Klinische Diätetik - Tumor

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Tumor/Kachexie


Kathryn E. MICHEL DVM, Dipl. ACVN

Karin U. SORENMO DVM, Dipl. ACVIM, ECVIM-CA (Onkologie)

Der Ernährungsstatus von Katzen mit Tumorerkrankungen: Diagnose und diätetische Empfehlungen

Tumor/Kachexie

1 - Charakteristika feliner Tumorpatienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 2 - Klinische Beurteilung des Ernährungsstatus feliner Tumorpatienten . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 3 - Tumorkachexie-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 4 - Auswirkungen der Tumortherapie auf den Ernährungsstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 5 - Diätetische Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 6 - Pharmakologische Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Häufig gestellte Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS BCS: Body Condition Scoring ZNS: Zentralnervensystem EEB: Erhaltungsenergiebedarf FeLV: Felines Leukosevirus NSAIDs: Nichtsteroidale Antiphlogistika REB: Ruheenergiebedarf SGA: Subjective global assessment

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Der Ernährungsstatus von Katzen mit Tumorerkrankungen: Diagnose und diätetische Empfehlungen Kathryn E. MICHEL DVM, Dipl. ACVN Kathryn Michel schloss ihr Studium 1983 an der School of Veterinary Medicine der Tufts University ab. Sie absolvierte eine Residency im Bereich Small Animal Clinical Nutrition und erwarb den Titel des Masters an der University of Pennsylvania. Im Anschluss folgte ein Fellowship beim Nutrition Support Service an der School of Medicine. Kathryn Michel ist Diplomate des American College of Veterinary Nutrition und gegenwärtig Dozentin für Ernährung sowie Leiterin der Section of Medicine an der University of Pennsylvania. Schwerpunkte ihrer Forschungstätigkeit sind die Beurteilung des Ernährungsstatus, der Nährstoff- und Energiebedarf hospitalisierter Heimtiere und die diätetische Beeinflussung gastrointestinaler und endokriner Erkrankungen.

Karin U. SORENMO DVM, Dipl. ACVIM, ECVIM-CA (Onkologie) Karin Sorenmo schloss ihr Studium an der Norwegischen School of Veterinary Science ab. Sie absolvierte eine Residency in der onkologischen Abteilung an der School of Veterinary Medicine der University of Pennsylvania, wo sie gegenwärtig als Dozentin für Onkologie und als Leiterin der onkologischen Abteilung tätig ist. Schwerpunkte ihrer Forschungstätigkeit sind Tumoren der Milchdrüse bei Hunden und Katzen sowie die Immuntherapie bei Tumorerkrankungen.

D

Tumor/Kachexie

ie Auswirkungen der Ernährung auf neoplastische Erkrankungen sind sehr facettenreich. Heute ist bekannt, dass sowohl die Ernährungsgewohnheiten als auch der Ernährungsstatus eines Individuums Risikofaktoren bei der Entwicklung bestimmter Tumorformen darstellen. Gegenstand zahlreicher Untersuchungen ist zudem die potenzielle therapeutische Rolle der Ernährung, einschließlich spezieller Ernährungsformen und spezifischer Nährstoffe, bei Tumorpatienten. Darüber hinaus gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Ernährungsstatus eines Patienten und seiner Reaktion auf eine Chemotherapie sowie die Verträglichkeit der Behandlung. Ernährungsphysiologische und diätetische Studien speziell für feline Tumorpatienten sind gegenwärtig nur begrenzt verfügbar. Der Fokus dieses Kapitels liegt auf den klinischen Charakteristika der Population feliner Tumorpatienten, dem Prozess der Beurteilung des Ernährungsstatus feliner Tumorpatienten, der Bedeutung eines schlechten Ernährungsstatus bei Katzen mit Tumorerkrankungen, sowie den gegenwärtig verfügbaren Strategien zur Behandlung von Anorexie, Gewichtsverlust und einem sich verschlechternden körperlichen Zustand/Ernährungszustand.

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Abbildung 1 - In einer Studie an der University of Pennsylvania zeigten mehr als 90% der untersuchten felinen Tumorpatienten einen Muskelabbau (Baez et al. 2007).

1 - Charakteristika feliner Tumorpatienten

© K.Michel & K. Sorenmo

In der Humanmedizin sind die Interaktionen zwischen Ernährung und Tumorerkrankungen sehr viel ausführlicher untersucht als bei unseren veterinärmedizinischen Patienten. Erste vorläufige Studien in der Tiermedizin konzentrieren sich zudem fast ausschließlich auf kanine Tumorpatienten. Katzen repräsentieren jedoch einen großen Teil des onkologischen Patientengutes, und in Anbetracht des Mangels an katzenspezifischen Daten besteht eine gewisse Neigung, Erkenntnisse von anderen Spezies auf feline Patienten zu übertragen. Aufgrund der vielfältigen einzigartigen Aspekte der felinen Physiologie, des felinen Metabolismus und feliner Tumorerkrankungen sollte eine solche Übertragung von Daten anderer Spezies jedoch nur mit allergrößter Vorsicht geschehen. So wurde beispielsweise in einer Untersuchung festgestellt, dass lediglich die Minderheit kaniner Tumorpatienten (5 %) an Untergewicht leidet (Michel et al. 2004). Im Gegensatz hierzu steht der klinische Eindruck, dass feline Tumorpatienten sehr viel häufiger einen schlechten Körper/Ernährungszustand aufweisen. Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung an der University of Pennsylvania ergab, dass 44 % der beurteilten felinen Patienten untergewichtig waren, und mehr als 90% einen Muskelabbau zeigen (Baez et al. 2007; Abbildung 1).

1 - Charakteristika feliner Tumorpatienten In der onkologischen Abteilung der University of Pennsylvania haben Katzen einen Anteil von etwa 26 % an allen vorgestellten Tumorpatienten. Das Verhältnis zwischen kaninen und felinen Patienten ist über das vergangene Jahrzehnt konstant geblieben. Trotz der Tatsache, dass Katzen einen bedeutenden Anteil des in der onkologischen Abteilung behandelten Patientengutes ausmachen, gibt es nur wenige Informationen über den Einfluss ernährungsbedingter Faktoren auf die Behandlung und das Behandlungsergebnis, beziehungsweise die Prognose bei dieser Patientengruppe. Um die Population der felinen Tumorpatienten besser hinsichtlich Alter, Rasse, Geschlecht, Körpergewicht und behandelter Tumorarten charakterisieren zu können, hat man in den vergangenen drei Jahren Informationen über sämtliche in allen Abteilungen der Tierklinik der University of Pennsylvania untersuchten Katzen mit Tumorerkrankungen gesammelt. Wir gehen davon aus, dass diese Population weitgehend repräsentativ ist für die feline Tumorpopulation in vielen anderen Überweisungskliniken im urbanen Milieu.

Epidemiologische Daten Beurteilt wurden insgesamt 712 Katzen mit verschiedensten Tumordiagnosen. Bei 80 % dieser Patienten handelt es sich um Kurzhaarhauskatzen, mit einer geringfügigen Überrepräsentierung männlicher Tiere (52,7 % Kater, 47,3 % Katzen), wobei bis auf ein Tier alle Patienten kastriert waren. Der Großteil der Katzen war mittleren Alters oder älter. Das mittlere Alter lag bei 11 Jahren, das mittlere Körpergewicht bei 4,58 kg. 60 % der Katzen wiesen verschiedene Arten solider Tumoren auf, 40 % litten unter Lymphomen oder Leukämie. Bei einem Vergleich der Katzen mit soliden Tumoren mit den an Lymphomen oder Leukämie erkrankten Katzen wurden deutliche Unterschiede in Bezug auf Alter und Körpergewicht gefunden. Die Katzen mit soliden Tumoren waren deutlich älter und schwerer als die Katzen mit Lymphomen oder Leukämie mit einem mittleren Alter von 12 Jahren gegenüber 10,5 Jahren (p<0,0001) und einem mittleren Körpergewicht von 4,7 kg gegenüber 4,4 kg (p=0,049). In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Katzen mit Lymphomen Anzeichen einer systemischen Erkrankung und einer multiplen Organbeteiligung aufweisen, sind diese Unterschiede jedoch nicht überraschend.

Felines Lymphom

Tumor/Kachexie

Katzen mit Lymphomen stellen einen signifikanten Anteil (40 %) der Gesamtpopulation der in der Klinik behandelten felinen Tumorpatienten und einen sogar noch höheren Anteil der in der onkologischen Abteilung behandelten Katzen dar, da viele an Lymphomen erkrankte Katzen mit einer systemischen Chemotherapie behandelt werden. Die ursprüngliche Klassifikation der WHO unterschied verschiedene anatomische Formen, wie zum Beispiel das generalisierte Lymphom, das alimentäre Lymphom, das Thymuslymphom, das dermale Lymphom, die Leukämie (nur Blut und Knochenmark sind betroffen) und andere Formen (Owen 1980). Ein einfacheres und praktikableres Klassifikationssystem unterscheidet lediglich vier Gruppen und klassifiziert das feline Lymphom entsprechend seiner anatomischen Lokalisation in die thorakale Form, die alimentäre Form, die multizentrische Form und die unklassifizierte Form (Haut, Leukämie, ZNS, nasal, etc.; Moore et al. 2001). In unserer Klinik ist das alimentäre Lymphom die gegenwärtig am häufigsten diagnostizierte Form. Dies dürfte der Situation in den meisten anderen onkologischen Praxen entsprechen, da die meisten an einem Lymphom erkrankten Katzen heute FeLV-negativ sind und eine primäre gastrointestinale Beteiligung aufweisen. Das typischerweise bei FeLV-positiven, jüngeren, draußen lebenden Katzen gefundene kraniale Mediastinallymphom kommt heute seltener vor (Gabor et al. 1998; Vail et al. 1998; Richter 2003; Louwerens et al. 2005; Milner et al. 2005). Für den Kliniker stellt das alimentäre Lymphom häufig eine große Herausforderung dar, und zwar sowohl aus therapeutischer als auch aus diätetischer Sicht. 387


2 - Klinische Beurteilung des Ernährungsstatus von Tumorpatienten

Im Gegensatz zur Situation bei vielen Hunden werden Lymphome bei Katzen meist dann diagnostiziert, wenn sie klinische Symptome aufweisen. Die in Anlehnung an die aus der Humanmedizin bekannte Ann-Arbor-Klassifikation auch als B-Symptomatik bezeichneten systemischen Symptome bzw. Allgemeinsymptome eines Lymphoms sind vielen Studien zufolge mit einer schlechteren Prognose assoziiert. In der Literatur gelten B-Symptome beim kaninen Lymphom in der Tat als ein zuverlässigerer negativer prognostischer Faktor als das Erkrankungsstadium selbst (Valerius et al. 1997; Baskin et al. 2000; Garrett et al. 2002; Simon et al. 2006).

