiche Flohmärkte, gerade momentan findet gefühlt täglich einer statt. Denn die Sommermonate sind die „Großkampfwochen“, weiß Lukas Wintzer. Wer etwas genauer hinschaut, entdeckt, dass sich viele Geschäfte und Märkte inner- halb der Gebraucht-Nische weiter spezialisiert haben. Manche bieten nur Kleidung für weibliche Personen an, andere Anziehsachen und Spielzeug für Kinder, wieder andere verkaufen ausgefallene Stücke aus vergangenen Epochen, Klamotten mit besonderem Glamfaktor oder im Kilo. Manchmal vermischt sich das Angebot von tragbarer Ware auch mit Gebrauchsgegenständen oder Kunst, so wie man es vom klassischen Flohmarkt kennt. Richtige Trends gibt es eher selten, stattdessen langsamere Entwicklungen: „Angeboten werden immer mehr Klamotten – was hinsichtlich des Recyclings top ist – Schallplatten gehen auch immer, oder besser gesagt, sie gehen wieder“, berichtet Roland Resag. DVDs haben es im Zeitalter von Netflix und Disney Plus logischerweise schwer, auch Antiquitäten, Werkzeuge, Gebrauchsgüter und

Sammlerstücke werden weniger. Wer schon länger auf Flohmärkten dabei ist, erinnert sich bestimmt, dass Ü-Ei-Figuren mal groß im Trend waren und immer mindestens ein Stand mit den lustigen Figuren zu finden war. Den sucht man heute vergeblich.

Aber wer verkauft auf den Märkten? „In der Flohschanze sind zum Beispiel 40 bis 60 Prozent Stammhändler“, sagt Resag. „Das bringt uns Planungssicherheit.“ Aber gut die Hälfte sind Privatpersonen und dementsprechend teils so kurzentschlossen, dass sie sich erst morgens in der Restplatzvergabe einen Stand sichern. Der wird übrigens pro Meter gezahlt. Den Platz bekommt man von Ordnern gezeigt und schon geht es los.

Wer seine abgeliebten Schätze loswerden will, aber meint, kein ausreichendes Angebot zu haben, muss sich nicht scheuen. Auch dafür gibt es eine Lösung: „Alleine hätte ich nicht genug Sachen“, ist sich eine Gruppe von Verkaufenden einig. Sechs Leute sitzen und stehen hinter den zwei Tapeziertischen. Auf denen liegen dementsprechend

Klamotten in den verschiedensten Farben, Stilen und Größen. Wo die herkommen? „Das sind Sachen, die wir nicht mehr tragen. Oder Freunde von uns“, heißt es. Manchmal auch: „Das hab ich von meiner Oma, aber es ist einfach zu schade zum Wegschmeißen.“

Zu schade zum Wegschmeißen, das ist ein gutes Motiv und spielt bei vielen Verkäuferinnen und Verkäufern eine Rolle. Warum sollte man etwas Wegschmeißen, was noch intakt ist? Sei es Kleidung oder ein Spiel, ein Buch oder auch der Wasserkocher. Weiterverkaufen und gebraucht kaufen ist definitiv nachhaltiger. Das spielt besonders bei jüngeren Leuten eine große Rolle und die findet man immer häufiger auf Flohmärkten, beobachtet Lukas Wintzer. „Früher ging es oft eher ums Sammeln, Retten und Erhalten“, sagt Roland Resag. „Man hatte Spaß am Entrümpeln und Trödeln – wir haben aber auch lange im Überfluss gelebt. Dafür kommt immer mehr Bewusstsein auf, viele verzichten gezielt, entschlanken sich und den Haushalt.“

Für Textilartikel scheint das besonders zu gelten. Bedenkt man, dass manche Kleidungsstücke nur wenige Male oder gar nur einmal getragen werden, ist der Griff zum Gebrauchtteil überaus klug. Auch bei Kinderkleidung sagen viele Eltern, dass günstige Gebrauchtkleidung die bessere Wahl sei. Man braucht hier einfach kein Zen-buddhistisches Nervenkostüm, wenn der Nachwuchs mit vollem Karacho auf dem

Hosenboden eine Schotterpiste herunterrutscht oder die Jacke zum Tauziehen benutzt.

