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Interview mit Alica Huckfeldt, Geschäfts- führerin des Bauernverbands Hamburg Mensch des Monats: Masoud Jahangiry
Sagen Sie mal …
… Alica Huckfeldt, Geschäftsführerin des Bauernverbands Hamburg „Ackern für Hamburg“
Die Preise für Lebensmittel steigen, manche Nahrungsmittel werden knapp. Im Interview verrät Alica Huckfeldt, was die lokale Landwirtschaft bereits leistet und was sie leisten könnte.
Frau Huckfeldt, welcher Art sind die landwirtschaftlichen Betriebe in Hamburg?
Zum einen gibt es die klassische Landwirtschaft mit Milchvieh, Ackerbau, Gemüse, Obst, Zierpflanzen, Schweinen, Pferden und Mutterkühen. Außerdem sind wir für Naturschutz zuständig. Von unseren 6.600 Hektar Grünlandflächen sind bereits 4.000 Hektar im Naturschutz integriert und das hebt Hamburg hervor.
Wir sorgen um Hamburg herum auch für Kaltluftschneisen, die in der Stadt für Abkühlung sorgen. Außerdem gestalten wir zum großen Teil die Naherholungsgebiete mit. Unsere Landwirtschaft ist multifunktional.
Könnte die lokale Landwirtschaft die Region Hamburg mit den nötigsten Lebensmitteln versorgen?
Nein, definitiv nicht. Was wir decken können, ist der Bedarf an Äpfeln. Diese mögliche Selbstversorgung ist eine absolute Besonderheit. Praktisch ist es aber natürlich so, dass auch Äpfel aus Neuseeland und anderen Staaten in unseren Märkten liegen. Bei der Selbstversorgung mit Milch und Fleisch sind wir in Hamburg im Promillebereich. Man muss aber auch erwähnen, dass im gesamten Bundesgebiet keine Selbstversorgung mit Lebensmitteln möglich ist.
Alica Huckfeldt: „Wir brauchen Planungssicherheit und Rahmenbedingungen, in denen Landwirte existieren können.“ Beim Getreide heißt es, dass Deutschland 101 Prozent des Eigenbedarfs decken könnte.
Könnte, ja. Aber es existieren nun mal bestimmte Handelsströme. Um ein Beispiel zu nennen: Wir können beim Haferanbau in Deutschland oft keine ausreichenden Qualitäten erzeugen, weil die Witterung häufig zu feucht ist. Den meisten Hafer beziehen wir aus Schweden, wo es diese Qualitäten gibt. Wir exportieren im Gegenzug Molkereiprodukte nach Schweden.
Der Ukrainekrieg macht deutlich, wie abhängig wir von einigen Lebensmittelimporten sind, zum Beispiel beim Speiseöl. Warum existiert diese Abhängigkeit?
Beim Anbau von Ölsaaten muss man ganz klar sagen, dass er in Deutschland schwierig ist. Das sieht man sehr gut beim Sonnenblumenöl. Unser Klima ist zu nass und zu kalt. Da fühlen sich Sonnenblumen einfach nicht wohl. In Süddeutschland sieht das zwar etwas anders aus, aber das deckt nur einen unbedeutend kleinen Bruchteil des Bedarfs.
Raps können wir anbauen, aber es ist eine sehr kostenintensive Frucht beim
Anbau und der Ernte. In den vergangenen Jahren hat sich der Anbau nicht rentiert. Daher wurde nicht so viel davon angebaut und man musste es eben auch nicht, weil man Speiseöl zum Beispiel aus der Ukraine einführte. Da sind sie dann wieder, die Handelsströme. So macht jedes Land das, was es gut kann. Hier ist der Anbau von Ölsaaten einfach teurer. Eine Rolle spielt auch die Fruchtfolgebegrenzung: Man kann nicht immer nur Raps anbauen, sondern muss die Fruchtfolgen wechseln. Das begrenzt uns in Deutschland.