Die Liste der klinischen Anzeichen, die als so genannte B-Symptome (gemäß der Lymphomeinteilung, nach der „A“ für Allgemeinsymptom frei steht, während B auf das Vorliegen von Allgemeinsymptomen hinweist) bezeichnet werden, ist bisher nicht vollständig definiert und lässt Raum für einige subjektive Beurteilungen. Im Allgemeinen schließt diese Liste jedoch sämtliche allgemeinen Anzeichen einer systemischen Erkrankung zum Diagnosezeitpunkt ein, unabhängig davon, ob diese Symptome unmittelbar mit dem Lymphom in Zusammenhang stehen, paraneoplastischer Natur sind oder von anderen begleitenden Erkrankungen herrühren. Viele dieser B-Symptome sind typische Befunde bei Katzen mit Lymphomen, die zur Erstuntersuchung und Erstdiagnose vorgestellt werden. Häufige klinische Symptome bei alimentärem Lymphom sind Appetitverlust, Anorexie, Erbrechen, Diarrhoe, Gewichtsverlust und allgemeine Erschöpfung (Richter 2003). Zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung dauern diese klinischen Symptome unter Umständen bereits über mehrere Wochen oder Monate an, und viele dieser Katzen weisen einen schlechten Ernährungszustand auf. Ein erfolgreiches therapeutisches Management dieser Patienten setzt eine wirksame Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung mittels Chemotherapie voraus, während gleichzeitig Nausea, Erbrechen, Diarrhoe und Anorexie zu kontrollieren sind und eine bedarfsgerechte nutritive Unterstützung eingeleitet werden muss.

2 – Klinische Beurteilung des Ernährungsstatus von Tumorpatienten Die Beurteilung des Ernährungsstatus beinhaltet nicht nur eine Bewertung des körperlichen Zustands des Patienten, sondern auch eine Analyse seiner Ernährung, sowie der Art und Weise der Fütterung. Eine solche Beurteilung sollte nicht nur einmalig im Rahmen der Erstuntersuchung erfolgen, sondern sich vielmehr kontinuierlich über den ganzen Behandlungszeitraum erstrecken, so dass die Fütterungsempfehlungen je nach Reaktion des Patienten ständig flexibel und individuell angepasst werden können. Die praktische Beurteilung des Ernährungsstatus erfolgt in mehreren Schritten (Abbildung 2). Zunächst werden die Ernährungssituation und der Ernährungszustand des Patienten beurteilt, wobei es sich um eine subjektive Bewertung auf der Grundlage des medizinischen Vorberichts und der klinischen Untersuchung handelt. Im nächsten Schritt erfolgt eine Beurteilung der freiwilligen Futteraufnahme des Patienten. Sind die Punkte Ernährungsstatus und Futteraufnahme geklärt, werden weitere Aspekte des klinischen Zustandes des Patienten beurteilt, einschließlich der spezifischen Tumorart und des Tumorstadiums, der therapeutischen Strategie und der Klärung der Frage, ob vorbestehende und/oder begleitende Erkrankungen vorliegen. Alle diese Informationen müssen bei der Erstellung eines individuellen Ernährungsplans berücksichtigt werden.

ABBILDUNG 2 – DIE NUTRITIVE BEURTEILUNG FELINER TUMORPATIENTEN SCHRITT FÜR SCHRITT Nutritive Beurteilung: Drei zentrale Aspekte

Tumor/Kachexie

Bestimmung des Ernährungsstatus des Patienten

Hinweise auf Mangelernährung im medizinischen Vorbericht

Hinweise auf Mangelernährung in der klinischen Untersuchung

- vorbestehender oder andauernder Gewichtsverlust - Veränderungen der freiwilligen Futteraufnahme - persistierende gastrointestinale Symptome - Verschlechterung der funktionellen Kapazität des Verdauungstraktes - Auswirkungen einer zugrunde liegenden Erkrankung auf den Nährstoff- und Energiebedarf

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Beurteilung der freiwilligen Nahrungsaufnahme des Patienten

Berücksichtigung sämtlicher Aspekte des klinischen Bildes

- spezifische Tumorart und Tumorstadium - beabsichtigte therapeutische Strategie - vorbestehende oder begleitende Erkrankungen

-Veränderung der Körperzusammensetzung: - Abnahme der Muskelmasse - Abnahme der Fettspeicher - Aszites oder Ödeme - Haut- oder Schleimhautläsionen - Erscheinungsbild von Haut und Haarkleid


2 - Klinische Beurteilung des Ernährungsstatus von Tumorpatienten

Die Beurteilung des Ernährungsstatus dient der Klärung der Frage, ob der Patient bereits unter Mangelernährung („Malnutrition“) leidet oder ob er ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung einer Mangelernährung aufweist, ob seine Nahrung und deren tatsächliche Aufnahme den aktuellen Nährstoff- und Energiebedarf decken, ob eine Indikation für ein spezifisches diätetisches Management, einschließlich einer unterstützten Fütterung/künstlichen Ernährung besteht, und schließlich welche Fütterungsroute die sicherste, effektivste und vom Patienten am besten tolerierte ist. Darüber hinaus können bereits im Rahmen der Beurteilung des Ernährungsstatus potentielle Probleme antizipiert werden, die als Folge des diätetischen Managements entstehen könnten. Auf der Grundlage dieser Informationen wird eine gezielte Präventionsstrategie entwickelt und mögliche Komplikationen mit Hilfe eines geeigneten Monitorings antizipiert.

Bestimmung des Ernährungsstatus Vor ungefähr 20 Jahren wurde eine als Subjective Global Assessment (SGA) bezeichnete Technik zur Beurteilung des Ernährungsstatus von Humanpatienten entwickelt (Detskey et al. 1987). Dieses Verfahren bedient sich einfach verfügbarer anamnestischer und klinischer Parameter, um mangelernährte Patienten mit erhöhtem Komplikationsrisiko zu identifizieren, die wahrscheinlich von einer nutritiven Unterstützung profitieren. Die Beurteilung umfasst folgende zentrale Punkte: - Besteht eine eingeschränkte Assimilation von Nährstoffen aufgrund einer reduzierten Nahrungsaufnahme, einer Maldigestion oder einer Malabsorption? - Sind Auswirkungen der Mangelernährung auf Organfunktionen und die Körperzusammensetzung evident? - Beeinflusst die Erkrankung des Patienten seinen Nährstoff- und Energiebedarf ? Um das SGA-Verfahren an die spezifische Situation von Tumorpatienten anzupassen, wird der medizinische Vorbericht unter fünf Aspekten beurteilt: - vorbestehender oder andauernder Gewichtsverlust - Umfang der freiwilligen Nahrungsaufnahme - persistierende gastrointestinale Symptome, die entweder auf die Primärerkrankung oder die bislang angewandten Therapiemaßnahmen zurückzuführen sind - funktionelle Kapazität des Patienten (z. B. Schwäche, Leistungsintoleranz) - Auswirkung des zugrunde liegenden Krankheitszustands Bei der Beurteilung eines Tumorpatienten muss berücksichtigt werden, auf welche Weise der Tumor die Nahrungsaufnahme direkt oder indirekt beeinflussen kann und welchen Einfluss die Tumortherapie auf die Futteraufnahme und den Stoffwechsel des Patienten haben kann. Zudem muss berücksichtigt werden, dass auch der Tumor selbst Auswirkungen auf den Stoffwechsel haben kann, die den Ernährungsstatus des Patienten negativ beeinflussen können.

Die klinische Untersuchung konzentriert sich in erster Linie auf Veränderungen der Körperzusammensetzung, insbesondere auf den Verlust von Fettspeichern und Muskelmasse, das Vorhandensein von Ödemen oder Aszites, das Vorliegen von Schleimhaut- oder Hautläsionen, sowie das Erscheinungsbild von Haut und Haarkleid. Dem praktischen Tierarzt stehen heute einige hervorragende Body Condition Scoring Systeme (BCS) speziell zur Beurteilung des Körper- beziehungsweise Ernährungszustandes von Katzen zur Verfügung (Laflamme 1997; German et al. 2006). Für Katzen mit Tumorerkrankungen sind diese Systeme allerdings nicht besonders gut geeignet, da sie in erster Linie für die Beurteilung von Patienten konzipiert sind, die auf der Basis einer verminderten oder übermäßigen Aufnahme von Proteinen und Kalorien von einem definierten Optimum abweichen. Eine Studie der University of Pennsylvania berichtet, dass über 90 % der Katzen mit Tumordiagnose unter Muskelabbau leiden, und zwar auch in den Fällen, in denen die Patienten adäquate oder sogar übermäßige Fettspeicher aufwiesen (Baez et al. 2007). Ohne eine sorgfältige Untersuchung, die auch eine Palpation der Skelettmuskulatur über knöchernen Vorsprüngen einschließen muss (z.B. Skapula oder Wirbelsäule), besteht die Gefahr, einige dieser Patienten irrtümlicherweise als „übergewichtig“ oder sogar „adipös“ zu klassifizieren (Abbildung 3). Zusätzlich zu einem der standardisierten BCS-Systeme empfehlen wir bei Tumorpatienten deshalb eine subjektive Beurteilung der Muskelmasse (Tabelle 1).