Daneben gibt es bei Second-Hand noch weitere Aspekte, die eine Rolle spielen. Der größte und offensichtlichste: der Preis. „Ganz klar, man möchte teure Sachen billiger kaufen“, sagt Roland Resag. In der aktuellen Situation vielleicht mehr denn je: Inflation, steigende Energiekosten, das spielt der Second-Hand-Sparte in die Karten.

Der modische Aspekt steht aber nach wie vor hoch im Kurs. Zeitlose Klassiker wie die Jeans finden sich genauso wie Paillettenkleider der Swingzeit. Sämtliche Epochen kommen immer wieder in Mode. Das gilt sogar für die knalligen 80er und die fragwürdigen 90er. Wer es dann authentisch mag oder gar ein Vorreiter sein möchte, wühlt sich durch die Mode der vergangenen Jahre und Jahrzehnte.

All das gilt natürlich nicht nur für Flohmärkte, sondern ebenso für SecondHand-Läden. Hier gibt es allerdings einen wichtigen Unterschied: Auf Flohmärkten ist Neuware oft verpönt, wenn nicht gar verboten. In den Läden kommt sie auch nicht über den Tresen, andere hingegen nehmen sie mit Kusshand. Hier streiten sich dann die Geister darüber, was wirklich als Second-

Hand oder gar Vintage bezeichnet werden darf.

Während die bekannte Second-Hand-Kette Humana in großen Stores deutschlandweit versucht, alle Bedarfe abzudecken, sind viele andere Vintage-Läden kleiner und nischenhafter. Und auch hier gilt wie bei den Flohmärkten: Der Bedarf ist in jedem Stadtteil gegeben. In jedem Stadtteil ist das Publikum bunt gemischt – aber trotzdem sind Kaufkraft und Vorlieben unterschiedlich. Auch darauf haben sich Anbieter spezialisiert.Ein Beispiel findet sich in Othmarschen.

In der Waitzstraße 17 ist ein ganz besonderer Second-Hand Laden und außerhalb der Elbvororte ist er schwer vorstellbar. Hier gibt es nicht irgendwelche Kleidung, sondern nur das Beste vom Besten, die exklusivsten Marken, das höchste Preissegment. Das war von Beginn an so: Antoinette Milberg gründete den Laden 1989 und verkaufte dort Kleidung von Bekannten aus ihrer Zeit auf dem Internat Louisenlund. Damals war das Geschäft noch versteckt, im ersten Stock der Dahlgrünpassage. „Das war vermutlich auch gut so“, sagt Inhaber Stephan Brandt, der das Geschäft 1997 gemeinsam mit seiner Familie übernahm. „Damals war es noch verpönt, gebrauchte Kleidung zu kaufen. Das machte man nur, wenn man sich die neuen Sachen nicht leisten konnte.“

Das hat sich scheinbar geändert. „So richtig bewusst geworden ist mir das, als eine alte Dame hier reinkam und eine Daunenjacke suchte. Sie wollte die schnelllebige Modeindustrie nicht mehr unterstützen.“ 2002 zog das Geschäft um, in die Hausnummer 17, gut sichtbar. „Die Nachfrage ist immer weiter gestiegen, wir verkaufen viel mehr als früher“, sagt er. „Die Leute wollen hochwertigere Sachen, die lange halten –und viele achten auf den Preis. Bei anderen spielt das keine Rolle. Da steht das Stöbern und Suchen im Vordergrund.“

Die Mode – nur für Frauen – kommt größtenteils aus den Elbvororten. Man kann hier alles abgeben, wenn es nach einem halben Jahr oder einer Saison nicht verkauft wurde, kriegt man es zurück. Der Erlös wird geteilt, fifty-fifty. Es gibt ein buntes Sortiment: Schuhe von Louboutin stehen zwischen Kleidern von Gucci, Taschen von Luis Vuitton und Jacken von Prada. Auch hier ist ein Generationswechsel zu sehen: „Die Sachen werden flotter – und das Publikum jünger.“

Allen Flohmärkten und Second-HandLäden ist eines gemein: Sie existieren im Gegensatz zur aktuellen Modeindustrie, die immer schnelllebiger, trendiger und billiger produziert, was an Unternehmen wie Primark oder Shein unschwer erkennbar ist. Fast-Fashion lautet das Stichwort. Die Entwicklung zeichnet sich bereits über die vergangenen Jahrzehnte ab. Das Ergebnis: Ausbeutung, Produktion am anderen Ende der Welt ohne Kontrollen, Berge an abgetragenen Klamotten, die nicht mal mehr in Kleiderkammern angenommen werden. Nicht zu vergessen werden Unmengen an Energie, Wasser und anderen Ressourcen aufgewendet.

