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Dr. Martell Rotermundt, Wolfgang Behrendt, Dr. Ulrich Soénius

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Impressum

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Neurotischer Aktionismus

Doppelt leiden

Unmittelbar nach Entdeckung des als SARS-CoV-2 bezeichneten Virus beschlich mich das Gefühl, dass es neben dieser biologischen Variante noch ein zweites Virus gibt, welches sich im Unterbewusstsein und in der Seele einnistet und sich vornehmlich soziologisch verbreitet. Dieses „Virus 2“ kommt angetrieben von der Angst vor Krankheit und Sterben langsam in unser Innerstes, weckt bewusst oder unbewusst längst vergessen geglaubte Erlebnisse, offenbart die eigene Unkenntnis nebst Hilflosigkeit und zwingt uns als Verbreitung in eine Art neurotischen Aktionismus. Nichtstun verstärkt die Angstwahrnehmung und käme einer Kapitulation gleich. Der Tatendrang wird von der Vorstellung befeuert, Ansteckendes, Schadhaftes und als Verursacher ausgemachtes zu meiden, ja schlicht zu schließen. Meiden und Schließen, das ist das neue Mantra dieses „Virus 2“ und es macht sich sogleich an den Kern der Gesellschaft: Die Kultur. Theater, Oper, Museum, all das ist nicht systemrelevant und wird geschlossen. Der Austausch von Menschen ist beschränkt. Die Kunst wird stillgelegt in einem Rausch aus Absicht und freiwilliger Aufgabe.

Es herrscht kulturelle Stille. Nur der eigene Atem ist noch wahrnehmbar. Ein Leben ohne Kunst atmet, aber lebt es? Kunst spiegelt, zeigt unser Leben wie es ist, sein könnte oder nie war, was richtig, was falsch oder nichts ist. Wenn die Kunst aber keinen Raum mehr hat, die Gesellschaft zu spiegeln, kann die Gesellschaft ihren (Irr-)weg auch nicht mehr wahrnehmen. „Virus 1“ ist gefährlich, mal ungefährlich, es mutiert, ändert sich und lässt sich immer wieder neu entdecken, vielleicht irgendwann beherrschen. „Virus 2“ bleibt immer gleich. Wir sind es selbst.

Dr. Martell Rotermundt

Rechtsanwalt aus Köln

Das vergangene Jahr hat unserer Gesellschaft wieder mal vor Augen geführt, wie unwichtig und verletzlich die Menschheit auf dieser Welt ist. Kulturelle Güter, nette Gewohnheiten und angenehme Dinge, deren Genuss für uns selbstverständlich war, wurden auf einmal unerreichbar. Nur wer die Erkenntnis zeigte, diese Tatsachen anzuerkennen, konnte relativ gelassen diese Zeit ertragen. Die armen Anderen mussten doppelt leiden.

Wolfgang Behrendt

Unternehmer und Musiker www.juwelier-behrendt.com

Es fehlt so viel, aber es gibt auch Neues

Es fehlt so viel, aber es gibt auch Neues. Jeder Strohhalm wird ergriffen - ein Fotograf bittet um Porträtaufnahmen für eine Ausstellung, seltene Gespräche mit KünstlerInnen greife ich freudig auf, die Kunst an den eigenen Wänden betrachte ich nochmal intensiver und nehme Werke, die zum Rahmen gebracht werden müssen, liebevoll in die Hand. Der Mensch ist ein haptisches Wesen - und dessen besinne ich mich stets gerne.

Weniger Abendtermine und keine Reisen - die Zeit habe ich genutzt, in manchem Kunstbuch zu blättern und die eigene Vinyl-/CD-Sammlung, ca.1.500 Stück, von A-Z durchzuhören. Die Bibliothek ist etwas geordneter und manches Buch gelesen - aber es fehlt doch etwas. Seit 14 Monaten keine Ausstellung, kein Kino- und kein Theaterbesuch, keine Liveveranstaltungen in Musik und Literatur und noch vieles mehr. Die Museumsbesuche, die Galerieneinladungen, keine Kunstmessen, das Abwägen vor der Kaufentscheidung, das Wiedersehen mit alten und neuen Freunden bei Kulturveranstaltungen - im Verlust wird der Gewinn deutlich. Besonders tragisch das Schicksal derer, die um ihre Existenz bangen müssen oder andere Jobs ergreifen müssen.

Es wird zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, dass neben der staatlichen Krisensicherung, die der privaten Förderung stärker gefragt sein wird. Es gibt dazu schon Ansätze, wie die „Kölner Kulturhilfe“ des Kölner Kulturrates, aber es wird noch einiger Anstrengung von Vielen bedürfen, dass wir die Kultur am Leben erhalten. Es gibt auch Positives zu vermelden: Die c/o pop hat zweimal bereits ihr Angebot inklusive Convention virtuell angeboten und dabei vielen Künstlern die Möglichkeit gegeben, aufzutreten und sich zu Wort zu melden. Es wird in Zukunft ein Mischung von virtuellen Angeboten und realen Begegnungen geben - und das kann mehr Kultur bedeuten, nicht weniger. Die Chance ergreife ich gerne - damit die Lücke des wahrgenommenen Kulturangebots wieder kleiner wird und KünstlerInnen, die Chance erhalten, ihre wertvolle gesellschaftliche Rolle wahrnehmen zu können. Denn ohne Kultur verliert die Gesellschaft Werte und Orientierung.

Dr. Ulrich Soénius

Geschäftsführer Industrie- und Handelskammer zu Köln Direktor Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln Foto: Roland Keusch

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