Tumor/Kachexie

Da die meisten Tiere erst dann gewogen werden, wenn sie in der Praxis vorgestellt werden, und noch nicht einmal notwendigerweise dann, ist es oft schwierig, einen in der Vergangenheit stattgefundenen Gewichtsverlust präzise anamnestisch zu dokumentieren. Wichtig ist, dass betroffene Katzen während der gesamten Tumortherapie regelmäßig auf derselben Waage gewogen werden. Die Waage muss zudem sehr sensibel und genau sein, um zuverlässige Resultate auch bei Tieren vom geringen Gewicht einer Katze zu liefern. Wichtig sind darüber hinaus Informationen über den Zeitraum, in dem der Gewichtsverlust stattgefunden hat. Ein schneller Gewichtsverlust ist in der Regel bedenklicher, da eine größere Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein höherer prozentualer Anteil der fettfreien Körpermasse abgebaut wird, als dies bei einem allmählichen Gewichtsverlust der Fall ist. Allerdings ist das kachektische Syndrom bei humanen Krebspatienten durch einen Verlust von sowohl fettfreier Körpermasse als auch Fettgewebe charakterisiert und kann zudem einen chronischen Verlauf haben.

Unabhängig davon, warum eine Katze beim Tierarzt vorgestellt wird, muss sie gewogen und ihr Körpergewicht vermerkt werden.

389


TABELLE 1 – SCORING-SYSTEM FÜR DIE MUSKELMASSE

© K.Michel & K. Sorenmo

2 - Klinische Beurteilung des Ernährungsstatus von Tumorpatienten

Abbildung 3 – Beurteilung der Körperzusammensetzung der Katze

Feline Tumorpatienten können eine relativ normale Silhouette und ein relativ normales Körpergewicht aufweisen.

Bei Katzen sollte die Beurteilung des Körperfettes neben der Palpation des Brustkorbes stets auch eine Palpation des abdominalen Fettpolsters umfassen.

Das Body Condition Scoring umfasst deshalb eine manuelle Palpation, um sowohl die Fettspeicher als auch die fettfreie Körpermasse beurteilen zu können.

Zusätzlich zu den Standardtechniken des BCS sollten feline Tumorpatienten stets auch auf Hinweise für einen Muskelabbau durch Palpation der Muskelmasse über knöchernen Vorsprüngen, wie z. B. den Dornfortsätzen, untersucht werden.

Grad

Muskelmasse

0

Hochgradiger Muskelschwund: palpatorisch stark ausgeprägter Rückgang der Muskelmasse über der Skapula, am Schädel oder an den Darmbeinflügeln.

1

Mittelgradiger Muskelschwund: palpatorisch deutlich wahrnehmbare Rückbildung der Muskelmasse über der Skapula, am Schädel oder an den Darmbeinflügeln.

2

Geringgradiger Muskelschwund: geringfügige, aber palpatorisch erkennbare Rückbildung der Muskelmasse über der Skapula, am Schädel oder an den Darmbeinflügeln.

3

Palpatorisch physiologische Muskelmasse über der Skapula, am Schädel oder an den Darmbeinflügeln.

Auf der Grundlage der Ergebnisse von Anamnese und klinischer Untersuchung wird der Patient einer der folgenden Kategorien zugeordnet: A : Guter Ernährungszustand B : Grenzwertiger Ernährungszustand oder Tendenz zur Unterernährung C : Deutliche Unterernährung Die Beurteilung des Ernährungsstatus bildet in Verbindung mit der Tumordiagnose, dem Tumorstadium, dem Behandlungsprotokoll und der Prognose die Entscheidungsgrundlage für die Konzeptionierung der diätetischen Therapie.

Tumor/Kachexie

Beurteilung der freiwilligen Futteraufnahme Um beurteilen zu können, ob die freiwillige Futteraufnahme des Patienten ausreichend ist, müssen zunächst ein kalorisches Ziel definiert, eine geeignete Nahrung ausgewählt und eine Fütterungsempfehlung formuliert werden. Auf dieser Grundlage lässt sich genau feststellen, wie viel Futter dem Patienten angeboten wird und welche Futtermenge er tatsächlich aufnimmt.

> Hospitalisierte Patienten Bei hospitalisierten Patienten empfehlen wir die Verwendung des Ruheenergiebedarfs (REB) als initiales kalorisches Ziel (Tabelle 2), da die meisten stationären Patienten aufgrund der nahezu bewegungslosen Käfighaltung in der Tat nicht viel mehr als die Ruheenergie verbrauchen. Unter solchen Bedingungen verlieren Tiere, deren REB gedeckt ist, nur wenig bis gar kein Körpergewicht. Sollte ein Patient freiwillig mehr Kalorien aufnehmen wollen, sollte dies natürlich gestattet sein. Bei Patienten mit reduziertem Appetit stellt die Einleitung der diätetischen Therapie mit dieser Nahrungsmenge eine erste Zielgröße dar. Wichtig ist eine kontinuierliche Überwachung der Futteraufnahme und des Körpergewichts des Patienten, um sicherzustellen, dass eine ausgeglichene Energiebilanz besteht und um eine zeitnahe Anpassung des Ernährungsplans vornehmen zu können, wenn der Patient nicht erwartungsgemäß reagiert (siehe Kapitel 13). 390


2 - Klinische Beurteilung des Ernährungsstatus von Tumorpatienten

> Ambulante Patienten Der Großteil feliner Tumorpatienten wird ambulant behandelt und benötigt deshalb eine über die Deckung des Ruheenergiebedarfs hinausgehende, zusätzliche Kalorienzufuhr, um die im Vergleich zu hospitalisierten Patienten höhere körperliche Aktivität zu kompensieren. Unter diesen Umständen empfiehlt es sich, den täglichen Erhaltungsenergiebedarf (EEB oder MER [maintenance energy requirement]) zu ermitteln (Tabelle 3) und als Grundlage für die Berechnung des kalorischen Anfangsziels einzusetzen. Diese Informationen müssen schließlich in deutliche Fütterungsanweisungen für den Katzenbesitzer umgewandelt werden. Diese enthalten präzise Angaben zu den Portionsgrößen des jeweiligen Futters, und zwar in ähnlicher Form und Präzision wie dies auch bei der Dosierung von Arzneimitteln üblich ist. Ferner sollte ein Plan für Rückmeldungen des Katzenbesitzers an den Tierarzt erstellt werden. Diese Rückmeldungen sollten auf regelmäßiger Basis erfolgen und die tägliche Futteraufnahme und eine genaue Gewichtskontrolle beinhalten, um die Reaktionen des Patienten zeitnah beurteilen und den Fütterungsplan gegebenenfalls modifizieren zu können.

Beurteilung der Notwendigkeit einer unterstützten Ernährung Patienten, die entweder nicht in der Lage sind, Nahrung aufzunehmen, oder deren freiwillige Futteraufnahme nicht ausreicht, um eine ausgeglichene Energiebilanz aufrechtzuerhalten, benötigen eine Form einer nutritiven Intervention entweder durch eine Fütterung von Hand oder auf dem invasiveren Weg einer so genannten unterstützten oder „künstlichen“ Ernährung (siehe Kapitel 13). Klar ist, dass das ErnährungsmaTABELLE 2 – SCHÄTZUNG DES RUHEENERGIEBEDARFS (REB)

TABELLE 3 – SCHÄTZUNG DES TÄGLICHEN ERHALTUNGSENERGIEBEDARFS (MER) MER = 1,1 bis 1.2 x REB

REB = 70 x KG (kg) 0,73 oder REB = 30 x KG (kg) + 70* REB = 70 x KG (kg)

KG (kg)

1,1 x REB (kcal)

1,2 x REB (kcal)

1

77

84

1,5

103

113

2

128

139

2,5

151

164

3

172

187

(kcal)

1

70

1,5

94

2

116

2,5

137

3

156

3,5

175

4

193

3,5

193

210

4,5

210

4

212

232

5

227

4,5

231

252

5,5

243

6

259

5

250

272

6,5

274

5,5

267

292

7

290

6

285

311

7,5

305 6,5

301

329

8

319 7

319

348

7,5

336

366

8

351

383

* Patienten mit einem KG > 2 kg (Bei Patienten mit übermäßigem Fettgewebe wird eine konservative Schätzung der individuellen fettfreien Körpermasse für die Berechnung verwendet.) KG: Körpergewicht

Tumor/Kachexie

KG (kg)

0,73

391


3 - Tumorkachexie-Syndrom

nagement dieser zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung bereits deutlich mangelernährten Patienten unmittelbares Handeln verlangt. Eine reduzierte Futteraufnahme als Folge der Tumortherapie kann in vielen Fällen bereits vor Behandlungsbeginn antizipiert werden. Für solche Fälle sollte man deshalb stets eine Strategie für eine schnelle nutritive Intervention vorbereitet haben. Insbesondere gilt dies natürlich für Patienten, deren Ernährungsstatus bereits zu Therapiebeginn als grenzwertig angesehen wird.

© K.Michel & K. Sorenmo

3 - TumorkachexieSyndrom

Abbildung 4 – Beurteilung des Gewichtsverlustes. Bei zahlreichen felinen Tumorpatienten liegt bereits zum Diagnosezeitpunkt ein Gewichtsverlust vor. Bei diesen Patienten besteht während der Einleitung einer Chemotherapie die Gefahr einer weiteren Verschlechterung der körperlichen Verfassung.