Trotz Fast-Fashion steigt die Nachfrage bei nachhaltiger Kleidung. Eines der bekanntesten deutschen Labels für nachhaltige Mode ist Armedangels. Kataya Kruk ist verantwortlich für die Nachhaltigkeitsstrategie. Ausgerechnet sie sagte erst kürzlich im Interview mit dem Hessischen Rundfunk, Nachhaltigkeit und Mode schlössen einander aus: „Jedes Stück, das zum Kleiderschrank kommt, ist eine zusätzliche Belastung für die Umwelt. Es ist superwichtig, dass die Kleidungsstücke verantwortungsvoll hergestellt werden, aber es ist auch wichtig, wieviel wir konsumieren.“

Ein nachhaltiger Ansatz kommt aus Blankenese: Robert Kapferer ist der Chef von Circularity Germany. Eine Firma, die es sich auf die Fahne geschrieben hat, die Textilindustrie zurück nach Europa zu holen und aus einem linearen System einen Kreislauf zu machen – eigentlich auch Ziele der EU-Textilstrategie, von der bislang jedoch kaum einer gehört hat. „Der Textilabfall entsteht hier. Hier soll- te er direkt weiterverarbeitet und nicht verbrannt werden“, sagt Robert Kapferer. große Rolle. Aber nicht nur: „Manche Menschen sind, wie ich, als Trödler geboren“, sagt Roland Resag. Er reist regelmäßig zu Trödel-Events in der ganzen Welt, von Dänemark bis in die USA. Denn jedes Land hat seine Besonderheiten. „Es macht einfach Spaß, nach bestimmten Schätzen zu suchen. Egal, ob es ein Schmuckstück für die Schwiegermutter oder eine alte Uhr für meine eigene Sammlung ist.“

Das ist gar nicht so kompliziert, dennoch ist es bislang weltweit einzigartig: Aus AltKleidung gewinnt Circularity Germany Fasermaterial und Garn. Anschließend entstehen neue Taschen, Pullis und Shirts, exakt in der Farbe des Ausgangsmaterials. Größere Pilotprojekte gab es bereits mit Kaufland und der Berliner Charité. Aus gebrauchten PoloShirts wurden Jutebeutel, aus Arztkitteln entstanden T-Shirts. Nach und nach kommen die Produkte in den Handel, zum Beispiel bei Humana 2nd Hand in Hamburg.

„Wir wissen nicht, wo die Reise hingeht. Es ist ein Generationenwechsel, aber die Nachfrage bleibt.“

So entsteht eine Art Hybrid aus Alt und Neu. Ganz neu ist die Idee nicht: Unter dem Begriff Upcycling gibt es im Internet viele Videos dazu, wie aus alten Sachen etwas ansprechendes Neues werden kann. So etwa bei der Influencerin Mieke Fraatz. Die Hamburgerin studiert Interior Design und betreibt außerdem einen Youtube Kanal auf dem sie frech und unkompliziert erklärt, wie sie der alten Klamotte neues Leben einhaucht. Aus dem übergroßen Zweireiher des Onkels wird so mal eben ein mehrteiliges Abendoutfit.

Preis und Nachhaltigkeit spielen im gesamten Second-Hand-Segment also eine

Derart tief sind wahrscheinlich die Wenigsten in der Trödel-Szene drin. Aber es gibt sie, die Leute, die gezielt nach verborgenen Schätzen, VintageKleidern aus den 20ern und Einzelstücken von früher suchen. „Wir haben eine Stammkundin, die könnte sich alles neu locker leisten“, sagt Stephan Brandt. „Aber sie sagt selber, dass es ihr so mehr Spaß macht, dass sie eine Jägerin und Sammlerin ist.“

Um das zu sein, auch erfolgreich, braucht man natürlich eine gewisse Expertise. Alleine, um festzustellen, ob das Kleid wirklich aus den 20er Jahren kommt, ob die Tasche oder die Uhr wirklich Originale sind. Hier ist eher Skepsis geboten, wenn die Stücke zu preiswert erscheinen – entweder, die Verkaufenden wissen selber nicht, was sie da für Schätze haben oder es sind schlichtweg keine.