Wird sich die Landwirtschaft in Deutschland bei Ölsaaten trotzdem umstellen, um
Bedarfe besser zu decken?
Man kann ganz klar sagen dass der Rapsanbau gestiegen ist. Das kann man aktuell auf den Feldern bereits beobachten. Und der Anbau wird noch weiter steigen. Allerdings wächst Raps auch nicht überall und durch die Fruchtfolge sind wir da auch limitiert. Aber wir wollen ja auch einen vielfältigen Anbau und keine Monokulturen.
Was sind die unmittelbaren Folgen des Krieges für die Landwirtschaft bei uns?
Hervorheben muss man die Kostenexplosion beim Dünger, der sich um das Vierfache verteuert hat. Auch die Verfügbarkeit ist schlechter. Hier gibt es Lieferverträge, die nicht mehr eingehalten werden können. Das liegt daran, dass die Düngerproduktion immer mit hohen Energiekosten verbunden ist, vor allem beim Stickstoffdünger. Stickstoff ist aber von zentraler Bedeutung. Die größten Stickstoffproduzenten finden wir in Norwegen und Russland.
Wir sind derzeit natürlich komplett auf Norwegen angewiesen. Hinzu kommt, dass die Futterpreise um das Zweifache gestiegen sind und Diesel fast nicht mehr bezahlbar ist. Außerdem sind Ersatzteile kaum verfügbar.
Auf der Verbraucherseite kommen die Kriegsfolgen auch an. Butter hat zum Beispiel einen großen Preissprung vollzogen. Dabei produziert Deutschland mehr Milch, als hier verbraucht wird. Was sind die größten Preistreiber?
„Unsere Landwirtschaft ist multifunktional ...!“
Da kommen wir wieder zu den Düngerpreisen, den Kraftstoffpreisen, den Futterpreisen – nicht zu vergessen dem anstehenden Mindestlohn von 12 Euro, der ab September gilt. Milch ist zudem am Weltmarkt nicht so reichlich vorhanden. Die Liefermenge im vergangenen Jahr ging zurück, weil die Preise so schlecht waren, dass viele Milchviehbetriebe nicht überleben konnten. Die 44 Prozent Preissteigerung kommen auch nicht beim Bauern an.
Der Handel hat einen ganz wesentlichen Anteil an den Preissteigerungen: Logistik, Energie, Lagerhaltung und andere Dinge sind viel teurer geworden. Das sind die größten Faktoren, die hier hineinspielen.
Wie geht ihr Verband damit um?
Durch die Kostenexplosion und die schlechte Verfügbarkeit von Produktionsmitteln ist das schwierig. Wir müssen uns aber auch bewusst machen, dass andernorts Hungerkatastrophen drohen, weil die Ukraine als wichtiger Lieferant derzeit ausscheidet.
In Deutschland haben wir eine verpflichtende Stilllegung von vier Prozent wertvoller Ackerflächen (zur Erhöhung der Biodiversi-
Die Landwirtschaft nahe der Stadt, wie hier in Sülldorf, hat es nicht immer leicht. Konflikte mit anderen Interessenlagen sind häufig.
tät, Anm. d. Rdk.) Hier setzt der Bauernverband an und fordert von der Politik, dass wir die Grenze auf zwei Prozent senken. So könnten wir jährlich eine Millionen Tonnen gutes Getreide zusätzlich produzieren. Das gilt für den Moment, um den Kriegsfolgen zu begegnen. Langfristig ist die Stilllegung natürlich wichtig für die Biodiversität. Aber im Moment geht es eher darum, sozusagen das russische Schwert abzustumpfen. Hier wird mit Hunger und Nahrungsmittelknapp„Wir gehen davon aus, heit gekämpft. Ich denke, es ist wichtig, dass Deutschland dass die Preise einen Beitrag leistet, inauch weiterhin dem wir gute Lebensmitsteigen tel liefern, um in andewerden!“ ren Ländern damit Gutes zu bewirken. Und natürlich geht es auch darum, die Selbstversorgung zu erhöhen.