Unterscheidung zwischen „physiologischem“ Gewichtsverlust aufgrund von Nahrungskarenz/Hungern und „pathologischem“ Gewichtsverlust infolge einer Kachexie Heute ist allgemein bekannt, dass ein Gewichtsverlust bei humanen Krebspatienten ein weit verbreiteter und zugleich eng mit dem klinischen Verlauf und der Prognose assoziierter Befund ist (Tisdale 1997). Wie bereits erwähnt, kann es im Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung aus einer Reihe von Gründen zu Gewichtsverlust kommen, darunter die Auswirkungen des Tumors selbst und die Folgen der Tumortherapie. Dennoch kann der bei vielen humanen Krebspatienten zu beobachtende Gewichtsverlust scheinbar nicht ausschließlich einer verminderten Nahrungsaufnahme zugeschrieben werden. Im „physiologischen“ Hungerzustand durch eine einfache Nahrungskarenz verliert ein Individuum hauptsächlich Fettgewebe, während Patienten mit einer Tumorerkrankung sowohl Fettgewebe als auch fettfreie Körpermasse abbauen (Moley et al. 1987). Darüber hinaus korreliert das Ausmaß des Gewichtsverlustes häufig nicht mit der Menge der aufgenommenen Nahrung, und der Gewichtsverlust kann durch vermehrte Kalorienaufnahme nicht umgekehrt werden (Costa et al. 1980). Verschiedenen Hypothesen zufolge ist das paraneoplastische Syndrom der Tumorkachexie das Resultat metabolischer Veränderungen infolge des zugrunde liegenden Tumors. Störungen des Kohlenhydrat-, Lipidund Proteinstoffwechsels werden sowohl bei humanen als auch bei kaninen Tumorpatienten beobachtet und können zu einem Gewichtsverlust beitragen (Shapot & Blinov 1974; Nixon et al. 1980; Nolop et al. 1987; Shaw & Wolfe 1987; Vail et al. 1990; Tayek 1992; McMillan et al. 1994; Ogilvie et al. 1994 und 1997; Vail et al. 1994; Dworzak et al. 1998). Darüber hinaus weiß man, dass Zytokine wie TNFa, IL-1 und IL-6 eine Rolle bei diesen Stoffwechselveränderungen spielen können (Gelin et al. 1991; Moldawer & Copeland 1997).

Tumor/Kachexie

Unklar ist, in welchem Ausmaß der bei felinen Tumorpatienten beobachtete Gewichtsverlust auf einen Appetitverlust oder die direkten Effekte des Tumors beziehungsweise der Tumortherapie auf die Nährstoffassimilation oder den Stoffwechsel zurückzuführen ist und in welchem Ausmaß das Tumorkachexie-Syndrom (Abbildung 4) hierfür verantwortlich ist. Wichtig ist die Beantwortung dieser Frage vor allem deshalb, da bei der zuerst genannten Problematik ein sorgfältiges Fütterungsmanagement in der Lage sein sollte, den Gewichtsverlust und den Körperzustand zu verbessern, wohingegen im letzteren Szenario effektive Maßnahmen einer Gegensteuerung nur schwer zu definieren sind.

Der Körperzustand (Body Condition) als prognostischer Faktor In der humanen Onkologie gilt das Tumorkachexie-Syndrom als negativer prognostischer Faktor für das Überleben, das Operationsrisiko, das Ansprechen auf eine Chemotherapie und die Therapieverträglichkeit (Daly et al. 1979; De Wys et al. 1980; McCaw 1989). In einigen vorläufigen Studien über Kleintiere mit Tumorerkrankungen wurden Körperkondition und Gewichtsverlust untersucht. Bei der Analyse der Körperkondition der in der onkologischen Abteilung der University of Pennsylvania untersuchten Hunde wurden lediglich 5 % der Hunde als signifikant untergewichtig mit einem BCS <2.5/5 (1 = kachektisch, 3 = optimal, 5 = adipös) bewertet, während 29 % als deutlich übergewichtig (BCS > 4/5) klassifiziert wurden (Michel et al. 2004). Dagegen ergab eine Untersuchung feliner Tumorpatienten in derselben Einrichtung, dass bis zu 44% der in der onkologischen Abteilung behandelten Katzen mit Tumorerkrankung einen BCS < 3/5 aufwiesen (Baez et al. 2007). 392


Im Gegensatz zu vergleichbaren Untersuchungen aus der Humanonkologie stellt das bloße Vorhandensein eines Gewichtsverlustes oder einer Kachexie bei Katzen keinen unabhängigen negativen prognostischen Indikator dar (Vigano et al. 2000). Dennoch lassen die Ergebnisse vermuten, dass ein Gewichtsverlust und eine Verschlechterung des körperlichen Zustandes signifikante Probleme auch in der felinen Tumormedizin darstellen und negative Auswirkungen auf die Behandlung, die Remissionsdauer und die Lebensqualität der Patienten haben.

4 - Auswirkungen der Tumortherapie auf den Ernährungsstatus

Dieselbe Studie ergab auch, dass sowohl ein niedriger BCS als auch ein niedriges Körpergewicht eine negative Auswirkung auf die Prognose haben. Sowohl Katzen mit soliden Tumoren als auch Katzen mit Lymphomen haben signifikant kürzere Überlebenszeiten, wenn sie ein niedriges Körpergewicht oder einen niedrigen BCS aufweisen. Darüber hinaus wurde eine positive Korrelation zwischen Remissionsstatus und BCS festgestellt.

Katzen in Remission haben mit größerer Wahrscheinlichkeit ein höheres Körpergewicht und einen höheren Body Condition Score.

4 - Auswirkungen der Tumortherapie auf den Ernährungsstatus Eine der größten Herausforderungen in der veterinärmedizinischen Onkologie stellen entkräftete Katzen mit fortgeschrittenem alimentärem Lymphom dar. Typischerweise ist der schlechte Ernährungsstatus dieser Patienten das Ergebnis einer Kombination mehrerer Faktoren, die letztlich in einer chronischen Mangelernährung resultieren. Diese Symptome können eine direkte Folge der gastrointestinalen Beteiligung oder des jeweiligen Krankheitsstadiums sein, zum Teil aber auch auf einen infolge des Tumorkachexie-Syndroms gestörten Stoffwechselstatus zurück gehen.

Unerwünschte Nebenwirkungen der Chemotherapie Unabhängig von der Pathogenese ist es notwendig, die zugrunde liegende Tumorerkrankung gezielt zu behandeln, um diese klinischen Symptome erfolgreich zurückzudrängen. In vielen Fällen bedarf es hierzu einer Chemotherapie. Die Wahl des chemotherapeutischen Protokolls hängt vom Zelltyp oder vom Grad des Lymphoms ab. Die meisten Onkologen verwenden für die Behandlung von Katzen mit Lymphomen eines mittleren bis hohen Malignitätsgrades („intermediate“ bis „high grade“ Lymphom) eine Kombination verschiedener chemotherapeutischer Medikamente einschließlich Prednison, Asparaginase, Vincristin, Cyclophosphamid, Methotrexat und Doxorubicin (Moore et al. 1996; Valerius et al. 1997; Vail et al. 1998; Zwahlen et al. 1998; Kristal et al. 2001; Teske et al. 2002; Richter 2003; Milner et al. 2005). Viele dieser Medikamente können gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Anorexie, Diarrhoe und allgemeine Erschöpfung haben, klinische Symptome also, die viele betroffene Katzen ohnehin bereits aufweisen. Bereits entkräftete Patienten zeigen mit höherer Wahrscheinlichkeit unerwünschte Nebenwirkungen, benötigen eher eine Dosisreduktion, sprechen schlechter auf die Therapie an und zeigen schlechtere Behandlungsresultate und Prognosen. Die Einleitungsphase kann sich als besonders schwierig erweisen und bedarf einer sorgfältigen Überwachung der Tumorreaktion, gegebenenfalls spezifischer Maßnahmen gegen eine mit der Behandlung einhergehende Toxizität und einer kontinuierlichen Beurteilung des Allgemeinzustands der Katze.

Variabilität individueller Reaktionen

Katze mit alimentärem Lymphom und hochgradigem Gewichtsverlust

© Alex German

Tumor/Kachexie

Bei einem Lymphom handelt es sich um eine relativ gut auf chemotherapeutische Maßnahmen ansprechende Tumorerkrankung. Einige Katzen mit high grade Lymphomen erreichen unter Umständen sehr schnell eine Remission, vertragen die Chemotherapie und erholen sich ohne spezifische diätetische Maßnahmen. Andere Patienten benötigen dagegen sehr viel mehr Zeit, um eine Remission zu entwickeln, zeigen eine sich im Laufe der Zeit immer weiter verschlechternde Verträglichkeit der Chemotherapie und entwickeln während der Einleitungsphase einen fortschreitenden Gewichtsverlust. Einige dieser so behandelten Katzen erreichen nie eine Remission und gehen frühzeitig zugrunde, bei anderen wird die Chemotherapie aufgrund einer inakzeptablen Toxizität und/oder einer Verschlechterung der Lebensqualität frühzeitig abgebrochen. Diese Katzen benötigen unterstützende therapeutische Maßnahmen. Eine an der University of Pennsylvania durchgeführte Prospektivstudie über die Inzidenz toxischer Nebenwirkungen und die Lebensqualität von chemotherapeutisch behandel393


5 - Diätetische Intervention

FUTTERAVERSION Verbindet eine Katze eine bestimmte Nahrung mit Leiden, Beschwerden, einer unangenehmen Erfahrung (stationärer Aufenthalt) oder einem Verdauungsproblem (Vergiftung), liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, dass sie die Aufnahme dieser Nahrung auch in der Zukunft verweigert. Dieses Phänomen wird als Futteraversion bezeichnet und stellt eine Form der negativen Konditionierung dar, die von Tieren angewandt wird, um ungeeignete oder gefährliche Nahrung zu meiden. Bei Katzen stellt sich eine Aversion sehr schnell ein. Bereits eine einzige Mahlzeit einer mit unangenehmen Erfahrungen assoziierten Nahrung führt zur Verweigerung der Nahrungsaufnahme. Eine solche Aversion kann über mindestens 40 Tage anhalten (Bradshaw et al. 1996). Schon der Geruch eines mit Verdauungsproblemen assoziierten Futtermittels genügt, um eine Futteraversion auszulösen. Katzen gehen sogar so weit, dass sie ihr gewohntes Futter verweigern, wenn die Umgebungsluft nach der Nahrung riecht, gegen die sie eine Aversion entwickelt haben.