„Bei uns häuft es sich, dass Leute mit Fälschungen zu uns kommen, insbesondere bei Taschen“, berichtet Stephan Brandt. „Aber mittlerweile haben wir ein gut geschultes

Auge und wissen ganz genau, woran wir die echten Taschen und Fälschungen unterscheiden können.“

Bei Garn und Knopf hört dieses Thema lange nicht auf. Wer seinen Look komplettieren möchte, muss weiter jagen: Es gilt Manschettenknöpfe, Korsagen, Armreifen oder Sonnenbrillen zu finden. Besonders letztere erleben regelmäßig einen Hype. Vintage ist chic und chic ist ge- sucht: Rockabilly, Hip Hop, der Gatsby-Stil, die 50er und 60er, das sind nur ein paar Beispiele für kommende und noch laufende Trends. Hat man einen echten Schatz erworben, muss man ihn auch richtig pflegen. Nicht selten riechen besonders alte Klamotten etwas muffig, dagegen können Kaffee oder Trocknertücher helfen. Wer die Kleidung vor Mottenbefall schützen will, kann sie ein- fach beim Schneider seiner Wahl einvakuumieren lassen. Je nach Material hilft auch Dampfbügeln oder eine Ökoalternative der altbewährten Mottenkugeln. Und dass man echte Vintage-Mode nicht einfach bei 60 Grad in die Waschmaschine steckt, sollte hoffentlich klar sein (falls nicht: Handwäsche, am besten mit Babyshampoo tut es ganz gut). Auch kleinere Reparaturen oder Anpassungen sind kein Grund, ein Kleidungsstück auszusortieren. Der Gang zum Schneider kann aus einem Fünf-Euro-Schnäppchen ein passgenaues Stück machen.

Autoren: sophie.rhine@funkemedien.de michael.wendland@funkemedien.de

ZUR SACHE:

Begrifflichkeiten

Bestimmt haben wir im Text auch das eine oder andere Mal den falschen Begriff gewählt, aber eigentlich gilt:

Second-Hand bedeutet einfach, dass die Kleidung oder Gegenstände nicht neu, sondern gebraucht sind. Ob sie ein oder hundert Jahre alt sind, spielt erstmal keine Rolle.

Vintage sind Originale (bei Mode von den 20ern bis in die 80er Jahre). Retro hingegen neue Stücke, die angelehnt an einen Stil von früher sind.

Bestellbetrug macht den Großteil der Onlinedelikte aus.

Fallzahlen

So sieht der Betrug 2.0 aus

Erst im Juni erschien im KlönschnacK ein Gastkommentar zu Betrug im Internet. Das Thema beschäftigt viele Leserinnen und Leser zusehends. Ein Grund für uns, genauer auf die Zahlen in Hamburg zu schauen.

Falsche Fahrradshops, gefakte Mietangebote und unechte Tierbedarfsläden sind nur drei Beispiele dafür, wie man sein Geld im Internet schnell verlieren kann. Profis sprechen bei dieser Art Onlinebetrug von Waren-Betrug, der Laie nennt es eher Versandbetrug. Die Trickseiten sehen immer authentischer aus und finden sich sogar auf Portalen wie dem Amazon Marketplace oder eBay.

Bemerkenswert ist, dass in 2015 nur sieben Prozent aller angezeigten Betrugsfälle ganz Hamburgs im Internet stattfanden. Im vergangenen Jahr waren es bereits 38,4 Prozent. Der Bezirk Altona lag nur unwesentlich unter diesem Schnitt. Altona verzeichnete im vergangenen Jahr 907 Fälle von Onlinebetrug, davon 563 im Warenbetrug – an der Spitze waren die Stadtteile Lurup und Ottensen mit jeweils 74 Fällen. Es folgen Altona-Altstadt mit 66 sowie Osdorf und Bahrenfeld mit 56 Fällen.

Zu bedenken ist immer, dass dies nur die gemeldeten Delikte sind. Die Dunkelziffer kann we-

Im Jahr 2015 wurden in Hamburg von 2.178

Onlinedelikten

1.648 aufgeklärt.