Kann man diesem Anspruch mit dem BioTrend gerecht werden oder muss man es mit konventionellem Anbau lösen?
Man sagt, dass man durch Bioanbau etwa ein Drittel der Erntemenge verliert. In der aktuellen Situation wäre es daher der falsche Schritt. Der konventionelle Anbau ist aber auch nicht mehr so wie vor 30 Jahren. Bauern denken in Generationen und nicht in Ernten. Niemandem ist daran gelegen, den eigenen Betrieb und die Böden zu schädigen. Man möchte das Gut ja weitergeben.
Bauernverbände im ganzen Land äußerten schon vor Wochen, dass man besonnen einkaufen solle. Die Versorgung sei gewährleistet. Bleibt das so oder werden Einkäufe zum Luxus?
Wir gehen davon aus, dass die Preise auch weiterhin steigen werden, zumindest in näherer Zukunft. Man muss aber auch betonen, dass Lebensmittel in der Vergangenheit zu günstig waren. Die Landwirte konnten kaum oder gar nicht mehr kostendeckend produzieren. Zumindest in Deutschland muss aber keiner Angst haben, dass Einkaufen zum Luxusgut wird. Die meisten Menschen werden sich die Lebensmittel hier weiterhin leisten können. Bei sozial Schwachen muss der Staat dann gegebenenfalls eingreifen, damit sie Unterstützung erhalten und sich weiterhin die Lebensmittel leisten können. Dafür setzen wir uns als Bauernverband ein.
Was sind die größten Herausforderungen für die Bäuerinnen und Bauern in naher Zukunft?
Der Transformationsprozess zu mehr Tierwohl, mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz ist so stark wie nie zuvor und wird weitergehen. Wichtig ist eine Kennzeichnung für regionale Produkte. Der Verbraucher soll unterscheiden können, ob ein Produkt regional ist oder nicht. Wir haben tolle regionale Produkte und es wäre schön, wenn man sie auch regional vermarkten könnte, auch im Sinne des Klimawandels, indem man lange Transportwege vermeidet.
Eine große Schwierigkeit ist es, junge motivierte Betriebsleiter für die Nachfolge zu finden, weil eine große Konkurrenz zu anderen Jobs besteht und weil wir keine – politische – Planungssicherheit haben. Die Investition in einen Stallbau etwa ist heikel, wenn man nicht weiß, wie lange man mit diesem Stall überhaupt wirtschaften darf. Das sind Punkte, die für uns eine große Rolle spielen werden.
Wie geht Ihr Verband das an?
Wir sind das Bindeglied zwischen den Landwirten und der Politik. Wir wollen die Agrarpolitik aktiv mitgestalten. Denn wer kann besser beurteilen, was wir Landwirte brauchen? Ich glaube, so kann man auch den Wirren des Ukrainekrieges begegnen, weil wir wissen, wie man helfen und reagieren kann, etwa durch Senkung der Stilllegungsflächen. Und wir wollen staatliche Rahmenbedingungen, in denen Landwirte langfristig existieren können und Planungssicherheiten erhalten. Das ist uns wichtig und da setzen wir an.
Frau Huckfeldt, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Fragen: michael.wendland@kloenschnack.de Infos: www.bauernverband-hamburg.de www.ackernfuerhamburg.de
ZUR PERSON: Alica Huckfeldt
hat am 1. April dieses Jahres die Geschäftsführung des Bauernverbands Hamburg (BVHH) übernommen. Sie wuchs auf einem landwirtschaftlichen Betrieb im Kreis Pinneberg auf und sammelte viel praktische Erfahrung in diesem Bereich. Ihr Studium der Agrarwirtschaft hat Alica Huckfeldt im Februar 2022 an der Fachhochschule Kiel abgeschlossen.
Der BVHH zählt aktuell 236 Mitglieder – darunter viele Frauen und die Tendenz steigt.