TABELLE 4 – ANZEICHEN EINER ERLERNTEN FUTTERAVERSION Der Patient zeigt zwar zunächst Interesse am Futter, zieht sich aber zurück, nachdem er das angebotene Futter beschnuppert oder probiert hat. Der Patient speichelt, schluckt wiederholt oder dreht den Kopf zur Seite, wenn Futter angeboten wird. Ein Patient im Käfig positioniert sich so weit wie möglich vom Futternapf entfernt.

ten Hunden und Katzen bestätigt, dass Gewichtsverlust, Erbrechen und Anorexie bei Katzen häufiger auftreten als bei Hunden (Bachman et al. 2000). Sechzig Prozent der Katzen verlieren in der Einleitungsphase an Gewicht. Dies steht in krassem Gegensatz zum Hund, wo nahezu 70% der entsprechend behandelten Patienten eine Gewichtszunahme verzeichnen (p = 0,0077). Doxorubicin steht den Untersuchungen zufolge sowohl bei Katzen als auch bei Hunden am häufigsten im Zusammenhang mit Gewichtsverlust und Erbrechen. Diese Ergebnisse spiegeln die hohe Komplexität der Situation wider. Eine Chemotherapie ist zwar notwendig, um die zugrunde liegende Tumorerkrankung zu behandeln, andererseits kann sie jedoch die klinischen Symptome verstärken und zu einem weiteren Gewichtsverlust, Erbrechen, Diarrhoe und einer verminderten Lebensqualität beitragen. Die mediane Überlebenszeit bei Katzen mit Lymphom beträgt weniger als ein Jahr. Ein schlechter Ernährungsstatus und ein niedriges Körpergewicht korrelieren bei der Katze mit schlechteren Behandlungsresultaten und Prognosen (Baez et al. 2007). Nicht bekannt ist, ob eine frühzeitige nutritive Intervention mit dem Ziel einer Umkehr des Gewichtsverlustes und einer Verbesserung des Body Condition Scores bei diesen Katzen zu einem besseren Behandlungsergebnis und einer besseren Prognose führen kann. Die Ergebnisse zeigen jedoch sehr deutlich, dass einer bedarfsgerechten nutritiven Unterstützung eine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, um einerseits die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und andererseits möglicherweise auch ihr Überleben zu verlängern.

5 - Diätetische Intervention Unterstützte Fütterung per Hand Wenn der Appetit einer Katze herabgesetzt ist, wird man natürlich versuchen, den Patienten mit einer Auswahl besonders schmackhafter Futtermittel zur Nahrungsaufnahme zu „überreden“. Sehr häufig versuchen Besitzer in dieser Situation, ihrer Katze zur Nahrungsaufnahme zu bewegen, indem sie ihr das Futter unmittelbar vor das Maul halten oder es unter mehr oder weniger starkem Zwang sogar in das Maul hinein geben. Gelegentlich führen diese Maßnahmen tatsächlich zum Erfolg und bewirken letztlich die Wiederaufnahme einer ausreichenden freiwilligen Nahrungsaufnahme. Allerdings sind solche Bemühungen sehr arbeits- und zeitintensiv. Im Vorfeld sollte stets ein Fütterungsplan mit sehr genauen und spezifischen Kalorienangaben erstellt werden, so dass der Besitzer abschätzen kann, ob die von seiner Katze aufgenommene Futtermenge zur Deckung des Bedarfs ausreicht. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass Katzen gelegentlich Nausea, ein gestörtes Allgemeinbefinden oder Schmerzen mit der Nahrungsaufnahme oder sogar mit dem Anblick oder dem Geruch von Futter assoziieren und dessen Aufnahme schließlich verweigern. Dieses Phänomen wird als erlernte Futteraversion bezeichnet und kann eine ausreichende freiwillige Futteraufnahme zusätzlich erschweren. Bei jedem Versuch einer unterstützten Fütterung muss deshalb auf Anzeichen einer Futteraversion geachtet werden (Tabelle 4). Zu beachten ist ferner, dass es Situationen gibt, in denen über einen gewissen Zeitraum auf eine künstliche Ernährung zurückgegriffen werden muss, um eine vorhandene oder im Entstehen begriffene Futteraversion nicht weiter zu verstärken. Tabelle 5 listet einige allgemeine Richtlinien für den Umgang mit diesen Patienten auf. Jeder Patient wird sich jedoch anders verhalten und muss stets als Individuum betrachtet werden, um die im Einzelfall am besten geeignete Strategie wählen zu können.

„Künstliche“ Ernährung per Sonde

© Kathryn Michel

Tumor/Kachexie

Zahlreiche Informationen aus der Beurteilung des Ernährungsstatus unterstützen die Wahl der im Einzelfall am besten geeigneten Route für die künstliche Ernährung. Weitere im Rahmen der Entscheidungsfindung zu berücksichtigenden Informationen sind: - die Funktion des Gastrointestinaltraktes, - die Beurteilung anderer Organsysteme, die einen Einfluss auf spezifische Nährstoffverträglichkeiten des Patienten haben können, - die Beurteilung der Fähigkeit des Patienten, das Legen einer Ernährungssonde und die Ernährungssonde selbst zu vertragen, - die Beurteilung des Aspirationsrisikos (Aspirationspneumonie). Wird eine parenterale Ernährung in Betracht gezogen, müssen zudem die Möglichkeiten eines Gefäßzuganges sowie die Flüssigkeitsverträglichkeit des Patienten beurteilt werden.

Abbildung 5 – Künstliche Ernährung per Ösophagostomiesonde. Ösophagostomiesonden sind verhältnismäßig wenig invasiv und einfach zu platzieren. Sie bieten einen gut tolerierten Zugang für die künstliche Ernährung feliner Patienten. 394

Bei der Beurteilung eines Tumorpatienten im Hinblick auf eine künstliche Ernährung sind einige zusätzliche Überlegungen notwendig. So können einige chemotherapeutische Agenzien die Wundheilung beeinträchtigen und zu einem erhöhten Risiko septischer Komplikationen bei Sonden in der Peritonealhöhle (z.B. Gastrostomie- und Enterostomiesonde) führen. Bei Patienten unter immunsuppressiver Medikation besteht ein zusätzlich erhöhtes Risiko septischer Komplikationen. Eine Strahlentherapie kann ähnliche Folgen haben, sofern sich die Sonde innerhalb des bestrahlten Areals befindet. Die Ösopha-


Eine letzte Überlegung gilt der Tatsache, dass die künstliche Ernährung eine Form einer lebenserhaltenden Maßnahme darstellt. Richtig angewandt, kann sie sowohl das Leben des Patienten verlängern, als auch seine Lebensqualität verbessern. Bei Patienten im Endstadium kann es allerdings auch Umstände geben, unter denen eine Euthanasie eher im Interesse des Patienten liegt als lebensverlängernde Maßnahmen. Häufig fällt es Patientenbesitzern schwerer, lebenserhaltende Maßnahmen zu beenden, als diese einzuleiten. Die Entscheidung für oder gegen eine künstliche Ernährung sollte diese ethischen Aspekte deshalb nicht außer Acht lassen. Abbildung 6 zeigt einen Entscheidungsbaum, der illustriert, auf welche Weise diese verschiedenen Faktoren in die Entscheidungsfindung hinsichtlich der sichersten und effektivsten Route der künstlichen Ernährung einbezogen werden. Die künstliche Ernährung von Katzen wird in Kapitel 13 im Detail besprochen.

Auswahl des Futtermittels Im Allgemeinen basiert die Auswahl des Futtermittels darauf, welche Probleme des Patienten durch die Ernährung beeinflusst werden können

TABELLE 5 – RICHTLINIEN FÜR DIE UNTERSTÜTZTE FÜTTERUNG Widerstehen Sie der Versuchung, eine Katze zum Fressen bewegen zu wollen, wenn diese offensichtliche Anzeichen von Nausea und Unwohlsein zeigt. Katzen, die beim Anblick oder dem Geruch von Futter schlucken, speicheln, ihren Kopf zur Seite drehen oder das Futter ausspucken, wenn es direkt ins Maul eingegeben wird, sollten nicht zum Fressen gezwungen werden. Ziehen Sie die Anwendung antiemetischer Medikamente in Betracht, wenn Erbrechen und Übelkeit ein Problem darstellen.

5 - Diätetische Intervention

gostomiesonde hat viele der Vorteile einer Gastrostomiesonde, birgt jedoch ein geringeres Risiko für hochgradige septische Komplikationen (Abbildung 5). Diese Sonden lassen sich in der Regel einfach und kostengünstig legen und werden von Katzen meist gut toleriert.