Dem standen in 2022 schon

11.456 Fälle gegenüber. Von diesen wurden sentlicher höher liegen, da Betroffene besonders bei kleinen Geldverlusten den Gang zur Polizei scheuen.

1.582 gelöst.

Weitere Arten des Onlinebetrugs sind Phishing und E-MailSpoofing. Beim Phishing werden Betroffene per Email dazu aufgefordert, Zugangsdaten einzugeben oder angebliche Mahngebühren zu bezahlen. Absender sind vermeintliche Dienstleister, etwa eine Bank. Die Polizei Hamburg verdeutlicht: „Ihre Bank wird zum Beispiel niemals Ihre Pin oder ein Passwort abfragen. Klären Sie den Sachverhalt mit Ihren Beraterinnen und Beratern vor Ort. Nutzen Sie keine in der Mail angegebenen Kontakte. Sprechen Sie im Zweifel auch die Polizei an.“

E-Mail-Spoofing nutzt einen Schockeffekt. Die Täter täuschen vor, ein E-Mail-Konto übernommen zu haben. Die Mail scheint von der eigenen Adresse der Opfer zu kommen. Die Täter fordern eine Art Lösegeld für die Freigabe des Accounts. Andernfalls würden verfängliche Daten versandt. Praktischerweise liefern manche

Kriminelle eine Anweisung zum Gebrauch einer Kryptowährung wie Bitcoin gleich mit. Geübte können anhand des Quellcodes solcher Mails sehen, dass die Nachricht tatsächlich von einer anderen Adresse kommt. Die „Übernahme“ wird also nur vorgegaukelt.

Die Coronajahre 2020 und 2021 blieben beim Onlinebetrug etwa auf dem gleichen Level wie 2019. Es scheint fast so, als hätten die Digitalbetrüger insbesondere mit der höheren Bereitschaft zu Onlinekäufen nicht Schritt halten können. Das änderte sich im vergangenen Jahr drastisch.

Folgenschwer ist, dass erfolgreiches Phishing und Bestellbetrüge zu Mahnverfahren und einem Schufaeintrag führen können. Daher sollte jeder Fall umgehend bei der Polizei angezeigt werden.

Und was kommt als nächstes? Sie werden es ahnen: Künstliche Intelligenz (KI). Sie kann nicht nur Texte schreiben, sondern auch Videos montieren und Stimmen nachahmen. Diese Art der Täuschung wurde bereits zu Propagandazwecken gegen Regierungen genutzt. Bekannt ist die Methode als „Deep Fake“: eine tiefgehende Täuschung. Die Befürchtung, dass „Deep Fakes“ auch bei Privatpersonen zum Einsatz kommen, etwa bei Schockanrufen, weist das Landeskriminalamt gegenüber dem Klönschnack vorläufig zurück. Zwar werden mögliche Szenarien an den Polizeiakademien bereits seit längerem diskutiert, im Ermittlungsalltag kamen solche Fälle jedoch noch nicht vor, so die Behörde.

Schockanrufe bleiben auch ohne KI-Einsatz eine der größten Sorgen der Polizei, noch vor dem Onlinebetrug. Dies liegt auch daran, dass die Schadenssummen hier oft ungleich höher sind. Im Gegensatz zum nicht gelieferten Hundefutter oder Fahrrad verlieren manche Opfer hier die Ersparnisse eines ganzen Lebens. Ernstzunehmen ist der Onlinebetrug dennoch allemahl.

Autor: michael.wendland@funkemedien.de

ZUR SACHE: Kampagnen

gegen Betrug

Bereits im vergangenen Jahr startete die Polizei eine Kampagne gegen Telefonbetrug. Mit einer neuen Kampagne legte die Polizei nun gegen Schockanrufe nach. Informationen zur letztjährigen Kampagne finden Sie unter: www.kloenschnack.de/panorama/telefonbetrug-polizei-klaert-auf

Informationen zu Internetkriminalität erhalten Sie unter: www.polizei.hamburg/onlinewacheder-polizei-hamburg

Die Straßen im Westen

Der Weg ist das Ziel

Hamburgs Straßen sahen schon mal besser aus, oder doch nicht? Die Behörden beziehen Stellung zu den Sanierungsmaßnahmen und geben Neuigkeiten zum Sülldorfer Kirchenweg bekannt.