Ziehen Sie die Möglichkeit einer künstlichen Ernährung in Betracht. Erwägen Sie Appetit stimulierende Medikamente. Allerdings sollten diese nur bei Katzen angewendet werden, die keine Anzeichen einer Futteraversion zeigen, oder bei Patienten, die sich auf dem Wege der Besserung befinden und jetzt möglicherweise in der Lage sind, ihre Futteraversion zu überwinden. Bei Katzen, die ein gewisses Interesse an Futter zeigen: - Versuchen Sie, der Katze neues, unbekanntes Futter anzubieten. Zu beachten ist, dass Tischreste nicht alle von Katzen benötigten Nährstoffe beinhalten. Wenn Katzen über längere Zeiträume als einige wenige Tage zu Hause selbst zubereitete Mahlzeiten zu sich nehmen, sollte deren Nährstoff- und Energiegehalt von einem auf Tierernährung und Diätetik spezialisierten Tierarzt beurteilt werden. - Sorgen Sie für eine Nahrungsaufnahme unter möglichst angenehmen und stressfreien äußeren Umständen. Die Mahlzeiten sollten von anderen Behandlungsmaßnahmen, wie z.B. der Verabreichung von Medikamenten, getrennt werden. - Teilen Sie die Tagesration in möglichst viele kleine Mahlzeiten auf. Häufige kleine, frische Mahlzeiten versprechen mehr Erfolg als einige wenige große Mahlzeiten, unabhängig davon, welche Akzeptanz das Futter besitzt. - Futterbestandteile, die bei den meisten Katzen die Akzeptanz erhöhen, sind Feuchtigkeit, Fett und Protein. Die Akzeptanz des Futters lässt sich unter Umständen bereits durch eine einfache Umstellung von Trockenfutter zu Dosennahrung - oder umgekehrt – erhöhen. - Vergessen Sie nicht, dass für Katzen das „Maulgefühl“ (Textur und Konsistenz des Futters) ein wichtiger Aspekt der Akzeptanz ist (eine Umstellung auf Dosenfutter wird also nicht immer zum Erfolg führen). Bei der Gabe von Futtermitteln mit erhöhtem Fett- oder Proteinanteil sollte stets die individuelle Verträglichkeit dieser beiden Nährstoffe berücksichtigt werden. Ein Standardtipp zur Anregung der Nahrungsaufnahme bei anorektischen Katzen ist das Anwärmen des Futters auf eine unmittelbar unterhalb der Körpertemperatur liegende Temperatur. Dadurch soll sich das Aroma der Nahrung intensivieren, was wiederum zu einer Steigerung der Geschmacksintensität führt. Bei Patienten mit Futteraversion kann sich diese Maßnahme jedoch als kontraproduktiv erweisen.

ABBILDUNG 6 – ENTSCHEIDUNGSBAUM ZUR FESTLEGUNG DER ERNÄHRUNGSROUTE Patient unfähig zur Nahrungsaufnahme bzw. Nahrungsaufnahme kontraindiziert

Funktioneller Gastrointestinaltrakt?

Aspirationsrisiko Niedrig

NEIN Parenterale Ernährung Hoch

Niedrig

kurzzeitige nutritive Unterstützung langfristige nutritive Unterstützung Nasoösophagealsonde

Tumor/Kachexie

JA

Ösophagostomie- oder Gastrostomiesonde

Narkoserisiko Hoch

Niedrig

Nasojejunale Sonde oder parenterale Ernährung

Magenfunktion normal Gastrostomiesonde

abnorm transpylorisch oder chirurgisch eingesetzte Jejunostomiesonde

395


6 - Pharmakologische Intervention

und sollen, sowie natürlich auf dem individuellen Nährstoff- und Energiebedarf des Patienten. Zwar gibt es viele Untersuchungen darüber, auf welche Weise die Ernährung insgesamt und einzelne Nährstoffe gezielt eingesetzt werden können, um das Tumorwachstum zu verlangsamen oder aufzuhalten, die Immunfunktionen zu modifizieren oder dem Tumorkachexie-Syndrom entgegenzuwirken, allerdings wurden die meisten dieser Untersuchungen an Nagetiermodellen oder am humanen Patienten durchgeführt. Es gibt einige vorläufige klinische Untersuchungen an kaninen Tumorpatienten, bislang jedoch keine vergleichbaren Studien über Katzen. Bei Hunden mit einem Lymphom im Stadium III erhöht die Gabe einer kohlenhydratarmen Dosennahrung, angereichert mit Fischöl und Arginin, die Überlebenszeit und das krankheitsfreie Intervall (Ogilvie et al. 2000). Mit Ausnahme des zusätzlichen Fischöls haben viele konventionelle Dosennahrungsprodukte für Katzen eine ähnliche Zusammensetzung wie die in dieser Untersuchung verwendete Nahrung. Eines der Hauptkriterien bei der Futterauswahl für Katzen mit Tumorerkrankung ist die Akzeptanz der Nahrung. Darüber hinaus sollte das Futter den Nährstoff- und Energiebedarf der Katze decken und muss unter Umständen gezielt supplementiert werden, um spezifische Mängel zu kompensieren. Idealerweise sollte die Nahrung eine hohe Energiedichte aufweisen, um insbesondere bei Patienten mit reduziertem Appetit eine ausreichende Energieaufnahme bei reduziertem Futtervolumen zu erleichtern. Zeigt ein Patient zusätzlich zum Tumorgeschehen oder als sekundäre Folge der Tumorerkrankung weitere klinische Symptome oder Erkrankungen, die von einem diätetischen Management profitieren könnten, sollten auch diese bei der Wahl des Futters und bei der Wahl seiner Zusammensetzung berücksichtigt werden. Schließlich kann es bei Patienten mit Tumoren im Bereich des Gastrointestinaltraktes, insbesondere bei Lymphomen, zu einer Malabsorption von Nährstoffen kommen. Diese kann sowohl zu einer generalisierten Protein-Energie-Unterversorgung, als auch zu spezifischen Mikronährstoffmängeln führen. Ein bei Katzen mit Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes einschließlich Lymphom zu beobachtender spezifischer Nährstoffmangel ist eine Unterversorgung mit Kobalamin (Simpson et al. 2001). Katzen mit einer durch Kobalaminmangel komplizierten Inflammatory Bowel Disease zeigten in einer Studie unter parenteraler Kobalamingabe (250 µg s.c., 1x wöchentlich über 4 Wochen) eine verbesserte Gewichtszunahme und ein verbessertes Ansprechen auf die Therapie (Ruaux et al. 2005). Nach unseren klinischen Eindrücken können auch Katzen mit alimentärem Lymphom von einer parenteralen Kobalaminsupplementierung profitieren.

6 - Pharmakologische Intervention Zusätzlich zur Behandlung des zugrunde liegenden Tumors mittels chirurgischem Eingriff, Strahlentherapie, Chemotherapie oder einer Kombination dieser Therapieoptionen besteht in einigen Fällen eine Indikation für eine zusätzliche Medikation, um dem Gewichtsverlust entgegenzuwirken und die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Um die wirksamsten Medikamente wählen zu können und dem Patienten eine optimale Behandlung zu sichern, muss zunächst jedoch die Ursache der mangelnden Futteraufnahme und des Gewichtsverlustes ermittelt werden.

Ursachen von Dysorexie und Anorexie

Tumor/Kachexie

Unter Anorexie versteht man eine Insuffizienz der physiologischen Appetitsignale. Es kann sich um eine direkte oder indirekte Folge der Tumorerkrankung selbst oder aber der Tumortherapie, insbesondere einer Chemotherapie, handeln. Ein verminderter oder vollständig fehlender Appetit kann eine direkte Folge von Schmerzen oder Beschwerden im Abdominalbereich sein. Eine frühzeitig eintretendes Sättigungsgefühl kann die Folge eines eingeschränkten Magenvolumens oder einer verzögerten Magenentleerung infolge eines infiltrierenden Tumors sein. Primäre intestinale Tumore können eine vollständige oder partielle Obstruktion, einen Ileus, eine Malabsorption, eine Diarrhoe oder eine Obstipation hervorrufen, pathologische Veränderungen also, die wiederum zu Beschwerden, Aufblähen des Abdomens, Anorexie oder Nausea führen können (Uomo et al. 2006). Die Chemotherapie kann durch ihre Wirkungen auf das Brechzentrum im Gehirn und den Gastrointestinaltrakt zu einem weiteren Appetitverlust beitragen. Bestimmte chemotherapeutische Medikamente, wie zum Beispiel Vincristin, können einen Ileus und Obstipation verursachen und damit wiederum zu Anorexie und Depression führen (Ogilvie et al. 2001). Die direkten zytotoxischen Effekte auf die epitheliale Darmauskleidung können zu einer Epithelablösung führen und damit eine bakterielle Translokation und sekundär eine bakterielle Überwucherung im Darm zur Folge haben. Eine durch die Chemotherapie induzierte Gastroenteritis kann Nausea, Erbrechen und Diarrhoe auslösen. Das Sepsisrisiko ist besonders hoch, wenn der Patient begleitend eine Myelosuppression aufweist. Ist ein Sepsisrisiko bereits im Vorfeld erkennbar, empfiehlt es sich, den Patienten präventiv mit einem Breitspektrumantibiotikum mit guter Gram-negativer und Gram-positiver Abdeckung zu versorgen. 396


6 - Pharmakologische Intervention

Analgesie Schmerzen und Beschwerden können zu Anorexie und Gewichtsverlust beitragen. Bei veterinärmedizinischen Patienten ist es häufig schwierig festzustellen, ob und in welchem Maße sie unter Schmerzen leiden, insbesondere, wenn es sich um viszerale Schmerzen handelt. Bei humanen Krebspatienten mit Tumoren der Bauchorgane wird häufig von Viszeralschmerzen berichtet, insbesondere bei Bauchspeicheldrüsenkrebs. Tumorkachexie ist bei Patienten mit Pankreastumoren verbreiteter als bei jedem anderen Krebstyp, und Berichten zufolge sind bis zu 80 % dieser Patienten kachektisch (Splinter 1992; Ryan et al. 1998). Im Rahmen der palliativen Behandlung erhalten diese Patienten routinemäßig Schmerzmittel (Li et al. 2004). Möglich ist, dass auch Katzen mit alimentärem Lymphom zu einem gewissen Grad unter Beschwerden oder Schmerzen leiden. Allerdings wurde die Wirksamkeit schmerzlindernder Medikamente hinsichtlich einer Appetitsteigerung und einer Gewichtszunahme bei diesen Patienten bislang nicht untersucht, und Analgetika werden in diesen Situationen gegenwärtig nicht routinemäßig verordnet. Schmerzen sind bei Katzen mit offensichtlichen und/oder inoperablen soliden Tumoren, die Knochen befallen oder zerstören oder Nerven komprimieren, leichter zu diagnostizieren und infolgedessen auch zu behandeln. Bei Katzen mit oralen Plattenepithelkarzinomen oder Osteosarkomen erfolgt routinemäßig eine palliative Versorgung mit Fokus auf der Behandlung der Tumorschmerzen über eine orale oder parenterale Schmerzbehandlung und/oder eine palliative Strahlentherapie. Nach dem subjektiven Eindruck der Autoren verbessert sich der Zustand einiger auf diese Weise behandelter Katzen, einhergehend mit einer Verbesserung der freiwilligen Nahrungsaufnahme. Kontrollierte Studien, die diese Beobachtungen bestätigen, gibt es bislang jedoch nicht.

Entzündungshemmende Arzneimittel Die systemischen Effekte der Tumorerkrankung und die mit dem Tumorkachexie-Syndrom assoziierten metabolischen Veränderungen werden durch ein komplexes Netzwerk proinflammatorischer Zytokine vermittelt (Jatoi et al. 2001; Walker 2001). Entzündungshemmende Arzneimittel können deshalb möglicherweise eine Rolle bei der Umkehr einiger dieser Effekte spielen. Zur Gruppe der nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAIDs) gehören mehrere Wirkstoffe mit einer Anti-Cyclooxigenase-Aktivität. Diese Medikamente wirken sowohl analgetisch als auch antiinflammatorisch, und sind deshalb von potenziell doppeltem Nutzen für Patienten mit einem schmerzhaften, inoperablen Tumor und/oder den systemisch-entzündlichen Auswirkungen des Tumors und des Tumorkachexie-Syndroms. Darüber hinaus haben die Anti-Cyclooxigenase-2-Wirkungen unter Umständen auch direkte Anti-Tumor-Effekte, insbesondere bei Neoplasien, die dieses Enzym überexprimieren. Direkte Anti-Tumor-Wirkungen von NSAIDs werden bislang jedoch nur bei Hunden beschrieben (Schmidt et al. 2001; Knapp et al. 2002; Mustaers et al. 2003; Mohammed et al. 2004; Mustaers et al. 2005). Berichten zufolge verbessern NSAIDs einige der mit einer Tumorkachexie einhergehenden Symptome und verbessern die Lebensqualität bei humanen Patienten mit Tumoren der Bauchspeicheldrüse oder anderen gastrointestinalen Tumoren (Wigmore et al. 1995; McMillian et al. 1997; McMillian et al. 1999).

Megestrolacetat ist bei felinen Tumorpatienten gut wirksam und wird zur Appetitanregung und zur Unterstützung einer Gewichtszunahme eingesetzt.

© Yves Lanceau/Royal Canin/ Norwegische Waldkatze

Bei einigen Patienten kann eine Indikation für Appetit stimulierende Medikamente und Antidepressiva bestehen. Mitunter ist es sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, zwischen einer Anorexie aufgrund von Nausea und einer Anorexie als Teil des Tumorkachexie-Syndroms zu unterscheiden. Antiemetika sollten immer zuerst oder in Verbindung mit Appetitstimulanzien in Betracht gezogen werden. Gibt man diesen Patienten Appetit stimulierende Medikamente ohne effektive Antiemetika, können sich die Nausea und das Erbrechen verstärken, was wiederum die Gefahr der Entstehung einer erlernten Futteraversion mit sich bringt. Wichtig ist darüber hinaus ein differenzialdiagnostischer Ausschluss oder gegebenenfalls eine Behandlung mechanischer Ursachen für Übelkeit, Erbrechen und eine darauf folgende Anorexie, wie zum Beispiel gastrointestinaler Tumoren, intestinaler Obstruktionen oder einer Chemotherapie induzierten Gastroenteritis, bevor Appetitstimulanzien verordnet werden.

Tumor/Kachexie

Appetit stimulierende Medikamente

Megestrolacetat ist das in der Humanonkologie effektivste und am häufigsten verordnete Medikament zur Bekämpfung von Gewichtsverlust und Kachexie. Eine umfangreiche Metastudie kommt zu dem Ergebnis, dass Tumorpatienten unter Megestrolacetat mit größerer Wahrscheinlichkeit an 397


6 - Pharmakologische Intervention

Gewicht zunehmen oder ihr Gewicht halten, als Patienten, denen dieses Medikament nicht verabreicht wird (Berenstein et al. 2005). Der Wirkungsmechanismus von Megestrolacetat ist sehr komplex, und man geht davon aus, dass eine Appetitstimulation sowohl auf direkten als auch auf indirekten Reaktionswegen eine Rolle spielt und darüber hinaus auch ein Antagonismus der metabolischen Effekte der wichtigsten katabolen Zytokine beteiligt ist (Uomo et al. 2006). Megestrolacetat ist auch bei felinen Tumorpatienten wirksam und wird hier sowohl zur Appetitanregung als auch zur Unterstützung einer Gewichtszunahme eingesetzt. Kortikosteroide werden in den USA häufiger verwendet, insbesondere zur Behandlung des felinen Lymphoms. Aufgrund ihrer zytotoxischen Wirkung sind Kortikosteroide zum einen Teil des chemotherapeutischen Protokolls zur Bekämpfung von Lymphomen, sie haben darüber hinaus jedoch einige zusätzliche Vorteile wie ihre Appetit anregenden und entzündungshemmenden Wirkungen, die sich bei der Bekämpfung des Tumorkachexie-Syndroms als hilfreich erweisen können. Cyproheptadin ist mit seiner anti-serotoninergen Wirkung ein weiteres Appetitstimulans, das bei Katzen recht häufig verwendet wird. Von vielen Tierärzten wird dieser Wirkstoff trotz der Tatsache bevorzugt, dass in prospektiven Versuchsstudien bei humanen Krebspatienten keine Verbesserung des Ernährungsstatus bei mit Cyproheptadin behandelten Patienten gegenüber den mit einem Placebo behandelten Patienten festgestellt wurde (Kardinal et al. 1990). Appetit stimulierende Medikamente werden bei Katzen häufig in Verbindung mit anderen palliativen Maßnahmen eingesetzt. Einige Katzen scheinen von diesen Maßnahmen tatsächlich zu profitieren, bei einer Vielzahl verschiedener zeitgleich eingesetzter Strategien zur Appetitsteigerung ist es jedoch nicht möglich, festzustellen, welche der palliativen Medikamente letztlich wirksam sind. Unter Umständen ist die Verbesserung das Resultat der synergistischen oder komplementär-additiven Wirkungen einer Kombination verschiedener Arzneimittel. In der Tat bedarf es unter praktischen Bedingungen einer Kombination verschiedener Medikamente oder eines multimodalen therapeutischen Ansatzes, um das Körpergewicht dieser Patienten zu erhalten oder einen bereits erfolgten Gewichtsverlust umzukehren. Um die im Einzelfall am besten geeigneten Arzneimittel beziehungsweise Arzneimittelkombinationen zu verabreichen, bedarf es indes einer umfassenden Beurteilung sämtlicher oben genannter potentiell beteiligter Faktoren, wie z.B. des Tumorstadiums und der direkten Beteiligung des Verdauungstraktes, sowie eventuell vorhandener Symptome wie Nausea, Schmerzen oder Beschwerden, einer Chemotherapie induzierten Gastroenteritis oder eines Tumorkachexie-Syndroms. Bei einigen Patienten können praktische Einschränkungen bezüglich der verträglichen Menge oral verabreichter Medikamente bestehen. Die Applikation unnötiger Medikamente unter Zwang kann die Situation letztlich weiter verschlimmern. Die Tabellen 6 und 7 listen Medikamente einschließlich ihrer empfohlenen Dosierungen auf, die bei Katzen mit Tumorerkrankungen zur Behandlung von Nausea, zur Appetitstimulation, zur Verbesserung des Ernährungsstatus und zur Bekämpfung von Gewichtsverlust eingesetzt werden.

TABELLE 6 – ANTIEMETISCHE ARZNEIMITTEL

Tumor/Kachexie

Wirkstoff

Dosierung

Kommentar

Metoclopramid

0,2-0,4 mg/kg, SC oder PO alle 6-8 Stunden; 1-2 mg/kg/Tag IV (Dauertropfinfusion)

fördert die Magenentleerung und wirkt zentral auf die Chemorezeptortriggerzone (zentrale Wirkung ist bei der Katze schwächer als bei anderen Spezies)

Prochlorperazin

0,1-0,5 mg/kg SC oder IM alle 6-8 Stunden

sedative und hypotensive Wirkung (adrenerger Antagonist), zentrale Wirkung auf das Brechzentrum und die Chemorezeptortriggerzone

Dolasetronmesylat Ondansetron

0,5-1,0 mg/kg IV oder PO alle 24 h 0,3-1,0 mg/kg PO alle 24 h

zentrale Wirkung auf die Chemorezeptortriggerzone

Dexamethason

1-3 mg/Katze (als Einzeldosis, kombiniert mit anderen Antiemetika)

Wirkungsmechanismus unbekannt; potenziert die Wirkung anderer Antiemetika

Die Zulassungsbestimmungen für Medikamente variieren in den verschiedenen Ländern. Einige dieser Agenzien sind möglicherweise national nicht für Katzen zugelassen. 398


STIMULIERENDE

7 - Schlussfolgerung

TABELLE 7 – APPETIT

ARZNEIMITTEL

Wirkstoff

Dosierung

Kommentare

Benzodiazepinderivate* Diazepam Oxazepam

0,2 mg/kg IV; 0,5 mg/kg PO alle 12 bis 24 Stunden

sedative Wirkung: kontraindiziert bei Katzen mit Leberinsuffizienz. Bei der Anwendung bei moribunden Tieren nimmt die Wirkung mit der Zeit ab.