Kritiker wie die CDU Hamburg äußern, so schlecht hätte es um die Fahrbahnen Hamburgs lange nicht gestanden. Zugleich saniert die Stadt im Jahresschnitt 190 Kilometer Straßen. Das ist mehr als im Koalitionsvertrag vereinbart wurde und es ist auch gut 27 Prozent mehr, als zu Zeiten der letzten CDURegierung. Im Jahr 2010 drohte der Stadt sogar eine Klagewelle wegen vermehrter Fahrzeugschäden durch Schlaglöcher. Der Senat beschloss damals zusätzliche Millionen für die Sanierung. Die Ausgaben wurden auch unter der Scholz-Regierung aufgestockt. Gut 13 Jahre später türmt sich trotz höherer Ausgaben erneut die Kritik über den Straßenzustand.

Ein prägnantes Beispiel ist der untere Teil des Sülldorfer Kirchenweges (Blankenese/Sülldorf). In der Mitte der Fahrbahn zeigen sich lange Risse. Einige Schlaglöcher sind mehrere Zentimeter tief. Das kann verheerende Folgen haben.

Die Frage kommt auf, warum die Straße nur zur Hälfte saniert wurde und der Rest weiter verfällt. Mike Schlink, Sprecher des Bezirksamts Altona, erklärt, dass die Grundinstandsetzung zwischen Fruchtweg und Babendiekstraße bislang nicht durchgeführt werden konnte, weil sich noch nicht alle Sanierungsflächen in Besitz des Bezirks befinden. Bevor das nicht geschehen ist, könnten die umfangreichen Leitungsarbeiten nicht begonnen werden. Die sind wiederum Voraussetzung für die Fahrbahnsanierung. Da der Zustand der Straße äußerst schlecht ist, soll eine sogenannte Dünnschicht aus Kaltasphalt im schlechtesten Bereich vom Blütenweg bis Siebenbuchen und einige Flickstellen bis Willhöden hergestellt werden. Bis zur Grundinstandsetzung will der Bezirk die Straße so noch ein bis zwei Jahre verkehrssicher halten können. Spätestens Ende der Sommerferien könnte die Dünnschicht aufgebracht werden. Mike Schlink führt weiter aus: „Allgemein ist anzumerken, dass Planungen immer umfangreicher in der Beteiligung und Abstimmung werden. Die Leitungs- unternehmen werden überwiegend vorab in die Straße gelassen, um Leitungsarbeiten durchzuführen. Das kostet unterm Strich viel Zeit“, wie auch am Beispiel Sülldorfer Kirchenweg gut erkennbar sei.

Laut Verkehrsbehörde wurden in 2022 insgesamt 16 Kilometer Fahrstreifen in Altona saniert. Dies sei der höchste Wert seit 2014.

Allein der Sülldorfer Kirchenweg misst jedoch 2,1 Kilometer Länge.

Laut Straßenzustandsbericht der Verkehrsbehörde und der aktuellen Auswertung des Bezirksamts Altona, verbessern sich die Straßen im Bezirk. Die Wahrnehmung ist jedoch eine andere. Zum einen, weil neue Schäden hinzukommen, zum anderen mischt sich Unmut über die allgemeine Verkehrslage ins Bild.

Im Mai stellte der CDU-Abgeordnete Richard Seelmaecker eine Anfrage an den Senat, um die Zahl der Unfälle durch Straßenschäden in Hamburg zu ermitteln. Für die Jahre 2019 bis 2022 wurden insgesamt 87 Unfälle festgestellt. Für das Jahr 2023 lagen nur die Zahlen bis 31. März vor. Es waren bereits 23 Fälle.

Es scheint tatsächlich eine Unfallhäufung im laufenden Jahr zu geben. Ob sich der Straßenzustand seit Januar derart verschlechtert hat, dazu lassen sich keine Rückschlüsse ziehen. Der Senat fügt hinzu, dass hier neben dem Straßenzustand auch das Verhalten der Verkehrsteilnehmenden entscheidend sei. Das klingt zunächst sarkastisch. Doch nimmt man die Zahl anderer Verkehrsunfälle hinzu, scheint sich das Fahrverhalten tatsächlich negativ zu verändern: Bei tödlichen Abbiegeunfällen etwa, ist das Jahr 2023 bereits jetzt trauriger Spitzenreiter.