Cyproheptadin*

0,2-0,5 mg/kg PO alle 12 Stunden

anti-serotoninerge Wirkung; mögliche Nebenwirkungen sind erhöhte Erregbarkeit, Aggression und Erbrechen

Megestrolacetat

0,25-0,5 mg/kg alle 24 h über 3-5 Tage, danach alle 48-72 h

Appetit stimulierende Wirkung auf direkten und indirekten Reaktionswegen; antagonistische Wirkung auf die wichtigsten katabolen Zytokine; diabetogene Wirkung

Prednison

0,5-1,0 mg/kg alle 24 h

direkte zentrale Wirkung; Hemmung von tumor- und wirtsinduzierten Substanzen; direkte zytotoxische Wirkungen bei Lymphomen

* Sowohl die Benzodiazepinderivate als auch Cyproheptadin bewirken lediglich eine kurzzeitige Appetitsteigerung und eignen sich nicht zur Sicherstellung einer ausreichenden diätetischen Energiezufuhr. Die Zulassungsbestimmungen für die angeführten Wirkstoffe variieren von Land zu Land. Einige dieser Wirkstoffe sind unter Umständen national nicht für die Anwendung bei Katzen zugelassen.

Schlussfolgerung Das Hauptziel einer Tumortherapie ist es, das Leben des Patienten unter Beibehaltung einer akzeptablen Lebensqualität zu verlängern. Die Sicherstellung einer bedarfsgerechten Ernährung ist eine der entscheidenden Voraussetzungen für das Erreichen beider Ziele. Onkologische Studien in der Humanmedizin zeigen, dass kachektische Krebspatienten schlechtere Behandlungsergebnisse und Prognosen erzielen, mehr Komplikationen entwickeln und insgesamt schlechter auf Therapiemaßnahmen ansprechen. Bei Katzen dürfte sich die Situation ähnlich darstellen, wie in einer erst kürzlich veröffentlichten Studie festgestellt wurde: - Die Remissionsrate korreliert positiv mit einem höheren BCS. - Katzen mit soliden Tumoren oder Lymphomen und einem niedrigen BCS haben signifikant kürzere Überlebenszeiten als entsprechend erkrankte Katzen mit höherem BCS (Baez et al. 2007).

Tumor/Kachexie

Ein Gewichtsverlust und die damit einhergehende Verschlechterung der Lebensqualität haben nicht nur einen negativen Einfluss auf die Behandlung und das Behandlungsergebnis, sondern können darüber hinaus auch direkte Folgen für das Überleben des Patienten haben, da sie die Entscheidung in Richtung Euthanasie orientieren können. Zentrale Aspekte einer guten Lebensqualität sind die Fähigkeit, das Interesse und der Wille zur freiwilligen Futteraufnahme. Die meisten Tierbesitzer und Tierärzte werden darin übereinstimmen, dass eine Katze, die über einen längeren Zeitraum nicht freiwillig frisst oder nur ungenügende Mengen Nahrung aufnimmt, sich nicht wohl fühlt und möglicherweise auch leidet. Eine effiziente nutritive Unterstützung und eine wirksame palliative Medikation zur Bekämpfung von Nausea, zur Appetitstimulation und zur Erleichterung der freiwilligen Nahrungsaufnahme sind deshalb entscheidende Voraussetzungen für eine Verlängerung der Überlebenszeit. In unserer onkologischen Abteilung stellen wir fest, dass die Mehrzahl der Katzen mit Lymphomen in der Einleitungsphase der Chemotherapie an Gewicht verliert (Bachmann et al. 2000). Ein signifikanter Teil der Katzen mit Lymphom stirbt in den ersten Monaten nach Beginn einer Chemotherapie oder wird euthanasiert. Diese Fakten sprechen dafür, dass bei diesen Patienten eine größere Aufmerksamkeit für die Sicherstellung einer bedarfsgerechten Ernährung und die Prävention eines Gewichtsverlustes notwendig ist. Eine frühzeitige nutritive/diätetische Intervention kann nicht nur zu einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen sondern darüber hinaus auch einen positiven Einfluss auf das Überleben haben. 399


Häufig gestellte Fragen

Häufig gestellte Fragen zum Ernährungsstatus krebskranker Katzen A

F

Dies ist wohl eine der sowohl von Tierärzten als auch von Tierbesitzern am häufigsten gestellten Fragen. Zur Beantwortung dieser Frage ist es notwendig, den Remissionsstatus der Katze erneut zu beurteilen und eine gründliche Behandlungsanamnese durchzuführen, um festzustellen, ob ein Zusammenhang mit dem Gewichtsverlust besteht oder ob die Übelkeit möglicherweise mit bestimmten chemotherapeutischen Medikamenten in Zusammenhang steht.

Tumor/Kachexie

Wie können wir erkennen, ob es die Therapie oder die Tumorerkrankung selbst ist, die für Nausea und reduzierten Appetit bei der Katze verantwortlich ist?

Bei Katzen mit alimentärem Lymphom sind in dieser Situation unter Umständen eine abdominale Sonographie und ein Vergleich der Ergebnisse mit den vor der Behandlung erhobenen Ultraschallbefunden hilfreich. Weisen die Befunde auf eine Besserung der primären Erkrankung oder sogar eine klinische Remission hin, besteht der Verdacht, dass die Chemotherapie für die Beschwerden der Katze verantwortlich ist. In diesem Fall kann ein kurzzeitiges Absetzen der Therapie zur Lösung des Problems beitragen. Die Chemotherapie sollte anschließend sehr vorsichtig und unter einer prophylaktischen Gabe von Antiemetika, sowie gegebenenfalls auch dosisreduziert fortgeführt werden. Zeigt der sonographische Befund ein persistierendes Lymphom oder sogar einen verschlechterten Zustand, kann die Notwendigkeit für eine Fortsetzung der Behandlung mit alternativen Chemotherapeutika, kombiniert mit Antiemetika bestehen.

Leidet meine Katze, weil sie nicht frisst?

Vieles spricht dafür, dass sich eine anorektische Katze nicht wohl fühlt. Es besteht ein fließender Übergang zwischen „sich nicht wohl fühlen“ und „leiden“. Für die meisten Tierbesitzer und Tierärzte ist eine vorübergehende Reduzierung des Appetits oder sogar Anorexie akzeptabel, solange davon auszugehen ist, dass dadurch andere Aspekte des Lebens der Katze nicht in signifikantem Maße beeinträchtigt werden. Eine anhaltende und hochgradige Anorexie und ein Gewichtsverlust infolge einer Erkrankung im Endstadium ohne Möglichkeit einer Behandlung oder wirksamen Palliativtherapie ist dagegen ein eindeutiges Anzeichen einer in inakzeptablem Maße eingeschränkten Lebensqualität.

Was kann ich tun, um die Nahrungsaufnahme meiner Katze zu verbessern?

Der Appetit wird durch zahlreiche interne und externe Signale beeinflusst. Bei vielen Tumorpatienten kann es sowohl durch direkte und indirekte Auswirkungen des Tumors als auch durch die jeweilige Therapie zu einer Appetitminderung kommen. Grundsätzlich sollten alle möglichen Anstrengungen unternommen werden, um das Wohlbefinden des Patienten zu optimieren, einschließlich einer Behandlung von Dehydratation, Fieber, Schmerzen und Nausea. Die Fütterung der Katze muss so stressfrei wie möglich gestaltet werden. Die Katze sollte kleine Mengen verschiedener Futtermittel hoher Akzeptanz angeboten bekommen, gleichzeitig muss jedoch sehr sorgfältig auf erste Anzeichen einer erlernten Futteraversion geachtet werden. Das Anbieten zahlreicher kleiner und über den Tag verteilter Mahlzeiten kann in dieser Situation eher zum Erfolg führen als eine geringere Anzahl umfangreicherer Mahlzeiten. In einigen Fällen führt das Anwärmen der Nahrung auf Körpertemperatur zur Verbesserung der Akzeptanz.

Der Appetit meiner Katze ist sehr schlecht, und trotz eines guten Ansprechens auf die Chemotherapie verliert sie an Gewicht. Mir wurde gesagt, der Einsatz einer Ernährungssonde könne meiner Katze über diese kritische Zeit hinweg helfen. Allerdings bin ich besorgt über die möglichen Auswirkungen auf die Lebensqualität meiner Katze.

Viele feline Patienten vertragen eine Sondenfütterung ausgesprochen gut. Insbesondere Ösophagostomiesonden scheinen nur geringe Beschwerden zu verursachen und ermöglichen eine Fütterung mit üblicher Dosennahrung für Katzen. Kontraindiziert ist eine Fütterung per Sonde dagegen bei Katzen mit unkontrolliertem Erbrechen. Bei Katzen ohne Erbrechen oder mit erfolgreich behandelbarem Erbrechen kann die „künstliche“ Ernährung mittels Sonde zu einer Verbesserung des Ernährungsstatus, der Energiebilanz und des allgemeinen Wohlbefindens beitragen. Wenn sich eine Katze in der Remissionsphase befindet, aber immer noch an Gewicht verliert, ist dies möglicherweise die Folge einer Chemotherapie bedingten Übelkeit und Erschöpfung. Zusätzlich zum Legen der Ernährungssonde sollten deshalb eine geringgradige Dosisreduzierung und der Einsatz wirksamer Antiemetika in Betracht gezogen werden.

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Literatur

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