Aufgrund schadhafter Fahrbahnen gab es zwischen 2019 und 2022 keine tödlichen Unfälle in Hamburg. Die Stadt zählte 24 meist Leichtverletzte wegen Straßenschäden. Für das aktuelle Jahr liegen noch keine Verletztenzahlen vor. Der wirtschaftliche Schaden wurde hingegen bereits erfasst. Für den Zeitraum 2019 bis 2022 ergaben sich 1.174.000 Euro Schadenssumme. Für 2023 waren es 159.000 Euro (bis zum 31. März). Bei gleich steigenden Zahlen wären die Schäden in 2023 damit mehr als doppelt so hoch wie in den Vorgängerjahren.

In Altona ergaben sich höhere Schadensersatzansprüche als in anderen Bezirken. Die Zahlungen liegen für die Jahre 2019 bis einschließlich 2020 im unteren fünfstelligen Bereich.

Autor: michael.wendland@funkemedien.de

Infos: www.hamburg.de/bvm

ZUR SACHE:

Schäden melden

Seit November 2014 bietet das städtische Portal „Melde-Michel“ die Möglichkeit, Schäden an der öffentlichen Infrastruktur im Stadtgebiet online zu melden. www.hamburg.de/melde-michel

Sport und Sehbehinderung?

Das passt für viele immer noch nicht zusammen – zu Unrecht. Die Special Olympics World Games haben das gerade erst gezeigt. Aber vor allem im Amateur-Bereich fehlen Menschen mit Sehbehinderung oft die Möglichkeiten. Der Verein PRO RETINA e. V. setzt sich für mehr Teilhabe im Sport ein.

Blinde oder sehbehinderte Menschen, die Tennis oder Fußball spielen, die rudern, joggen oder klettern sorgen für Erstaunen. Wie kann man Sport machen, wenn man nur wenig oder womöglich gar nichts sieht? So viel sei schon verraten: Es geht.

„Alles ist möglich!“ Das ist das Motto des Arbeitskreises Sport der Patientenorganisation PRO RETINA Deutschland e. V. Die Mitglieder zeigen durch ihr Engagement, dass die Hürden nicht auf dem Sportplatz stehen, sondern in den Köpfen sind. Daher geben sie ein Beispiel dafür, wie sportlich Menschen mit Seheinschränkung sein können: Sie rudern, fahren InlineSkates, spielen Tischtennis oder gehen ins Fitnessstudio – sportliche Höchstleistungen nicht ausgeschlossen, wie zwei Aktionen der Leitung des Arbeitskreises Sport deutlich machen: eine Rudertour über die Elbe von Dresden nach Hamburg und ein Ostseelauf von 100 Kilometern in 24 Stunden. blinde Menschen, die im Ruderklub gemeinsam mit Sehenden rudern oder im Verein Fußball spielen – das ist leider in Deutschland eine Seltenheit. Dabei ist Sport mehr als eine Leidenschaft oder ein Hobby. Er ist wichtig für die körperliche und seelische Gesundheit. Er bringt Menschen zusammen und hilft, Hürden zu überwinden – auch in den Köpfen.

Damit zeigen die Beteilig ten, dass nicht nur Spitzen sportlerinnen und -sportler mit Behinderung Spitzenleis tungen erzielen können, so wie bei den Paralympics, sondern auch ganz normale Menschen, für die Sport ein zentraler Bestandteil ihres Lebens ist.

Menschen mit Sehbeeinträchtigung brauchen bisweilen den körperlichen Ausgleich durch Sport ganz besonders, beispielsweise, wenn sie mit dem Langstock gehen. Denn dadurch kommt es zu einseitigen Belastungen und Verspannungen. Diese können durch Sport ausgeglichen werden.

Die Diagnose Netzhauterkrankung und das Wissen um die nachlassende Sehkraft oder Erblindung stellt eine enorme psychische Belastung dar. Zu wissen, dass man früher oder später erblinden wird, ist eine Sache. Erleben zu müssen, dass viele Dinge des Alltags nicht mehr oder nur mit Unterstützung möglich sind, ist nur schwer zu akzeptieren. Auf die Betroffenen stürzen Fragen ein: Werde ich meine Ausbildung abschließen und in meinem Beruf arbeiten können? Kann ich auch in Zukunft eigenständig in meiner Wohnung leben? Wie wird meine Familienplanung aussehen?

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